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10. Mai 2020

5.Sonntag der Osterzeit

Ich bin der Weg

Joh 14,1-12

Das Johannes-Evangelium überliefert uns anschließend an das letzte Abendmahl drei ausführliche Abschiedsreden Jesu. So wie jedoch Markus diesen letzten Abend mit seinen engsten Vertrauten darstellt, blieb für so lange Reden keine Zeit. Außerdem waren die Männer des Zwölferkreises nach dem vierten Becher Wein, wie er beim Pascha-Mahl üblich war, wohl kaum mehr aufnahmefähig. Laut Markus war der Festabschluss so: „Jesus sagte: Amen, ich sage euch: Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von neuem davon trinken werde im Reich Gottes. Nach dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg hinaus.“ (Mk 14,25f) Wie konnte da noch Zeit geblieben sein für diese tiefgründigen Reden des Johannes-Evangeliums? Sie umfassen ganze vier Kapitel: Joh 14 – 17 ! Dem Inhalt nach sind es Ausführungen, die Jesu tiefstes Wesen widerspiegeln. Darüber hinaus haben sie das Wesen seiner Nachfolge-Gemeinschaft zum Thema: „Ich bin im Vater und er ist in mir.“(Kapitel 14) – „ Bleibt in mir und ich bleibe in euch ... Die Rebe kann nur Frucht bringen, wenn sie am Weinstock bleibt .... dafür hasst euch die Welt.“(Kapitel 15) – „Der Geist der Wahrheit wird euch leiten.“(Kapitel 16) – „Vater, bewahre sie“, betet Jesus abschließend.(Kapitel 17).

Abschiedsreden waren in der Literatur des Altertums sehr beliebt, sowohl in der griechisch-römischen Welt als auch im Judentum. Sie waren eine eigene Literatur-Gattung. Antike Schriftsteller verwendeten sie gerne, um großen Männern noch Schluss-worte sagen zu lassen: Sie hinterlassen Mahnungen oder Vermächtnisse. Johannes macht von diesem Stilmittel auch Gebrauch, aber hebt sich deutlich ab von den üblichen Schriftstellern. Ob Jesus tatsächlich zu dem Zeitpunkt Abschiedsreden gehalten hat, lassen wir dahingestellt. Stattdessen begeben wir uns in die Zeit, in der dieser Aufruf verfasst wurde, also in die Zeit, als das Evangelium entstand: in die 90er Jahre, 60 Jahre nach dem Wirken und Lehren Jesu.

In allen Großstädten des römischen Reiches hatten sich schon Hauskreise gebildet, die sich auf den Namen "Jesus" beriefen. Ihre staatliche Rechtsgrundlage könnte man mit heutigen Vereinen vergleichen. Sie waren länderübergreifend sehr gut vernetzt. Von der Form einer anerkannten Religionsgemein-schaft, wie etwa das Judentum damals, waren sie weit entfernt. Mitglieder mussten Diffamierungen und wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen. Trotzdem gingen sie regel-mäßig zu den Treffen, weil sie ihnen so viel bedeuteten. In diese Situation hinein lässt der Autor des Johannes-Evangeliums Jesus sprechen:

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Manche Leute gehen Wege, um sich zu entspannen, manche, um an ein Ziel zu gelangen. Jesus als Weg ist beides: Mit ihm unterwegs zu sein ist erfrischend, Durch ihn kommen wir unserem Ziel näher.

„Eure Gemütsverfassung soll sich durch keine äußeren Unruhen aufwühlen lassen. Lasst eure ruhende Mitte nicht durcheinander wirbeln, nicht aufschrecken. Das sicherste Rezept – das erste Gebot – gegen diese Erschütterungen ist: Verlasst euch auf den Schöpfer des Universums! Baut fest auf ihn. Ihn könnt ihr zwar nicht erfassen, weil er allumfassend ist. Aber ich, der Ausführende seines Schöpfungsplanes, war mit euch drei Jahre. Nehmt euch fest vor, auf ihn und auf mich ganz und gar zu vertrauen. Euer Inneres muss standhalten, wenn durch äußere Umstände die Gefahr besteht, dass bei euch vieles durcheinander geraten könnte. Bringt mir weiterhin volles Vertrauen entgegen.“

