21. Juni 2020
12.Sonntag im Jahr.kr.
Bekennermut
Was wir diesmal hören, stammt aus der zweiten von den fünf großen Reden, die Matthäus gestaltet und über sein Evange-lium gleichmäßig verteilt hat. Den Anfang dieser 2. Rede haben wir vorigen Sonntag gehört: „Dringend sind sie nötig, die Arbei-ter für die Ernte!“ In dem jetzigen Redeabschnitt bittet Jesus dreimal seine Mitarbeiter, sich nicht zu fürchten bei der Verbrei-tung der Guten Nachricht, sondern Bekennermut zu beweisen. Sein Wort gipfelt in der Aufforderung: „Legt ein mutiges Be-kenntnis zu mir vor den Menschen ab.“ Am darauffolgenden Sonntag hören wir den Abschluss der Jüngerrede: „Wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es finden.“ Wer sich auf Jesus damals entschieden eingelassen hat, dem wurde also nicht das Paradies auf Erden versprochen, sondern er wurde vorgewarnt: Seid darauf gefasst, dass ihr in Bedrängnis kommen werdet. „Jeder, der sich nun vor den Menschen zu mir bekennen wird, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.“ Jesus spricht das als zukünftig aus (Das Wort „bekennen“ steht im Futurum): "Sollte also jemand in Zukunft gefragt werden, ob er zu mir gehört, und wenn er es freimütig zugeben wird, dann hat er die Sicherheit, dass auch ich vor der höchsten Autorität meine Verbundenheit mit ihm bestätigen werde. Jeder kann sich darauf verlassen: Ich bin es, der verlässlich zu ihm stehen wird."
Matthäus 10,26-33
Bithynien und Pontus waren nur 2 von vielen römischen Provinzen, wo sich Christen mutig zum "Namen Jesus" bekannten. Viele bekamen aber auch Angst und verleugneten den Namen.
Diese Worte spiegeln nicht so sehr die Umstände zu Lebzeiten Jesu und seiner Schüler damals wider als vielmehr die Bedrohung der Gemeinden zur Abfassungszeit des Evangeliums. Etwa 50 Jahre nach dem Wirken Jesu hatten sich die Konflikte in 2 Richtungen zugespitzt: 1. Gegenüber der großen Mutter-Religion, dem Judentum 2. Gegenüber den staatlichen römischen Behörden. Matthäus schreibt für Betroffene, für Gefährdete. Die Gemeinde-Mitglieder in führender Stellung mussten auf der Hut sein, dass sie nicht irgendjemand vor dem römischen Staat anzeigte. Dann kamen sie vor ein Gericht und wurden befragt über ihr Bekenntnis. Der „Name Jesus“ selbst und das Geständnis „Ich bin Christ“ waren Grund für eine Verurteilung: Daraufhin konnte der gesamte Besitz enteignet und in die Staatskasse übergeführt werden, die Person konnte auf eine Insel verbannt werden, wo es keine Verpflegung gab, im äußersten Fall konnte der Bekenner zum Tod verurteilt werden wegen Majestätsverletzung und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Die Gemeinde-Mitglieder in niederer Stellung, die wenig besaßen, bekamen es mit den strenggläubigen Hütern ihrer Stamm-Religion zu tun, dem Judentum. Sie wurden aus der Synagoge ausgeschlossen, nur weil sie diesem „falschen und häretischen Messias Jesus“ folgten. Sie wurden von ihren eigenen Verwandten und Nachbarn angefeindet, weil sie sich dem „neuen Weg“ angeschossen hatten. Beide Betroffene in den Gemeinden bittet Jesus im heutigen Evangelium dreimal: „Lasst euch nicht aus der Fassung bringen. Fürchtet euch nicht.“
Die Gute Nachricht nimmt zwar ihren Anfang in kleinen privaten Hauskreisen, unbemerkt von der Öffentlichkeit. Aber irgendwann kommt der Augenblick, dass es auffliegt. Jemand versucht der kleinen Gruppe zu schaden und behauptet: „Die haben sich bewusst im Dämmerlicht getroffen. Die haben sich heimlich eine Lehre zugeflüstert, die irreführend und gefährlich ist. Die treffen sich im Namen des Jesus.“ Jesus hatte schon zu Lebzeiten diese menschlich-soziologische Wahrheit vertreten: „Nichts ist verhüllt, das nicht enthüllt wird.“ Jesus versuchte schon vorausschauend seinen Lernenden klar zu machen: Ihr steht unter einem besonderen Schutz des Schöpfers. Die Antriebskraft der Evolution ist um jedes Lebewesen des Kosmos besorgt: Um die minderwertigen Spatzen in Geäst der Büsche genauso wie um jedes Menschenkind am Erdball. „Euer Vater“ – so nennt Jesus den wohlwollenden Schöpfungsursprung – hat alle Bauteile eures Körpers im Blick. Heute könnten wir sagen: Er überwacht jede Körperzelle, jeden Herzschlag, jeden Nervenimpuls, sämtliche Gehirnströme. „Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt.“ Im Griechischen klingt hier das Wort „Arithmetik“ an. Wer mit „diesem Vater“ vertraut geworden ist, den kann nichts erschüttern, der braucht sich vor nichts zu fürchten.
