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28.März 2021      Palm-Sonntag

Leidensgeschichte: Thema "Judas"

Markus 14,1–15,47

Judas Iskariot, einer der Zwölf, ging zu den Hohepriestern. Er wollte Jesus an sie ausliefern. Als sie das hörten, freuten sie sich  und versprachen, ihm Geld dafür zu geben. Von da an suchte er nach einer günstigen Gelegenheit, ihn auszuliefern. Mk 14,10-11

Die ganze Leidensgeschichte hier ausführlich zu besprechen, würde den Rahmen sprengen. Wir beschränken uns auf eine Schlüsselfigur, auf Judas – aus mehreren Gründen: 1. Er ist für viele ein spannendes Thema. 2. Er wird in der neuen, revidierten Einheitsübersetzung (Ausgabe 2017) nicht mehr der „Verräter“ bezeichnet, sondern „der Jesus ausliefert“. 3. Er wird häufig einseitig dargestellt, entweder verdammt oder verharmlost.

Wir wollen beleuchten, was wir aus den Evangelien über ihn wissen können. Darüber hinaus versuchen wir seinen Werdegang zu verfolgen und daraus Haltungen abzuleiten. Letztlich wollen wir aber nicht bei seiner Figur des Judas stehen bleiben, sondern hinsehen, wie Jesus mit ihm umgeht.

Wie Judas und Jesus zusammen gefunden haben, wird uns in den Evangelien nicht berichtet. Von einigen anderen seiner Schüler ist es uns überliefert – nämlich den sechs Erstberufenen Simon, Andreas, Jakob, Johannes, Philippus, Natanael. Siehe Joh 1,35-50 oder Mk 1,14-20. Bei Judas können wir nur Vermutungen anstellen, die sich aber hinterher bestätigen werden, wenn wir sein Schlussverhalten beobachten. Judas scheint erst ein paar Wochen nach den ersten Sechs zum Schülerkreis Jesu gestoßen zu sein.

Antike Treppe in Jerusalem vor der Hahnenschrei-Kirche: Auf ihr muss Jesus zur Nacht-Verurteilung abgeführt worden sein, als ihn Judas den Hohepriestern ausgelieferte.

Treppen bei Hahnenschrei 1a web.JPG

Vermutlich war es in Jerusalem beim ersten Pascha-Fest, das Jesus mit seinem beginnenden Schülerkreis besuchte. Jesus trat damals mit Entschiedenheit am Tempelplatz auf und jagte die Händler und Geldwechsler hinaus. Nach Darstellung des Markus-Evangeliums ereignete sich dies am Ende des Wirkens Jesu, unmittelbar vor seinem Leiden,  nach Aussage des Johannes-Evangeliums jedoch am Beginn des Wirkens (was der historischen Tatsache eher entspricht). Wir können annehmen, dass Judas das kraftvolle Einschreiten Jesu gegen die Missstände beobachtet hat und von da an glühend begeistert war von dem neuen und mutigen Meister. Die Überlegenheit Jesus gefiel dem Judas. An der Seite Jesu nach oben zu kommen, war wohl sein Traum. Er wird sich von der Strahlkraft Jesu so angezogen gefühlt haben, dass er von sich aus an ihn heran getreten ist und ihn gebeten hat, er möge ihn als Schüler annehmen. Aus einem Nachsatz zur Tempelreinigung, der etwas verschlüsselt klingt, könnte man das ableiten: „Während Jesus zum Paschafest in Jerusalem war, kamen viele zum Glauben an seinen Namen, da sie die Zeichen sahen, die er tat. Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an, denn er kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen; denn er wusste, was im Menschen war.“ (Joh 1, 23-25) Vielleicht gehörte Judas zu denen, die von sich „ein Zeugnis“ abgaben, die sich gut darboten und Jesus zu einer Aufnahe drängten. Wenn es hier heißt: Jesus wusste, „was im Menschen war“, dann hat das nichts mit Vorbestimmung zu tun. Der Mensch war bei Jesus nicht von vornherein abgestempelt, sondern im Gegenteil: Trotz seiner Vorprägung, die Jesus rasch durchschaute, gab er dem Menschen die Gelegenheit, an der Seite des Meisters zu lernen, ernsthaft an sich zu arbeiten und Fortschritte zu machen.

