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23. Feb 2020

7.Sonntag im Jahreskreis

Feindesliebe

Mt 5,38-48

„Feindesliebe“ gilt als das Thema, in dem sich das Christentum von allen anderen Religionen und Philosophien abhebt. Wer aber auf Wikipedia darüber nachliest, wird staunen, wie weit verbreitet sie in der Menschheitsgeschichte als Ideal war. Einer hat sich bis zur letzten Konsequenz auch selber daran gehalten: Jesus. Hören wir, was er darüber sagt – überliefert von Matthäus.

"Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Das ist euch seit Generationen eingebläut worden: Wer jemanden anderen einen Schaden zugefügt hatte, der musste es mit demselben Schaden büßen - nicht weniger, aber auch nicht mehr. (Recht sinnvoll ist das zwar nicht, Wiedergutmachung wäre nutzbringender, aber es ist ein altes Gesetz.) Daraus geht hervor, dass man etwas Böses nicht hinnehmen soll, sich nichts gefallen lassen braucht.

Nun bin ich es (das "ich" ist betont), der euch sagt: Widersetzt euch nicht dem Bösen. Kämpft nicht dagegen an." Man könnte nun fragen: Was hat Jesus gemeint mit "dem Bösen" - die böse Tat oder den Übeltäter? Der Original-Text lässt es offen. "Euch" steht jedenfalls nicht im Text (der euch etwas Böses antut). Jesus kann gemeint haben: Ihr sollt nicht gegen das Böse, das Schlechte, das Schädliche ankämpfen. Oder er wollte die von ihm Lernenden davor abhalten, gegen jemanden loszugehen, der etwas Böses verübt hat, der jemandem Schaden zugefügt hat. Wenn wir den nachfolgenden Satz einbeziehen, dann ist es eindeutig: Jesus meint den Täter: „Versucht nicht, dem Übeltäter Widerstand zu leisten." Nun führt Jesus vier Beispiele an.

1. Beispiel: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin!" Um dahinter zu kommen, wie er das wohl meint, können wir es inszenieren. Das macht Spaß und klärt gleichzeitig auf. Die zwei Darsteller stehen sich gegenüber, vielleicht der Täter etwas erhöht. Meistens landet die Hand beim ersten Versuch auf der linken Wange. Wenn der Leiter darauf hinweist, dass aber die rechte Wange getroffen werden soll, versucht er es mit der linken Hand, obwohl er Rechtshänder ist. Erst beim dritten Versuch wird klar, dass es nur passt, wenn der Täter mit dem Handrücken, statt mit der offenen Hand die Ohrfeige erteilt. Dies ist mehr eine Erniedrigung als eine Gewalttat. Jesus lehrt also: „Es beginnt meist mit Herabsetzung, nicht mit der brutalen Gewalt. Wenn dich einer so angeht, lass dich nicht hinreißen, dass du zurückschlägst - womöglich heftiger - denn damit beginnt sich die Spirale der Gewalt zu drehen. Nein, überrasche den Täter mit einer Geste, mit der er nicht rechnet. Halte ihm die andere Wange hin. Damit forderst du ihn heraus und schreckst ihn gleichzeitig ab: Will er wirklich ein Gewalttäter werden und offen zuschlagen? Nein, er wollte nur zeigen, wie abschätzig er mit dir umgeht. Versuche nicht auf die alte, übliche Art, deine Ehre zu retten, indem du dir sagst: >Das lasse ich mir nicht gefallen, das gebe ich ihm zurück<. Indem du ihm die andere Wange hinhältst, zeigst du ihm deine persönliche Stärke und spiegelst ihm gleichzeitig seine Art der Entwürdigung. Du sicherst deine Würde mit dieser >kreativen Provokation<, auf die er nicht gefasst ist. Damit bringst du eine neue Dynamik in Gang.“

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Wir sind vom Taubental aufgestiegen zu den Arbel-Felsen. Dort hat  König Herodes einige jüdische Familien umbringen lassen, die sich in Höhlen versteckt hatten. Wir fragen uns: Wie steht Jesus zum Thema "Gewalt"? Welche Lösungswege schlägt er vor? So stellen wir dar, was er meint mit: "Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann ..."

