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12.Mai 2024      7.Sonntag der Osterzeit

Freude in Fülle in sich haben

Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir!

Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast. Und ich habe sie behütet und keiner von ihnen ging verloren, außer dem Sohn des Verderbens, damit sich die Schrift erfüllte.

Aber jetzt komme ich zu dir und rede dies noch in der Welt, damit sie meine Freude in Fülle in sich haben. Ich habe ihnen dein Wort gegeben und die Welt hat sie gehasst, weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin.

Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. 

Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind.

 

Dies ist der letzte Sonntag vor Pfingsten und damit endet auch eine Folge von fünf Abschnitten aus dem Johannes-Evangelium. Der Autor des vierten Evangeliums hat Jesus während des Abendmahls drei lange Abschiedsreden halten lassen – fast wie der griechische Philosoph Plato. Auch der lässt dem zum Tod verurteilten Sokrates drei Reden halten. Plato nennt die Reden „Apologie“, was soviel heißt wie Verteidigung. Er fasst darin die Überzeugung seines Lehrers Sokrates zusammen. Er schreibt zwar fast 500 Jahre vor Johannes, aber die Apologie hat die griechische Philosophie nachhaltig geprägt – bis in die Zeit des frühen Christentums hinein. Philosophieschüler in der damaligen Zeit mussten  am  Anfang  die Apologien studieren. Das verlangte der Lektüreplan. Das Johannes-Evangelium steht am Schnittpunkt zwischen jüdischer und griechischer Weisheit.

Wie von Philosophenschülern verlangt Johannes von den Lernenden des Evangeliums, sich in die Grundzüge Jesu in den drei Abschiedsreden nochmals zu vertiefen. Er lässt die Reden gipfeln in einem Gebet. Darin vertraut der scheidende Jesus seine engsten Freunde der göttlichen Fürsorge an. Das gibt es in sonst keiner Abschiedsrede der Weltliteratur. Wir hören vier Bitten, die Jesus ausspricht: 1. Vater, bewahre sie in deinem Namen. Der Name wird sie einigen. 2. Sie mögen meine Freude in sich haben. 3. Bewahre sie vor dem Bösen. 4. Heilige sie.

 

Gehen wir den Text langsam durch: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart.“ Jesus sah sich als der geistliche Lehrer, der den Menschen ein Gottesbild, einen „Namen Gottes“ vermittelt hat, das ihnen bisher nicht zugänglich war, nicht bewusst war, nicht sichtbar war – ihnen vielleicht sogar von der religiösen Führung vorenthalten wurde. Jesus hat es den Menschen, ganz besonders seinem Schülerkreis, eröffnet, enthüllt, gezeigt.

Neu: Wort zum Sonntag in Radio Freistadt - 15 min Audio

https://www.frf.at/wort-zum-sonntag/        Online-Archiv

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"Ich habe deinen Namen den Menschen geoffenbart" - Offenbarungen sind Lichtmomente, sie sind nicht Alltag, sie nicht durch Studieneifer zu erreichen, sondern sie werden geschenkt

Mit dem „Namen Gottes“ ist nicht nur gesagt, wie wir ihn ansprechen sollen, sondern es ist sein Wesen gemeint, seine Art, sein Besonderheit, seine Merkmale. Sie hat Jesus gezeigt. Er war überzeugt, dass ihm jene Menschen aus der Welt gegeben wurden, die offen und empfänglich waren für diesen „Namen Gottes“. Jesus hat während seiner drei öffentlichen Jahre aber nicht nur „Einführungslehren über Gott“ gehalten, sondern er war in Person die „Einführung in den Gottesnamen“. „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart.“

Nun spricht Jesus die erste Bitte aus: „Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen!“ „Heiliger Vater“ ist eine für das Johannes-Evangelium ungewöhnliche Anrede Gottes. Sie könnte zurückgehen auf gottesdienstlichen Gebrauch. Das Gebet „Vater, dein Name werde geheiligt“ war längst gebräuchlich in den Christengemeinden. Es könnte auch eine Anspielung auf die letzte, die vierte der hier vorgetragenen Bitten sein. Sie lautet: „Heilige sie in der Wahrheit.“ Die Mitglieder der Gemeinden mögen „aufbewahrt“ bleiben im „Feld des Heiligen“ – in dem, was Gott auszeichnet. Die frühen Christen (ebenso die heutigen!) wurden heraus gehoben aus der üblichen Welt, sie wurden geheiligt. Gott, der Vater, der Heilige, möge auf sie schauen, dass sie nicht mehr abhanden kommen, nicht mehr rückfällig werden. Sie mögen „eins sein wie wir“. Alle, die Gott so ansprechen: „Vater, geheiligt werde dein Name“, dürfen nicht in Zwietracht leben. Es soll keine Spaltung, keine Eifersucht, keine Besserwisserei, keine Herabwürdigung geben. Das gilt in erster Linie für Verantwortliche in der Kirche, aber auch für Gemeindemitglieder: „Eins sein“ heißt „sich einigen können“ und heißt nicht: „Alle müssen einem Oberhaupt gehorchen“. Heißt auch nicht: Konflikte werden verschwiegen, Missstände werden unter den Teppich gekehrt. „Eins-sein“ heißt Zusammen-Halten auch bei Meinungsverschiedenheiten, heißt Hinhören auf den anderen, welche Auffassung er vertritt.  

