24.Jän 2021 3.Sonntag im Jahreskreis
Zwei Berufungen - als Modell bis heute
Markus 1,14–20
Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehr um und glaubt an das Evangelium!
Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihre Netze auswarfen; sie waren nämlich Fischer. Da sagte er zu ihnen: Kommt her, mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Und sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach. Als er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her. Sogleich rief er sie, und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot zurück und folgten Jesus nach.
Es muss Ende Februar des Jahres 27 n.Chr. gewesen sein, dass Jesus seinen Wüstenaufenthalt von etwa 40 Tage erfüllt hatte. Da erfuhr er wohl von irgendjemand in der Wüste, dass Johannes der Täufer ausgeliefert worden war. Vielleicht hatte ihm das ein Beduine mitgeteilt. Johannes war ein Opfer der Gewalt geworden – es wirkte wie schicksalshaft. Die genaueren Umstände sind nicht geschildert: Wer hat ihn in seine Gewalt gebracht? Sicherlich ist Herodes Antipas gemeint, der Landesfürst von Galiläa. Warum tat er das? Hat jemand Johannes angezeigt? Zwei Dinge fallen jedenfalls auf: Er kam noch nicht ins Gefängnis, sonst wäre es erwähnt, er wurde offenbar nur von der Taufstelle verschleppt und vor Gericht gestellt und daran gehindert, weiter öffentlich die Wahrheit zu sagen. Er dürfte aber kurz darauf wieder frei gekommen sein – vielleicht von Freunden freigekauft – und er hat seinen Wirkungsort gewechselt. Laut Johannes-Evangelium taufte er nun in Änon bei Salim (Joh 3,23), das ist 80 km weiter nördlich – nur 20 km vom See entfernt. Das zweite Auffallende ist das Wort „ausgeliefert“. Es wirft seine Schatten voraus auf das Schicksal Jesu. In gut drei Jahren nach den großen Erfolgen in ganz Israel würde auch er „ausgeliefert“ – das mag bei Jesus Vorahnungen geweckt haben.
Hoch über der damaligen Stadt Magdala ragt der Berg Arbel auf. Vom Hochplateau hat man einen freien Blick über den gesamten See und das erste Wirkungsfeld Jesu.
Trotzdem fasste Jesus die Schicksalsnachricht über Johannes als Signal für ihn selber auf: Er musste nach Galiläa gehen und öffentlich mit seiner Verkündigung und mit seinem Sammeln der „Kinder Israels“ beginnen. Die Auslieferung des Johannes war für Jesus wie ein Aufruf, ein klares Zeichen, wie der Schall einer Posaune. Er begann in seiner Heimat die Gute Nachricht Gottes wie eine Siegesbotschaft zu verbreiteten.
Hier folgt eine knappe Zusammenfassung des Inhalts. Sie enthielt vier Kernsätze:
Erstens: Der günstige Zeitpunkt ist jetzt da, die Zeit hat ihr Maß erfüllt.
Zweitens: Nahegerückt ist jene Weltordnung, wo Gott die Zügel neu in die Hand nimmt.
Drittens: Was ihr alle beitragen könnt, ist, dass ihr euer Leben bedenkt und zur Einsicht kommt.
Viertens: Habt volles Vertrauen. Verlasst euch darauf, dass diese Gute Nachricht wahr wird. Lasst euch darauf ein!
Die vier Kernaussagen hatten ihren gesellschaftspolitischen Hintergrund:
Im jüdischen Volk herrschte eine starke und zugleich undeutliche Hoffnung. Viele warteten auf den Trost für Israel, auf die Erlösung Jerusalems. Das Auftreten Jesu war durch und durch geprägt von der Überzeugung, dass diese Wartezeit nun abgelaufen sei. Er selbst verkörpere gewissermaßen die Wendezeit. Er sei das „leibliche“ Angebot Gottes, er sei das „Jetzt Gottes“ in Person. Der griechische Text verwendet für „die Zeit ist erfüllt“ nicht das Wort CHRONOS, sondern KAIROS: Zeitpunkt, Gelegenheit.
