8.Dez. 2024 2.Advent-Sonntag
Entstandene Gräben auffüllen
Lukas 3,1-6
Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und der Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias. Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündete dort überall die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden, wie im Buch der Reden des Propheten Jesaja geschrieben steht:
Stimme eines Rufers in der Wüste: / Bereitet den Weg des Herrn! / Macht gerade seine Straßen!
Jede Schlucht soll aufgefüllt / und jeder Berg und Hügel abgetragen werden.
Was krumm ist, soll gerade, / was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.
Und alle Menschen werden das Heil Gottes schauen.
Eine Bibelrunden-Leiterin hat mich gebeten, ich möge zur Auslegung des Evangelien-Abschnittes gleich eine Anregung mitliefern. Deshalb folgt hier ein „Interview“ mit dem Evangelisten Lukas. Es ist leicht anwendbar für einen Gruppenabend und lässt sich sogar anstelle einer Predigt einsetzen (Dauer max.10 Min). Es enthält Infos zu Lukas als Schriftsteller und gleichzeitig eine Auslegung des Evangeliums vom 2.Adventsonntag. Das Lesejahr Lukas hat begonnen mit dem 1.Adventsonntag.
Reporter: Lukas, du hast ein neues Evangelium geschrieben, obwohl es das Markus-Evangelium schon 20 Jahre lang gab. Mehrere Kopien waren schon in den Hauskreisen der Großstädte in Gebrauch - von Rom bis Alexandria in Ägypten. Du hast sogar selber eine Kopie davon in Händen gehabt. Warum hast du in den 90er Jahren noch so ein weiteres Werk veröffentlicht?
Lukas: Das Markus-Evangelium schätze ich sehr, so sehr, dass ich es als Vorlage verwendet habe. Trotzdem habe ich einiges vermisst darin. Die Reden Jesu kommen bei Markus zu kurz. Sicherlich gab es eine Sammlung von Jesus-Worten, es war eine ganz kleine Schrift, die bei den Hauskreisen im Umlauf war. Diese Redesammlung wollte ich einbauen zwischen den vielen Heilungsgeschichten. Ich muss zugeben: Schon viele haben es vor mir unternommen, eine Erzählung von den Dingen abzufassen, die unter uns zum Abschluss gelangt sind. Alle bisherigen Autoren hielten sich genau an das, was die Augenzeugen von der ersten Stunde an überliefert haben.
Die Apostel waren zuerst mit Jesus unterwegs und nach seinem Hinscheiden waren sie die Diener des Wortes. Ich gehöre nun zur dritten Christengeneration und bin allen Unterlagen und Informationen von Beginn an sorgfältig nachgegangen. Schließlich habe ich mich entschlossen, es der Reihe nach aufzuschreiben.
Reporter: Worin siehst du den Vorzug deines Werkes?
Lukas: Ich schreibe umfangreicher als Markus: In meinen Nachforschungen habe ich von zusätzlichen Ereignissen erfahren, die ich auch eingefügt habe. Vor allen enthält mein Werk viel mehr Reden von Jesus. Über seine Kindheit habe ich einiges in Erfahrung gebracht, ebenso von den Jesus-Begegnungen nach seinem Tod. Die bisherigen Schriften sind also nicht ganz vollständig und ich habe mich um Vollständigkeit bemüht.
Reporter: Hast du auch einen anderen Schreibstil?
Lukas: Ja, ich habe mich an den literarischen Stil der römischen Schriftsteller gehalten, damit sich mein Buch mit den anderen Werken am Bücher-Markt messen kann. Außerdem habe ich manches eine Spur spannender und schriftstellerisch kunstvoller geschrieben.
Reporter: Du hast doch auch historische Ankerpunkte und weltbekannte Persönlichkeiten eingebunden?
Lukas: Ja, meine Leser sollen das Gefühl haben, dass die Geburt Jesu, der Beginn seines Wirkens und sein Leiden sich unter bekannten Herrschern zugetragen haben.
Reporter: Kannst du Beispiele bieten?
Lukas: Kaiser Augustus wollte in die Geschichte eingehen als Friedensbringer der Welt. Er stützte sich dabei auf militärische Überlegenheit seiner Weltmacht. Ob Hochrüstung langfristig zum Frieden führt, würde ich aber bezweifeln. Die wahren Friedensbemühungen sind von Jesus ausgegangen. Deshalb erwähne ich schon bei der Geburtsstunde Jesu den Namen des Augustus. Aber vom wirklichen „Frieden auf Erden“ singt der Chor des himmlischen Heeres vor den Hirten von Betlehem.
