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16. Feb 2020

6.Sonntag im Jahreskreis

Ich sage euch darüber hinaus

Mt 5,17-37

Das Matthäus-Evangelium – geschrieben in Syrien in den 80er Jahren – ist gekennzeichnet von einem schwierigen Prozess: Das Christentum löst sich ab von der Mutterreligion, dem Judentum, und seinen Gesetzen. Jüdische Autoritäten haben bereits offiziell erklärt, dass jeder aus der Synagoge ausgeschlossen ist, der dem Messias Jesus angehört. Das wäre für die Jesus-Bewegung Grund genug gewesen, Abstand zu nehmen von dem, was prägend ist für den jüdischen Glauben: von der Tora, dem Gesetz des Mose und von den Propheten-Schriften. So gab es tatsächlich Stimmen im frühen Christentum, die jene heiligen Schriften für hinfällig erklärten. Dagegen tritt der Verfasser des Matthäus-Evangeliums ganz entschieden auf. In keinem Evangelium sonst gibt es diesbezüglich so deutliche Worte. Ja, es ist einer der Leitgedanken des Matthäus, dass Jesus als neuer Mose die alten Weisung Gottes beibehält und nicht umstößt, sondern nur neu interpretiert.

„Ihr sollt nicht der mancherorts verbreiteten Meinung erliegen, dass ich gekommen bin, um das Gesetz und die Propheten aufzulösen. Ich habe nicht die Absicht, sie außer Kraft zu setzen. Ich bin nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen, voll zu machen, zu komplettieren, zu vervoll­ständigen, zum Ende zu bringen. Heilig wahr, ja AMEN ist, was ich euch sage, euch, die ihr Lernende seid bei mir: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht ein einziges Jota und nicht ein (!) Häkchen des Gesetzes vergehen, bis alles (!) geschehen ist, bis alles getan ist. Wer immer daher eines von den geringsten dieser Vorschriften auflöst und die Menschen entsprechend lehrt, der wird in der Königs­herr­schaft der Himmel der Geringste genannt werden. Wer sie aber hält und lehrt, der wird groß genannt werden in der Königs­herr­schaft der Himmel. Ich sage euch nämlich: Wenn ihr nicht dem Plan Gottes mehr gerecht werdet als die beruflichen Bibeltheologen und die Gruppe der Strenggläubigen, wenn ihr sie nicht weit übertrefft, dann werdet ihr nicht in die Königs­herr­schaft der Himmel hinein kommen.“

Was hier so eindringlich vorgetragen wird, scheint nicht einhellige Meinung im frühen Christentum zu sein: Paulus warnt vor dem Buchstaben des Gesetzes: „Gott hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig.“ (2 Kor 3,6) An die Christen in Rom schreibt er: „Jetzt aber sind wir frei geworden vom Gesetz, dem gestorben, woran wir gebunden waren, sodass wir in der neuen Wirklichkeit des Geistes dienen, nicht mehr in der alten Wirklichkeit des Buchstabens.“ (Röm 7,6)

​Die nun folgenden Thesen müssen gelesen werden im Horizont der bleibenden Gültigkeit der Tora: „Ihr habt gehört, dass zu den Gläubigen seit Alters her gesagt worden ist: Du darfst keinen Mord begehen. Du darfst das Leben keines Menschen zunichte machen. Wer aber jemanden ermordet, der wird sich vor dem Gericht verantworten müssen, er ist dem örtlichen Gericht unter-worfen. Nun bin ich es, der euch sagt (das „Ich“ ist betont): Wer immer das Leben des Bruders aus Wut beschädigt, wer die Lebensfreue eines der Glaubensgeschwister mit einem Zornaus-bruch womöglich gar zunichte macht, der muss sich dafür vor dem örtlichen Gericht verant­worten." Es steht nicht im Originaltext: der „auch nur“ zürnt - so als wäre das etwas Geringes, sondern es heißt: „der zürnt“. Geschrieben ist das aus dem Blickwinkel des Gemeindelebens zur Zeit des Matthäus-Evangeliums. Der „Bruder“ ist das Gemeindemitglied, mit dem alle geschwister­lich verbunden sind. Diese Warnung gilt jedem Mitglied (ergeht an ALLE!), ganz gleich, ob in gehobener oder unterer Stellung. Wer immer in der Gemeinde ein anderes Mitglied durch Wutschreie fertig macht, muss sich vor Gericht verantworten.

