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1. Sept 2019
22.Sonntag im Jkr

Sich selbst erniedrigen?

Lukas 14, 1.,7 – 14

Sich selbst herabsetzen, sich abwerten, von sich selber nicht viel halten – ist das tatsächlich eine Grundforderung des Christentums? Geht sie wirklich auf Jesus selbst zurück, hat er dazu aufgefordert?  Kann er das so gemeint haben – er, der Mut Macher, der so viele gebeugte Menschen aufgerichtet hat, er sollte verlangen, dass man sich klein machen soll. Wem sollte das nützen? Sollte das „Sich-Erniedrigen“ der Entwicklung und Reifung eines Menschen dienen? Darf ein Heranwachsender nicht stolz sein auf seine vollbrachte Leistung? Oder sollte es ein Mittel sein, mit dem Mächtige ihre Untertanen „klein halten“ und vom Aufbegehren abhalten. Denen ist es klarerweise willkommen, wenn die Leute ein geschwächtes Selbstbewusstsein haben und geringschätzig von sich denken, denn damit können sie als Führer „stark“ auftreten. In gewissen religiösen Kreisen wurde das „Sich-Klein-Machen“ tatsächlich als Ideal gelehrt und verbreitet. Daraus entstand eine depressive, ja leidende Lebenseinstellung. Es wurde als „Demut“ bezeichnet und als Tugend im Christentum gepriesen. Selbstvertrauen zu lernen, wurde kaum gefördert. Selbstbewusste Menschen heranzubilden, war kein Bestreben. Überzeugtes Auftreten wurde nicht als eine löbliche Haltung erachtet. Wer sich durch Selbstbewusstsein auszeichne, sei nahe am Hochmut und das würde sich auf kurz oder lang rächen.

„Hochmut kommt zu Fall“ – das weiß schon der Volksmund. In Wirklichkeit ist es ein biblischer Spruch und er heißt genau: "Hochmut kommt vor dem Fall" (Spr 16,18). Gemeint ist damit: „Vor dem Untergang kommt die Überheblichkeit und vor dem Sturz kommt Übermut.“ (So übersetzt die „Bibel in gerechter Sprache“) Schon die alten Griechen kannten diese Warnung. Das Wort „Hybris“ kommt in den antiken griechischen Tragödien vor. Es bedeutet: Selbstüberschätzung, Überheblichkeit, Realitätsverlust, übersteigerte Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und der Kompetenzen. Gerade Leute in Führungspositionen sind davon gefährdet. Der Sturz ist die Strafe Gottes oder der Götter. Die griechische Mythologie hat dafür eine eigene Instanz erfunden: Die Nemesis – sie ist die Göttin des gerechten Zorns, ja der Rache.

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Der antke Dichter Homer warnte vor der Überheblichkeit. Darstellung aus dem 5.Jh. v. Chr.

Auch die jüdisch-christliche Mythologie kennt eine solche Instanz: Der Erzengel Michael heißt „Wer ist wie Gott?“ Michael ist die personifizierte Warnung vor der Überheblichkeit. Beim griechischen Dichter Homer bedeutet Hybris so etwas wie ‚zügellos werden‘ oder ‚sich austoben". Es lässt sich beobachten an ausufernden Flüssen, an wuchernden Pflanzen und an überfütterten Eseln. Sie beginnen, frech zu schreien und aufstampfen. Homer gilt als der früheste Dichter des Abendlandes, dessen Geburtsort und Lebenszeit nicht zweifelsfrei bekannt sind. Die Forschung ist aber mehrheitlich der Meinung, er habe im 8. oder 7.Jahrhundert v.Chr. gelebt. Damit könnte er Zeitgenosse einiger jüdischer Propheten sein. Der Prophet Ezechiel wurde knapp nach 600 v.Chr. nach Babylonien verschleppt: Er hat auch den Stolz zum Thema: „So spricht Gott, der Herr: Weg mit dem Turban, herunter die Krone. Nichts soll bleiben, wie es ist. Hoch das Niedrige, nieder das Hohe.“ (Ez 21,31) An anderer Stelle verkündet er einen ähnlichen Gottesspruch: „Ich mache den hohen Baum niedrig, den niedrigen Baum mache ich hoch.“ (Ez 17,24)

