16.Apr. 2023 2.Sonntag der Osterzeit
Begegnung über den Tod hinaus
Joh 20,19-28 Kurzfassung
Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten
Das weit verbreitete Bild der Osterzeit in den Kirchen ist „der Auferstandene“ als strahlender Held mit wehender Fahne und von gleißendem Licht umgeben. Manchmal ist noch das geöffnete Felsengrab unter seinen Füßen hingemalt. Die Künstler scheinen sich übertreffen zu wollen, wie mächtig und überlegen und blendhell der auferstandene Christus ist. So als sei er über allem erhaben. Er hat den Tod besiegt.
Wer sich die Mühe macht, in der Bibel nachzusehen, woher dieses Bild komme, der wird enttäuscht: Nirgends in der Bibel ist der Auferstandene so beschrieben, wie ihn die religiöse Kunst darstellt. Die Evangelien schildern ihn nicht als Lichtgestalt, nicht schwebend über dem Boden. Seine Kleider sind nicht als strahlend weiß beschrieben (so wie es von der Verklärung geschildert wird, siehe Mk 9,2-8). Er war nicht erhoben zu sehen, hinweg schauend über die Welt – weit in die Ferne. So steht es nur in der Endzeitrede: „Dann wird man den Menschensohn in Wolken kommen sehen, mit großer Macht und Herrlichkeit“ (Mk 13,26) Das Macht-Bild mit Auferstehung gleichzusetzen ist nicht zulässig. In keiner der „Auferstehungsberichte“ kommt Macht ins Spiel. Christus sagt an keiner Stelle: „Ich bin Sieger über den Tod.“ Die erwähnten Gemälde in den Kirchen entsprechen nicht dem, was uns die Evangelien von Ostern zu verstehen geben. Die Zeugen der ersten Stunde haben solche verfälschende Kunst-Darstellungen nicht verdient. Sie haben sich größte Mühe gegeben, ihre damaligen Erfahrungen gewissenhaft wiederzugeben. Sie betonen sogar, dass sie bezeugen können, wovon sie reden.

Pilgergruppe geht den Emmaus-Weg - 12 km von Jerusalem hinaus nach Emmaus-Qubebe. Laut Lukas-Evang. war es eine Begegnung und ein Mitgehen des Auferstandenen.
Was also bezeugen sie? Worauf kommt es ihnen an? Wir wollen es überprüfen anhand des Sonntagsabschnittes aus dem Johannes-Evangelium. Das Stück ist schnell erzählt – abgesehen vom Thomas-Zusatz (auf den gehen wir diesmal nicht ein). Es lohnt sich, Satz für Satz genau zu betrachten und bei jedem Satz zu verweilen.
Es war am Abend jenes aufregenden Tages, an dem Frauen morgens das Felsengrab Jesu aufgesucht hatten und es geöffnet und leer vorgefunden hatten. Es war der „Tag eins“ – so wörtlich übersetzt, nicht der „erste Tag“. Das könnte eine Anspielung sein auf den „ersten Schöpfungstag“ im Buch Genesis,, der dort auch „Tag eins“ genannt wird. An diesem ersten Tag der jüdischen Wochenzählung hielt sich der Schülerkreis Jesu in einem Raum auf. Man kann nicht einmal sagen, dass sie „beisammen“ waren, denn sie waren nur am selben Ort – wie Verlorene. Der Originaltext sagt nur: „...wo sie waren“, das Wort „beisammen“ fehlt. Vielleicht ist damit ausgedrückt, dass sie bang und ratlos waren. Der Grund ihres gemeinsamen Aufenthaltes war offenbar weniger der Zusammenhalt, als vielmehr die Furcht, dass die Obrigkeit nach der Hinrichtung Jesu auch gegen sie vorgehen könnte. Deshalb hatten sie die Türen verschlossen, verriegelt. Da kam Jesus. Wie er kam, ist nicht näher beschrieben, jedenfalls nicht triumphierend. Geöffnete Türen brauchte er nicht zu seinem Kommen. Es erweckt den Eindruck, als sei er einfach da gewesen – ganz unerwartet. Es war aber mehr als eine Vision, mehr als eine wortlose Erscheinung. Nach dem Kommen reihte er sich auch nicht irgendwo in der Runde ein, sondern er bezog Stellung in ihrer Mitte. Er füllte ihr Zentrum aus, er beanspruchte ihre ganze Aufmerksamkeit. Dann erklang sein erstes Wort, das ihnen aus seinem Mund wohl vertraut war, das sie oft und oft von ihm gehört hatten: „Friede für euch.“ Er sagte also nicht: „Fürchtet euch nicht“, wie etwa damals, als sie ihn am See gehen sahen. „Friede für euch!“ ist zunächst der ganz normale Gruß. Wahrscheinlich war er aber auch bedeutungsschwer. „Ihr bleibt meine Friedensgemeinschaft. Was sie mir angetan haben, das mag alles nach Rache schreien. Jeder andere Führer hätte Rache in sein Testament geschrieben und wie viele Söhne haben Vergeltung geübt an den Mördern des Vaters. Ihr als meine Brüder bleibt friedvoll. Bleibt ausgeglichene Menschen!“ Wie Jesus das sagte, das war unverkennbar seine Stimme, wie früher – mit dem Unterschied, dass es sie jetzt in ihrer Mitte traf – und dies erst nach seinem Sterben.
