12. April 2020
Oster-Sonntag
Er geht euch voraus nach Galiläa.
Mt 28,1-10
Dass Jesus gelebt, gelehrt, geheilt hat, dass er den Tod am Kreuz erlitten hat, das ist historisch erwiesen. – Wie ist es aber mit der Auferstehung? Lässt sie sich auch beweisen? Nicht in derselben Weise! Eines ist jedoch sicher erwiesen: Viele seiner Begleiter haben bezeugt, dass sie eine Art Begegnung mit ihm nach seinem Tod hatten. Er wurde ihnen gezeigt, sie wechselten Worte mit ihm – einzeln und in Gruppen, Frauen und Männer, Mitglieder aus seinem Schülerkreis. Voraussetzung war vorheriges Gehen mit ihm, enge Sympathie zu ihm, intensive Auseinandersetzung mit ihm. Nur solche konnten ihn nach seinem Tod zu Gesicht zu bekommen. Leute, die mit Jesus vorher nichts zu tun hatten, konnten ihn klarerweise nicht sehen, wie etwa die bei Matthäus eingefügten Wächter am Grab – auch wenn manche Kirchenbilder es so darstellen. Nicht das leere Grab ist der entscheidende Hinweis auf die Auferstehung, nicht die Tatsache, dass der schwere Rollstein von der Gruftstätte über Nacht weggerollt war und der Leichnam verschwunden war, sondern dass die Vertrauten ihn neu sehen durften in den Tagen und Wochen danach. Für diese Neu-Begegnung wäre es gar nicht nötig gewesen, dass das Grab geöffnet war und leer vorgefunden wurde.
Der früheste Belege für diese „Nach-Tod-Begegnungen“ ist ein Ausschnitt aus dem 1.Korinther-Brief des Paulus – geschrieben im Jahr 55 n.Chr.: „Christus ... ist am dritten Tag erweckt worden ... und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als 500 Brüdern zugleich.“ (1 Kor 15,4f) In diesem ältesten Auferstehungs-zeugnis ist gar keine Rede von einem leeren Grab. Wo und wann sich diese Begegnungen zugetragen haben, ist nicht erwähnt, ist wohl auch nicht entscheidend. Viel bedeutender ist, was dieses IHN-SEHEN bei den Einzelnen ausgelöst hat: erstens Unerschütterlichkeit im weiteren Leben, zweitens Nachhaltigkeit. Sie hatten keine Furcht mehr weder vor den feindlichen jüdischen Autoritäten noch vor politischen Machthabern und es wirkte lange: Petrus hat das drei jährige Begleiten und Lernen an der Seite Jesu (27 bis 30 n.Chr.) umgesetzt in ein über dreißigjähriges Bezeugen der Erfahrung (30 bis 64 n.Chr.) Aus seiner Phantasie kann nicht entsprungen sein, dass Jesus ihm NACHHER begegnet sei, auch nicht aus einer Vision. Es war kraftvoller, es muss ein intimes persönliches Erlebnis gewesen sein, das sich lebens-länglich in sein Bewusstsein eingeprägt hat. Im Detail darüber gesprochen hat er scheinbar nicht, dazu war es ihm offenbar zu intim. Anders war das bei der langhaarigen energischen Frau, mit Namen Maria aus Magdala, sie hat später Einzelheiten geschildet über ihre Nach-Begegnung mit ihrem geliebten Lehrer.
Nun kommen wir zum Matthäus-Evangelium: Es enthält schon stark literarisch überarbeitete Züge. Sie sind geprägt vom jüdisch-religiösen Hintergrund des Schriftstellers Matthäus und von den Angriffen auf die Christen-Gemeinden seiner Zeit, den 80er Jahren. Indem wir vergleichen mit der Vorlage des Matthäus, erkennen wir, was er verändert hat und daraus werden seine Erzähl-Intentionen erkennbar.
Am auffälligsten ist der Einschub von der Bewachung des Felsengrabes. Matthäus weiß von einem Gerücht, dass die Anhänger Jesu den Leichnam nachts gestohlen hätten, um hinterher behaupten zu können, Jesus sei auferstanden. Dieses Gerücht brachten der Hohepriester und gewisse Pharisäer in Umlauf, als die junge Christen-gemeinde in Jerusalem unaufhaltsam Zulauf hatte. Sie versuchten den Aposteln zu verbieten, „jemals wieder im Namen Jesu zu verkünden und zu lehren“, aber es war zwecklos (Apg 4,18) „Sie riefen die Apostel herein und ließen sie auspeitschen. Dann verboten sie ihnen, im Namen Jesu zu sprechen, und ließen sie frei. ... Und die ließen nicht ab, Tag für Tag im Tempel und in den Häusern zu lehren, und verkündeten das Evangelium von Jesus, dem Christus.“ (Apg 5,40.42) Die amtlichen Verbote führten zu keinem Erfolg, so verbreiteten sie eine Lüge: „Den Leichnam Jesu haben seine Schüler gestohlen. Somit ist die Auferstehung ein Betrug.“
Die Wächter am Grab Jesu erwähnt nur Matthäus- vermutlich hat er die Episode konstruiert. Sicher ist, das sie nicht Jesus in seiner neuen Seinsweise gesehen haben, weil sie ihm nicht nahe standen. Auch stellte sich der Auferstandene nie wie ein Held hin. Die Evangelien schildern ihn als einen in Begegnung mit seinen Vertrauten.
