top of page

11. Okt 2020

28.Sonntag im Jahr.kr.

Hochzeitseinladung an alle

Mt 22,1– 14

Wieder hören wir eine Lehrerzählung Jesu, wieder hält er die Rede am Tempelplatz. Er spricht von einem üppigen Festmahl – erstaunlich, dass Jesus noch in der Lage ist, dies vor seinen Zuhörern einladend bunt auszumalen, obwohl sich für ihn selber schon die düsteren Schatten seines Leidens abzeichnen. Der Evangelist Matthäus steigert schriftstellerisch das „Fest“ noch zu einem „Hochzeitsfest“, obwohl in seiner Vorlage „nur“ von einem „Fest“ die Rede war. Das wissen wir aus dem Vergleich mit der Lukas-Darstellung: Lukas 14,15-24. Matthäus als ehemaliger jüdischer Schriftgelehrter hat wohl das Hochzeits-Bild aus dem Propheten-Buch Jesaja im Kopf: „Ich habe Gefallen an dir und dein Land wird Vermählte genannt. ... Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich.“ (Jes 62,4f)

Das junge Christentum, für das Matthäus sein Handbuch schreibt, darf sich als die Festgemeinschaft verstehen, das die Hochzeit mit dem Lamm feiert. Deutlich klingt das Hochzeitsthema in einer Schrift aus den 90er Jahren an, die den bedrängten Christen-Gemeinden Zuversicht geben will: „Wir wollen uns freuen und jubeln und ihm die Ehre erweisen. Denn gekommen ist die Hochzeit des Lammes, und seine Frau hat sich bereit gemacht.“ (Off 19,7) Mit der „Frau“ ist das weltweite Netzwerk der zu Christus Gehörenden gemeint – die Versammlung des Herrn, die EKKLESIA, die Kirche.

Matthäus scheint noch mehr an seiner Text-Vorlage herum geändert zu haben. Einiges in seiner Schilderung gibt Rätsel auf und stößt uns heutige Leser sogar vor den Kopf. Fangen wir beim Schlusssatz an: „Denn viele sind gerufen, wenige aber auserwählt.“ Wie ist das gemeint? Hilfreich ist es, zum „Gleichnis von den Winzern“ (Mt 21,33-46) zurück zu blättern, das uns vorigen Sonntag vorgetragen wurde. Dort war davon die Rede, dass ein Großgrundbesitzer aus seinem weit ausgedehnten Eigentum ein Stück Land erwählt und zu einem Weinberg ausgebaut hat. Es ist eine Anspielung auf das jüdische Volk unter den vielen Nationen. Es gilt als das „erwählte“ Volk. Seine Bewohner genießen den Vorzug, die Erwählten zu sein, was aber auch mit Verantwortung verbunden ist.

IMG_3714 web.JPG

Vor dem römischen Aquädukt in Cäsarea am Meer hat ein junger Mann vor, seiner Geliebten  den Heiratsantrag zu machen. MARRY ME: In früheren Zeiten war so etwas unvorstellbar: Da hat  der Vater für den Sohn die Braut ausgesucht und dann die Hochzeit ausgerichtet.

Matthäus in den 80er Jahren muss feststellen, dass viele gerufen sind zu dem Fest, leider aber vom auserwählten Volk wenige dabei sind, die dem Ruf nachkommen.“ Somit musste die „Auserwählung“ ausgeweitet werden auf mehr Völker und Bevölkerungsschichten – über die anerkannt Gläubigen hinaus. Es ist sehr schade, dass gerade jene, die eine lange religiöse Tradition besitzen, kaum zur neuen freudigen Feier mit dem Sohn kommen. Sie halten zwar ihre religiösen Pflichten ein, aber Freude kommt in ihren Zusammenkünften nicht auf. Ein damaliges allgemeines Schreiben bestärkt die jungen Christengemeinden in ihrem Selbstbewusstsein, das die erweiterte Auserwählung für sie gilt: „Ein auserwähltes Geschlecht seid ihr, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat.“ (1Petr 2,9). Gott hat dem jüdischen Volk seine Erwählung  nicht entzogen, aber er hat sie ausgeweitet auf andere. Die übrigen befremdenden Aussagen in diesem Lehrstück behandeln wir später.

