19. April 2020
2.Sonntag der Osterzeit
Ich bin es, der euch entsendet wie mich VATER ausgeschickt hat.
Joh 20,19-23
Das weit verbreitete Bild in den Kirchen der Osterzeit ist „der Auferstandene“ als strahlender Held mit wehender Fahne und von gleißendem Licht umgeben. Manchmal ist noch das geöffnete Felsengrab unter seinen Füßen hingemalt. Die Künstler scheinen sich übertreffen zu wollen, wie mächtig und überlegen und blendhell der Christus ist. So als sei er über allem erhaben. Er hat den Tod besiegt. Wohlgemerkt: Nirgends in der Bibel ist der Auferstandene so beschrieben. Die Evangelien schildern ihn nicht als Lichtgestalt, nicht schwebend über dem Boden. Seine Kleider sind nicht als strahlend weiß beschrieben (so wie es von der Verklärung geschildert wird). Er war nicht auf Wolken zu sehen, über die Welt hinweg schauend – weit in die Ferne. Das steht in der Endzeitrede: „Dann wird man den Menschensohn in Wolken kommen sehen, mit großer Macht und Herrlichkeit“ (Mk 13,26) Das Macht-Bild mit Auferstehung gleichzusetzen ist nicht zulässig. In keiner der „Auferstehungsberichte“ kommt Macht ins Spiel. Christus sagt an keiner Stelle: „Ich bin Sieger über den Tod.“ Die erwähnten Gemälde in den Kirchen entsprechen nicht im Geringsten dem, was uns die Evangelien von Ostern zu verstehen geben. Solche verfälschende Kunst-Darstellungen haben die Zeugen der ersten Stunde nicht verdient. Sie haben sich größte Mühe gegeben, ihre damaligen Erfahrungen gewissenhaft wiederzugeben. Sie betonen sogar, dass sie bezeugen können, wovon sie reden.
Was denn sonst? Worauf kommt es an? Wir wollen es überprüfen anhand des Sonntagsabschnittes aus dem Johannes-Evangelium. Das Stück ist schnell erzählt – abgesehen vom Thomas-Zusatz (auf den gehen wir diesmal nicht ein). Es lohnt sich, Satz für Satz länger zu betrachten und zu verweilen.
Es war am Abend jenes aufregenden Tages, an dem Frauen das Felsengrab Jesu aufgesucht hatten und es geöffnet und leer vorgefunden hatten. Es war der „Tag eins“ laut jüdischer Wochenzählung. Der Schülerkreis hielt sich in einem Raum auf. Man kann nicht einmal sagen, dass sie „beisammen“ waren, denn sie waren wie Verlorene am selben Ort. Der Originaltext sagt nur: „ ...wo sie waren“, das Wort „beisammen“ fehlt. Vielleicht ist damit ausgedrückt, dass sie bang und ratlos waren. Der Grund ihres gemeinsamen Aufenthaltes war offenbar nicht der Zusammenhalt, sondern die Furcht, dass die Obrigkeit nach der Hinrichtung Jesu auch gegen sie vorgehen könnte. Deshalb hatten sie die Türen verschlossen, verriegelt. Da kam Jesus. Wie er kam, ist nicht näher beschrieben, jedenfalls nicht triumphierend. Geöffnete Türen brauchte er nicht zu seinem Kommen. Es erweckt den Eindruck, als sei er einfach da gewesen – ganz unerwartet. Es war aber mehr als eine Vision, mehr als eine wortlose Erscheinung. Er reihte sich auch nicht irgendwo in der Runde ein, sondern er positionierte sich in ihrer Mitte. Er füllte ihr Zentrum aus, er beanspruchte ihre ganze Aufmerksamkeit. Dann erklang sein erstes Wort, das ihnen von früher wohl vertraut war: „Friede für euch.“ Er sagte nicht: „Fürchtet euch nicht“, wie etwa damals, als sie ihn am See gehen sahen. Zunächst ist „Friede für euch!“ der ganz normale Gruß. Wahrscheinlich war er aber auch bedeutungsschwer. „Ihr bleibt meine Friedensgemeinschaft, auch wenn alles nach Rache schreit, was mir angetan wurde. Jeder andere Führer hätte Rache in sein Testament geschrieben und wie viele Söhne haben Vergeltung geübt an den Mördern des Vaters. Ihr als meine Brüder bleibt friedvoll, bleibt ausgeglichene Menschen.“ Wie Jesus das sagte, das war unverkennbar seine Stimme, wie früher – mit dem Unterschied, dass es sie jetzt in ihrer Mitte traf – also erst nach seinem Sterben.