50 Jahre hielt sich das Gerücht. Matthäus schreibt: „Es verbreitete sich bei den Juden bis heute.“ (Mt 28,15) Vermutlich schenkten ihm sogar manche Mitglieder der Christen-Gemeinde Glauben: Sie vertraten die Meinung: "Jesus als Lebenslehrer: Ja! Er sei aufer-standen: Nein! Auferstehung gibt es nicht." Um dem Denken gegenzusteuern, konstruierte Matthäus den Einschub von den Wächtern am Grab – so als wären sie der Beweis: Jünger Jesu konnten den Leichnam gar nicht stehlen, sie wären von den Wächtern beobachtet und gehindert worden.
Matthäus beginnt die Schilderung so: „Siehe“ (= Leser, gebt Acht!) „Es geschah ein Erdbeben, und zwar ein gewaltiges“ Erdbeben ist eines seiner Vorzugsmotive, es ist Begleitereignis zum Auftreten oder Eingreifen Gottes (Theophanie). Das entnimmt er dem Buch Exodus: „Mose sagte zum Volk: >Haltet euch für den dritten Tag bereit!< ... Am dritten Tag, im Morgengrauen, begann es zu donnern und zu blitzen. Schwere Wolken lagen über dem Berg, und gewaltiger Hörnerschall erklang. Das ganze Volk im Lager begann zu zittern. Mose führte es aus dem Lager hinaus Gott entgegen. Unten am Berg blieben sie stehen. Der ganze Sinai war in Rauch gehüllt, denn der Herr war im Feuer auf ihn herabgestiegen. Der Rauch stieg vom Berg auf wie Rauch aus einem Schmelzofen. Der ganze Berg bebte gewaltig“ (Ex 19,15-18) Schon beim Einzug Jesu in Jerusalem erzählte Matthäus als einziger: „Als er in Jerusalem einzog, erbebte die ganze Stadt und man fragte: Wer ist dieser?“ Nachdem Jesus am Kreuz ausgehaucht hatte, „bebte die Erde“ – schreibt nur Matthäus – „und die Felsen spalteten sich ... Als der Hauptmann und die Männer, die mit ihm zusammen Jesus bewachten, das Erdbeben bemerkten, ... sagten sie: Wahrhaftig, Gottes Sohn.“ (Mt 27,51-54)
Die früheste Schilderung (= Markus-Evangelium) lässt uns wissen, dass die Frauen den Stein vom Grab weggewälzt vorfanden und „einen Jungen in weißer Robe, also einem Festkleid, auf der rechten Seite sitzen sahen“. Matthäus fühlt sich genötigt, diese Vorlage umzuschreiben und daraus etwas Überwältigendes zu machen. „Ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat an das Grab, wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Sein Aussehen war wie ein Lichtstrahl und sein Gewand war weiß wie Schnee.“ Diese gewaltige Schilderung mag die Leser damals beeindruckt haben. Beim heutigen Evangelium-Interessierten bewirkt sie eher Achselzucken. Erst jetzt, als der Bote des Himmels den Frauen zu verkündigen beginnt, wird es sachlich: „Fürchtet euch nicht! Furcht ist hier fehl am Platz und es wird euch in Zukunft keine Furcht mehr packen können. Wer sich mit der Botschaft Jesu mehr und mehr vertraut macht und sein Leben davon prägen lässt, den wird kaum etwas in Angst versetzen.“ Dann benennt der Bote ganz nüchtern die Tatsachen: „Ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier, denn er wurde erweckt.“ Die alte Einheitsübersetzung schrieb: "Er ist auferstanden“. Die neue Einheitsübersetzung hätte die Gelegenheit gehabt, zu schreiben „er wurde erweckt“, so wie es im griechischen Originaltext steht. Leider konnten sie sich dazu nicht durchringen.
Die Frauen am Grab erhalten noch den Auftrag, den Jüngern mitzuteilen: ER GEHT EUCH VORAUS NACH GALILÄA. DORT WERDET IHR IHN SEHEN. Warum ist es erforderlich, von Jerusalem weg nach Galiläa zu gehen? Warum sehen sie ihn gerade dort? Galiläa ist der nördliche Bezirk von Israel, etwa 150 km entfernt von Jerusalem – ein Fünf-Tages-Marsch. Es ist ihre ursprüngliche Heimat, dort wohnen ihre Lieben, dort haben sie die ersten berührenden Erfahrungen mit Jesus gemacht. Sie sollen zum Ort der ersten Liebe mit ihm gehen, sollen sich dort nochmal die großartigen Erlebnisse in Erinnerung rufen und sie werden ihn sehen in seiner vollendeten Gestalt. Wir heutige dürfen uns auch zu den Plätzen der geschenkten Liebe begeben, zu den Momenten, an denen neue Glaubensweichen gestellt wurden. Vielleicht ist das heurige Ostern die Herausforderung: Da wir uns wegen der Pandemie nicht in Kathedralen versammeln können, haben wir die Gelegenheit, dass wir IHN näher sehen werden – jeder für sich auf besondere Weise.