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18.Mai 2025      5.Sonntag der Osterzeit

Ein neues Gebot gebe ich euch

Joh 13,31-33a.34-35

Als Judas von Mahl hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht.   Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen und er wird ihn bald verherrlichen. Meine Kinder, ich bin nur noch kurze Zeit bei euch. … Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.

Dieses Jesus-Wort ist äußerst kurz und klingt recht allgemein: „Liebt einander!“ Na, was denn sonst?, könnte man einwenden. Nur wenn wir die Umstände mitbedenken, unter denen er die Worte ausgesprochen hat, gewinnen sie ihr rechtes Profil: Sie sind sein Testament, seine letzte Verfügung. Es ist, wie wenn ein Familien-Vater seine Lieben noch ein letztes Mal  um sich versammelt, bevor er weiß, dass er in Kürze stirbt. Deshalb sagt er auch „Kinder!“ Dass Jesus sein Hinscheiden so präzise voraus ahnt, das ist schon bemerkenswert. Noch dazu stellt er es als „Glorie“ dar: „Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht“. Er sieht sich damit am „Siegespodest“ stehen, obwohl es eine schreckliche Ermordung wird. Kurz bevor das geschieht,  spricht er also seinen letzten Willen aus. Derjenige hat den Raum gerade verlassen, der sich diesem Willen nicht fügen will – Judas. Der scheint einen anderen Plan zu haben. Will er seinen Meister zu einer „anderen Glorie“ führen, so wie er sich das selber vorstellt? Warum er Jesus ausliefert, bleibt wohl für immer ein Rätsel. Jedenfalls hat nun Jesus seine spirituelle Familie um sich geschart und er sagt zu ihr fast feierlich: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander!“

Da könnte man einwenden: Was ist an dem Gebot neu? Hat er nicht ständig die Nächstenliebe gepredigt? Außerdem: Kann man denn Liebe verordnen? Man könnte vermuten, das Wort „Gebot“ sei hier ungenau übersetzt. Sollte es nicht heißen: „Empfehlung“ oder „mein Wunsch“. Kann Liebe als Vorschrift ausgegeben werden, wie die 10 Gebote? Offenbar „Ja!“, denn Paulus verwendet dasselbe Wort „Gebot“ (= griechisch ENTOLE), wenn er von den bekannten Geboten spricht: „Denn die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren!, und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Röm 13,9)  Wenn Jesus gebietet: „Liebt einander!“, dann meint er keineswegs nur das Sympathie-Empfinden für einander. Das käme aus der Gefühlsebene und ließe sich wohl nicht vorschreiben. Jesus meint einen Willensakt, nicht eine Emotion: Jesus meint es etwa so: „Wenn ihr einander liebt, dann  erkundigt ihr euch nach dem anderen, ihr pflegt die Verbindung, ihr äußert eurer Interesse an ihm.

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Eine Gruppe im Boot als Sinnbild für Zusammenhalten. Foto: Schifffahrt am See Genezaret

Dafür kann man sich bewusst entscheiden und es tun. „Achte den anderen, auch wenn du mit seiner Auffassung nicht übereinstimmst. Lasse seine Eigenheit gelten. Versuche seinem Verhalten einen Sinn abzugewinnen. Du musst nicht alles billigen, was er tut und was er sagt, aber du sollst es gelten lassen. Lass die Vielfalt zu.“ Das zu tun, trägt Jesus auf wie eine Vorschrift. „Wenn du dem anderen Versäumnisse vorzuwerfen hast, macht dich nicht zu seinem Richter. Das heißt nicht, dass du seine Fehltritte stillschweigend übergehen sollst, oder dass du seine  Beleidigungen hinunter schlucken sollst. Aber du sollst sie zur Sprache bringen und dann vergeben.“ Diese Grundhaltungen sind erforderlich im Zusammenleben mit all jenen, mit denen man oft zusammentrifft, mit denen man regelmäßig verbunden ist. „Greife zu, wo du die Not des anderen merkst. Biete deinen Hilfsdienst an, wenn du dazu imstande bist. Der andere soll sich nicht allein gelassen fühlen in seiner schweren Stunde.“ Diese Vorschriften sind keine Überforderung, auch kein bloßes fernes Idealbild. Sie sind  zu befolgen und man sollte sie von Zeit zu Zeit wie eine Messlatte an seinen Lebensalltag anlegen, sich prüfen.

 