 

Nun zur Lehrgeschichte Jesu: „Die kommende Gesellschaftsordnung Gottes könnt ihr euch folgendermaßen vorstellen: Da war ein König, der für seinen Sohn eine Braut ausgewählt hatte. Beide, der Sohn und die Braut, haben sich in behutsamer Annäherung kennengelernt und haben zugestimmt, ein Paar zu werden nach den Wünschen des Vaters. Nun konnte der Vater, der König, mit den Hochzeitsvorbereitungen beginnen. Dazu gehörte es, den Gästen lange im Voraus eine Einladung mit dem geplanten Termin zu übermitteln. Das waren die engen Verwandten und Nachbarn, darüber hinaus sonstige Nahestehende und Ehrengäste, Freunde, Sippenangehörigen – jedenfalls lauter Personen, die mit dem König irgendwie in Beziehung standen. Als der große Tag näher rückte, schickte er nochmals seine Bediensteten aus, um die bereits früher eingeladenen Gäste nun rufen zu lassen. Sie wurden aufgefordert, jetzt zu dem mehrtägigen Fest zu kommen. Aber sie wollten nicht kommen. Das war seltsam. Warum lehnten sie es ab zu kommen? Es war nichts vorgefallen, das sie verstimmt hätte. Es war langfristig vorher schriftlich angekündigt worden. Es gab keinen einsichtigen Grund. Nun kann man nur vermuten: Gleichgültigkeit? Böswilligkeit? Der König ließ sich zunächst nicht aus der Fassung bringen. Er startete einen zweiten Versuch: Diesmal sollten die Bediensteten den Eingeladenen schildern, welche Vorbereitungen schon getroffen waren. Sie sollten ihnen das aufwendige Essen schmackhaft anpreisen und ihnen erklären, dass die Küchen-Mannschaft schon alles vorbereitet hätte, um mit dem Kochen zu beginnen: > Siehe!< sollten sie sagen, > Es gibt erlesenes Ochsenfleisch, meine Ochsen sind bereits geschlachtet. Auch das andere Mastvieh wie Kälber, Lämmer und Geflügel sind bereits geschlachtet. Sie brauchen nur noch kurz vor Eintreffen der Gäste auf das Kohlenfeuer gelegt zu werden. Also, warum zögert ihr? Kommt zur Hochzeit!< Vom Wein ist nicht ausdrücklich die Rede, denn der lag sowieso bereit, den musste man nicht zubereiten. So ein Aufwand alleine in der Vorbereitung lässt auf eine riesige geplante Festgesellschaft schließen. Wie reagierten die Geladenen? Gar nicht! Sie kümmerten sich nicht darum. Sie fanden es nicht eimal der Mühe wert, um Entschuldigung zu bitten. Wenn sie nur einsichtige Gründe genannt hätten, etwa unaufschiebbare Erledigungen. Nein, sie drehten sich um und gingen ihren beruflichen Beschäftigungen nach, die gar nicht zeitgebunden waren. Die schienen bei ihnen Vorrang zu haben. Der eine ging auf seinen Acker, dem war also die Bearbeitung seines Grundstücks wichtiger. Der andere ging in seinen Laden, dem war der Handel wichtiger – Kaufen und Verkaufen. Einigen war die Einladung sogar lästig und sie vergriffen sich an den Bediensteten, sie wurden gewalttätig und benahmen sich frevelhaft ihnen gegenüber, einige brachten sie sogar um.

Jetzt reichte es dem König. Es packte ihn der Zorn. Was die getan hatten, konnte nicht unbestraft bleiben. Er schickte kurzerhand seine Truppen und ließ die Mörder umbringen. Ihre Stadt steckte er in Brand.