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Wer die Lebensfreude anderer durch eigene Zornausbrüche zunichte zu macht, muss sich - laut Jesus - vor Gericht verant-worten, genauso wie jemand der einem Mord begangen hat.

​"Wer seinen Bruder als Nichtsnutz bezeichnet, ihn abwertet und zu ihm sagt: >Du Hohlkopf, du hast nichts in deinem Schädel<, der wird sich vor dem Höchstgericht in Jerusalem verantworten müssen. Wer immer in der Gemeinde jemand anderen die Zurechnungs-fähigkeit abspricht – ganz gleich, ob es ein Vorgesetzter oder ein geringes Mitglied tut, dem droht ein hochrangiges Gerichtsverfahren.

Wer zu ihm sagt: >Dir fehlt jede Vernunft, du bist zu dumm zu allem, du verstehst nichts<, der wird schuldig gesprochen werden zur Höllenstrafe mit Gluthitze. Wer die Äußerungen eines anderen als dumm und als bar jeder Vernunft abtut, der macht sich so schuldig, dass ihm untergeheizt werden wird in der Hölle." Das drastische Bild von der Hölle scheint aus der Feder des Matthäus zu stammen.

Für Jesus ist es ganz schlimm, jemanden mit Schimpfwörtern herab zu setzen. Es ist so schlimm wie Mord, weil damit ein Mensch zur Resignation, ja zum Selbstaufgabe getrieben werden kann. Umso erstaunlicher ist, dass Jesus in seinen Wehe-Rufen gegen die Schriftgelehrten genau dasselbe Schimpfwort verwendet  und zu ihnen sagt: "Ihr blinden Narren (= Unvernünf­tigen)!" Mt 23,17 Wohlgemerkt, er sagt das nicht zu Brüdern, sondern zu Verantwortlichen der jüdischen Religion. Matthäus schreibt es zu  einer Zeit, als die jüdische Führung bereits aus der Synagoge alle ausgeschlossen hat, die Jesus als Messias anerkennen.

„Wenn du auf dem Weg zum Gotteshaus bist und du dort zum Opferaltar dein Weihegeschenk oder deine Spende hinbringst und wenn du dich erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, dann lass dein Geschenk dort vor dem Altar liegen. Geh weg und bring zuerst eine Aussöhnung mit dem Bruder zuwege und danach komme und bringe dein Weihegeschenk dar.“ Zu beachten ist, dass wieder von der Aussprache mit dem Gemeindemitglied (Bruder) die Rede ist. Es bewirkt, dass man danach mit einem ganz anderem Gefühl ins Gotteshaus gehen kann.

Ein weiteres Jesus-Wort betrifft nicht den „Bruder“, sondern den „Widersacher“:  „Stelle mit deinem Widersacher, deinem Prozessgegner, noch schnell ein gutes Verhältnis her, solange du noch auf dem Weg zum Gericht bist.“ Der Original-Text sagt nicht: „Schließ Frieden“ – das Wort „Friede“ kommt nicht vor. „Komme überein mit deinem Gegner, der mit dir wegen einer Rechts­ange­legenheit streitet.“ Mit dem Wort „auf dem Weg“ kann auch die Zeitspanne gemeint sein bis zum Gerichtstermin. „Nütze sie für eine Übereinkunft. Mach das schnell, möglichst bald! Damit verhinderst du, dass dich der Widersacher vor den lokalen Richter stellt. Wenn er ein einflussreicher Mann ist und wenn der Richter bestechlich ist, kann es schlimm werden mit dir, selbst wenn du dich im Recht fühlst. Lass es nicht darauf ankommen, dass dich dein Widersacher vor den Richter bringt und der Richter womöglich gegen dich entscheidet. Er wird dich dem Gerichtsdiener übergeben und du wirst ins Gefängnis geworfen. Amen, ich sage dir: Du kommst von dort nicht heraus, bis du den letzten Pfennig bezahlt hast. Das könntest du dir von vornherein ersparen.“ Wozu Jesus hier rät, ist weniger ein moralischer Appell als vielmehr ein Aufruf zur Vernunft. Er empfiehlt diese Vorgangsweise als Schadensbegrenzung: Versuche immer den Weg der Aussprache, es ist vernünftiger. Traue dem Gegner zu, dass er mit sich reden lässt. Möglicherweise kommt er dir entgegen und ihr könnt euch einigen. Sollte es jedoch hart auf hart werden, dann wenigstens nicht, weil du auf stur geschaltet hast. Gespräche führen öfter zum Erfolg als einen harten Prozess einzuleiten.

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