 

„Solange ich mit ihnen war, war ich es, der sie bewahrte in deinem Namen, den du mir gegeben hast.“ Dieser Satz verrät, dass er in einer Zeit geschrieben ist, in der das Wirken Jesu schon vorüber war: „Solange ich mit ihnen war“ „Und ich habe über sie gewacht und keiner von ihnen ging verloren“ In Joh 15 war die Rede, dass Jesus seinen engsten Schülerkreis geliebt hat. Hier heißt es, er habe über sie gewacht, er habe seine schützende Hand über sie gehalten. Wer liebt, ist auch auf die Sicherheit des geliebten Partners bedacht. Leider gab es einen, der die schützende Hand abgelehnt hat, und der  sich in den Dienst des Verderbens gestellt hat. Dass es solche Leute gibt, steht schon in den Schriften. Die frühe Kirche hat somit nicht verschwiegen, dass auch Menschen trotz hoher Berufung zum Verderben für andere werden können. Das sollten auch die heutigen Kirchen nicht vertuschen.

 

Die zweite Bitte möchte Freude einpflanzen und steigern. „Jetzt bin ich bereits in der endgültigen Welt Gottes angekommen. Dennoch ist mein Reden in der Welt immer noch vernehmbar. Dieses mein Reden bewirkt Freude und zwar eine Freude, die von mir kommt. Sie hat nicht zu tun mit dem kurzfristigen Spaß – wie er in der Welt verbreitet ist – sondern Freude, die zunimmt, die sich festigt, die sogar zu einer Vollkommenheit gelangt“. Jesus redet hier von den Menschen, die sich mit seinem Wort beschäftigen – sie werden eine Freude ausstrahlen. Wenn in den heutigen Kirchen die Verkünder des Gotteswortes nicht Freude ausstrahlen, sondern mit ernster Miene vorne stehen, wenn ihnen kein herzliches Lächeln über die Lippen kommt, dann fehlt etwas Entscheidendes: die Freude. Jesus fügt an die Freude gleich an: „Ich war es, der ihnen dein Wort gegeben habe“. Der Autor des Johannes-Evangeliums erlebt in den 90er Jahren, dass viele in seiner Umwelt ablehnend oder spöttisch oder gehässig auf das „Wort“ reagieren. Die Erklärung ist einfach: Die Welt der nachhaltigen Freude und die Spaßwelt sind unverträglich miteinander. Wer sich für das bleibend Erfüllende entschieden hat, kehrt nicht mehr zurück in die Welt des kurzfristigen, unverbindlichen Vergnügens.

 

Nun spricht Jesus seine dritte Bitte aus: Schutz vor dem Schädlichen „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt heraus hebst, sondern dass du sie vor dem Krankhaften und Schädlichen zurückhältst“. Es ist nicht das Bestreben Jesu, seine Mitarbeiter heraus zu holen aus dem Weltgetriebe. Sie sollen sich nicht abheben, nicht zurückziehen in eine heile Welt, sondern sie sollen sich der Welt stellen und darin Stand halten, genau dort, wo sie gerade leben. Aber der Schutzschirm Gottes soll den schädlichen Befall von ihnen fernhalten. Hier klingt der Schlusssatz des Vater-Unser-Gebetes an: „Erlöse uns von dem Bösen“, was genau übersetzt heißt: „Rette uns vor dem Bösen. Bewahre uns vor dem, was uns schadet“.

