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8. Sept 2019

23.Sonntag im Jkr

Vater und Mutter hassen?

Lukas 14, 25 - 33

„Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben HASST, dann kann er nicht mein Jünger sein.“ Dieser Satz klingt so scharf, dass ihn viele Übersetzungen gemäßigt wiedergeben: So etwa schreibt die Einheitsübersetzung (die alte wie die neue): „… nicht Vater und Mutter … gering achtet …“. Die Bibel in gerechter Sprache schreibt: „… nicht Vater und Mutter … hintanstellt …“ Die Gute-Nachricht-Übersetzung formuliert: „… er muss bereit sein, mit Vater und Mutter zu brechen …“ Das Wort lässt sich aber nicht beschönigen oder mildern. Bei allem Bemühen um Entschärfung dieses Jesus-Wortes – oder angeblichen Jesus-Wortes – bleibt das griechische Original MISEIN: „hassen, verabscheuen.“ Folgende 3 Stellen beweisen, dass tatsächlich „hassen“ gemeint ist und nicht „geringschätzen“: „Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden; wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.“ (Mk 13,13) „Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden.“ (Joh 3,20) „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“ (Mt 5,43). In diesen Bibelstellen kommt dasselbe Wort MISEIN vor. >Wer sich Jesus persönlich anschließt (oder in den Jahrhunderten später sich der Jesus-Bewegung), muss Vater und Mutter verabscheuen, sonst kann er nicht in seine Schule eintreten, nicht Lernender sein, nicht Jünger sein.< Wie sollen wir das verstehen, wie damit umgehen?

Wir können es hinterfragen: Hat Jesus das tatsächlich so gesagt oder hat es bloß Lukas so scharf formuliert? Gibt es eine Möglichkeit, das zu überprüfen? Wenn wir dem Schriftsteller Lukas nachweisen, dass es seine scharfe Feder ist und nicht die Stimme Jesu, müssen wir weiter fragen: Warum übertreibt Lukas hier? Wir müssen auch fragen: Was sagte und meinte der Meister Jesus tatsächlich in seiner weisen Empfehlung?

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Wachturm im Weinberg. Foto aus dem biblischen Landschaftspark >Nazareth village<. Der Turm dient zum Schutz und zur Überwachung des Besitzes.

Wer mit dem Evangelium einigermaßen vertraut ist, der weiß jedenfalls, wie sehr Jesus dafür eintritt, niemanden zu verachten, nicht einmal jemanden, der sich feindselig verhält. „Ich aber sage euch: kümmert euch auch um das Wohlergehen sogar derer, die euch Schaden zufügen und spendet denen, die euch nachstellen, heilsame Gedanken. Tretet für sie ein vor Gott. Damit werdet ihr Söhne und Töchter eures allumfassenden Vaters. Der nämlich behandelt Böse und Gute gleichermaßen. Er lässt die Morgensonne aufgehen über beide und schenkt beiden den erquickenden Regen.“ (Vergleiche Mt 5,44f) Also nicht hassen. Was Vater und Mutter betrifft, ist es für Jesus ein heiliges Gesetz, diese für immer in Ehren zu halten, ganz gleich, wie sie sich verhalten haben und werden – sie ehren, einfach, weil sie Vater und Mutter sind. Mag sein, dass sie die Berufung und den Weg des Evangeliums von ihrem Sohn oder ihrer Tochter nicht billigen, ja sogar verhindern wollen und sich feindselig benehmen. Das berechtigt den Sohn oder die Tochter nicht, die Eltern zu verabscheuen. Es kann nötig sein, sich ihren autoritären Rufen zu widersetzen, aber sie deshalb zu verachten – keinesfalls – was immer sie auch anstellen.

