top of page

20.Aug. 2023      20.Sonntag im Jahreskreis

Starkes Vertrauen einer Fernstehenden

Jesus ging weg von dort und zog sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück. Und siehe, eine kanaanäische Frau aus jener Gegend kam zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält. Jesus aber gab ihr keine Antwort. Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Schick sie fort, denn sie schreit hinter uns her! Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Doch sie kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir! Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen. Da entgegnete sie: Ja, Herr! Aber selbst die kleinen Hunde essen von den Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Es soll dir geschehen, wie du willst. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.

Diesmal geht es um eine Mutter mit einem psychisch schwer angeschlagenen Kind. Diese Mutter ist zu bewundern, mit welcher Hartnäckigkeit sie die Rettung der Tochter erfleht. Dass sie unnachgiebig war, lesen wir ab aus der Art, wie Jesus sich ihr gegenüber verhält: Er tut etwas Seltsames: Er geht zunächst nicht auf ihr Anliegen ein. Er verweigert seine Hilfe. So etwas sind wir von ihm wirklich nicht gewohnt. Sehen wir uns die Geschichte also genauer an. Zuvor aber sollten wir uns hineinfühlen in die Not dieser Frau. Wer davon noch nie betroffen war, hat keine Ahnung, was eine solche Mutter mitmacht: Verzweiflung, Ohnmacht, Finsternis, Schmerz, grässliche Abgründe. Wir wollen zuerst eine betroffene Mutter unserer Tage zu Wort kommen lassen. Dann studieren wir die Originalausgabe dieser Jesus-Begebenheit, wie sie das Markus-Evangelium schildert und schließlich schauen wir, was Matthäus in den 80er Jahren für seine Gemeinde daraus gemacht hat.

„Als Mutter mehrerer Kinder habe ich viele Hochs und Tiefs erlebt. Während der Erziehungszeit – die Kinder sind nun erwachsen – gab es viele Probleme und Herausforderungen zu lösen. Heute weiß ich, dass all das keine echten Probleme waren. Mein Sohn kämpft ums Überleben: Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat – und die Familie mit ihm. Tragische Umstände brachten ihn in ärgste psychische Not. Es ist ein Kampf gegen die Dunkelheit, gegen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. ---- Für mich bedeutet es ein ständiges Suchen nach einer Möglichkeit, wie ich ihm aus dieser Finsternis heraus helfen könnte. Ich fühle sie mit, diese dunkle Nacht der Seele, die alles aufzufressen scheint. Die Zeiten, in denen ich in die Urkraft des Lebens vertraue, wechseln mit Zeiten der Ohnmacht, der Wut, der Trauer. Es ist ein Leben im Ausnahmezustand. Es scheint mich selber auszuhöhlen.

. --- Katholisch erzogen, habe ich zeitlebens zwar an Gott geglaubt: Es gibt ihn. Aber es war nicht ein starkes Vertrauen zum ihm. Doch diese schwere Zeit hat mich zu einer persönlichen Beziehung zu Jesus geführt, das gibt mir Kraft und Zuversicht in all der Not. ---- Ich hoffe und wünsche mir auch für meinen Sohn, dass er zur wahren Quelle des Lebens findet, aber es ist mir bewusst, dass es ein Gnadengeschenk ist und nicht etwas, das man einfordern kann.“ - Eine Mutter.

81 web.jpg

Sich anlehnen an einen 1000 Jahre alten Olivenbaum  - ein Bild für Vertrauen

Die kanaanäische Frau  hatte nichts eiliger zu tun, als zu kommen und sich Jesus zu Füßen zu werfen.So schreibt es das Markus-Evangelium. Das wird so  geschildert, als würde man sie da vor ihm liegen sehen – zunächst wortlos. Es war wie ein Festklammern am letzten Rettungsanker. Man kann bei diesem Satz verweilen, so, als könnte man sie betrachten, wie sie da liegt:  Ihre Kleidung, ihr vielleicht offenes Haar verrieten sofort, dass sie keine Jüdin war. Der Bibeltext sagt es uns auch gleich: Sie war der Sprache und dem Kulturkreis nach griechisch. Im überwiegenden Teil des römischen Reiches sprach man griechisch. Von ihrer Abstammung her war sie Phönizierin und zwar syrische Phönizierin im Unterschied zu einer Phöniziern in Libyen. Über 800 Jahre zuvor hatte nämlich die Phönizierstadt Tyrus eine Kolonie in Nordafrika gegründet. Seither unterschied man zwischen Syrophöniziern und libyschen Phöniziern. Die Frau nun fragte ihn, ob er die unheimlichen Kräfte aus ihrer Tochter vertreiben würde.