 

Nun hören wir die vierte Bitte Jesu: „Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit“. Die gläubigen Juden zur Zeit Jesu sind nach Jerusalem gepilgert, um sich zu heiligen. Es ist der Aufenthalt am Heiligen Ort, das Verweilen im Tempel, das sie heiligt. Das Johannes-Evangelium ist überzeugt, dass es wichtiger ist in der Wahrhaftigkeit zu weilen als in einem Gotteshaus aus Stein. Das Wort – der Logos – der Leitspruch – er enthält die Wahrheit – und zwar der Leitspruch Gottes, sein Spruch. Wer sich mit diesem Wort befasst, wer sich ihm stellt, der wird früher oder später in das Weltgefüge ausgesandt. Jesus gibt dazu an, dass er genauso ausgesandt wurde. Somit werden die aus dem Wort Schöpfenden seine Sendung fortsetzen. „Ich lasse sie aber nicht allein auf sich gestellt, sondern ich bin gewissermaßen bereits zum Fest nach Jerusalem gepilgert, um mich zu heiligen – nämlich zum himmlischen Jerusalem. Dort bin ich ihr Anwalt, ihr Fürsprecher, damit sie geheiligt werden – allerdings nicht im Tempel aus Stein, sondern in der Wahrheit.

 

Wenn wir dieses Gebet Jesu ruhig auf uns wirken lassen oder langsam sprechen,  merken wir, dass hier Schwerpunkt-Themen Jesu aneinander gereiht sind. Jede Bitte könnte für sich bestehen, sie haben keinen festen Zusammenhang. Es fehlt der Erzähl-Fluss, wie wir ihn bei Jesus kennen, wenn er etwa eine anschauliche Lehrgeschichte vorträgt. Eher scheint hier der Autor des Johannes-Evangeliums wichtige Themen zusammen gefügt zu haben. Sie brennen ihm unter den Nägeln und fließen in seine Feder. Was er schreibt, gilt zunächst den Verantwortlichen und den Christen-Gemeinden seiner Zeit. Gleichzeitig schreibt er es den Mitarbeitern in unseren heutigen Kirchen. Er schreibt es nicht als Belehrung, sondern als Gebet des Gründers. Eindringlicher könnte das Anliegen nicht sein:

  1. Wir brauchen ein Gottesbild, das väterlich-fürsorgliche Züge hat. Dieses wurde den Generationen vor uns vorenthalten. Es wurde ersetzt durch einen feierlichen Gott und einen strengen Gott, einen Überwacher, einen Prüfer, einen Allmächtigen. Uns muss das Bild vom „besorgten Vater“ heilig werden. Das Vater-unser-Gebet darf nicht geplappert werden, schon gar nicht die erste Bitte. Wir müssen dabei innehalten, so lange bis sie uns berührt bis in die Fingerspitzen hinein, bis unser Körpergedächtnis die Wahrheit gespeichert hat.

  2. Wir achten darauf, dass sich Freude festigt in unserem Seelengrund, Freude in unseren Planungs-Besprechungen, Freude in unseren Gottesdiensten, Freude in unserem Einsatz für Benachteiligte. Derzeit kommt Freude vielleicht kurz einmal hoch während eines erhebenden Liedes im Gottesdienst. Aber das Ziel ist, dass wir sie „in Fülle in uns haben“. Wenn wir uns häufig vom „Wort“ nähren, wenn wir den Leitspruch Gottes wie tägliche Mahlzeiten zu uns nehmen lernen, wird es Wirkung haben. Es wird viele Lebensbereiche – einen nach dem anderen – mit Freude erfüllen. Andere Leute rund um uns werden es sogar merken.

  3. Wir wissen uns geschützt. Wer den Namen „Vater“ wirklich heilig hält, der weiß, dass des Vaters schützende Hand über ihm ist. Wir sind seine Töchter, seine Söhne, um die er sich umschaut. Es ist uns klar, dass wir damit nicht in einer heilen Welt leben. Es gibt genug, das uns Schaden zufügen könnte. Wenn wir den Vater im Hintergrund haben, brauchen wir nicht gebannt auf das Bedrohliche schauen, sondern dorthin, wo man uns braucht.

  4. Die traditionellen Gläubigen heiligen sich, indem sie die religiösen Feste besuchen. Das mag eine gewisse Heiligung bewirkten. Jesus spricht von einer ganzheitlichen Heiligung – nämlich von Heiligung in der Wahrheit. Das „Bleiben“ im Wort der Wahrheit bewirkt diese Heiligung.

Das Johannes-Evangelium überbietet das, was von  den Philosophen-Schriften her bekannt ist. Er gibt hier gewissermaßen als Testament Jesu wieder und formuliert es als Gebet Jesu  – kurz vor seinem Hinscheiden. Es gilt zunächst den Verantwortlichen und den Christen-Gemeinden seiner Zeit in den 90er Jahren. Es gilt gleichzeitig den Mitarbeitern in unserer heutigen Kirche

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