Jesus  greift auf diese gemeinhin bekannte jüdische Einsicht zurück, aber er gibt ihr einen ganz neuen Akzent. Er meint mit „sich selbst erniedrigen“ nicht die eigene Geringschätzung, sondern „sich nicht zu groß sein für einen Dienst“. Jemand, der zu ihm gehört, wird denen nicht achtlos davon laufen, die aus Schwäche hinten bleiben. Er wird die Erschöpften nicht allein hinterher hinken lassen. Er wird nicht vom Ehrgeiz getrieben sein und vorne bei den Starken mitmarschieren, sondern er wird mit denen gehen, die fast den Anschluss verlieren. Er wird sich erniedrigen, denen beizustehen. Oder: Wenn jemand einen Scherbenhaufen angerichtet hat - vielleicht nicht einmal mutwillig -  und wenn ihm ein anderer hilft aufzuräumen, dann hilft er zwar, ein Missgeschick wieder in Ordnung zu bringen, aber er erniedrigt sich selbst. Gleichzeitig macht er aber die peinliche Lage des Betroffenen leichter. Oder: Es entsteht ein Streitgespräch in einer Gruppe und einer wird von den Lautstarken niedergeredet, obwohl er ehrlich ist. Wer im Sinne Jesu sich auf die Seite des Erniedrigten stellt, erniedrigt sich selbst. So muss Jesus das Wort gemeint haben. Er kann nicht gemeint haben: „Du darfst nicht nach oben streben! Das sei unchristlich!“ Denn sonst hätte er seine Jünger streng ermahnt, als sie ehrgeizig nach Ehrenplätzen gefragt hatten. Er hat die kühnen Bittsteller nicht zurecht gestutzt. Er äußerte keinen Einwand dagegen, dass jemand nach „oben“ strebt. Aber er hat ihnen klar gemacht, nach welcher Methode man bei ihm Karriere macht: „Unten anfangen! Sich für einfache Hilfsdienste nicht zu gut sein. Wer bei euch groß sein will, soll euer Diener sein.“ Zuvor hat Jesus erklärt, dass in der üblichen Welt Macht für den eigenen Gewinn gebraucht wird. „Bei euch WIRD das nicht so sein“. Unpräzise übersetzt: „… SOLL das nicht so sein.“ Mk 10,43)

Lukas greift das Wort von „Aufstieg und Abstieg“ auf und bringt es in den Zusammenhang mit Gastmählern und Ehrenplätzen. Das passt gut in sein Umfeld: Gegen Ende des 1.Jahrhunderts, als er gerade schreibt, gründen immer mehr wohlhabende Leute spirituelle Hauskreise, die an der Lebensregel Jesu Gefallen finden und sich damit vertraut machen wollen. Denen will Lukas klar machen: „Das muss auch euren Lebensstil ändern. Nur schöne Gespräche zu führen, religiöse Lieder zu singen und ein Festessen unter seinesgleichen zu gestalten, das ist zu wenig. Damit dringt ihr nicht vor in den Kern der Botschaft. Bisher ward ihr gewohnt, in guten Kreisen zu verkehren und vorrangig auf euer eigenes Wohl zu achten, ab jetzt werdet ihr auf die Not der zu kurz Gekommenen in unserer Gesellschaft achten. Wenn aus hoch angesehen Leuten wie ihr, solche werden, die sich erniedrigen für die Schwachen, dann verwirklicht ihr die Herrschaftsordnung Gottes in dieser Welt. Damit werden herkömmliche Ordnungen umgeschichtet. Aber eines könnt ihr sicher sein: Ihr steht am Schluss nicht als die Verlierer da, sondern ihr bekommt Ehrenplätze und Auszeichnungen. Die höchste Autorität weiß es zu schätzen, was ihr da jetzt tut. Es mag in der Gesellschaft als verrückt erscheinen, Leute aus der Unterschicht persönlich zum Essen einzuladen, aber es wird gewürdigt – nicht von irgendwem gewürdigt, sondern von der Macht, die das Weltgefüge steuert. Letztendlich gibt es nämlich eine Beurteilung jedes Menschen. Sie erfolgt nach diesen unteren und unauffälligen Diensten.“

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