2. Beispiel: "Angenommen, du konntest einem reichen Grundbesitzer nicht alle Schuld bezahlen und nun will er dich pfänden lassen und er stellt dich deshalb vor den örtlichen Richter. Er sieht, dass du ein schön gewebtes Unterkleid trägst. Das will er dir wegnehmen. Lass dich nicht dazu hinreißen, ihn dafür vor dem ganzen Gerichtssaal zu beschimpfen. Nein, tue das Gegenteil: Händige ihm demonstrativ dein langes Kleidungsstück aus und dann überreiche ihm gleich dazu noch feierlich deinen Mantel, den weiten Umhang, den du im Notfall wie einen Schlafsack benützen kannst, wenn du kein Bett hast. Es ist ihm zwar von Gesetz wegen nicht erlaubt, den Mantel zu nehmen, den darf er gar nicht pfänden. Durch deine Geste bringst du ihn in große Verlegenheit und zeigst seine rücksichtslose Habgier auf. Vielleicht löst es sogar Gelächter im Gerichtssaal aus. Er macht sich zum Spott. Kann sein, dass er dir verärgert beides zurück wirft: das lange Hemd und den Mantel. Er wird sich möglicherweise sogar künftig davor hüten, so etwas nochmals zu tun, um sich eine weitere Blamage zu ersparen.“

3. Beispiel: „Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm!" In diesem Satz sind 2 Wörter enthalten, die eindeutig auf römische Soldaten hinweisen: "Zwingen" und "Meile". Das Wort für "zwingen" ist im griechischen Original-Text ein militärischer Fachausdruck, der nur zweimal im gesamten Neuen Testament vorkommt (Das zweite Mal bei Simon von Zyrene – Mk 15,21) Er besagt: Die Besatzungsmacht kann jeden Beliebigen aus der Landbevölkerung zu einem Dienst "zwingen" , wie etwa schwere Gerätschaften schleppen helfen oder einen unbekannten Weg vorausgehen. Für so einen Fall gaben die Zeloten die Parole aus (Sie waren die nationale Freiheits-Partei): >Nütze jede Gelegenheit, um einen ausländischen Soldaten umzubringen. Führe ihn in einen Hinterhalt und überwältige ihn.< Jesus riet in Gegensatz dazu, Feindbilder abzubauen: „Während du die eine Meile mit ihm gehst, versuche mit ihm ins Gespräch zu kommen - von Mensch zu Mensch - (du wirst feststellen, dass er auch eine Mutter hat wie du), nach einer Zeit wirst du gar nicht merken, dass du zwei Meilen mit ihm gegangen bist." "Meile" ist das zweite Wort, das auf Römer hinweist, denn Juden maßen Entfernungen mit "Stadien".

4. Beispiel: „Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab!" Wie ist das gemeint? Wem soll ich geben? Was soll ich ihm geben? Wieviel? Wie oft? Wo sind die Grenzen, um nicht ausgenützt zu werden? „Geld erhofft sich ein Bettler, er wird schon mit einem Bruchteil von dem zufrieden sein, was du gerade am Markt ausgegeben hast. Zeit, Zuhören und Mut-Zuspruch braucht ein Verzweifelter, er wird dir ewig dankbar sein, dass du ihm genau in dem Augenblick Gehör geschenkt hast. Spontanes Zupacken braucht einer, der um Hilfe schreit, er fühlt sich danach nicht mehr allein gelassen und beruhigt sich. Erste Hilfe braucht ein Verletzter, der nur noch röchelt. Dazu musst du kein Notarzt sein und kannst dennoch Leben retten. Ja, wer dich überraschend bittet, dem gib rasch und entschlossen. Wenn du dein Herz erweichen lässt, dann tue es keinesfalls bitter oder widerwillig, sondern mit Fröhlichkeit. Wer von dir borgen will, ist wohl in einer Zwangslage, und er wendet sich an dich, weil er weiß, dass du die nötigen Mittel hast. Du wirst dich selber damit nicht in Armut stürzen, ihm aber hilfst du über die Runden“. Mit diesen Weisungen erwartet Jesus nicht, dass du von einem Bettler zum anderen gehen und jedem etwas spenden soll. Jesus sagt ausdrücklich: "Wer dich bittet …" - und das sind nur Gelegenheiten hin und wieder.