Wie oft haben seine Hände das Brot geteilt! Wie oft hat seine Stimme darüber den Lobpreis gesprochen! Wie oft haben seine Hände jemandem über die Augen gestichen!
"ER zeigte ihnen seine Hände und seine Seite"
Nachdem er das gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und machte seinen Oberkörper frei, um ihnen seinen Brustkorb zu zeigen. Das geschah wortlos. Da überkam sie eine Freude. Seine Hände: Wie oft hatten diese Hände jemanden gesegnet, wie oft heilsam berührt, wie oft Brot bei Tisch erhoben und ausgeteilt, wie oft über blinde Augen gestrichen – diese Hände! Die Wunden von den durchgeschlagenen Nägeln waren deutlich erkennbar. Sein Hinscheiden am Kreuz war bleibende Wirklichkeit. Sein Oberkörper, seine Seite: Wie oft waren sie Seite an Seite mit ihm gewandert. Am Brustkorb klaffte noch die Wunde vom Lanzenstoß, der bis ins Herz vorgedrungen war. Welch ein Herz! Den Herrn so zu sehen, das erfüllte sie mit einem erhebenden Gefühl. Er war wieder da, nicht mehr wie früher als ihr Lehrmeister, nein als der Herr. Dem Wort „Herr“ haftete etwas Göttliches an: „Als sie den Herrn sahen ...“
Jesus beließ es nicht bei der Freudenstimmung. Es wäre zu wenig, sich mit der Osterfreude zu begnügen. Noch einmal wiederholte er: „Friede für euch!“ Es war ihm also ein bleibendes Anliegen. Sie sollten sich den Frieden einprägen, ihn in sich verankern. Sie sollten ihn hinbringen, wo er fehlt. Sie sollten sich selber nicht davon abbringen lassen, auch wenn sie der Bosheit und Aggression ausgesetzt sein sollten. „Findet zurück zum Frieden, wenn euch jemand aufs Äußerste gereizt hat.“ Und dann kam Jesus zum eigentlichen Grund seines Kommens. Jetzt verkündete er ihnen das entscheidende Wort: „Wie mich der Vater ausgeschickt hat, so werde ich euch senden.“ Dieser Satz ist kurz und klar und jedes Wort ist sorgfältig gewählt. Der griechische Originaltext verwendet nicht zweimal denselben Begriff für „Senden“. (Die Einheitsübersetzung geht auf die Feinheit nicht ein, wenn sie schreibt: „...gesandt hat, so sende...“) Der Vater hat Jesus ab-gesandt, los-geschickt (Vergangenheit!) . Jesus ist der Abgesandte des Vaters gewesen – griechisch APO-STELLO). Jesus ist jetzt dabbei, seinen Lernenden einen Sendungsauftrag erteilen. „Ich bin ich es, der euch schickt“ (Gegenwart! Und ICH ist betont.). Jesus ist das Modell: So wie er entsandt war – die Zeit ist jetzt vorbei – so schickt er künftig seinen Schülerkreis in die Welt. Er reicht seinen Auftrag weiter an die Seinen. In ihnen sieht er die Fortsetzung seines Werkes. Dieses Weiterreichen ist bis heute nicht abgeschlossen. Die Sache Jesu geht immer noch weiter.
Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte: „Nehmt den heiligen Geist bewusst an, nehmt ihn in Empfang. Seid offen dafür.“ (Nicht „Empfangt den heiligen Geist“, denn das klingt so untätig, so passiv, als würde man den Heiligen Geist über sich ausgießen lassen. Das griechische Original-Wort drückt aktiv-sein aus: „nehmen“) So etwas hat Jesus zu Lebzeiten nie getan. Das Wort „anhauchen“ oder „anblasen“ kommt nur hier im ganzen Neuen Testament vor. Es ist ein Wort von kosmischer Dimension: Es war Gott am Beginn der Schöpfung, der vom Erdboden den Menschen formte und ihm seinen Atem einhauchte – so wurde er zum Menschen. „Gott blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebenden Wesen“ (Gen 2,7) Diese Geste spielt auch an auf eine Vision des Propheten Ezechiel, der eine Ebene voll von Gebeinen sieht. Dann heißt es: „So spricht der Herr: Siehe, ich selbst bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig.“(Ez 37,5). Ausgestattet mit diesem Geschenk können die Jesus-Nachfolger ein Welt-Thema in Angriff nehmen: das Thema Schuld. Wie geht die Welt üblicherweise damit um? Dem Täter wird seine Schuld bewiesen und vorgerechnet. Er wird zu einer entsprechenden Strafe verurteilt. Er muss die Schuld abbüßen. Im günstigsten Fall bekommt er Gelegenheit, sie wieder gut zu machen.