Die eigene Frau hassen, sich schließlich von ihr trennen nach langen Auseinandersetzungen wegen Glaubensdifferenzen, ist das erlaubt oder sogar erforderlich? In den 50er Jahren (als Paulus Gemeinden gründete und sie begleitete) gab es Fälle, dass der Übertritt zur Jesus-Gruppe für manche Paare zur Zerreißprobe wurde. Paulus gibt die Empfehlung: „Wenn der Ungläubige sich trennen will, soll er es tun.“ Er bezeichnet es als sklavische Bindung, in so einem Fall zusammen zu bleiben und er hält nichts von dem Bestreben, den Partner doch retten zu wollen, wenn er das Evangelium nicht annehmen will. „Woher weißt du denn, Frau, ob du den Mann retten kannst? Oder woher weißt du Mann, ob du die Frau retten kannst?“ (1 Kor 7,16) Vierzig Jahre später – zur Zeit des Lukas – waren Scheidungen Gang und Gebe in der römischen Gesellschaft. Weshalb sollte man sich nicht aus Gründen einer gänzlich anderen Lebensentscheidung (Ablehnung Jesu als Herrn oder Glaube an ihn) wieder trennen? Aber sollte man deshalb den Partner hassen? Paulus meint: Trennung ist wohl das Vernünftigste, „denn zu einem Leben in Frieden hat Gott euch berufen.“ (1 Kor 7,15) Einen Absatz vorher betont er noch, dass der Herr den Verheirateten gebietet: „Die Frau soll sich vom Mann nicht trennen – wenn sie sich trennt, so bleibe sie unverheiratet oder versöhne sich wieder mit dem Mann – und der Mann darf die Frau nicht verstoßen.“ (1 Kor 7,11). Jesus vertrat während seiner Lehrzeit die klare Meinung: „Der Mensch hat nicht die Berechtigung, die Ehe für getrennt zu erklären – aus welchen Gründen auch immer. Wenn er es trotzdem tut, hinterlässt er einen Scherbenhaufen. Sauber gelöst ist damit nichts.“ So verstand er den wohlwollenden Plan Gottes, er verurteilte aber niemand, wenn er dagegen verstieß. Die Frau hassen – die Kinder hassen – sich selber hassen? – Stammt also das aus dem Mund Jesu? Schlagen wir in einer ursprünglicheren Stelle als Lukas nach! Das Markus-Evangelium ist 25 Jahre früher geschrieben und geht auf einen Zeugen der ersten Stunde zurück. Darin wird uns geschildert, dass es zu einer herzlichen Begegnung zwischen Jesus und einem sympathischen, aufrichtigen, wohlhabender Mann kam. Jesus versuchte, ihm das Imperium der Liebe schmackhaft zu machen und erklärte ihm: „Es mangelt dir an etwas, das dauerhaft erfüllend wäre für dich: Die beglückende Besitzfreiheit.“ Der Mann war nicht im Stande, das anzunehmen und danach erklärte Jesus seinem Schülerkreis: „Wie schwer ist es für jemanden, der viel besitzt, in die Herrschaftsordnung Gottes zu gelangen.“ Dann ergänzte er: „Jeder, der um meinetwillen oder um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen.“ (Mk 10,29) Wenn wir diesen Satz mit dem des Lukas vergleichen, gibt es vordergründig Ähnlichkeiten, aber bei genauem Hinsehen fallen die Unterschiede auf: 1. Hier formuliert Jesus positiv, während Lukas in dem Abschnitt dreimal negativ formuliert: „Der kann nicht mein Jünger sein.“ Das klingt warnend. Das ist Lukas und nicht Jesus original. Jesus stellt etwas in Aussicht: Hundertfache Entschädigung für „Zurücklassen“. 2. Jesus sagt: Haus ODER Brüder, ... Kinder ODER Äcker ... Lukas hingegen schreibt: Vater UND Mutter, Frau und Kinder - das ist viel ausschließlicher. 3. Die Frau kommt nicht vor bei Jesus unter denen, die womöglich zu verlassen sind.

Wir sehen, dass Lukas dick aufträgt. Er will seine Leser aufhochen lassen. Er warnt davor, im persönlichen Glaubensentwicklung dort stecken zu bleiben, wo die Angehörigen mit ihrem oberflächlichen Lebensstil stehen. Er beobachtet bei vielen die vorschnelle Anfangsbegeisterung. Er sieht rundum etliche Zeitgenossen, die Feuer gefangen haben im Glauben und ab jetzt „dabei sein“ wollen. Sie behaupten auch, dass es ihnen viel gibt. Aber was sind sie selbst bereit zu geben? Sogar finanziell? Sie sagen: „Ja, Jesus – toll.“ Dabei schweben sie in die Lüfte – turmhoch. Sie erzählen herum, dass ihr Leben jetzt sinnvoller und beglückender wird. Sie fangen zwar an, die Basis zu legen, aber auf einmal geht ihnen die Luft aus. Da ist dem Schriftsteller Lukas der Vergleich mit dem Turmbau willkommen: „Gib acht, dass du nicht zum Gespött wirst. Die Leute könnten sagen: Dieser Mensch da hat mit dem Bau des Turmes begonnen. Aber mehr als das Fundament hat er nicht geschafft. Jetzt hat er nicht mehr die Kraft, das Ziel zu erreichen.“ Wem sagt Lukas das? Wohl den Zeitgenossen, die Geld haben, die Mittel haben, um einen Turm bauen zu lassen. Wofür ist der Turm nötig? Er ist Wachturm über die Besitztümer – etwa über einen Weinberg. Lukas schließt diesen Abschnitt mit einem Paukenschlag: „Ebenso kann keiner von euch ein Lernender bei mir sein, wenn er sich nicht gänzlich von seinem Besitz verabschiedet.“ Damit trifft seine Schrift bis in unsere Zeit und in die Wohlstandsgesellschaft: „Hängt ihr am Geld? Arbeitet ihr für das Evangelium nur dann, wenn das Einkommen stimmt oder auch unentgeltlich? Seid ihr gar bereit, Eigenmittel dafür zu investieren?“ Lukas schreibt warnend: „Keiner kann behaupten Jünger Jesu zu sein, wenn er nicht gänzlich auf den Besitz verzichtet.“ Jesus sagt ermutigend: „Es wird sich hundertmal auszahlen.“

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