Nachdem er das gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und machte seinen Oberkörper frei, um ihnen seinen Brustkorb zu zeigen. Das geschah schweigend. Seine Hände: Wie oft hatten sie jemanden gesegnet, wie oft heilsam berührt. Wie oft hatten diese Hände Brot bei Tisch erhoben und nach Dankesworten ausgeteilt. Wie oft hatten die Hände über blinde Augen gestrichen – diese Hände! Da überkam sie eine Freude. Die Wunden von den durchgeschlagenen Nägeln werden nicht erwähnt. Waren sie noch erkennbar? Wenn er dann noch seinen Oberkörper, seine Seite zeigte, löste das ähnliche Gedanken aus. Wie oft waren sie Seite an Seite mit ihm gewandert. Wie oft hatten sie erlebt, welch ein weites Herz er hatte. Von der Wunde am Brustkorb, ist wieder keine Rede. Es war doch ein Lanzenstoß bis ins Herz vorgedrungen. Welch ein Herz! Den Herrn so zu sehen, das erfüllte sie mit einem erhebenden Gefühl. Er war wieder da, nicht mehr wie früher als ihr Lehrmeister, nein als der Herr. Dem Wort „Herr“ haftete nun etwas Göttliches an: „Als sie den Herrn sahen ...“
Jesus beließ es nicht bei der Freudenstimmung. Es wäre zu wenig, sich mit der Osterfreude zu begnügen. Noch einmal wiederholte er: „Friede für euch!“ Es war ihm also ein bleibendes Anliegen. Sie sollten sich den Frieden einprägen, ihn sollten sie in sich verankern. Sie sollten ihn überall dorthin bringen, wo er fehlt. Sie sollten sich selber nicht vom Frieden abbringen lassen, auch wenn sie künftig der Bosheit und Aggression ausgesetzt sein sollten. „Findet zurück zum Frieden, auch wenn euch jemand aufs Äußerste gereizt hat.“ Und dann kam Jesus zum eigentlichen Grund seines Kommens. Jetzt verkündete er ihnen das entscheidende Wort: „Wie mich der Vater ausgeschickt hat, so werde ich euch senden.“ Dieser Satz ist kurz und klar und jedes Wort ist sorgfältig gewählt. Der griechische Originaltext verwendet nicht zweimal denselben Begriff für „Senden“. (Die Einheitsübersetzung geht auf die Feinheit nicht ein, wenn sie schreibt: „...gesandt hat, so sende...“) Der Vater hat Jesus ab-gesandt, los-geschickt. Jesus ist der Abgesandte des Vaters – griechisch APO-STELLO.
Dieses Wort macht Jesus bescheiden und stark gleichzeitig: Bescheiden, weil er sich nicht selbst den Auftrag erteilt hat. Die Sendung ist nicht aus eigener Entschlusskraft entstanden. Jesus versteht sich nicht als der selbsternannte Retter. Er beseitigt nicht heroisch alle Missstände, sondern geht nur dorthin, wo ihn der Vater hinsendet. Er schlägt nur den Weg ein, der ihm vom Vater vorgezeichnet ist. Stark ist Jesus, weil er die größte Autorität hinter sich weiß. Kein geringerer als der Schöpfer des Universums ist sein Auftraggeber.
Dasselbe gilt in naher Zukunft für seine Lernenden. In der nächsten Zeit wird er ihnen einen Sendungsauftrag erteilen. „Ich bin es, der euch schicken wird“ (Zukunft! Und ICH ist betont.). Jesus ist das Modell: So wie er entsandt war – die Zeit ist jetzt vorbei – so schickt er künftig seinen Schülerkreis in die Welt. Seinen Auftrag reicht er weiter an die Seinen. In ihnen sieht er die Fortsetzung seines Werkes. Dieses Weiterreichen ist bis heute nicht abgeschlossen. Die Sache Jesu geht immer noch weiter.
Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte: „Nehmt den heiligen Geist bewusst an, nehmt ihn in Empfang. Macht euch offen dafür.“ Nicht „empfangt“ den heiligen Geist, denn das klingt untätig, es klingt passiv, so als müsste man den Heiligen Geist über sich ausgießen lassen. Das griechische Original-Wort drückt Aktiv-Sein aus: „nehmen“. Dass Jesus sie anhauchte, das hat er zu Lebzeiten nie getan. Das Wort „anhauchen“ oder „anblasen“ kommt nur hier im ganzen Neuen Testament vor. Es ist ein Wort von kosmischer Dimension: Dem biblisch Geschulten kommt in den Sinn, dass Gott am Beginn der Schöpfung den Menschen formte aus Staub vom Erdboden und dann heißt es: „Gott blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebenden Wesen“ (Gen 2,7) Diese Geste spielt auch auf eine Vision des Propheten Ezechiel an, der eine Ebene voll von Gebeinen sieht. Dann heißt es: „So spricht der Herr: Siehe, ich selbst bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig.“(Ez 37,5). Als spirituelle Menschen gelten somit jene, die vom Hauch Jesu erfüllt sind. Ausgestattet mit diesem Geschenk können sie ein großes Thema in Angriff nehmen: das Thema Schuld. Wie geht die Welt üblicherweise damit um? Dem Täter wird seine Schuld bewiesen und vorgerechnet. Er wird zu einer entsprechenden Strafe verurteilt. Er muss die Schuld abbüßen. Im günstigsten Fall bekommt er Gelegenheit, sie wieder gut zu machen.
Ein anderer weit verbreiteter Umgang mit Schuld klingt so: „Du hast dir das selbst eingebrockt. Jetzt sieh zu, wie du damit zurecht kommst. Ich habe dich gewarnt, du hast meine Worte nicht beachtet, deshalb musst du auch selbst heraus kommen aus der Misere.“
Die Sichtweise Jesu zu Schuld ist anderes, er hat andere Lösungsansätze. Danach baut er eine neue „entschuldete“ Welt auf. Er braucht dazu seinen Anhänger-Kreis. Ihnen erklärt er: „Schuld hat etwas Zwanghaftes an sich. Sie nimmt den Menschen gefangen, sie lähmt ihn, schädigt Beziehungen. Ihr werdet viele Betroffene befreien aus diesen Fesseln. Wenn ihr bestimmte Menschen entlasst aus dem Gefängnis ihrer Schuld, dann sind sie tatsächlich entlassen. Wenn ihr ihnen die Verfehlungen erlasst, dann sind sie die Last los. Damit ist nicht Vergebung von Liste von Sünden gemeint, sondern es ist umfassender zu verstehen: Die Betroffenen werden entlassen aus der Umklammerung. Die Last der angesammelten Schuld will sie mehr und mehr in den Abgrund ziehen. Ihr seid ermächtigt diese Fesseln zu durchtrennen. Wenn ihr allerdings bestimmte Menschen in jener Gewalt lasst, dann bleiben sie in den Krallen der Schuld gefangen. Viele jedoch werden erleichtert sein durch euren Dienst des Schuld-Erlassens. Es liegt ein großes Arbeitsfeld vor euch. Es war mein Arbeitsschwerpunkt, Menschen aus den Sackgassen ihrer Verfehlungen heraus zu holen, künftig seid ihr dran.“ Damit klingt die Begegnung mit dem Auferstanden aus. Es scheint, als sei er genauso plötzlich verschwunden, wie er zuvor aufgetaucht war.
Nun nochmals zurück zu den Bildern aus der Kunst: War sein Auftreten gleißend hell? Triumphierend? Nein, es war eine Begegnung auf Augenhöhe – kurz, aber dicht. Sie war von einer Dichtheit, die sie erst verdauen mussten. Er kündigte einen großen Auftrag an, gab dazu aber keine ausführlichen Erläuterungen. Er knüpfte an seine Mission an, die sie kannten aus der Zeit, als er mit ihnen unterwegs war. Als die kurze Begegnung mit ihm zu Ende ist, spricht er kein Abschiedswort. Er scheint anzudeuten, dass er künftig weiterhin „mit ihnen“ sein würde. Diese Begegnung am „Tag eins“ sollte nicht die einzige bleiben, es sollten noch weitere folgen ... und sie hatten allesamt einen Nachhall, der sie beflügelte, einen Nachhall, der bis heute nicht verklungen ist.
Der strahlende Auferstandene mag für eine breite Volkskirche dienlich sein, die feierliche Rituale haben will. Diese schaffen ein religiöses Gefühl, eine Stimmung. Die enge Gemeinschaft hingegen lebt von mehr. Die Lernenden, die wie Brüder und Schwestern verbunden sind, stärken sich durch die Begegnung mit dem Erweckten. Das ist weit mehr als bloße Mitgliedschaft. Die Verbundenheit mit ihm verleiht ihnen die Kraft ähnliches zu tun wie er und verleiht die Widerstandskraft gegen feindselige Angriffe, gegen den vergifteten Zeitgeist. Diese Kraft haben die ersten Christen bewiesen. Für sie war es entscheidend und wichtig, dass sich ihr Meister nach der dreijährigen Schule neu zeigte. Er trat mit ihnen in Kontakt, wie er es versprochen hatte. Die Feinde hatten ihn in den Tod getrieben, und hatten gehofft, dass damit auch seine Lehre erlöschen würde und seine Anhängerschaft sich zerstreuen würde. Aber sein Tod hat die Beziehung zwischen ihm und seinen Anhängern nicht zerstört, sondern gefestigt. Jesus blieb ihre Leitfigur und er ist es für viele Berufene bis heute.