Eindringlich ermuntert der Evangelist seine Leser und die Gemeinden der 90er Jahre: „Er, der vor 60 Jahren gewirkt und gelehrt hat, verdient dieses Vertrauen. Glaubt weiter an ihn. Bleibt ihm treu! Die Mühen jetzt, die Unruhe, das ständige Sich-Aufraffen lohnt sich, denn es gibt am Schluss eine Bleibestätte. Haltet dafür durch! Der Meister hat damals mit Sicherheit erklärt, dass nicht nur er erwartet würde mit offenen Armen und bei gedecktem Tisch im Haus seines Vaters, sondern dass es dort noch mehrere freie Plätze gäbe, viele Plätze. Er sprach nicht von Wohnungen, sondern von Bleibeorten. Eine Wohnung betritt man und verlässt sie wieder. Eine Bleibe hingegen ist von Dauer. Sein Hinscheiden war wegbereitend für uns, seine Nachfolge-Gemeinschaft." -  Das Vaterhaus, die bleibende Heimat, war damals ein gängiges Bild im jüdischen Denken, das Jesus ebenso gebrauchte (Philo von Alexandrien, jüdischer Philosoph, Zeitgenosse Jesu, 15v.Chr.- 45 n.Chr., schreibt: >Du, Seele, wirst zurückkehren in dein väterliches Haus, wirst entfliehen dem Erdenleben und dem Sturm der Fremde.< Auch im Henoch-Buch, das im damaligen Judentum als „heilige Schrift“ galt, heißt es: >Hier im Himmel sah ich die Wohnung der Gerechten und die Ruhestätten der Heiligen.< Auch von tief- spirituellen Menschen war über die Jahrhunderte hinweg zu hören, dass sie eine Vorahnung von dieser >Heimat< haben.) Jesus erklärte aber im Unterschied zum „Entfliehen aus dem Erdenleben“, dass er wieder kommen würde, um seine Freunde und Mitstreiter abzuholen. Damit ist nicht sein Kommen am Ende der Zeiten, gemeint, denn das nannte der nie „Wieder-Kommen“, sondern nur „Kommen“ und zwar in Herrlichkeit, lichtumflutet, im Scheinwerferlicht. Zu denen, die seine Mission fortsetzen, würde er wieder kommen, nicht erst bei ihrem Sterben, sondern wenn sie seinen Weg gehen. „Zu sich holen“ würde er sie, nachdem sie sich in ihrem Umfeld bewährt hätten und die Zeit reif wäre zu einem Wiedersehen mit ihm in der Bleibestätte. Soviel also zum Ziel: Es ist wie >Heimat<, wie endlich >angekommen sein<. Jesus versichert: „Dorthin gelangt ihr nicht schlagartig, sondern auf einem Weg, in einem fortschreitenden Prozess, in einer Entwicklung. Mein Abholen in die Bleibe erfolgt dann  nicht unerwartet, sondern ist der Abschluss des Weges mit mir, der eine Schrittfolge ist. Diesen meinen Weg kennt ihr.“. Da fragt Thomas dazwischen: „Wir kennen den Weg nicht, den du gehst.“ Der Evangelist verwendet diese Zwischenrede als Stilmittel, um anzudeuten, dass in den Gemeinden solche Fragen immer wieder auftauchen. Thomas steht stellvertretend für jene, die bereits einmal  gesagt haben, dass sie sich mutig und entschlossen für die Sache Jesu einsetzen werden. „Lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben“ (Joh 11,16) Das sagen sie mit geschwollener Brust ohne den Weg zu kennen. Ihnen sagt der Herr: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Es ist das einzige Ich-Bin-Wort Jesu, das drei Aussagen enthält. Sonst verwendet Jesu (mit 1 Ausnahme)  bei Ich-Bin-Worten nur eine Aussage: „Ich bin die Tür“ „Ich bin das Licht“ „Ich bin der gute Hirt.“ Das gilt auch für dieses dreifache Wort: eine Aussage. Aller Nachdruck liegt nämlich auf dem „Weg“: „Ich bin der Weg“. Wahrheit und Leben sind die Beifügungen, die beschreiben, wodurch sich dieser Weg auszeichnet: nämlich durch Wahrhaftigkeit. Es ist kein heimlicher Schleichweg, kein mittlerer Kompromiss-Weg, kein waghalsiger Klettersteig, keine Schnellstraße, sondern Weg in Wahrheit. Der Weg führt zum Leben, zum bleibenden Leben. In diesen Versen klingt ein Höhepunkt der johanneischen Theologie an: Jesus ist der alleinige Weg zum Ziel des Lebens. Dieses Ziel nennt Jesus seinen VATER.

