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16.Juli 2023      15.Sonntag im Jahreskreis

Das gute Wort großzügig überall ausstreuen

Matthäus 13,1-9 Kurzfassung

An jenem Tag verließ Jesus das Haus und setzte sich an das Ufer des Sees. Da versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn. Er stieg deshalb in ein Boot und setzte sich. Und alle Menschen standen am Ufer. Und er sprach lange zu ihnen in Gleichnissen. Er sagte: Siehe, ein Sämann ging hinaus, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil auf den Weg und die Vögel kamen und fraßen es. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat. Ein anderer Teil aber fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach. Wer Ohren hat, der höre!

Jesus fing wieder an mit seinem Unterricht. Das waren keine Predigten, sondern Lehrvorträge und Fortbildungsseminare. Der griechische Text spricht eindeutig von Lehr-Veranstaltungen. Das Wort „lehren“ kommt hier drei Mal vor. Er begann also, die Grundzüge seiner Lehre vorzutragen. Als Ort dafür wählte er das Seeufer und längst nicht mehr die Versammlungsräume der Juden, die Synagogen. Der See und die dahinter liegenden Hügel breiteten sich wie eine großartige Kulisse um ihn aus. Er tat dies schon zu wiederholten Malen. In sehr großen Scharen strömte das Volk zusammen. Die Menschenmenge, die sich um sammelte und ihn umringte, wurde so riesig, dass er Maßnahmen ergreifen musste.

Er war gezwungen, in ein Boot zu steigen. Er schuf sich damit eine Lehrkanzel auf dem Wasser. Von der aus konnte er sich besser Gehör verschaffen und wurde nicht so bedrängt. Wie es der Würde eines Lehrers entsprach, setzte er sich nieder. Er nahm gewissermaßen Platz am Lehrstuhl. Die ganze Volkmenge lagerte währenddessen vor dem See auf der Erde - die Menschen waren bereit, die Worte aufzunehmen, die er wie Samen aufs Land hin zu streuen begann. Wie sich im klaren Wasser das Blau des Himmels spiegelte, so war die Aufnahmebereitschaft seiner Zuhörer ein Spiegel, der seine Bilder von der Herrschaft des Friedens auffing und festhielt. Die Bilder waren sehr anschaulich.

Es gibt an der Westseite des Sees eine Bucht – einen Kilometer südlich von Kafarnaum. Sie hat genau die halbrunde Form eines römischen Theaters. Sie gilt als die Bucht der Parabeln (=anschauliche Geschichten). Israelische Wissen­schafter haben die Akustik dieser Bucht ausgemessen und nachgewiesen, dass man hier von einer schwimmenden Kanzel aus eine tausendköpfige Zuhörermenge er­reichen kann.

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Es steht zwar in dieser Bucht keine Kirche, aber die Tradition hält diese Stelle als den Ort der Lehre am See fest. Der Evangelist Matthäus hat das Kapitel mit den Reden Jesus ausführlich erweitert und den „Ort der Lehre“ vom See hinauf verlagert auf den Hügel, es entstand daraus der Begriff „Bergpredigt“. Die entsprechende „Kirche der Seligpreisungen“ liegt einige hundert Meter oberhalb der Bucht.

Und er brachte ihnen vieles nahe, durch eine Menge von anschaulichen Geschichten und Vergleichen, die wie farbkräftige Bilder wirkten und daher sehr einprägsam waren. Sie waren aus dem Leben gegriffen und gaben Erfahrungen wieder, die aus dem Alltags- oder dem Berufsleben stammten. Unter diesen „Bildern” konnten sich die Leute etwas vorstellen, es gab darin viel zu „sehen”. Seine Art, über Lebensfragen und über den Glauben zu reden, war etwas völlig Neues. Die anderen Geistlichen sprachen in ihren Predigten religiöse Themen, ab­ge­hoben vom Leben, und redeten ständig von den Geboten. Bei denen kam es kaum vor, dass sie Vergleiche aus dem alltäglichen Leben verwen­deten und es waren keine Lehren, die man im Leben anwenden konnte. Er aber lehrte die Leute vieles durch anschauliche Geschichten und die nun folgenden sind nur ein Auszug der gesamten Rede. In Wirklichkeit sprach er viel länger, hier können nur Ausschnitte wiedergegeben werden.

