top of page

2.Mai 2021      5.Sonntag der Osterzeit

Mit IHM verbunden bleiben

Johannes 15,1–8

Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt. Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe. Bleibt in mir und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen. Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft sie ins Feuer und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten. Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet.

Ich bin der wahre Weinstock – das ist das letzte der Ich-bin-Worte, die Jesus im Johannes-Evangelium spricht. Das erste lautet:  „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“ (Joh 6,35) Was wir nur im griechischen Originaltext erkennen, das ist die Betonung des Ich – griechisch EGO. Man könnte es so übersetzen: „Das Brot des Lebens, das bin ich – wohlgemerkt: Ich!“   Es gibt sieben ähnlich aufgebaute Ich-bin-Worte. Wenn jenes vom Weinstock das letzte ist, dann liegt darauf der größte Nachdruck. Jesus spricht es in der zweiten Abschiedsrede aus. Insgesamt folgen drei  ausführliche Abschiedsreden hintereinander. Der Verfasser des Evangeliums plaziert die Reden bewusst an dem Abend vor dem Leiden Jesu. Sie sind ihm wichtiger zu schildern, als das Abendmahl selbst, denn das beschreibt er gar nicht – so wie die anderen Evangelien und wie Paulus. Dieses letzte Ich-bin-Wort ist offenbar eine Art Vermächtnis, ein Testament, anhand dessen das Wirken Jesu sich fortsetzt –  trotz seines Aushauchens am Kreuz.

wine-4540475_1920 web.jpg

Im Foto ist gut zu erkennen: Die Früchte bringt nicht der Stock selber hervor, sondern die Zweige, die Reben, die am Stamm ansetzen. Aus ihm ziehen die Reben den Saft, den sie brauchen, um süße Trauben hervor zu bringen. Ein einprägsames Bild dafür, wie Glaübige sich motivieren können zu tatkräftigem Christsein.

Ein wichtiges Merkmal der  Ich-bin-Worte ist, dass sie nicht einfach benennen, wie Jesus ist, sondern einen Zusatz haben, der sich auf seine Anhänger bezieht. „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird ...“ Was nun ist der Zusatz zum Ich-bin-Weinstock? Wenn man sich so umhört, welche Lieder es gibt zum Weinstock, lauten alle so: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Dieser Satz hat sich eingeprägt. Aber so beginnt das Ich-bin-Wort in Wirklichkeit nicht, sondern „Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer.“ Warum betont Jesus, dass er der wahre Weinstock sei? Gibt es denn einen „nicht-wahren“, von dem er sich abhebt? Die Beifügung „wahr“ sollten wir so verstehen: Einer, der sich bewahrheitet hat, der dem entsprochen hat, was in Wahrheit mit dem Weinstock vorgesehen war, was von ihm erwartet wurde.  Wer als Jude mit der Bibel vertraut war, wusste sofort, worauf Jesus anspielte, nämlich auf sein Volk, das Volk Israel.

Der Psalm 80 sagt, dass Gott sein geliebtes Volk wie einen Weinstock von Ägypten  in das versprochene Land umgepflanzt hat, damit es sich dort ausbreiten könne. Aber es hat seinen Beschützer bald betrogen. Deshalb hat Gott es zugelassen, dass es zur Beute der feindlichen Angreifer wurde. Schließlich fleht das Volk seinen Gott an: „Kehre doch zurück! Blicke vom Himmel herab, und sieh! Sorge für diesen Weinstock“ (Siehe Psalm 80,9-15)

Ebenso  beanstandeten die Propheten, dass es die Gläubigen und die Verantwortlichen im Volk Gottes verabsäumt haben, Frucht zu bringen. Die Propheten sprechen zwar nicht ausdrücklich vom Weinstock, sondern vom „Weinberg“ und vom „Holz des Weinstocks“, aber der Weinstock ist mit gemeint.

