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18.Juli 2021      16.Sonntag im Jahreskreis

Mehr Zeit für die Mitarbeiter

Markus 6,30-34

Die Apostel versammelten sich wieder bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus! Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber man sah sie abfahren und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an. Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange.

Welch ein großartiger Vorgesetzter! Er holt sich nach Abschluss des Projektes bewusst die Mitarbeiter zusammen, um alles nach zu besprechen. Vermutlich hat ihr eigenständiges Wirken ein paar Wochen gedauert. Nun lädt der Meister ein zur Auswertung. Es geht ihm weniger darum, die Erträge zu überprüfen und abzurechnen, sondern er erkundigt sich ausführlich, wie es jedem einzelnen ergangen ist. „Sie berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten.“ Man beachte die Reihenfolge: 1. Ihre Taten 2. Ihre Reden, die keine Predigten waren, sondern ein Aufklären über Wissenswertes, Vermittlung von etwas wenig Bekanntem, aber fürs Leben Brauchbarem. Das Rückblick Halten miteinander kostet Zeit, hat aber einige Vorteile für die gesamte Mannschaft: Die Teilnehmer erfahren voneinander, wie unterschiedlich die jeweiligen Kollegen dieselbe Aufgabe angegangen sind. Offene Fragen konnten frisch aus dem Tun heraus mit dem erfahrenen Lehrer besprochen werden. Der Unterricht durch Rückschau war praxisnahe, nicht bloß Bücherwissen.

Verbunden war die Nachbesprechung mit einem stärkenden und Gemeinschaft fördernden Essen. Das war typisch für Jesus: Liebe geht auch durch den Magen! Leider wurde die Mahlzeit aber ständig gestört von unangemeldeten Besuchern. Jesus erhob sich wohl selbst als erster von der Tafel, um auf die Anliegen einzugehen. Das nervte die Mitarbeiter, die gerade jetzt den ersten Anspruch auf ihn gehabt hätten. Sie waren es doch, die für ihn und seine Botschaft gearbeitet hatten und daher Anrecht auf seine ungeteilte Aufmerksamkeit hatten. So waren sie empört über die laufende Ablenkung. Aber eine Menschenmenge, die nach Zuwendung hungert, kennt keine Rücksicht und lässt sich nicht disziplinieren. Jesus maßregelte sie nicht, sondern griff zur Selbstschutz-Maßnahme. Er verlangte nach einem Boot und forderte seine Mitarbeiter auf, mit ihm an einen ungestörten Ort zu rudern. Diese Aufforderung gibt das Evangelium in direkter Rede wieder, sodass wir fast die Stimme des Meisters selber hören. Das hören wir sonst eher, wenn er sich an Personen wendet, die von einem Leiden betroffen sind.

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Der Hirt ist bei seinen Schafen, durch ihn finden sie den nahrhaften Weideplatz

Foto: Am Weg nach Emmaus, im Hintergrund Nordrand von Jerusalem.

Jetzt hören wir seine Besorgnis um den engsten Schülerkreis: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind und ruht ein wenig aus!“ Es ist, als würde er aus der aktuellen Lage heraus über alle Zeiten hinweg in eine Zukunft  hinein sprechen und sich sogar noch an seine Mitarbeiter in den kommenden 2000 Jahren wenden. Genau das ist es, was seine Anhänger brauchen – ebenso notwendig wie üblicherweise die Kranken seine Behandlung brauchen. Er fordert seine jetzigen und die künftigen Mitarbeiter auf – also alle, die sich für seine Botschaft einsetzen und einsetzen werden: „Kommt mit! Ich finde für euch einen einsamen Ort, um ein wenig zur Ruhe zu kommen.“ Nicht, dass  er sie an irgendeinen Platz zur Erholung schickte, sondern er ging ihnen dorthin voran. So ruderten sie nur wenige Kilometer weg in eine Ufergegend, wo keine Häuser standen und keine Straße hinführte. Es ist das heutige Tabgha! Es ist tatsächlich eingeschlossen von 2 Felsen, die bis an den See reichen, sodass die Uferstraße gerade dort in einen Bogen ins Landesinnere auswich. Dort bot die Natur eine kleine Oase der Stille – daüber hinaus gab es angenehmes Quellwasser. Einiges entspringt aus dem Boden und einiges sprudelt über einen Felsvorsprung – heute noch ein Genuss zum Duschen im Freien. Das Wasser ist leicht thermal.

Sie hätten sich die Pause verdient und Jesus hätte sie ihnen gerne gegönnt. Aber Menschen-Massen sind eben gnadenlos und versuchen um jeden Preis auf ihr Recht zu kommen. Das erzeugt noch dazu einen sozialen Sog. So berichtet das Evangelium: „Aber man sah sie abfahren und viele erfuhren davon. Sie liefen auf dem Landweg, also zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an.“ Man kann sich vorstellen, dass einige Jünger darüber fast einen Wutanfall bekamen. Jesus musste nun zugleich seine Mannschaft beruhigen und auf das Drängen der Massen eingehen. Üblicherweise werden ungeduldige Massen unter Gewaltandrohung in die Schranken gewiesen (Demonstrationen durch Wasserwerfer oder Tränengas, Flüchtlinge durch Stacheldrahtzäune). Das ist die Linie Jesu nicht.

