13. Okt 2019
28.Sonntag im Jkr
Dankbarkeit macht glücklich
Es ereignete sich wieder ein Vorfall. Lukas erinnert mit der Wegangabe seine Leser daran, dass Jesus als Ziel Jerusalem vor sich hatte. Mit der Geographie des Landes scheint der dritte Evangelist nicht vertraut zu sein, wenn er schreibt, es hätte sich im Grenzgebiet zwischen Samarien und Galiläa zugetragen. In Wirklichkeit war es das Grenzgebiet zwischen Samarien und Judäa. Es könnte bei Ephraim geschehen sein, wie wir aus anderen Quellen schließen können. Heute heißt das Dorf Taybeh und liegt in der palästinensischen Westbank. Es zählt 2100 Einwohner. Die Bewohner verkünden voll Stolz, dass sie alle Christen sind – als einzige Ortschaft im Heiligen Land – und dies seit 2000 Jahren. Es gehe auf die Begegnung mit Jesus zurück. Bekannt ist Taybeh wegen seiner Brauerei – gegründet 1994. Sie braut als einzige im Nahen Osten nach dem bayerischen Reinheitsgebot und führt jährlich ein Oktoberfest durch.
Als Jesus mit seiner Begleitergruppe noch das Dorf nicht erreicht hatte, kam es zu einer Begegnung mit zehn Männern, die schwere Hauterkrankungen hatten, mit Leinenstreifen umwickelt waren und als von Lepra befallen galten. Manche hatten verstümmelte Gliedmaßen und durch Geschwüre so verunstaltete Gesichtszüge, dass sie kaum mehr wieder erkennbar waren. Das war dann eindeutig Lepra. Manche waren auch als lepra-krank abgestempelt, obwohl ihre Haut „nur“ von stinkenden Geschwüren bedeckt war. Von solchen ekelerregenden Hautschäden Befallene waren aus der Gesellschaft ausgestoßen. Sie lebten entweder als Einzelgänger irgendwo in einer halb verfallenen Hütte oder einer Höhle. Oder sie schlossen sich zu kleinen Kolonien zusammen und hausten in einem unbewohnten Tal. Oft wurden sie von Menschen regelmäßig versorgt, die Mitleid für sie empfanden. Dazu stellten die Helfer etwa einen Korb Lebensmittel an einen festgelegten Platz und entfernten sich. Erst dann durften sich die Geplagten nähern und sich bedienen. Wenn der Hunger übermächtig wurde, näherten sie sich auch stark begangenen Straßen und riefen um Brot. Gleichzeitig waren sie verpflichtet, Gesunde vor sich selbst zu warnen. Dazu mussten sie rufen: „Unrein! Unrein!“ Der Originaltext des Evangeliums sagt nicht (wie manche Übersetzungen schreiben), dass die Aussätzigen ihm entgegen kamen, denn das wäre ihnen strengstens untersagt gewesen. In Wirklichkeit trafen die Jesus-Gruppe und die Unseligen einfach aufeinander – wohl aber mit Abstand.
Die Erkrankten erhoben ihre Stimme, fingen ein Geschrei an und machten dadurch auf sich aufmerksam. Anscheinend wussten sie, wer da auf sie zukam, denn sie riefen ihm seinen Namen zu: „Jesus!“
Durch Lepra
entstelltes Gesicht
eines 24 jährigen
Dann sagten sie noch: „Weiser, Verständiger! Hab Erbarmen mit uns!“ Bei dieser Anrede fällt zweierlei auf: 1. Sie redeten ihn nicht mit dem sonst üblichen Titel „Lehrer“ oder „Meister“ an, was die Evangelisten üblicherweise mit DIDASKALOS beschreiben. Das hier verwendete Wort ist EPISTATA und es weist auf Weisheit und Verständnis hin. 2. Sie bitten um Erbarmen, obwohl sie wissen, dass sie das nicht verdienen. Wer Lepra hatte, galt als von Gott gestraft. Er oder seine Eltern müssen sich in ihrem Vorleben schwer schuldig gemacht haben und das musste der Betroffene jetzt abbüßen.
Spätestens jetzt haben sicherlich einige der Begleiter um Jesus ihre Verachtung kund getan und die anderen aufgefordert, sich auf keine Annäherung einzulassen, sondern einen weiter Bogen um „diesen Abschaum“ zu machen. Auch Jesus selbst ging nicht auf sie zu, denn durch eine Berührung hätte er sich selbst unrein gemacht. Aber er gab den Bittstellern einen Auftrag. „Geht zu den Priestern, sie sind befugt, ein Gutachten über euren Gesundheitszustand auszustellen. Lasst euch anschauen, lasst euch untersuchen, lasst euch bescheinigen, dass ihr rein seid.“ Wenn Jesus die Gesundheitsbeamten im Tempel meinte, dann wäre das etwa 30 Kilometer Entfernung gewesen, also in 1-2 Tagen zu bewältigen. So wie sie im Moment aussahen, hätten sie keine Chance gehabt, auch nur durch das Stadttor von Jerusalem zu gelangen. Aber Jesus wusste, dass sich ihre Haut unterwegs sehr rasch erholen würde und sie rein würden.
