21.Feb 2021 1.Fasten-Sonntag
Wüste im Leben
Markus 1,12–15
Und sogleich trieb der Geist Jesus in die Wüste. Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm.
Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes
und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!
Wir stehen am Jahresbeginn 27 n.Chr. Jesus war noch nicht öffentlich bekannt. Er hatte sich nach knapp 20 Jahren Berufsleben als Bauvorarbeiter entschlossen, von seinem winzigen und abgelegenen Heimatdorf Nazaret wegzuziehen und sich Gott ganz zur Verfügung zu stellen. Dafür hatte er den 4-Tagesmarsch zur Taufstelle des Johannes nahe beim Toten Meer auf sich genommen, um sich im Jordan untertauchen zu lassen. Damit zog er einen Schlussstrich unter sein bisheriges Leben Er hielt den Zeitpunkt für gekommen, mit der Sammlung des zerstreuten und verwirrten Gottesvolkes zu beginnen. Die Taufe bei Johannes war für Jesus zum unmissverständlichen Zeichen für seine Berufung geworden. Sie muss ihn mehr überwältigt haben, als er zuvor erwartet hatte. Es ist anzunehmen, dass er vorgehabt hätte, unmittelbar daraufhin in seine Heimat zurück zu kehren und dort mit dem Lehren zu beginnen. Aber es kam anders. Ein innerer Drang ließ ihn die Heimreise nicht antreten. Vielleicht haben auch äußere Umstände mitgespielt, dass er noch nicht nach Hause gehen konnte.
Der Wüstenaufenthalt Jesu ist wahrscheinlich in die Winterregenzeit der Jahreswende 26/27 n.Chr. gefalllen - vielleicht Jän/Feb 27 n.Chr. In diesen Wochen erblüht die Wüste.
Jedenfalls erachtete er es als Antrieb des Geistes, dass ihm das ursprünglich Geplante nicht möglich war. Der liebevolle Hauch Gottes – so könnte man die Tauferfahrung nennen – trieb ihn in die Wüste, in die Einsamkeit. Dort konnte er das kurz zuvor Erlebte noch auf sich wirken lassen und verarbeiten.
Normalerweise hielt sich jemand, der aus der Zivilisation kam, nicht in der Wüste auf. Die unwegsame, karge Gebirgslandschaft war ganz und gar nicht einladend. Man durchreiste die Wüste höchstens und trachtete, von einer Oasenstadt zur nächsten zu gelangen. Aber bewusst in der Wüste bleiben – wer tat das schon? Dazu musste es zwingende Gründe geben. Vereinzelt trieben Beduinen ihre Schaf- und Ziegenherden von einer mit zartem Grün überwachsenen Weidefläche zur nächsten. Wer konnte sich sonst noch in die unwirtliche Gegend verirren? Eventuell ein Mann auf der Flucht! Von Anführern, die zum Umsturz aufriefen und Anhänger um sich sammelten, wird berichtet, dass sie in die Wüste flohen und sich dort in verschlungen Höhlenlabyrinthen versteckten, weil sie vom Herrscher des Landes verfolgt wurden. Dort planten sie heimlich den nächsten Anschlag. Wer zog sich noch in die Wüste zurück? Es waren die Mitglieder der religiösen Elite-Gemeinschaft, die mit dem kultischen Getue im offiziellen Heiligtum nicht mehr zufrieden waren. Es waren die Essener, die sich in einer Art Klosteranlage nahe beim Toten Meer aus der „schmutzigen Welt“ zurückzogen und dort warteten, bis Gott endlich die Kinder des Lichts zum Sieg führen würde. Jesus war weder auf der Flucht noch zog er sich zurück aus der „ach so schmutzigen Welt“. Der Grund für ihn, dass er sich auf ein Bleiben in der Wüste einließ, war der stark verspürte Hauch Gottes. Er ließ sich auf diesem Gottes-Wind ein, wohin immer er ihn treiben würde.
Landschaftlich darf man sich nicht Sanddünen und keine endlos weiten Ebenen vorstellen. Im Gegenteil: Die Wüste Juda rund um das Tote Meer ist eher ein schroffes Kalkgebirge, tief zerklüftet von trockenen Schluchten. Trotzdem sind die Talwände und Fallstufen abgeschliffen von Wasser und vom Geschiebe-Sand, weil es im höher gelegenen Hinterland heftige Regenfälle geben konnte. Dann ergossen sich gewaltige Wassermassen in Richtung Totes Meer. Sie konnten so überraschend die Schluchten überschwemmen, dass sie lebensgefährlich wurden.
