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19. Mai 2019

5.Sonntag der Osterzeit

"Ein neues Gebot gebe ich euch"

Joh 13, 31-33a.34-35

Dieses Jesus-Wort ist äußerst kurz und klingt recht allgemein: „Liebt einander!“ Na, was denn sonst?, könnte man einwenden. Nur wenn wir die Umstände mitbedenken unter denen er die Worte ausgesprochen hat, gewinnen sie ihr rechtes Profil: Sie sind sein Testament, seine letzte Verfügung. Es ist, wie wenn ein Familien-Vater seine Lieben um sich versammelt, weil er weiß, dass er in Kürze stirbt. Deshalb sagt er auch „Kinder!“ Dass Jesus sein Hinscheiden so präzise voraus ahnt und es noch dazu als „Glorie“ bezeichnet, er sich damit am „Siegespodest“ stehen sieht, obwohl es eine schreckliche Ermordung wird, das ist schon bemerkenswert. Es ist sein letzter Wille, den er nun ausspricht. Derjenige hat den Raum gerade verlassen, der sich diesem Willen nicht zu fügen bereit ist – Judas. Der hat einen anderen Plan für seinen Meister, um ihn zur „Glorie“ zu führen. So hat Jesus also seine spirituelle Familie um sich geschart und er sagt fast feierlich: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander!“

Da könnte man einwenden: Was ist daran neu? Hat er nicht ständig die Nächstenliebe gepredigt? Außerdem: Kann man denn Liebe verordnen? Man könnte vemuten, das Wort „Gebot“ sei hier ungenau übersetzt. Sollte es nicht heißen: „Empfehlung“ oder „mein Wunsch“. Kann Liebe als Vorschrift ausgegeben werden, wie die 10 Gebote? Offenbar „Ja!“, denn Paulus verwendet dasselbe Wort „Gebot“ (= griechisch ENTOLE), wenn er von den bekannten Geboten spricht:  „Denn die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren!, und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammen-gefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Röm 13,9)

Wenn Jesus gebietet: „Liebt einander!“, dann meint er keineswegs nur das Sympathie-Empfinden für die anderen in der Gemeinde. Das käme aus der Gefühlebene und ließe sich tatsächlich nicht vorschreiben. Jesus meint einen Willensakt, nicht eine Emotion: Jesus meint es etwa so: „Erkundige dich nach dem anderen, pflege die Verbindung, äußere dein Interesse an ihm. Dafür kann man sich bewusst entscheiden und es tun. Achte den anderen, auch wenn du mit seiner Auffassung nicht übereinstimmst. Lasse seine Eigenheit gelten. Versuche seinem Verhalten einen Sinn abzugewinnen. Du musst nicht alles billigen, was er tut und sagt, aber du sollst es gelten lassen. Lass die Vielfalt zu.“ Das zu tun, trägt Jesus auf wie eine Vorschrift. „Wenn du dem anderen Versäumnisse vorzuwerfen hast, macht dich nicht zu seinem Richter. Das heißt nicht, dass du seine Fehltritte stillschweigend übergehen sollst, oder seine  Beleidigungen hinunter schlucken sollst. Aber du sollst sie vergeben. Diese Grundhaltungen sind erforderlich im Zusammenleben mit all jenen, mit denen man sich oft trifft, mit denen man gemeinschaftlich verbunden ist. Greife zu, wo du die Not des anderen merkst. Biete deinen Hilfsdienst an, wenn du dazu imstande bist. Der andere soll sich nicht allein gelassen fühlen in seiner schweren Stunde.“ Vorschriften sind auch zu befolgen und man sollte sie von Zeit zu Zeit wie eine Messlatte an seinen Lebensalltag anlegen.