Jesus sagte:  Stellt euch einen der Bauern aus unserer galiläischen Heimat vor. Er muss das ganze Jahr über hart arbeiten. Nicht jeder Fleiß wird jedoch zu einem Erfolg beim Ernten. Die Arbeiten, die er zu verrichten hat, sind vielfältig. Der Mann ging mit dem Saatgut hinaus. Er machte sich auf, um aufs Feld zu gelangen. Es war zu einem Zeitpunkt, als der Winterregen den Erdboden aufgeweicht hatte. Der Sommer und der Herbst hatten die Erde ausgetrocknet und zerklüftet. Nun war der erhoffte Regen eingetroffen und das war für den Aussäenden das Zeichen hinaus zu gehen.

Der griechische Text sagt nicht: „Er ging aufs Feld“, sondern „Er ging hinaus!“ Das Wort „hinaus gehen“ kommt beim Wirken Jesu immer wieder vor: „Und sein Ruf verbreitete sich (ging hinaus) rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.“ (1,28) Jesus ist einer, der sich nicht irgendwo einrichtet, sondern immer wieder aufbricht, „hinaus geht“. Einmal will ihn Petrus wieder zurück holen in die Stadt, wo er am Vortag so großen Erfolg gehabt hat. Jesus widerspricht: „Lasst uns anders wohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen (wörtlich: hinaus gegangen).“ (1,38) Im Bild des Sämannes ist also Jesus selbst zu sehen.

Er machte sich daran, die Saat auszustreuen. Er hielt sich an die Gepflogenheit der meisten Bauern, erst zu säen und dann die Körner einzupflügen. So schritt er mit dem umgehängten Schurz voller Getreidekörner über das Stoppelfeld. Es lag seit der letzten Ernte brach. Auf diesen unbehandelten Ackerboden streute er mit weiten Schwüngen sein wertvolles Saatgut. Er streute es aus voller Hand und großzügig überall hin. Es war wertvolles Saatgut.

Quer über das Feld zog sich ein Pfad. Es war eine ausgetretene Spur. Die Dorfbewohner hatten während der Monate des Brachliegens eine Abkürzung über den Acker gezogen und einen Weg ausgetreten. Aber darum kümmerte er sich nicht. Er nahm diesen Streifen nicht aus vom Besäen, denn er streute ja überall hin. So war es eben  unvermeidlich, dass manche Körner auf den Trampelpfad fielen. Er hatte sowieso vor, gleich anschließend mit dem Pflug und dem Ochsengespann zu kommen, um überall die Erde aufzulockern und das Saatgut hinein zu pflügen. Gleich nach der Mittagsrast wollte er daran gehen, die Saat unter die Erde zu bringen.

Aber so schnell konnte er gar nicht schauen, da kamen Scharen von Vögeln. Sie stürzten sich auf die leicht zugänglichen Körner. Während der paar Stunden des Aussäens war etwas geschehen, das er nicht hatte vermeiden können: Die Vögel hatten das Saatgut gierig aufgefressen - genau an den Stellen, wo es auf den fest nieder­getretenen Weg gefallen war. Dort hatten sie es leicht aufpicken können. Somit war ein Teil des wertvollen Saatgutes weggeholt, noch bevor es eindringen konnte. Es hatte nicht einmal die Möglichkeit bekommen zu keimen. Es war zwar genau dafür ausgestreut worden, nämlich um anzukeimen, aber es war schon  zum Fraß der Vögel geworden. Es war umsonst ausgestreut.