 

In einer weiteren Lehreinheit sagte Jesus: „Ihr habt immer wieder gehört: >Du sollst dich um den unmittelbar Nächsten kümmern. Um den sollst liebevoll besorgt sein. Um deinen Feind hingegen sollst du mit Abscheu einen großen Bogen machen. <. Der erste Teil steht wörtlich so im Buch Levitikus: >Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der HERR.< (Lev 19,18). Vielfach wurde dieses Schriftwort ausgeweitet und abgegrenzt gegen die feindseligen Menschen, was zwar so nicht in der Bibel steht. Aber viele tragen es als Gotteswort vor: Vor feindseligen Menschen sollst du Abscheu haben. Zuwider sollen sie dir sein. Von ihnen sollst du dich abwenden. Jetzt komme ich und sage euch, die ihr von mir lernen wollt: Seid um die liebevoll besorgt, die sich euch gegenüber feindselig verhalten. Ihr sollt für sie vor Gott eintreten. Wenn ihr Gott preist für seine schützende Hand, dann übergebt auch diese Menschen, die euch feindselig gesinnt sind, in seine Obhut. Bittet um Gottes Wohlwollen sogar für solche, die euch nachstellen und hinter euch her sind, um euch zu schaden. Ihr sollt das deshalb tun, damit ihr Söhne und Töchter eures Vaters im Himmel werdet. Es soll ein Geschwisterkreis entstehen und sich über die Erde ausbreiten, der ihn zum Vater hat, ihn, der bewirkt, dass täglich neu ein sonnigen Morgen anbricht – über Gute und Böse gleichermaßen. Er bewirkt auch, dass das lebenspendende Nass herunter regnet sowohl über solche, die dem Plan Gottes entsprechen, als auch über solche, die sich ihm widersetzen. Wenn ihr nämlich nur um die besorgt seid und mit denen ihr ein freundliches Verhältnis pflegt, welcher Belohnung bekommt ihr dafür? Welcher Siegespreis steht euch dafür zu? Eine gute Beziehung zu pflegen zu den Wohlgesonnen, das tun auch die Leute aus der Geldwelt, die auf unsaubere Weise reich geworden sind. Wenn ihr nur eure Gesinnungsgenossen willkommen heißt und ihnen wertschätzend begegnet, was tut ihr dabei Außergewöhnliches. Damit hebt ihr euch nicht ab, von der üblichen Vergnügens-Gesellschaft, wie sie in der Völkerwelt rundum üblich ist. So machen es auch die Volksgruppen, die nicht zum Gottesvolk gehören.“

Matthäus schließt die Lehreinheit ab mit einem zusammenfassenden Satz: „Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“ So wird es meist übersetzt und es verleitet dazu, darunter eine Perfektion, eine Mustergültigkeit zu verstehen, aber im Original-Text ist nicht von „Vollkommenheit“ die Rede, sondern vom „Ziel“ (griechisch TELOS). Es liegt eine Betonung auf dem „Ihr“: „Ihr seid es in erster Linie, die so hohe Ziele verfolgen sollen“. Jesus wünscht sich nicht Tadellose, Perfekte, sondern Ziel-Strebige. Dasselbe gilt für den Vater im Himmel: Er wird nicht der >Vollkommene< genannt, sondern der >Vollendete<, er ist das >Ziel<.

Feindesliebe ist ein hoher Anspruch – das scheint dem Menschheits-Lehrer Jesus klar zu sein. Unter „Feind“ ist nicht einer zu verstehen, der uns durch Krieg bedroht. Es ist viel alltäglicher gemeint: ein feindseliger Mensch oder gar ein Mitmensch, der sich feindselig benimmt. Das kann hin und wieder sogar in der Partnerschaft vorkommen. Darauf gleich aufgebracht zu reagieren und sich nichts gefallen zu lassen, ist nicht der weise Weg Jesu. Dieser ist nur nach und nach erlernbar. Wer ihn sich zu Eigen machen will, wird viel üben müssen, Rückschläge erleiden, sich prüfen und verbessern. Wer Erfolge erlebt mit dem Entfeindungsprogramm Jesu – auch nur kleine Erfolge, der wird das Ziel nicht mehr aus den Augen verlieren wollen. Wer erfahren hat, dass es sich auszahlt, der wird mitgestalten an dem Modell, das unsere Welt so dringend nötig hat.

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