Vom Plan, dem Sohn die Hochzeit auszurichten, ließ sich der Vater nicht abbringen. Keinesfalls wurde die Hochzeit abgesagt, sie wurde auch nicht auf den kleinen Kreis von Anständigen und Gehorsamen beschränkt. Die Vorbereitungen waren ja für die große Festgemeinschaft längst getroffen. So fasste der König einen kühnen neuen Plan. Er nützte das Missgeschick als Chance. Er klärte seine Bediensteten über die Sachlage auf: „Erstens: Das Hochzeitsmahl ist vorbereitet, es gibt kein Zurück und ich will es auch nicht rückgängig machen. Zweitens: Die Eingeladenen waren es nicht wert.“ Damit äußerte sich der König nicht abfällig über sie, er beschönigte die Sache aber auch nicht. Er benannte nur die Gegebenheiten: „Sie waren es nicht wert. Punkt!“  Dann kam der neue Auftrag: „Bisher habe ich euch in die festen Häuser der Menschen gesandt, jetzt geht zu den Straßen, die aus den Städten hinaus führen und ladet so viele ihr findet zur Hochzeit ein. Es gibt zahlenmäßig keine Begrenzung. Platz ist in Hülle und Fülle vorhanden.“  Die Bediensteten gingen hinaus auf die Straßen. Das „Hinausgehen zu den Menschen“ war im Sinne des Vaters. Sie holten alle zusammen, die sie fanden. Sie machten keine körperliche und moralische Einschränkung. So kamen auch Böse, gemeint sind auch solche in bösem Zustand, Gebrechliche. Gute kamen sowieso. Schließlich war der Festsaal gefüllt. Die Gäste lagerten bei den Tischen. Viele kamen neben jemand, den sie bisher nicht kannten. Die von Anfang an gute Stimmung trug dazu bei, rasch ins Gespräch mit Fremden zu kommen. Zuletzt erschien feierlich der König. Er nahm nicht sofort Platz vorne an der Hochzeitstafel. Er begann nicht mit einer Ansprache. Nein, er schritt durch die Reihen – langsam und gemessen. Er hatte die Absicht, jeden einzelnen zu sehen, zu begrüßen, ein paar freundliche Worte zu wechseln. Er wollte sehen, wer da aller gekommen war. Das griechische Original-Wort heißt nicht einfach „sehen“, sondern „eingehend betrachten“.

Da stieß er auf einen Menschen, der keine der  Hochzeit angemessene Kleidung trug. Der König stellte ihn zur Rede: >Freund, wie bist du hier herein gekommen ohne entsprechende Kleidung?< Der aber verstummte, er gab keine Antwort. Da befahl der König seinen Bediensteten: >Bindet ihm Hände und Füße zusammen. Werft ihn hinaus, wo äußerste Finsternis herrscht. Dort wird er Schreien und aus Todesangst mit den Zähnen klappern. Denn viele sind Berufene, aber wenige davon kommen aus der Schar der Auserwählten.“

 

Wir Leser sind etwas zerknirscht, dass die leuchtende Hochzeitsgeschichte so dunkel endet. Wir sind verwirrt, dass der König so grausam handelt – nur wegen der schäbigen Kleidung. Auch der Schlusssatz will so gar nicht dazu passen. Er wirkt unlogisch. „Denn viele sind gerufen ...“, wo doch nur ein Einzelfall geschildert wurde. Passt dieser Ausgang der Lehrgeschichte wirklich zu Jesus? Ist denn auch die oben geschilderte militärische Strafaktion für das Töten eines Bediensteten angemessen: Die Mörder umzubringen und die Stadt in Brand zu setzen – ist das die Botschaft Jesu? Hier müssen wir klarstellen, dass der Evangelist Matthäus in die ursprüngliche Geschichte, wie sie aus dem Mund Jesu stammte, eingegriffen hat – bedingt durch das, was er aus den jüngsten politischen Ereignissen wusste und welche Erfahrungen er in den Gemeinden gemacht hatte. Der Truppenaufmarsch ist eine Anspielung auf den Einmarsch der römischen Legionen im Land der Juden keine 20 Jahre zuvor – mit „zuvor“ ist gemeint, bevor Matthäus sein Buch fertig stellte. Damals im jüdischen Krieg 70 n.Chr. wurde der Tempel nieder gebrannt und die Hohenpriester und Ratsältesten umgebracht – sie waren die Mörder Jesu. Das hat Matthäus eingefügt. Er ist der Überzeugung: Die Truppen im jüdischen Krieg unterstanden zwar dem Befehl des Feldherrn Vespasian, aber letztlich hatte Gott die Fäden in der Hand. Es kann sein, dass Matthäus den Krieg als die Strafe am Mord Jesu erachtet. Auch das zweite seltsame Stück vom Beanstanden der unangemessenen Kleidung und das Hinauswerfen dieses Gastes in die Finsternis geht auf Matthäus zurück. Er ist der Überzeugung – wie alle Christen damals: Wer aufgenommen wird in die Festgemeinschaft Gottes, der muss seine alte, schmutzige Lebensweise ablegen und Christus als Kleid anziehen – das beinhaltet der Ritus der Taufe. Nach  einer längeren Bewerbungs- und Bewährungszeit konnte ein Mensch in die Gemeinschaft aufgenommen werden. Vor dem Eintritt stellte der Kandidat noch die Frage: Gibt es ein Hindernis, dass ich getauft werde? Wenn die Gemeindemitglieder bestätigen konnten, dass der Kandidat den ernsthaften Willen zeigte und dass er begonnen hatte, den unsauberen Lebensstil zu ändern als Christ, dann hieß es: Kein Hindernis, du kannst aufgenommen werden. Deshalb fragt der König in der Geschichte: „Wie war es möglich, dass du eintreten konntest, ohne dein Leben erkennbar geändert zu haben – ohne ein angemessenes Kleid anzuziehen?“ Rätselhaft ist noch, dass der Mensch schwieg. Er weigert sich, darüber zu reden. Er hätte Reue empfinden, Einsicht äußern und um Vergebung bitten können. Das tut er nicht. Warum? Er sieht offenbar sein „schmutziges Verhalten“ nicht ein. Der König hat ihn mit „Freund“ angesprochen. Das war nicht herablassend gemeint oder gar ironisch. Es war die Gelegenheit, im letzten Augenblick doch zur Einsicht zu kommen. Auch in der Leidensnacht hat Jesus den herannahenden Judas so angesprochen: „Freund, dazu bist du gekommen?“ Nur Matthäus schreibt das so. Vielleicht deutet er aber etwas ganz Abgründiges an: er denkt an ein Gemeinde-Mitglied, der versteckt Unzucht treibt. Paulus warnt die Korinther davor, so jemanden weiter in der Gemeinde zu behalten. Ein Mitglied lebt in einem sexuellen Verhältnis mit der Frau seines Vaters und schweigt dazu. „Im Namen Jesu, unseres Herrn wollen wir uns versammeln ... und diesem Menschen dem Satan übergeben.“ (1 Kor 5,4) Paulus verlangt entschiedenes Durchgreifen.  So schildert auch Matthäus den König: „Bindet ihn und werft ihn hinaus.“  Ähnliche Fälle gab es leider im Verlauf der Kirchengeschichte immer wieder. Die Missbrauchs-Schicksale sind die jüngsten Beispiele in der katholischen Kirche – sie zu verharmlosen oder zu vertuschen widerspricht dem Evangelium und den Warnungen des Paulus.