Die Sichtweise Jesu zu Schuld ist anderes, er hat andere Lösungsansätze. Danach baut er eine neue „entschuldete“ Welt auf und er braucht dazu seinen Anhänger-Kreis. „Schuld hat etwas Zwanghaftes an sich. Sie nimmt den Menschen gefangen, sie lähmt ihn, schädigt Beziehungen. Ihr werdet viele Betroffene befreien aus diesen Fesseln. Wenn ihr bestimmte Menschen entlasst aus dem Gefängnis ihrer Schuld, dann sind sie tatsächlich entlassen. Wenn ihr ihnen die Verfehlungen erlasst, dann sind sie die Last los. Damit ist nicht Vergebung von einigen Sünden gemeint, sondern es ist umfassender zu verstehen: Die Betroffenen werden entlassen aus der Umklammerung und der Last der angesammelten Schuld, die sie ständig in den Abgrund ziehen will. Ihr seid ermächtigt diese Fesseln zu durchtrennen. Wenn ihr allerdings bestimmte Menschen in jener Gewalt lasst, dann bleiben sie in den Krallen gefangen. Es liegt ein großes Arbeitsfeld vor euch. Es war mein Arbeitsschwerpunkt, Menschen aus den Sackgassen ihrer Verfehlungen heraus zu holen, künftig seid ihr dran.“
Damit klingt die Begegnung mit dem Auferstanden aus. Es scheint, als sei er genauso plötzlich unsichtbar geworden, wie er zuvor aufgetaucht war. War sein Auftreten gleißend hell? Triumphierend? Nein, es war eine kurze aber dichte Begegnung auf Augenhöhe, deren Dichtheit man erst verdauen muss. Kein Abschied, keine ausführlichen Erläuterungen, keine Ankündigung eines neuerlichen Kommens! Aber es sollten noch weitere Begegnungen folgen ... und diese Begegnungen haben einen Nachhall, der bis heute nicht verklungen ist.
Nachtrag für Zweifler:
Manche heutige Menschen hinterfragen hartnäckig diese Schilderungen. Was hat sich damals zu Ostern real ereignet? Das ist ihr gutes Recht und sie stehen in guter Gesellschaft mit Männern der ersten Stunde: Thomas, einer aus dem Zwölferkreis, kann ihnen ein Trost sein. Gehen wir also der Frage nach: Wie ist Jesus erschienen? Wie war das möglich? Das lässt sich nur teilweise beantworten: Versuchen wir eine Erklärung mit heutigen Mitteln: Hätte es damals Filmaufnahmen gegeben, wäre Jesus als Auferstandener darauf sichtbar gewesen? Seine Gestalt vermutlich nicht, wohl aber die Wirkung seines Kommens. Ein guter Kamera-Mann hätte den Gegenschuss gemacht. Er hätte auch die Teilnehmer dieser außergewöhnlichen Begegnung gefilmt. Das wären tolle Aufnahmen geworden: Gebannt hätte die Lernenden hingesehen auf DEN, der ihnen gezeigt wurde. Ihre Gesichtszüge hätten sich von anfänglicher Fassungslosigkeit in Freude gewandelt. Mit weiten Augen und offen stehendem Mund hätten sie hingesehen. Sie hätten sich gegenseitig prüfende Blicke zugeworfen: Bist du auch so gefangen von dieser unerwarteten Anwesenheit unseres Herrn? Sie hätten seine Stimme wieder erkannt und seine früheren Worte erst jetzt richtig verstanden. Somit können wir sagen: Das Wie der Auferstehung lässt sich nicht nachprüfen, sehr wohl aber die Wirkung auf seinen Begleiter- und Schülerkreis. Drei Jahre waren sie an seiner Seite unterwegs gewesen und den Rest ihres Lebens haben sie sein Wirken bezeugt und haben IHN fortgesetzt. Daraus wurden bei einigen noch ganze dreißig Jahre. Wenn wir möchten, dass ein Hauch von der damaligen Ausbreitung auch in unserer Gesellschaft Wirklichkeit wird, dann tun wir gut daran, zunächst einmal die drei Jahre mit ihm zu gehen, mit seiner Stimme vertraut zu werden, seine Hände schätzen zu lernen und genau hinzusehen, was sie tun. Und wir sollten an seiner Seite hin und wieder ausruhen und Kraft schöpfen. Nach unseren drei Jahren Lernbereitschaft bei ihm und Schule unter ihm als Meister werden wir vielleicht ähnlich erstaunt hinsehen, wie er kommt und wir werden erst dann seine Wort in der ganzen Tiefe begreifen.