Der gnadenlose Drang nach Nähe zum Wohltäter verärgerte Jesus nicht, nein, es ging ihm innerlich nahe. Es packte ihn das Mitleid und es wird im Evangelium begründet: „Denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ Ob Jesus seinen Eindruck von hirtenlosen Schafen auch ausgesprochen hat oder ob es spätere Deutung ist, mag offen bleiben. Jedenfalls ist es eine Anspielung auf mehrere alte Bibelworte: Das heftigste Wort ist beim Propheten Ezechiel zu finden. Er entstammt den Priesterkreisen aus Jerusalem um 600 v.Chr. und wird gemeinsam mit führenden Schichten nach Babylonien verschleppt  - angeordnet von König Nebukadnezzar. Der Prophet geht mit den Seelsorgern seines Volkes streng ins Gericht, weil sie ihre Hirtenaufgabe völlig vernachlässigen.

Ez 34,2-15 Menschensohn, sprich als Prophet gegen die Hirten Israels, sprich als Prophet, und sag zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Weh den Hirten Israels, die nur sich selbst geweidet haben. Müssen die Hirten nicht die Schafe weiden? (2) Das Fett verzehrt ihr und mit der Wolle kleidet ihr euch. Das Mastvieh schlachtet ihr; die Schafe aber weidet ihr nicht. (3) Die Schwachen habt ihr nicht gestärkt, die Kranken habt ihr nicht geheilt, das Verletzte habt  ihr nicht verbunden, das Vertriebene habt ihr nicht zurückgeholt, das Verlorene habt ihr nicht gesucht, und mit Härte habt ihr sie niedergetreten und mit Gewalt. (4) Und weil kein Hirt da war, zerstreuten sie sich, und sie wurden zum Fraß für alles Getier des Feldes, als sie zerstreut waren (5) Meine Schafe irren auf allen Bergen und auf jedem hohen Hügel umher und über die ganze Erdoberfläche sind meine Schafe zerstreut. Doch da ist keiner, der fragt, keiner, der auf die Suche geht; niemand suchte sie. (6) Darum Hirten, hört das Wort des HERRN: (7) So wahr ich lebe - Spruch Gottes, des Herrn: Weil meine Schafe zum Raub und meine Schafe zum Fraß für alles Getier des Feldes wurden - denn es war kein Hirte da - und meine Hirten nicht nach meinen Schafen fragten, sondern die Hirten sich selbst geweidet und nicht meine Schafe geweidet haben, (8) darum, ihr Hirten, hört das Wort des Herrn: (9) So spricht Gott, der Herr: Siehe, nun gehe ich gegen die Hirten vor und fordere meine Schafe aus ihrer Hand zurück. Ich mache dem Weiden der Schafe ein Ende. Die Hirten sollen nicht länger sich selbst weiden: Ich rette meine Schafe aus ihrem Rachen, sie sollen nicht länger ihr Fraß sein. (10) Denn so spricht Gott, der Herr: Siehe, ich selbst bin es, ich will nach meinen Schafen fragen und mich um sie kümmern. (11) Wie ein Hirt sich um seine Herde kümmert an jenem Tag, an dem er inmitten seiner Schafen ist, die sich verirrt haben, so werde ich mich um meine Schafe kümmern und werde sie retten von all den Orten, wohin sie sich am Tag des Gewölks und des Wolkendunkels zerstreut haben. (12) Ich werde sie aus den Völkern herausführen, ich werde sie aus den Ländern sammeln und ich werde sie in ihr Land bringen. Ich führe sie in den Bergen Israels auf die Weide, in den Tälern und an allen bewohnten Orten des Landes. (13) Auf guter Weide werde ich sie weiden, auf den Bergen Israels wird ihr Weideplatz sein. Dort werden sie auf gutem Weideplatz lagern, auf den Bergen Israels werden sie auf fetter Weide weiden. (14) Ich, ich selber werde meine Schafe weiden, ich, ich selber  werde sie ruhen lassen - Spruch Gottes, des Herrn. (15)

 

Jesus selbst könnte – 600 Jahre nach Ezechiel – wieder genauso streng ins Gericht gehen. Er könnte das bis heute tun und er tut es nicht. Der Vorwurf an so manche beauftragte Hirten ist zwar unüberhörbar geblieben bis heute, aber Jesus ist weise genug, die Taubheit der Nachlässigen zu kennen. Sie hören die Mahnung nicht. Sie bleiben gerade den Schwach-Gläubigen viel schuldig. Sie machen ihren Dienst nur wegen des Geldes oder aus Geltungsdrang oder aus Gewohnheit, nicht aus Sorge um die Hungrigen. Sie bieten den Menschen nicht Schutz vor dem geistigen Gift, das rundum versprüht wird. Jesus "lehrte sie lange." Wörtlich übersetzt heißt es: "Er lehrte Vieles." Das heißt seine Lehrthemen sind vielseitig, sie umfassen viele Lebensbereiche, sodass jeder das Seine herausnehmen kann.  Der pastorale Dienst besteht darin, lebensbrauchbares Wissen zu vermitteln, Wissen, das anwendbar ist in schwierigen Lebenslagen. Die Anvertrauten sollen eine Weisheit erlernen können, die sich bewahrheitet. Man muss sie dem Vortragenden abnehmen, weil er sie selbst im Leben anwendet.

Die künftige Jesus-nahe Kirche wird den Hunger nach dem Wort stillen, ein Wort das tröstet, das aus der Orientierungslosigkeit heraus hilft, das dazu ermutigt, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, ein Wort das reinigt und die Mitglieder untereinander verbindet.

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