Die Gruppe gehorchte, wandte sich um und ging weg – wohl zur Genugtuung jener paar Anhänger Jesu, die pflichtbewusst gewarnt hatten. Wie weit die Erkrankten in Richtung Jerusalem marschiert waren, wird uns nicht geschildert, aber es muss tatsächlich zügig ein Selbstreinigungsprozess eingesetzt haben. Einer von ihnen – als er die Heilung an sich beobachtete – machte kehrt. Er ging die ganze Strecke zurück und jubelte ständig. Mit noch lauterer Stimme als vorher beim Bitten, verkündete er die Großartigkeit Gottes: „ER ist herrlich. ER thront im Lichterglanz. Für mich ist der wundervoll. Gott ist zu überwältigenden Dingen fähig.“
Als er Jesus erreicht hatte, warf er sich vor dessen Füßen nieder und sprach ihm den größten Dank aus. Er dankte ihm voller Ergriffenheit – dieser eine war aus dem Land der Samariter, denen man ein verfälschtes Glaubensbekenntnis nachsagt.
Jesus ließ ihm zunächst seine ehrlichen Dankesworte zu Ende sprechen und antwortete dann: „Hat sich nicht bei allen zehn die Reinigung der Haut und des ganzen Körpers vollzogen?“ Jesus wusste es, ohne es selbst gesehen zu haben. Er fragte weiter: „Die Neun – wo sind sie?“ Er bekam keine Antwort.
„Haben sie es nicht als angemessen gefunden, dass sie den Weg zurück gegangen wären, um hier Gott die Ehre zu geben? Sie hatten dafür offenbar nicht das entsprechende Gottesbild. Keiner ist gekommen – einzig dieser, der als Fernstehender gilt, fremd und andersdenkend.“ (Jesus spricht von einem tatsächlichen sich Umwenden und den Weg zurück Gehen. Diesmal wird nicht das sonst übliche Wort „Umdenken“ verwendet, das auf Griechisch METANOIA heißt.)
Jesus bescheinigte ihm nicht die Rechtgläubigkeit, aber er würdigte sein Vertrauen in die Güte Gottes. Dazu forderte er ihn auf: „Bleib nicht länger zu meinen Füßen liegen! Erhebe dich! Du kannst jetzt gehen. Aber eines behalte dir als Gewissheit: Es war das Vertrauen, das dich gerettet hat. An die Möglichkeiten Gottes zu glauben, das war die rettende Kraft.“
Der Schlusssatz „Dein Glaube hat dich gerettet“ passt nicht ganz dazu, weil er die Frage aufwirft: Was ist mit den übrigen Neun? Fehle es ihnen am Glauben? Sind sie trotzdem auch gerettet worden? Vertrauen ist doch die Voraussetzung für den Heilungsprozess. Jesus hat diesen Satz oft gesagt: So etwa zu der Frau mit den Blutungen, die es trotz des Menschenandrangs gewagt hatte, sein Gewandsaum zu berühren Mk 5,34). Oder zu dem Blinden am Straßenrand von Jericho. (Mk 10,52) Dem einen von Lepra Befreiten hat Jesus bereits seine Würdigung ausgesprochen: „Du als einziger hast Gott den Dank bekundet – das ist ein starker Ausdruck deines Glaubens.“ Der Schluss „Dein Glaube hat dich gerettet“ (Nicht: „… hat dir geholfen“) könnte von Lukas angefügt worden sein, weil er ja gerade ein Kapitel über „Glauben“ schreibt. Jesus selbst scheint die Betonung diesmal eher auf die Dankbarkeit zu legen. Zehn hätten Anlass gehabt, dankbar zurück zu kommen, nur einer findet es für nötig. Das ist eine häufige Erfahrung. „Undank ist der Welt Lohn“ – so lautet das bekannte Sprichwort, aber Jesus beschwert sich nicht über den Undank. Nein, er ist viel zu positiv als dass er sich über neun Säumige beklagen würde. Vielmehr bestärkt er den, der dankt. Er hat nicht nur im Stillen Gott gedankt, sondern er hat eine beachtliche Wegstrecke auf sich genommen und sich dann laut und ausführlich bedankt. Lukas hat als einziger diese Begebenheit überliefert und will jene Leser, die dafür empfänglich sind, bestärken in der Grundhaltung. Dankbarkeit ist mehr als ein höfliches „Danke“ zu sagen (oder ein flüchtiges Smily zu schicken). Unsere heutige Welt ist geprägt vom Will-Haben. Wer bestellt und zahlt, bekommt. Das „Ich“ erfüllt sich seine Wünsche und ist keinem einen Dank schuldig. Unsere Welt sollte wieder die Dankbarkeit als Haltung erlernen – und sie ist erlernbar – mit ein wenig Selbstbeobachtung und Übung. Wer den Tag mit einer Rückschau beschließt und besonders das hervorhebt, was sich gut gefügt hat – vielleicht besser als man es geplant hätte, der übt Dankbarkeit ein. Wer seinem Mitmenschen würdigend ausspricht, was ihm Gutes aufgefallen ist – statt ständig die Fehler vorzurechnen – der macht sich und anderen das Leben leichter. Erst recht ist es erlernbar, sich dem Erhalter des Universums zuzuwenden und sich dabei selbst bewusst zu machen, wie oft sich manches fügt. Dieser „Lenker der Dinge“ ist eben nicht ein hoch oben streng thronender Allmächtiger, sondern einer wie ein Vater, der uns – seine Tochter oder seinen Sohn – nicht aus den Augen lässt. Allein schon, ihn mit „Vater“ anzureden, ist Übungssache.
Zu empfehlen sind dazu Bücher, Vorträge und Interviews mit dem über 90jährigen Benediktiner-Mönch Bruder David Steindl-Rast – leicht zu finden im Internet.
Glücklich werden durch Dankbarkeit. Die Spiritualität der Dankbarkeit. Gratefulness.