 

Zurück zur Grunderzählung wie sie aus dem Mund Jesu stammt: Sein allerletztes und grandioses Bild vom Imperium ist also ein buntes großes Fest, von einem Gastgeber, der keine Kosten scheut – eine Hochzeit. Diese Vision hat er uns überlassen und sie hallt nach weit über seinen Tod hinaus – bis ins dritte Jahrtausend. Ganz gleich, ob wir Überbringer der Einladung sind oder erstgeladen Gäste oder Gäste von der Straße, wir dürfen gespannt sein, wen wir da aller antreffen. Wenn nur wenige von den traditionell Religiösen der Einladung nachkommen, braucht uns das nicht zu verunsichern. Sie wissen zwar, dass es das freudige Fest gibt, aber sie gehen lieber ihrer selbst auferlegten Arbeit und ihren Tauschgeschäften nach. Stattdessen können wir uns jetzt schon freuen auf die bunte Gesellschaft, die sich ansammeln wird. Wir dürfen staunen, wie der König die neuen Mitglieder eingehend betrachtet und herzlich willkommen heißt. Wir brauchen nicht besorgt zu sein über die unkontrollierte, womöglich nicht ganz anständige Mitglieder-Gemeinschaft. Die Verantwortung liegt beim König. An uns liegt es nur, die verschmutzte Alltagskleidung abzulegen und in der angemessenen Kleidung zu erscheinen. Das ist unser Beitrag zum Gelingen des Freudenfestes. Die Versorgung der Gäste im Saal übernimmt der König selbst. >Die Nacht ist bald vorüber, der Tag naht. Darum lasst uns die Machenschaften der Finsternis ablegen. Schlüpfen wir heraus aus dem abgetragenen und unsauberen Kleidungsstück, aus den Hüllen, die keinen Glanz ausstrahlen. Legen wir die Rüstung des Lichts an, schlüpfen wir hinein in Hüllen, die etwas ausstrahlen.< Was hier Paulus den Hauskreisen in Rom im Jahr 57 schreibt, dürfen wir auch auf uns beziehen. (Röm 13,12 f).

bottom of page