„Das Reich Gottes ist nahe“ – so wird oft übersetzt, aber das griechische Wort BASILEIA meint nicht nur das Königreich als Land, sondern auch die Königsherrschaft, nicht nur das Imperium in seiner Ausdehnung, sondern auch den Machtbereich. Jesus ist überzeugt: Die Herrschaftsordnung Gottes, das landesweite Netzwerk der Liebe steht unmittelbar vor dem Durchbruch. Es gab damals verschiedene Strömungen im Volk, die den Sieg der Gottesherrschaft vor Augen hatten. Die Mehrheit der Bevölkerung neigte den Pharisäern zu, die man nicht als „Scheinheilige“, sondern als „Glaubensgenossen“ bezeichnen sollte: sie nannten sich die CHAVARIM (= Genossen, davon kommt das Wienerische „Hawarer“) Sie lehrten, dass die Bevölkerung die Vorschriften Gottes genauer befolgen solle, dann würde sich das Land in ein Gottes-Land verwandeln, das Volk würde wieder zum wahren Gottesvolk. An oberster Stelle stand das Sabbat-Gebot mit der Enthaltung von Arbeit, gefolgt vom Reinheits-Gebot. Eine weitere Bewegung war die der Essener. Sie verkündeten, dass ein Endkampf bevor stünde: Die Mächte der Dunkelheit würden gegen die Mächte des Lichtes kämpfen und die Gläubigen sollten sich aufs Höchste bemühen, als Söhne des Lichts zu leben – das kam einer Elite-Religiosität gleich. Sie rechneten mit einem Endsieg Gottes als Licht. Mit den Licht-Menschen würde das Reich Gottes verwirklicht. Wieder andere griffen eher zu politischen Strategien. Das waren die Zeloten. Man müsse die Fremdherrschaft abschütteln, womit die Macht Roms gemeint war. Dazu war sogar Gewalt ein legitimes Mittel. Jesus schloss sich keiner der drei Gruppen an, er machte ihnen auch keine Hoffnung, dass er sich an ihre Spitze stellen würde. Er empfand sich weder als Führer eines neuen Staates noch als einer, der nur das Reich Gottes im Jenseits sah. Auch wenn er sagte: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt,“ meinte er, dass es nicht nach den Regeln der übrigen Welt aufgebaut sei. Also keine Staatsgrenzen, kein Staatsoberhaupt, kein Militär, keine Steuern.
Jesus überließ das Entstehen nicht dem „Eingreifen Gottes“, wie die Essener glaubten, auch nicht einer Parteiführung die mit großen Sprüchen Zulauf gewann, wie die Zeloten. Er erklärte, wie diese Herrschaftsordnung tatsächlich Wirklichkeit werde: „Das liegt Großteiles in eurer Hand. Dazu soll jeder sein eigenes Leben gründlich anschauen und im Rückblick zu Einsichten kommen.“ Jesus spricht nicht von „Umkehr“, wie meist übersetzt wird. Der griechische Ausdruck METANOIA enthält das Wort NOIA und das bedeutet Einsicht und META heißt „hinterher, im Nachhinein.“ „Umkehr“ würde Kehrwendung und den Weg zurückgehen bedeuten, was ja im Leben gar nicht möglich ist. Jesus hatte soviel Realitätsbezug zum Leben, sodass er statt einer Kehrwendung die ehrlichen Lebensbetrachtungen und Kurskorrekturen empfahl. Das Zweite, wozu er aufruft: Habt Vertrauen! Meine Gute Nachricht ist kein frommer Wunsch, sondern er ist die Grundlage auf der ihr aufbauen könnt. Verlasst euch darauf!
Diese vier Prinzipien wurden zur Leitlinie seiner Mission, darauf gründeten seine Lehrgeschichten und sogar die Erfolge in den Heilbehandlungen.
Jesus war klar, dass er von Beginn weg einen Schülerkreis sammeln wollte. Eine kleine Mannschaft sollte ihn ständig begleiten und dabei von ihm lernen. Auf die geeigneten Mitarbeiter stieß er auf ganz unterschiedliche Weise. Das Johannes-Evangelium schildert vier Beispiele der Berufung (Joh 1), während sich das Markus-Evangelium auf zwei beschränkt. Hier sind es Brüderpaare, die jeweils im Fischereiberuf tätig waren.