Im Jahr 81 n.Chr. kam Kaiser Domitian an die Macht, das könnte mit der Abfassungszeit des Matthäus-Evangeliums übereinstimmen. Domitian hielt sich selbst für den größten Staatenlenker aller Zeiten. Er ließ sich verehren als „unser Herr und Gott“ – dominus et deus noster. Es war erstmals, dass ein Kaiser sich auf Münzen mit göttlichen Attributen abbilden ließ: mit dem Blitz des Gottes Jupiter. Jeder, der ihm widersprach, wurde aus dem Weg geräumt: oppositionelle Politiker, Philosophen, Gläubige, die zu einen anderen als zu Domitian als ihren Herrn und Gott aufschauten. Im Jahr 96 n.Chr. erfolgte seine Ermordung aus dem inneren Kreis am Hof. Der römische Schriftsteller Plinius verabscheute ihn als „Bluthund“. Der Nachfolge-Kaiser Nerva stellte die gerechte Ordnung wieder her, ließ „Verbannte“ wieder heimkehren, ließ beschlagnahmten Besitz rückerstatten und ließ Sklaven hinrichten, die ihren Herrn damals denunziert hatten. Das bewirkte auch ein Aufatmen im erst 70 Jahre jungen Christentum.
Trotzdem hielt sich in politischen führenden Kreisen ein gewisser Verdacht, Christen würden im Dunklen agieren und sie könnten eine staatsgefährdende Bewegung sein. Die Bevölkerung im Land wusste, dass „Christ zu sein" ein Straf-Tatbestand war. Der „Name selbst“ war Grund, vor Gericht gestellt zu werden. Der lateinische Fachausdruck lautete: „nomen ipsum“. Es ist uns der Briefwechsel zwischen dem Sonderbeauftragen der Provinz Bithynien-Pontus (heutige Nordtürkei) und dem Kaiser Trajan (dem übernächsten Kaiser nach Domitian) aus dem Jahr 112 n.Chr. erhalten. Der Bevollmächtigte schreibt nach Rom: „Vorläufig habe ich bei denen, die mir als Christen angezeigt wurden, folgendes Verfahren angewandt: Ich habe sie gefragt, ob sie Christen seien. Wer gestand, den habe ich ein zweites und drittes Mal gefragt, wobei ich ihnen die Todesstrafe androhte. Die dabei blieben, habe ich befohlen abzuführen. Denn ich zweifle nicht, dass, was immer sie vorbringen mochten, als Eigensinn und unbeugsame Halsstarrigkeit bestraft werden müssten. Es gab andere, dem gleichen Wahn Befangene, die ich, weil sie römische Bürger waren, zur Überführung nach Rom vorgemerkt habe. ... Auch eine anonyme schriftliche Anzeige, die die Namen von vielen Leuten enthielt, wurde mir zugeleitet. Diejenigen, die leugneten, Christ zu sein oder gewesen zu sein, glaubte ich, freilassen zu müssen. Denn sie haben die Götter angerufen mit Worten, die ich ihnen vorgesprochen habe. Zu diesem Zweck habe ich dein Bild und Statuen der Götter aufstellen lassen und davor mussten sie Weihrauch und Wein opfern. Gleichzeitig mussten sie Christus verfluchen. Andere in der Anzeige Genannte sagten, sie seien Christen und widerriefen es bald darauf.“
Für diese Schwankenden schreibt Matthäus: „Wer aber mich vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.“ Jesus droht damit keine Bestrafung an, schon gar nicht eine Verdammung, aber es ist ein klares Wort.
Betrifft uns Heutige im christlichen Europa dieses Wort noch? Wir können unbehelligt sagen: „Ich bin Christ. Ja, ich stehe dazu.“ – Das wird keinen in Gefahr bringen. Anders wird das schon, wenn man Haltung zeigt. Wir leben in einer Welt, die immer auf eigenen Vorteil bedacht ist. Dies ist zur gesellschaftlichen Doktrin geworden: „Mein Land, meine Sicherheit, mein Vergnügen.“ Wer jedoch auf das Wohl anderer achtet, vielleicht sogar auf das Wohl von Leuten, die gering geschätzt werden, die nach der Meinung vieler gar nicht hier her gehören, wer mit solchen eine gute Beziehung pflegt, gerät ins Zwielicht. Er wird befragt: „Kümmerst du dich wirklich um solche?“ Wer da ein Bekenntnis ablegt, ist mutig. Für ihn wird der Messias vor dem Allmächtigen sein Wort einlegen. Zum Abschluss noch ein Satz aus dem 1.Petrus-Brief, der wahrscheinlich auch in der oben beschriebenen Zeit abgefasst wurde: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt. Antwortet aber bescheiden und ehrfürchtig.“ (1 Petr 3,15) Christlicher Bekennermut braucht also nicht laut und vorschnell zu sein. Man braucht erst auf Fragen zu antworten, dann aber ohne Umschweife und in aller Bescheidenheit.