Jesus aber konnte ihr den Wunsch leider  nicht erfüllen, weil er das nicht als seinen Sendungsauftrag erachtete. Er musste ihr eine Ablehnung erteilen, aber er formulierte das humorvoll und verschlüsselt. Er  sagte: „Lasst zuerst die Kinder satt werden. Es ist nämlich nicht schön und nett, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hündchen hinzuwerfen.“ Dieses rätselhafte Wort bedarf einer Aufklärung: Die Mitglieder des Gottesvolkes galten als die  „Kinder“ – so der jüdische Sprachgebrauch. Die übrigen Völker hingegen wurden abwertend als „Hunde“ bezeichnet. Jesus griff diese abschätzige, aber weit verbreitete Redeweise auf, mäßigte sie aber. Vielleicht sagte er das Wort sogar mit Schmunzeln: „… Hündchen“

Sie schien eine selbstbewusste und gebildete Frau zu sein, denn sie ließ sich nicht so leicht abwimmeln. Sie stimmte ihm mit einem „Ja!“ zu. Dann redete sie ihn mit „Herr“ an. Sie anerkannte ihn als Gebieter, dem man nicht widersprechen durfte, der aber über Macht verfügte. Sie stimmte ihm zu und  hatte dann doch einen Einwand: „Die Hundeschar unter dem Tisch isst aber die kleinen Reststücke der Kinder auf.“ Sie ging somit gekonnt auf seine humorvolle Ablehnung ein und brachte ihrerseits eine Tatsache vor: „Die Kinder essen gar nicht alles, was ihnen der Herr auftischt. Sie wollen sich gar nicht sättigen von seinem Wort. Sie gehen teilweise achtlos damit um.“ Die Frau schien zu wissen, auf wieviel Ablehnung Jesus in seinem eigenen Volk stieß. So deutete sie an, dass sein nährendes Wort nicht von allen "Kindern" angenommen wurde.

Daraufhin gab Jesus seinen Widerstand auf und sagte zu ihr: „Ich bin beeindruckt von deinem Wort. Diese Äußerung verrät mir dein außergewöhnlich starkes Vertrauen. Deswegen wird dein Wunsch erfüllt. Du kannst getrost weggehen. Die zwanghaften Kräfte sind aus deiner Tochter bereits hinaus gegangen.“ Vordergründig hat Jesus hier mit seiner Kraft eine Fernheilung durchgeführt. Aber der volle Grund für seinen Heilerfolg lang an der Mutter selber, an ihrem hartnäckigen Vertrauen. Jesus bestätigt es ihr, wenn er sagt: „… wegen deines Wortes“

Sie ging weg von da und begab sich sofort nach Hause. Dort fand sie das Kind hingeworfen auf die Couch. Die zwanghaften Kräfte waren hinaus gegangen. Der Originaltext sagt nicht „Sie fand das Kind auf dem Bett liegen“, sondern „Sie fand das Kind hingeworfen“. Das sieht nach einem wütenden Endkampf aus und dann einem völlig erschöpften Daliegen. Das Mädchen hat sich offenbar ausgetobt auf die Fernheilung hin bis es ganz entkräftet hinstürzte auf ihr Bett.

Wir können nachfragen, wieso uns das Evangelium von diesem heftigen Ausgang berichten kann, wenn doch Jesus selbst nicht an Ort und Stelle war. Vielleicht ist die Mutter dankbar zurück gekehrt und hat es im Detail geschildert. Jedenfalls scheint sie aus wohlhabendem Milieu zu stammen, denn die Durchschnittsbevölkerung schlief auf einfachen Liegen. Hier ist ausdrücklich von einem Bett, von einer Couch die Rede wie sie in römischen Villen Standard waren. Dieses kostbare Möbelstück war vielleicht beschädigt durch den letzten Tobsuchtsanfall der Tochter, wertvolle Bettwäsche war vielleicht in Fetzen zerrissen, aber ein junger Mensch war gerettet. Anfangs war immer von einer Tochter die Rede gewesen. Jetzt erfahren wir, dass es ein Kind war. Dass jemand in diesem jungen Alter schon unter solch selbstzerstörerischen Zwängen stehen konnte, macht nachdenklich - noch dazu in einer reichen Familie.