Der Meister ergänzt den Auftrag: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ Diese Ergänzung des Gebotes ist sehr wohl neu, denn bisher hat es nur die Aufforderung zur Nächstenliebe gegeben: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“.(Mt 5,43)  Dieses Gebot steht schon im Alten Testament, es ist nicht neu im Munde Jesu. Er betont, dass es so „gesagt worden ist“. Dieses Gebot, sich um den Nächsten zu kümmern, ist an alle seine Zuhörer gerichtet.  Das neue Gebot ist im Besonderen an seinen Schülerkreis gerichtet, an die Jünger. Sie sollen sich nicht deswegen daran halten, weil es „gesagt worden ist“, sondern weil sie es selber von ihm erlebt haben. Die Art, wie sie es verwirklichen werden, dafür ist Jesus das Vorbild. Er ist das Modell, das er seinen engsten Vertrauten vorgezeigt hat, an dem sie sich orientieren können. Seit dem Mitgehen mit Jesus hatten sie es sichtbar vor Augen. Sein Schülerkreis hat drei Jahre lang erlebt, wie er sich um jeden von ihnen persönlich gekümmert hat. Er  war zwar ihr Vorgesetzter, ihr Lehrmeister, aber er war nicht einer, der Regeln vorgepredigt hat, sondern einer der sie modellhaft gelebt hat. Er hat jeden dort abgeholt, wo er in seiner Entwicklungsphase gestanden ist. Er hat die Familienverhältnisse jedes einzelnen kennengelernt und hat sich auch dann  weiter dafür interessiert. Er hat jeden in seiner Persönlichkeit gefördert, ihn liebevoll herausgefordert und ihm etwas zugetraut. Das hat Reifungsprozesse in Gang gesetzt, also eine Entwicklung angestoßen, die nur die Kraft der Liebe hervorzurufen vermag. Sie waren dafür höchst dankbar und haben die Dankbarkeit am Schluss so ausgedrückt: „Wenn ich mit dir sterben müsste, ich lasse dich nicht im Stich.“ Dass sie nach seinem Aushauchen Jahrzehnte lang das weiter verbreitet haben, was sie mit ihm erlebt haben, würden sie wohl so begründet haben: „Das war ich seiner Liebe schuldig.“ Wörtlich übersetzt heißt es nicht: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt ihr einander lieben“, sondern: „Ich habe euch geliebt, damit auch ihr einander liebt“

 

Gut, das mag zutreffen für jene, die ihn noch persönlich gekannt haben in den Jahren zwischen 27 und 30 n.Chr. Diese Gunst haben wir Heutigen nicht mehr. Wer hat schon annähernd das erfahren: „… wie ich euch geliebt habe.“ Trotzdem ist die Frage entscheidend für alle, die sich engagieren im Sinne des Evangeliums: Habe ich SEINE Zuwendung erlebt, SEINE Herausforderung, SEINEN Zuspruch? Wann? Wurden meine Lebensweichen von ihm liebevoll begleitet? In welchen Fügungen? Haben die heutigen geistlich Beauftragten das so erfahren wie die damaligen? War es so reichlich, dass sie es seiner Liebe schuldig sind? Haben sie seine Liebe so ausgiebig erlebt, das sie die Liebe an andere weiter zu geben fähig sind? Wer sorgfältig zurück denkt, wird zugeben müssen, dass er oder sie im Dienst Jesu viel Liebe erfahren hat – Liebe in reichem Maß, gerade weil er/ sie im Auftrag Jesu tätig war. Wer die Botschaft Jesu verkündet, ob in der Liturgie oder im Unterricht oder im caritativen Dienst, der wird wertgeschätzt  und diese Wertschätzung ist Jesus zu verdanken. Somit gilt auch den heutigen Jüngern: „... wie ich euch geliebt habe“

 

„Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid ...“  Woran sollten Christengemeinschaften erkennbar sein? Was sind die Bindekräfte, die ihren Zusammenhalt sichern? Ist es die Teilnahme am Gottesdienst? Oder die gewissenhafte Einhaltung der Gebote? Oder die unbedingte Loyalität und der Gehorsam gegenüber der Kirchenführung? Stellen wir Vergleiche an zu anderen Vereinigungen: In einem Fußballverein sind die Mitglieder verbunden durch die sportliche Betätigung, durch den Kampfgeist, durch das Streben nach Siegen. In Wirtschaftsunternehmen hält die Entlohnung die Mitarbeiter zusammen, je mehr Geld, desto mehr Verantwortung und Ehrgeiz, dass die Gewinne gesteigert werden. Eine politische Partei verfolgt ihr gesellschaftliches Engagement etwa, indem sie für den Umweltschutz eintritt oder sich den Patriotismus auf die Fahnen heftet.

 

Von daher können wir ernsthaft fragen: Was hält die Nachfolgegemeinschaften Jesu innerlich zusammen? Was ist ihre Motivation, ihre Antriebskraft? Die Antwort klingt so einfach, dass sie von manchen belächelt wird: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ Die Spötter können sagen: „Ihr mit eurer großen Liebe, was könnt ihr denn schon bewirken in der Welt? Ist das alles, was ihr zu bieten habt?“ Entgegen solcher Verspottung ist es genau das Geheimnis: Der Fortbestand von Christenkreisen ist gesichert, wenn die Mitarbeiter in achtsamer  Weise zusammenhalten. Das wird die Triebkraft für den Zukunftsweg sein: Dass sich die Mitarbeiter gegenseitig wertschätzen, dass sie einander in Not beistehen, dass sie Kränkungen ausreden und verzeihen und dass sie  sich in der persönlichen Entwicklung anspornen. Das ist das „Gebot“ der Stunde. Übrigens: Das Wort „Gebot“ heißt im griechischen Originaltext ENTOLE. Darin ist das Wort TELOS enthalten, es bedeutet „Ziel“. Somit ist ein Gebot eine „Zielvorgabe“.

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Mag. Martin Zellinger              Bibeltheologe, Reiseleiter & Eigentümer Lester Hof

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