Bei Jesaja wird der Weinberg mit der Geliebten verglichen. Aber hinterher klagt Gott: „Was hätte es für meinen Weinberg noch zu tun gegeben, das ich ihm nicht getan hätte? Warum hoffte ich, dass er Trauben brächte? Und er brachte nur faule Beeren? Jetzt aber will ich euch kundtun, was ich mit meinem Weinberg mache: ... Zu Ödland will ich ihn machen. ... Er hoffte auf Rechtsspruch - doch siehe: Rechtsbruch ...“ (Siehe Jes 5,3-7)

Bei Ezechiel fragt Gott den Menschen, was am Weinstock noch brauchbar ist, wenn er keine Früchte trägt: „Menschensohn, was hat das Holz des Weinstocks allem anderen Holz voraus? ... Siehe man wirft es dem Feuer zum Fraß vor.“ (Ez 15,2-8)

Jesus greift diese Klagen Gottes auf und bezieht sie auf seine Zeit und sein religiöses Umfeld. Er muss feststellen, dass das Volk keine Spur besser ist, als zur Zeit der Propheten. Er selbst hingegen darf ohne Anmaßung behaupten, dass er selbst den Erwartungen Gottes entsprochen hat. Er wurde eingepflanzt und hat sich verwurzelt in seiner Heimat. Den Bauern, der ihn gepflanzt und gepflegt, bewässert und gestutzt hat, den nennt er SEINEN VATER. In den drei Jahren seines öffentlichen Wirkens ist das wahr geworden, was Gott von seinem Volk möchte, nämlich Frucht bringen – somit ist er der „wahre“ Weinstock. Was die Hüter der Religion verabsäumt haben, das hat Jesus dem Schöpfer reichlich gegeben.  Sie haben einen religiösen Kult zelebriert, haben Opferhandlungen am Altar vollzogen, taten so, als käme es einzig auf die Einhaltung der Geboten an, aber ihr Amt im Gotteshaus war fruchtlos. Die prophetischen Sprecher hatten immer wieder auf Gottes „wahren“ Wunsch hingewiesen: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“. Er will nachsichtigen Umgang mit den Gescheiterten, er erwartet sich Hilfe für Menschen, die entrechtet sind. Jesus bemühte sich darum vorrangig, somit kann er der „wahre“ Weinstock genannt werden.

Der Autor des Johannes-Evangeliums schreibt das in dem 90er Jahren auf dem religionssoziologischen Hintergrund seiner Zeit. Die Kluft wurde immer unüberwindlicher zwischen den traditionsverhafteten Juden und den Juden, sie sich der „Hoffnungsfigur Jesus“ angeschlossen hatten. Das damals noch zahlenmäßig überlegene Gesetzesjudentum distanzierte sich immer deutlicher von der aufstrebenden Jesus-Bewegung: Wer sich zum Messias Jesus bekannte, wurde ausgeschlossen aus der großen Mutterreligion und aus der Synagoge. Das traditionelle Judentum beanspruchte für sich der „Weinstock Gottes“ zu sein.  Dem stellt das Johannes-Evangelium Jesus entgegen: „Das bin ich – der wahre Weinstock.“ Das galt nicht nur für den Gründer, sondern auch für die Nachfolgegemeinschaft. Deshalb folgt sofort der Satz: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt.“ Rebe ist der Zweig, der aus dem  Stock heraus sprießt. An der Rebe setzen im Sommer Blüten an, die sich bis zum Herbst zu vollen Früchten entwickeln. Es gab in den Hauskreisen der 90er Jahre Teilnehmer, die das Gefühl der Geborgenheit in der Gruppe genossen und die sich gerne während der  Feierstunden in Stimmung versetzen ließen, aber sie trugen nichts bei zum guten Ruf der Gemeinschaft nach außen hin. Die Stadtbewohner im Umkreis sollten den Eindruck gewinnen: Jedes Mitglied der Gemeinde ist hilfsbereit, nie feindselig, sondern von denen geht ein Frieden aus. Wer in dieser Hinsicht „keine Frucht“ bringt, der wird durch die Lebensumstände abgeschnitten und verliert den Kontakt zur Gemeinde, die Christus verkörpert. „Die Rebe an mir schneidet er ab“ Ehrliche und tatkräftige, mitfühlende Gemeindemitglieder „reinigt er“. Der VATER entfernt das Nutzlose, das Altholz, die Schädlinge, auch das überflüssige Blattwerk an diesen Mitgliedern, sodass die Sonne besser die Frucht zur Reife führen kann.