Wieder baut der Evangelist einen Zwischenfrager ein: diesmal Philippus. „Herr, zeig uns den Vater. Das genügt.“ Damit ist die Sehnsucht so vieler Gläubiger ausgedrückt: Wir möchten Gott in einer großen, überzeugenden Offenbarung sehen, ein Gottes-Erlebnis. „Verschaffe uns eine Vision! Das reicht uns aus für den Glauben.“ Dieser so häufig geäußerte Wunsch gibt Jesus die Möglichkeit, seine vorige Aussage noch schärfer zu formulieren: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ Jesus liefert nicht auf Wunsch eine Vision von Gott, sondern erinnert seine Begleiter daran, was sie über Jahre an seiner Seite schon Wunderbares erlebt haben. Er erinnert auch uns heutige Leser des Johannes-Evangeliums daran: Wieviel Großartiges habt ihr schon erlebt auf eurem Weg des Glaubens. Es war mein Weg mit euch. Ich bin der Weg, den ihr geht – jeder auf seine Weise, jeder nach seiner Veranlagung. Jesus zeigt nicht einen gewaltigen Gott, sondern zeigt ihn im „Gehen-mit-ihm“ durch den Alltag. Das ist ein neues sanftes Gottesbild. Jesus kann nicht oft genug seine völlige Bindung an seinen Ursprung betonen, an den VATER. Was Jesus gesprochen hat, seine Lehre, seine Bildworte, sie wurden ihm vom VATER vorgesagt. Was er gewirkt hat, hat ihn der VATER vorher sehen lassen. Er pries den VATER dafür im Voraus und  vollbriachte  dann das Werk. Dieses Wirken ist aber nicht abgeschlossen, es ist nicht Vergangenheit, nein, es setzt sich fort in seiner Nachfolge-Gemeinschaft, in seinen Anhängern bis heute. „Amen, ihr könnt euch darauf verlassen, Amen: Wer mir volles Vertrauen entgegen bringt, wird künftig die Werke tun, die ich getan habe. Es wird sich das Wirken sogar noch steigern. Der Grund dafür ist, dass ich dann an höchster Stelle bin und ich euch von dort her ermutige und euer Wirken verstärke.“

Der Evangelist Johannes blickt auf 60 Jahre Ausbreitung der Heilsbotschaft zurück. Er kann das Jesus-Wort nur bestätigen: Was in der kleinen römischen Provinz Judäa vor wenigen Jahrzehnten begonnen hat, ist inzwischen zu einem großen Imperium innerhalb der Weltmacht Rom geworden – ein Netzwerk von Gruppen des Vertrauens, der Friedfertigkeit, des Zusammenhalts und der Hilfsbereitschaft. Im Laufe der zwei Jahrtausende hat dieses Netzwerk leider erbärmliche Risse und Löcher bekommen, aber es ist nicht zu spät, das Netz wiederherzustellen und es zu einem weltweit tragfähigen Netzwerk auszubauen . Unser Zeitalter hat die Chance, die Schäden zu reparieren oder abschnittweise zu ersetzen durch starke, belastbare Flächen. Mancherorts ist das schon in Gang. Viele gehen schon den WEG, der ER selber ist.

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