Reporter: Hast du noch ein Beispiel wie du Weltpolitik mit dem Heilsgeschehen des Evangeliums verbindest ?
Lukas: Ja, gerne. Das Auftreten Johannes des Täufers lässt sich datieren in das 15.Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius. Daher schreibe ich: „Damals erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes“
Reporter: Wunderbar! Damit wären wir beim Evangelium, das wir am zweiten Advent-Sonntag vernehmen. In der Markus-Vorlage steht wörtlich: „So trat Johannes der Täufer in der Wüste auf.“ Du weichst ein wenig ab davon, warum?
Lukas: Ich schreibe feierlich: „Da erging das WORT an Johannes, den Sohn des Zacharias.“ Das wird die Leser mehr beeindrucken als nur, dass er dort aufgetreten ist. Ich bin sicher, dass der Täufer nicht aus eigenem Entschluss aufgetreten ist, sondern weil das WORT an ihn ergangen ist. Außerdem bin ich überzeugt, dass wir in der Stille verweilen müssen, oft sogar eine Wüste durchleiden müssen, bis uns das Wort Gottes treffen kann. Mich persönlich hat auch ein WORT getroffen. Es heißt: „Du musst deine schriftstellerische Begabung in den Dienst Gottes stellen“. Deshalb habe ich das Buch geschrieben. Außerdem ist ein angesehener Mann an mich herangetreten mit der Bitte, dass ich das Buch schreibe. Er hat es finanziert und hat für den Vertrieb gesorgt. Er selber war erst kurz zuvor Christ geworden und er wollte für sich eine zuverlässige Grundlage für seinen Glauben haben.
Reporter: Stimmt: Wir sollen auf das WORT hören, das an jeden von uns ergeht. Aber weiter bei Johannes dem Täufer: Nach Markus scheint er sich nur an einer (!) Taufstelle aufgehalten zu haben. Siehst du das anderes?
Lukas: Ich habe Informationen, dass Johannes den Ort mehrmals gewechselt hat. Er hielt sich zwar immer in der Gegend des Jordan auf, weil er das Wasser zum Untertauchen brauchte. Aber es war an verschiedenen Orten. Deshalb schreibe ich etwas anders als Markus: „Er zog in die Gegend am Jordan und verkündete dort überall die Taufe“.
Reporter: Dann hast du da einen Satz, der nach einer festen Formel klingt. Der Satz kommt nämlich in allen Evangelien gleich vor. Ich trage ihn langsam vor – Wort für Wort: „Johannes –verkündete – die Taufe – der Umkehr – zur Vergebung – der Sünden.“ Kannst du diesen bedeutungsschweren Satz für uns näher erklären?
Lukas: Gerne! Mit dem Wort „verkünden“ ist eine knappe überzeugende Botschaft gemeint. Das ist nicht „predigen“, auch nicht „einen Lehrvortrag halten“, nicht „ausführlich darlegen“, sondern es bedeutet, dass er eine kurze Mitteilung verbreitete: Was er verkündete, das war die „Taufe“. Das griechische Wort BABTIZO bedeutet: Eintunken, untertauchen, ja beinahe ertränken. Er verkündete das EINTUNKEN.
Reporter: „Taufe“ kenne ich anders, nämlich dass der Gemeindeleiter ein bisschen Wasser über den Kopf des Kindes gießt und es damit von „Sünden gereinigt wird“.
Lukas: Nein, Johannes machte es nicht bei Kindern, sondern bei Erwachsenen, die sich auch selber dafür entschieden. Er meinte keinen Reinigungsritus, sondern einen Sterberitus. Er verknüpft das Untergehen mit der Abkehr vom bisherigen Lebensstil. Zur Abkehr muss ich dir wieder das griechische Wort erklären: Es stimmt, dass es oft mit „Umkehr“ übersetzt wird. Aber META-NOIA setzt sich zusammen aus zwei Worten: META heißt „im Nachhinein“ und NOIA ist die „Einsicht“. Es geht also darum, das bisherige Leben zu überdenken, es gründlich anzuschauen, also eine Lebens-Rückschau zu halten. Aus dieser Rückschau soll der Kandidat dann auch Konsequenzen ziehen und unter das bisherige Leben einen Schlussstrich ziehen. Er soll es gewissermaßen untergehen lassen im Wasser.