 

Judas hat den Beinamen Isch-Kariot. Das kann bedeuten: „der Mann aus der Stadt“ oder „der Mann aus Kariot“. Mit „der Stadt“ wäre Jerusalem gemeint. Kariot hingegen wäre eine Stadt 60 km östlich von Jerusalem (östlich vom Toten Meer und unweit der Herodes-Festung Machärus im heutigen Jordanien). Im Unterschied zur Herkunft des Judas stammen die meisten aus dem Zwölferkreis aus Galiläa (Kafarnaum, Betsaida, Kana …) Die Städter fühlten sich denen vom Land Galiläa überlegen, weil sie die weniger Gebildeten waren. Das könnte sogar Anlass für Spannungen im Zwölferkreis gegeben haben.

 

Jesu hatte auf das Betreiben des Judas eingewilligt und ihm das Mitgehen erlaubt. Erst viel später gab es die denkwürdige Nacht auf dem Berg, in der Jesus für sich mit der Frage rang: Welche aus dem großen Schülerkreis sollen meine engsten Vertrauten werden? Welche soll ich in den Kreis der Zwölf wählen? Jesus bat den VATER um Rat (Lk 6,12-16) Damals  fiel auch auf Judas die Wahl. Er kam vom erweiterten Schülerkreis in den engeren Kreis der Zwölf.

 

Jesus nannte alle, die in seinen Schülerkreis eingetreten waren, seine Brüder und Schwestern. Einmal blickte er ganz bewusst auf die Lernenden, die im Kreis um ihn herum saßen, und sagte: „Wer in seinem Leben das umsetzt und tut, was Gott an Heilsamen verwirklichen will in der Welt, der ist für mich Bruder und Schwester“ (Vergleiche Mk 3,34f) Judas galt von Anfang an für Jesus als sein Bruder, genauso wie etwa Petrus. Wenn es Spannungen in der Jesus-Gruppe gab, ermahnte sie Jesus: „Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter 4 Augen zurecht.“ (Mt 18,15)   Es  kam vielleicht zu Konflikten wegen der herrischen Art des Judas. Jesus hätte ihn ausschließen können. Stattdessen lehrte er die anderen und übte den Grundsatz: „Nicht urteilen! Verzeihen! Das Urteil überlassen wir der höchsten Instanz– dem Vater!“ Somit hatten die Zwölf ein hartes Übungsfeld innerhalb der eigenen Gruppe – unter den Mitbrüdern

 

„Jesus rief die Zwölf zu sich und sandte sie aus, jeweils zwei zusammen. Er gab ihnen die Vollmacht über die unreinen Geister“ (Mk 6,7) Jesus traute dem Judas genauso wie den übrigen zu, gemeinsam mit einem zweiten, viele Menschen von ihren Zwängen zu befreien. Er gab ihm die Befugnis dazu. Sie zogen aus – zwei und zwei zusammen – und verkündeten: „Kommt zur Einsicht“ Was Judas anderen dringend nahe legte, muss er auch selber getan haben: „Vorfälle bedenken und zur Einsicht kommen“.

 

Schon ein Jahr nach dem ersten Pascha-Fest kam es zu einer Krise im erweiterten Schülerkreis Jesu "Daraufhin zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm umher. Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr weggehen?" (Joh 6,66f) Der Grund für die Krise war das  "Brot". Es war Jesus gelungen, Verpflegung für eine große Menschenmenge von mehreren Tausend versammelten Menschen aufzutreiben, obwohl es zuerst nach wenigen Vorräten ausgesehen hatte. Jetzt erhofften seine Schüler in Jesus den Mann, der die Führung im Land in die Hand nehmen würde – der die Bevölkerung mit Brot versorgen kann.  Aber diese Hoffnung enttäuschte Jesus. Er erklärte ihnen: "Gott hat mich diesem Land nicht als Herrscher sondern als Brot gegeben. Ihr müsst mich als Nahrung nehmen, dann beginnt euer Leben zu einem erfüllten Leben zu werden. Darüber murrten viele. Jesus stellte es auch den Zwölf frei, sich von ihm zu trennen. Da ergriff Simon Petrus das Wort und sagte: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes." (Joh 6,68f) Genau an dieser Stelle fügt das Johannes-Evangelium ein rätselhaftes Wort über Judas ein, in dem es schon vorweg nimmt, was erst in zwei Jahren geschehen wird: Judas wird Jesus ausliefern. Er ist ein DIABOLOS - ein Durcheinander-Bringer. Er ist selber gespalten: Einerseits schätzt er seinen Meister sehr hoch, andererseits lehnt er gewisse Prinzipien von ihm ab. Was er ablehnt, ist seine Verweigerung zur politischen Macht zu greifen. Der Grundzug Jesu, sich anderen Menschen zur Verfügung zu stellen, ihnen beizustehen, selber der Diener der Benachteiligten zu sein, dieser Grundzug missfällt dem Judas. Der sanfte Weg sei erfolglos. Judas ist seit Anfang vom Virus der Herrenmenschen infiziert. Dienen ist nicht seine Freude. Trotzdem trennte sich Judas nicht, als Jesus fragte: "Wollt auch ihr weggehen?"  Vielleicht war er dafür zu ehrgeizig, zu stolz, zu selbstbewusst. Vielleicht aber ging er noch einmal in sich und bemühte sich umzudenken.