Jesus ging am See entlang. Er beobachtete, womit die Fischer beschäftigt waren, wie sie zusammenarbeiteten und wie sie sich in ihrem Alltagsleben und im Beruf bewährten. Vielleicht konnte er auch mithören, worüber sie sprachen und was sie beschäftigte. Dabei fiel ihm Simon auf und Andreas, der Bruder des Simon. Er sah beiden zu, wie sie im See stehend mit kräftigen Kreisschwüngen die Wurfnetze auswarfen. Das griechische Wort AMPHI-BALLO heißt „herum werfen“. Sie waren geprägt von ihrem Beruf als Fischer: Arbeiten in frühen Morgenstunden, der Witterung ausgesetzt, Geduld haben, dann und wann nichts fangen, Zusammenarbeit zu zweit oder in einer kleinen Mannschaft. Sicherlich hatten sie sich die Erstverkündigung von Jesus schon durch den Kopf gehen lassen. Sicherlich hatten sie beim nächtlichen Fischfang darüber geredet und die momentane Lage im Land seinen Entwürfen gegenüber gestellt. Es war für sie klar: Alles verlangte nach Änderung, nach einer starken Führung. Weit und breit war kein Hoffnungsträger in Sicht. Was Jesus zu verbreiten begonnen hatte, klang hoffnungsvoll. Ob Simon und Andreas mit dem neuen Rabbi auch persönlich gesprochen hatten, lässt das Markus-Evangelium offen. Das Johannes-Evangelium hingegen weiß davon zu berichten. Markus schildert den zweiten Schritt, nämlich die unmittelbare Aufforderung Jesu zum Mitgehen: Jesus sprach sie an: „Es ist jetzt so weit. Auf! Hinter mir nach! Begleitet mich zunächst einfach wie Schüler! Nach Monaten des lernenden Mitgehens wird der Zeitpunkt kommen, dass ich eure Fähigkeiten steigere: Ich werde euch vom Fischer zum Menschenfischer machen. Ihr werdet dann Menschen zusammenfangen und Beziehungsnetze knüpfen.“ Jesus hatte mit seiner Aufforderung den richtigen Zeitpunkt erwischt, sie waren sofort entschlossen. Sie überlegten nicht lange hin und her, sondern ließen die Netze liegen. Ohne zu zögern hängten sie ihren Beruf an den Nagel, und schlossen sich ihm an. Sie wurden seine ersten verbindlichen Mitarbeiter. An diese Lebenswende konnten sie sich Jahrzehnte später erinnern. Sie wussten noch die Einzelheiten, wo das war und was er wörtlich gesagt hatte.
Er ging ein wenig weiter und unterhielt sich dabei mit ihnen. Da richtete sich seinen Blick auf Jakob, den Zebedäus-Sohn und auf Johannes, dessen Bruder. Er beobachtete sie, wie sie beisammen im Boot waren. Sie richteten die Schleppnetze her. Zugleich stellte er eine starke familiäre Bindung fest, ein gutes Vater-Sohn-Verhältnis. Es war ihm wohl auch bewusst, dass der Vater Hoffnungen in seine Söhne setzte. Trotzdem rief Jesus sie zu sich. Sie ließen ihren Vater, den Zebedäus, zurück im Boot und schlossen sich Jesus an. Aber allein gelassen wurde der Vater dadurch nicht und der Betrieb ging nicht zu Grunde, denn er hatte noch seine Arbeiter, die täglich zur Verfügung standen. Ihnen zahlte er immer den Tageslohn aus und er konnte sich auf ihre Mithilfe verlassen. Die beiden Söhne jedoch vollzogen die Loslösung von ihrem Vater. Sie gingen weg und wurden zu ständigen Begleitern Jesu. Es war ein Wendepunkt in ihrem Leben.
Diese beiden Berufungs-Schilderungen stehen bewusst am Beginn des Evangeliums, weil zahllos viele Mitglieder der frühen Jesus-Bewegung Ähnliches erlebt haben. Der Text war eine Hilfe und Bestätigung für die Leser des Evangeliums – zur Zeit des Markus-Evangeliums in den 70er Jahren bis heute ins 21.Jahrhundert. Häufig geht Berufung mit einem Ablösungsprozess einher: Zweierlei Loslösungen sind die häufigsten: Entweder sich lossagen von etwas, das man sich geschaffen hat: Beruf, Besitz, Erfolg. Oder sich lossagen von verwandtschaftlichen Bindungen: Eltern, Geschwister, weitere Angehörige.
Siehe dazu das Buch
Martin Zellinger. Heilsame Schritte. Original-Schauplätze des Markus-Evangeliums. Ein Fotobuch 160 S., 24 €
Einladung zum Online-Bibelgespräch jeden Montag 18 – 19 Uhr. Sonntagswort gemeinsam in ZOOM. --- Kostenlos.Seit Advent 2020.
Buchlieferung und Online-Teilnahme auf Anfrage: m.zellinger@aon.at 0699 11506645