Der Meister ergänzt den Auftrag: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ Das ist sehr wohl neu, denn bisher gab es nur die Aufforderung zur Nächstenliebe, aber kein sichtbares Modell dafür. Sein Schülerkreis hat drei Jahre lang erlebt, wie er sich als ihr Lehrer und Vorgesetzter um jeden von ihnen persönlich gekümmert hat. Er hat jeden dort abgeholt, wo er in seiner Entwicklungsphase gestanden ist. Er hat die Familienverhältnisse jedes einzelnen kennengelernt und sich auch später weiter dafür interessiert. Er hat jeden in seiner Persönlichkeit gefördert, ihn liebevoll herausgefordert und ihm etwas zugetraut. Das hat Reifungsprozesse in Gang gesetzt, die nur die Kraft der Liebe hervorzurufen vermag. Sie waren dafür höchst dankbar und haben die Dankbarkeit am Schluss so ausgedrückt: „ Wenn ich mit dir sterben müsste, ich lasse dich nicht im Stich.“ Dass sie nach seinem Aushauchen Jahrzehnte lang das weiter verbreitet haben, was sie mit ihm erlebt haben, würden sie wohl so begründet haben: „Das war ich seiner Liebe schuldig.“

Gut, das mag zutreffen für jene, die ihn noch persönlich gekannt haben zwischen 27 und 30 n.Chr. Diese Gunst haben wir Heutigen nicht mehr. Wer hat schon annähernd das erfahren: „… wie ich euch geliebt habe.“ Trotzdem ist die Frage entscheidend für alle, die sich engagieren im Sinne der Guten Nachricht: Habe ich SEINE Zuwendung erlebt, SEINE Herausforderung, SEINEN Zuspruch? Wann? Wurden meine Lebensweichen von ihm liebevoll begleitet? In welchen Fügungen? Haben die geistlich Beauftragten das erfahren – und zwar so reichlich, dass sie es seiner Liebe schuldig sind, es anderen weiter zu geben?

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Die Gruppe im Boot am See Genezaret ist Sinnbild für so manche Gemeinde Chrisiti.

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Was haben sich die Gemeinden Christi heute auf die Fahnen geheftet?

Woran waren die ersten  Christengemeinschaften erkennbar und werden die künftigen erkennbar sein? Was sind die Bindekräfte, die ihren Zusammenhalt sichern? Ist es die Teilnahme am Gottesdienst? Oder die gewissenhafte Einhaltung der Gebote? Oder die unbedingte Loyalität gegenüber der Kirchenführung? Stellen wir Vergleiche an zu anderen Vereinigungen: In einem Fußballverein sind die Mitglieder verbunden durch die sportliche Betätigung, durch den Kampfgeist, durch das Streben nach Siegen. In Wirtschaftsunternehmen hält die Entlohnung die Mitarbeiter zusammen, je mehr Geld, desto mehr Verantwortung und Ehrgeiz, die Gewinne zu steigern. Eine politische Partei verfolgt ihr gesellschaftliches Engagement etwa, indem sie für den Umweltschutz eintritt oder sich den Patriotismus auf die Fahnen heftet.

 

Von daher können wir ernsthaft fragen: Was hält die Nachfolgegemeinschaften Jesu innerlich zusammen? Was ist ihre Motivation, ihre Antriebskraft. Die Antwort klingt so einfach, dass sie von manchen belächelt wird: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ Die Spötter können sagen: „Ihr mit eurer großen Liebe, was könnt ihr denn schon bewirken? Ist das alles, was ihr zu bieten habt?“ Entgegen solcher Verspottung ist das genau das Geheimnis, durch das der Fortbestand von Christenkreisen gesichert ist: ihr achtsamer Zusammenhalt. Die Mitglieder wollen füreinander das Beste und tun laufend etwas dafür. Das wird die Triebkraft für den Zukunftsweg sein: Dass sich die Mitarbeiter gegenseitig wertschätzen, in Not beistehen, verzeihen, in der persönlichen Entwicklung ermutigen. Das ist das „Gebot“ der Stunde.

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