 

Der Evangelist Matthäus gestaltet diese ihm vorliegende Schilderung so um, dass wir annehmen können, er verschränkt das Wirken Jesu zu Lebzeiten mit Vorgängen in der Christus-Gemeinde der 80er Jahre. Die frühen Christengruppen hatten nachweislich hohe psychotherapeutische Heilerfolge. Es war gang und gebe, dass Hauskreise einzelnen Mitgliedern heraus halfen aus schweren  seelischen Nöten. Es waren nicht ausgebildete seelische Heiler am Werk – genau genommen stammte die Kraft vom „Herrn“. Er  ermächtigte die Kreise, die in seinem Sinn und seinem Geist verbunden waren,  zu dem Wirken. Noch zu Lebzeiten hatte ja Jesus vorrangig genau diesen Auftrag erteilt: „Befreit sie von ihren Zwängen. – Helft ihnen, über ihre belastende Vergangenheit hinweg zu kommen – Erlasst ihnen die Schuld.“ Jede einzelne Gemeinde, jeder Hauskreis war dazu befugt und zwar von IHM her. So konnten Betroffene, die regelmäßig die Gebetsrunden besuchten, aus der schlimmsten seelischen Not gerettet werden und sogar deren Angehörige. Wohlgemerkt, das galt für Mitglieder – nicht für Fernstehende. Nun scheint Matthäus auch Fälle zu kennen, dass  an die Hauskreise auch Außenstehende, also Nicht-Mitglieder herantraten, deren Kinder vor dem seelischen Abgrund standen. Wenn dann ein Mitglied das Anliegen in den Gebetsabend einbrachte, gab es nur Schweigen: „Jesus erwiderte mit keinem Wort.“ Dann konnte es aber sein, dass die betroffene Person nicht locker ließ. Sie verlangte hartnäckig nach geistiger Nahrung, nach dem rettenden Zuspruch aus der Gemeinde. Da traten die Jesus-Anhänger in den Hauskreisen vor den Herrn und beteten: „Halte uns diese psychisch belastete Person vom Leib, denn sie schreit hinter uns her. Sie lässt uns keine Ruhe. Wir sind doch nur zuständig für die Sorgenkinder innerhalb der Gemeinde. Wir haben genug zu tun mit den eigenen Schäfchen.“ Der Evangelist Matthäus meint:  Die Gemeinde soll sich hüten vor so einem Denken. Sie wird erleben, dass der Herr auch in solchen Fällen hilft, wenn auch nicht sofort. Manchmal ist hartnäckiges, ausdauerndes Beten und Bitten unerlässlich.

Wir können nun fragen: Wann sprießen in unserer Zeit wieder die Hauskreise aus dem Boden, wie es sie damals gegeben hat? Die psychische Not wird merklich größer in unserer Gesellschaft des Wohlstandes, Selbstmordgefährdung nimmt zu, der Mangel an geistlicher Nahrung, die auch etwas bewirkt, ist rundum erkennbar, Den spirituellen Runden wird es mehr und mehr gelingen, die erforderliche Kraft zu schöpfen. Indem sie sich die  Schilderungen des Wirkens Jesu  genau vor Augen führen, werden sie ermutigt, wie er zu wirken. Sie werden für die Sorgenkinder mit Ausdauer beten, dies wird ihr gemeinsames Gebetsanliegen sein und sie werden über eine längere Zeitspanne hinweg dran bleiben, gerade weil auch Jesus lange Zeit keine Antwort zu geben scheint. Sie werden sich im Namen von Betroffenen ihm zu Füßen werfen und werden den Erfolg sehen. Sie werden die Wirkung des Geistes Jesu auch nach 2000 Jahren  hautnah erleben.

bottom of page