Jetzt schwenkt das Johannes-Evangelium zur Anrede „ihr“: Ihr seid schon rein, weil ihr euch ausgiebig mit dem „Wort“ beschäftigt. Solche Mitglieder brauchen nicht so viel gestutzt zu werden, denn die lernen durch „das Wort“ die Selbstreinigung. Der Autor des Evangeliums bietet das Wort an zum Studium, zur Vertiefung. Er mahnt eindringlich: Bleibt in dieser Studiengemeinschaft. Gelegentliche Bildungsveranstaltungen haben wenig Dauerwirkung. Bleibt dran! Nicht nur außen dran, sondern „in mir“. Je öfter ihr euch mit mir, mit meinen Lehren beschäftigt und bei meinem Wort verweilt, je ausführlicher ihr euch mein Tun vor Augen führt, wie es im Evangelium beschrieben ist, desto mehr nehme ich in euch Gestalt an. Ich bleibe in euch. Das Wort „bleiben“ ist in diesem kurzen Abschnitt sechs Mal genannt. „Bleibt in mir“. „Die Rebe bringt nur Frucht, wenn sie am Weinstock bleibt“

„Wer nicht in mir bleibt, der wird herausgebrochen aus dem Weinstock“. Das ist kein Drohung, sondern ein gebräuchlicher Arbeitsvorgang, wie er  bei den  Weinbauern unvermeidlich ist. Die entfernten Reben liegen einige Zeit in der Sommerhitze  herum, bis sie vertrocknet sind und dann sind sie nur noch als Heizmaterial verwendbar. Alle, die  sich die Worte Jesu verinnerlichen und sie anwenden in ihrem Umfeld, denen gehen auch Wünsche in Erfüllung. Sie werden ein Gespür dafür entwickeln, was wirklich wertvoll ist. Wenn sie sich nach etwas sehnen, darum anhaltend bitten und diese Bitten aussprechen, dann werden sie das Erhoffte erhalten. Erst recht, geht es in Erfüllung, wenn einige Mitglieder mitsammen etwas erbitten, etwa Heilung für jemanden oder Gelingen ihres Projektes oder Schutz in Gefahren. „Ihr (!) werdet es erhalten“ – nicht du (!) wirst es erhalten, verspricht Jesus. Durch euer Bemühen und durch euer Gelingen wird „mein Vater verherrlicht“ – er wird im vollen Glanz zu erkennen sein für andere.

 

Dieses Jesus-Wort ist anspruchsvoll und ermutigend zugleich. Es zeigt Spuren der Anforderungen, denen sich die Christengruppen der 90er Jahre stellen mussten. Diese Herausforderung trifft auch heute zu. Es gibt traditionsgebundene Kreise, die für sich beanspruchen, die „wahre“ Kirche zu sein. Sie klagen Gruppen und einzelne Personen an, weil sie nicht „der Linie“ entsprechen würden. Dabei  geht es um die Frage: Wer hat tatsächlich Anteil am „wahren Weinstock“. Dieses Evangelium gibt niemandem die Berechtigung, andere auszuschließen, abzuwerten, die Rechtgläubigkeit abzusprechen. Dem VATER steht es zu, die Reben abzuschneiden. Das tut er mit denen, die keine Frucht bringen. Frucht ist nahrhaft, Trauben sind sogar süß. Wer hingegen mit scharfen Worten andere anklagt, liefert nicht Früchte, von denen sich jemand nähren kann. Er reißt Gräben auf, bringt Spaltung. Die erste Empfehlung Jesu  war: „Friede für euch“. Feindseligkeit wäre das Gegenteil. Beide Seiten werden daran gemessen, was sie zum Wohl ihrer Nächsten tun. Sowohl Traditionsgebundene als auch Fortschrittliche müssen sich fragen lassen: Was sind die Früchte eures Tuns? Bleibt  ihr damit verbunden mit dem Weinstock Christus oder geht ihr Wege, die von seinem Stil abweichen? Wenn ihr in ihm bleibt, dann wird er selber „in euch“ die Antworten liefern für euer Ringen um die Wahrheit.

bottom of page