Reporter: Das Bisherige hinter sich zu lassen, geht das so einfach?
Lukas: So einfach nicht, aber es geht, wenn man vertraut, dass Gott in der Lage ist, unsere Vergangenheit in seinen Händen aufzufangen und umzuwandeln in etwas Sinnvolles. Gott ermöglicht einen Neubeginn, er rechnet uns das Alte nicht mehr vor, er vergibt das Selbst-Verschuldete. Es braucht uns nicht mehr länger zu belasten. Das VERKÜNDETE Johannes. Er sagte ganz klar: „Das ist so!“ Er rief es aus wie ein Herold, wie einer, den der König beauftragt hat, eine kurze, wichtige Nachricht in seinem Land bekannt zu machen.
Reporter: Du schreibst, dass Johannes so aufgetreten ist, wie es im Buch des Propheten Jesaja steht: „Stimme eines Rufers in der Wüste“ Das stammt aus den jüdischen Schriften. Bist du ein Jude von deiner Herkunft her, so wie die anderen drei Evangelisten? Kennst du dich aus in der Bibel der Juden?
Lukas: Ich bin nicht Jude, ich stamme aus den „Völkern“, wie die Juden sagen. Meine kulturelle Herkunft ist der Westen, die wohlhabende, römische Welt. Ich bin in ASIA MINOR (auf deutsch Kleinasien) aufgewachsen, was bei euch heute die Westtürkei ist. Aber seit ich zum Herrn gefunden habe, zu Jesus, habe ich auch die Propheten-Bücher der Juden schätzen gelernt, ganz besonders die Reden des Jesaja.
Reporter: Findest du darin etwas, das auf Johannes zutrifft?
Lukas: Ja, ein Satz ganz besonders: „Stimme eines Rufers in der Wüste, bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen!“
Reporter: Dieser eine Satz kommt auch bei Markus vor. Warum aber hast du nicht nur einen, sondern mehrere Sätze genommen?
Lukas: Ich musste mehr von dieser kraftvollen Aussage des Jesaja wiedergeben:
„Jede Schlucht wird ausgefüllt und jeder Berg und Hügel abgetragen werden. Krumme Wege werden begradigt, und die Strecken, wo Steine im Weg liegen, sie werden zu glatten Wegen. Und alle werden das Rettende Gottes sehen.“
Reporter: Scheint dir dieser Zusatz auch für uns heute – 2000 Jahre später – bedeutsam?
Lukas: Ja, ganz besonders für euch! Ihr erlebt gerade, wie eine Spaltung in der Gesellschaft entsteht. Deshalb müsst gerade ihr, die ihr das Evangelium lebt, die Gräben auffüllen. Leider gehen so viele Menschen krumme Wege. Davon müsst ihr euch unterscheiden: Ihr werdet geradlinig und aufrecht gehen, damit euch das heilsame Wort erreichen kann. Ich kann nur empfehlen, jeden dieser Sätze einzeln zu wiederholen und das einprägsame Bild auf sich wirken zu lassen.
/ Bereitet den Weg des Herrn! / Macht gerade seine Straßen!
Jede Schlucht soll aufgefüllt / und jeder Berg und Hügel abgetragen werden.
Was krumm ist, soll gerade, / was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.
Und alle Menschen werden das Heil Gottes schauen.
Reporter: Ja, stimmt! Der letzte Satz scheint dir besonders wichtig zu sein. Das hast du ja schon bei den Hirten von Betlehem geschrieben.
Lukas: „Alle Menschen werden das Heil Gottes schauen.“ Davon bin ich überzeugt: Alle Menschen, ob gläubig oder fernstehend, ob einfältig oder gebildet, ob jugendlich oder alt, allen wird vor Augen gestellt, was für sie heilsam ist. Letzen Sonntag habt ihr aus meinem Evangelium gelesen: „Der Menschensohn wird auf einer Wolke zu sehen sein“. Das Modell der Menschlichkeit wird allen gezeigt. Es wird sich noch herausstellen, wer aus unserer Gesellschaft dieses rettende Angebot annehmen will.
Reporter: Danke, Evangelist Lukas für deine Ausführungen und dass du heute bei uns zu Gast warst.
Als das Wort des Herrn an Johannes in der Wüste erging, hat er sich vielleicht in dieser Höhle aufgehalten. Foto: Oberhalb des Toten Meeres