An anderen Stellen, wo er hinstreute, war die Ackerkrume sehr dünn, weil sich dort felsiger Untergrund verbarg. Den konnte er natürlich nicht merken, deshalb streute er auch dorthin. Als er später mit der Pflugschar kam, knirschte es, denn der Holzpflug war mit einer Eisen­platte verstärkt. Wo man es knirschen hörte, war er über  Felsen gerieben. Der Pflug kratzte dabei nur eine dünne Erdschicht auf, darunter verbargen sich Felsrücken aus hartem, schwarzen Basalt – so wie eben in Galiläa das Land aufgebaut ist. Nicht überall, aber an manchen Stellen war das der Fall, dass große Steine darunter waren. Beim Ausstreuen hatte der Mann auf die felsigen Stellen nicht Rücksicht nehmen können. Deshalb war ein Teil des Sames auch dorthin gefallen.

An diesen Stellen mit dem Felsuntergrund keimte das Saatgut sofort auf, weil es nicht tief eingepflügt war. Jemand, mag sich darüber freuen und feststellen: Sieh, wie schnell hier das Bemühen Erfolg zeigt. Aber so jemand versteht wenig vom Saat anbauen. Er bedenkt nicht, dass es dort an etwas Wichtigem fehlte: an Tiefe des Erdbodens. Das hatte zur Folge, dass die keimenden Pflanzen nicht widerstandsfähig waren.

Als die Sonne Woche um Woche höher stieg und an Kraft zunahm, kamen die Pflänzchen zu Schaden: Anfangs wurden sie schneller welk als die anderen, aber sie erholten sich wieder während der kühleren Nacht. Aber allmählich hielten sie der Mittagshitze doch nicht mehr Stand. Sie verdorrten dann gänzlich und fielen somit ebenso aus. Es fehlte ihnen an Verwurzelung und an Tiefe. Die Wurzel verleiht Halt und Beständigkeit. Die Wurzel holt Feuchtigkeit aus tieferen Erdschichten. Da aber die Pflänzchen diese Grundlage nicht hatten, mussten sie verdorren und zwar schon als Halme, noch bevor sie Früchte ansetzen konnten. Also auch dieser Teil der Saat war umsonst ausgestreut worden.

An wieder anderen Stellen des Ackers ragten die mannshohen, alten vertrockneten Disteln auf. Sie säumten den Rand des Feldes und waren nun hässliche vertrocknete Stauden, Sie waren im vorigen Herbst verblüht und ragten seither wie Gespenster hoch auf. Aber der Säende ließ sich von ihnen nicht beirren und streute auch knapp an sie heran. Großzügig streute er aus, ohne Bedenken. Es war ihm wichtig überall hin zu kommen, denn an vielen Stellen war der Boden gut. Die Disteln waren stachelige, schreckliche Ungetüme mit ihren verdorrten Armen. Sie zu entfernen war unangenehm und schmerzhaft. Erst recht war es unmöglich, die Samen der Disteln zu beseitigen. Sie waren längst abgefallen und wurden jetzt zusammen mit dem Saatgut eingepflügt. Gleichzeitig mit der guten Saat wuchs auch dieses dornige Unkraut auf. Es machte sich nach einiger Zeit unverschämt breit. Sie waren wohl beeindruckend schön anzusehen - diese Gewächse mit ihren leuchtend roten, gelben und blauen Blüten. Aber sie verdrängten das Getreide mehr und mehr, das zugleich damit aufwachsen wollte. Nur ganz spärlich konnte es Ähren ansetzen, aber von Ertrag kann da keine Rede sein. Das Getreide war wohl aufgewachsen, aber es war vom dornigen Gewächs gnadenlos erstickt worden. Wieder war wertvolles Saatgut umsonst ausgestreut worden.