Während seines mehrwöchigen Wüstenaufenthaltes kam Jesus offenbar mit dem einen oder anderen Mann ins Gespräch, der ihn davon abhalten wollten, ein sozial gerechter und achtsamer Hirte für Israel zu werden. Diese Person versuchte ihm klar zu machen, wie unvernünftig dieser Weg sei. Im jüdischen Sprachgebrauch gab es für jemanden, der einen Berufenen vom Weg Gottes abbringen will, eine eigene Bezeichnung: „Satan“ kommt vom Hebräischen (Widerstand leisten) und heißt soviel wie „Gegenspieler“, „Ankläger“, „Beschuldiger“. Er legt es darauf an, die Wahrheit zu verdrehen und gegen jemanden zu verwenden. Er gibt sich sehr redegewandt und lügt so geschickt, dass es nicht sofort zu durchschauen ist. Es erscheint sogar halb wahr. Jesus nennt später einen seiner engsten Vertrauten einen Satan, nämlich Petrus, weil dieser den von Jesus angekündigten Weg zum Leiden als einen Irrweg bezeichnet. Personen von dieser Denkweise legten es in der Wüste darauf an, Jesus zu verunsichern und ihm seinen Weg des Heils auszureden. Das Markus-Evangelium beschränkt sich darauf zu sagen: „Jesus wurde von Satan auf die Probe gestellt/ in Versuchung geführt.“ Markus verliert sich nicht in Einzelheiten, was der Irreführer ihm genau vorgeschlagen hat. Er sagt nicht einmal, wie Jesus darauf reagiert hat. Wer genau hinhört, dem fällt auf: Nicht der Satan „stellte ihn“ auf die Probe, sondern Jesus „wurde ... gestellt“. Ist es etwas dem „Gegenspieler“ ermöglicht worden – gar von höherer Macht? Hat es denn Gott zugelassen, dass Jesus von dem heimtückischen selbsternannten Ratgeber auf eine falsche Spur gelockt wurde? Damit rühren wir eine sehr heikle Frage an: Warum lässt Gott dem Bösen, dem Schädlichen, dem Lügnerischen überhaupt soviel Spielraum? Diese philosophische Frage bleibt hier unbeantwortet. Eines steht jedoch fest: Jesus hat die Bewährungsprobe bestanden – er hat sie nicht bloß in der Wüste bestanden, sondern insgesamt bis zum Schluss seines Lebens.
Jesus teilte in der Wüste den Lebensraum mit den Tieren der freien Natur. Wir Menschen leben seit etwa 9000 Jahren mit domestizierten Tieren. Die übrige Tierwelt hat Großteils Angst vor uns, weicht uns aus, flüchtet vor uns oder bedroht uns. Wenn uns hier in der Person Jesu „der Mensch“ vorgestellt wird, der friedlich und angstfrei mit den wilden Tieren lebt, dann klingt das nach „Paradies“. Tatsächlich hat es in der Menschheitsgeschichte Einzelne gegeben, die Nähe und Beziehung zu Wildtieren aufbauen konnten. Von denen ging Friede aus.
In der christlichen Tradition wurde die Fastenzeit eingebürgert, weil angeblich Jesus 40 Tage durchgehend gefastet hätte. Das Markus-Evangelium sagt nichts davon. Im Gegenteil: Es wurde ihm jemand geschickt, der oder die ihn mit Essen versorgte. Die Übersetzungen schreiben: „Die Engel dienten ihm“ Aber ANGELOI sind Boten, sind Personen, die jemand geschickt hat. Mit dem Wort „dienen“ DIAKONEO ist meist der Tischdienst gemeint, die Versorgung mit Verpflegung oder umfassende Versorgung.
Jesus wird sich keine zeitliche Frist für den Wüstenaufenthalt gesetzt haben, keine 40 Tage vorgenommen haben – genauso, wie er sich gar nicht vorgenommen hatte dorthin zu gehen, sondern „vom Geist getrieben“ wurde. Erst die Nachricht, dass der Täufer ausgeliefert wurde, bereitete dem Bleiben in der Wüste ein jähes Ende. Irgendjemand muss Jesus diese Nachricht zugetragen haben – vielleicht ein Beduine, vielleicht einer aus der spirituellen Wüstengemeinschaft der Essener. Jesus muss die Mitteilung sehr nahe gegangen sein und sie hat die Schatten voraus geworfen für sein eigenes Schicksal. Jedenfalls war es für Jesus das deutliche Zeichen, dass jetzt seine Mission beginnen würde.
Jesus trat den Rückweg in seine Heimat Galiläa an. Hinterher stellte sich heraus, dass es gerade 40 Tage gewesen waren, die ihn reif gemacht hatten für seine Verkündigung – so wie die jüdischen Stämme unter Mose 40 Jahre durch die Wüste gezogen waren, bevor sie das gelobte Land betreten konnten. Sie brachten die Gebote Gottes mit in ihr Land, Jesus brachte die Gute Nachricht Gottes in das Land.
Sie lässt sich in 4 Grundaussagen zusammenfassen:
1. Der Zeitpunkt ist jetzt am günstigsten, die Wartezeit ist abgelaufen, voll ist das Maß der Zeit.
2. Nahegerückt ist die Königsherrschaft Gottes. Das Imperium der Liebe steht vor dem Durchbruch.
3. Ihr könnt dazu etwas beitragen, nämlich eine Lebensrückschau halten und zur Einsicht kommen.
4. Ihr könnt vertrauen auf diese Gute Nachricht. Lasst euch darauf ein, es wird sich lohnen.
Mit dieser 4teiligen Kurzformel bringt es das Markus-Evangelium auf den Punkt, wie Jesus sein Wirken angetreten ist. Die Botschaft hat Jesus wie ein Herold in das Land hinein getragen. Wenn ein König damals seinem Land eine freudige Nachricht mitteilen wollte, schickte er Herolde hoch zu Ross von Stadt zu Stadt, um es dem Volk schnell wissen zu lassen – etwa einen errungenen Sieg oder die Geburt des Königssohns. Genauso müssen wir das Wort „verkünden“ verstehen. Im griechischen Wort KERYSSO (verkünden) ist der Herold enthalten. Jesus „heroldete“ die Gute Nachricht über das Land.