Wieder anderes Saatgut jedoch fiel in das gute, tiefgründige Erdreich. Dort gab es Erträge. Die Körner konnten dort in Ruhe keimen. Das zarte Grün erschien an der Oberfläche, gleichzeitig bildeten sich auch die in die Tiefe reichenden Wurzeln aus. Die Halme wuchsen empor und widerstanden der Hitze des Tages. Sie konnten ungestört größer und größer werden. Dort also, wo die Umstände nicht hinderlich waren, wuchs das Getreide erfreulich auf und setzte Ähren an. Das vor  Monaten Ausgestreute brachte dort beachtliche  Erträge. Eine Ähre enthielt etwa dreißig Körner - das war dreißigfacher Ertrag. Oft aber entsprangen aus einem Samenkorn zwei Halme - das ergab einen Ertrag bis zum Sechzigfachen. Manchmal brachte ein Saatkorn sogar drei Halme hervor - das bedeutete einen Ertrag bis zum Hundertfachen. Ist das nicht erfreulich?  Die vielen Mühen bleiben also doch nicht vergeblich. Trotz der argen Verluste am Anfang wird es später reiche Erträge geben. Die Verluste treten zwangsläufig auf, sie lassen sich nicht vermeiden. Man stellt sie früher fest als die Erträge, aber die Ausfälle sind kein Grund zur Entmutigung. Der Mann, der aussät, soll sich nicht dazu verleiten lassen, dass er wegen der Verluste nächstes Mal kleinlich und berechnend ausstreut. Er soll nicht an ausgesuchten Orten ausstreuen, sondern großzügig, aus vollen Händen und überall hin. Was er ausbreitet, ist wertvolles Saatgut. Das weiß er. Deshalb ist er von der Zuversicht geleitet, dass einiges auf gutem Boden fällt und dass es dort lohnende Erträge geben wird. Er ist nüchtern genug, dass er mit viel Verlust rechnet. Er weiß um beides: Die viele vergebliche Mühe am Anfang und den reichen Ertrag später. Die Erträge sind nicht mit dem Einsatz vergleichbar, sie übersteigen den Einsatz um das Dreißigfache, um das Sechzigfache, um das Hundertfache.“

Zum Schluss sagte Jesus: „Wer seine Ohren zum Hören gebrauchen kann, der soll lauschen und hinhören. Der Großteil der Menschen schaut lieber. Bilder anzuschauen ist auch leichter und geht schneller als Töne und Untertöne zu hören. Viele Leute braucht das Bildhafte, um sich eine Sache einzuprägen. Deshalb ist das Geschilderte vordergründig eine nette Bildgeschichte, eine anschauliche Erzählung, etwas aus der bäuerlichen Welt, in der es viel zu sehen gibt und mit  der seine Zuhörer Großteils vertraut sind. Deshalb mache ich jene aufmerksam, die ihr Hörorgan auch zum Hören verwenden können. Wer ein geschärftes Gehör hat, dem sage ich: Höre das heraus, was hinter dem Erzählten verborgen liegt. Viele Menschen begnügen sich mit den mitgeteilten Tatsachen, wenn sie etwas berichtet bekommen. Wer aber Lebenserfahrung und Weitblick hat, der kann das Hintergründige heraushören. Geschichten und Nachrichten haben eine leicht erkennbare Oberfläche und eine nachhaltig wirkende Tiefe. Diese Geschichte von dem Menschen, der die Saat ausstreut, ist tiefgründiger, als sie auf den ersten Blick aussieht. Wer sein Ohr auch zum Hören hat, der soll das Heraushören, was an tiefem Sinn enthalten ist.”

Jesus spricht vom Hörorgan, das zum Hören geeignet ist. Na, was sonst? Wofür sonst sollte man die Ohren verwenden? Jesus scheint einen Spaß zu machen, wenn er so redet. Es klingt humorvoll. Der Leser kann sich das Schmunzeln um den Mundwinkel Jesu vorstellen.

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