 

Jesus wird wohl gerungen haben um ihn. Er wird ihm wie einem verlorenen Schaf nachgegangen sein und wird nächtelange Gespräche mit ihm geführt haben. Er wird versucht haben, ihn vom sanften Weg zu überzeugen, dass der langfristig zum Erfolg führe. Der Weg des Meisters sei die Bescheidenheit. „Selig, die sich nicht hinreißen lassen zur Gewalt, um Länder zu erobern. Selig die durch Sanftmut an ihr Ziel kommen, sie werden das Land erben.“ (Siehe Mt 5,5)

Über den Großteil der drei Jahre wird bei Judas die Begeisterung für seinen Meister überwogen haben gegenüber der Ablehnung. Aber dann ist sie doch umgeschlagen in Widerstand. Der Wille, von Jesus zu lernen, hat sich verwandelt in den Willen, ihm Widerstand zu leisten und ihn den Gegnern in die Hände zu spielen. Das war keine Kurzschlusshandlung, sie ist nicht über Nacht entstanden, sondern schleichend.

 

Beim Abendmahl sagt Jesus noch ganz entscheidende Worte. Das Johannes-Evangelium verzichtet darauf, den Verlauf des Mahles zu schildern. Stattdessen beschreibt es eine geradezu unterwürfige Gefälligkeit, die Jesus seinem Zwölferkreis erweist, die Fußwaschung. Anschließend erklärt er ihnen die Geste: „Begreift ihr, was ich an euch getan habe? ... Wenn ich als Meister euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben. ... Wenn ihr das wisst – selig seid ihr, wenn ihr danach handelt. Ich sage das nicht von euch allen.“ Jesus musste also mit Bedauern feststellen, dass er dieses „Selig“ nicht von allen sagen konnte – einer wollte das Selig nicht annehmen. (Joh 13,17) Für das Dienen und für den sanften Weg konnte ihn Jesus nicht gewinnen – gemeint war Judas, aber nicht genannt, nicht bloßgestellt.

 

Wie oft gab Jesus seinen Schülern zu verstehen, dass er keine Selbstbewussten, keine Stolzen, keine Perfekten brauche, sondern Lernfähige, er brauche solche, die Fehler machen und sich Fehler eingestehen und auf Vergebung hoffen. „Werdet wie Kinder, die laufen, die zu Boden fallen, die sich vom Vater aufrichten lassen, die freudig weiterlaufen ...“

Es gehört zu den traurigen Erfahrungen der Menschheit, dass zwei Menschen, die anfangs voneinander glühend begeistert waren, die sich aufeinander voll verlassen konnten, ja sich geliebt haben, ab einem bestimmten Zeitpunkt immer mehr auf Distanz gehen, dass der eine dem anderen Vorwürfe macht, bis schließlich Liebe in Hinterhältigkeit und Misstrauen umschlägt. Das ist zu beobachten unter Firmengründern, Vereinskollegen, Geschwistern und unter Paaren. Die jüdische Lebensweisheit hat das schon früh in der Bibel festgehalten: „Mein Freund, dem ich vertraute, der mein Brot aß, hat die Ferse gegen mich erhoben.“ (Psalm 41,10)

Jesus bezieht sich während des letzten Abendmahls auf dieses tragische Wissen und bestätigt es mit seinem Amen-Wort: „Amen! Das ist wirklich so. Es bewahrheitet sich immer wieder. Auch beim Menschensohn.“ Die fröhliche Mahlrunde um Jesus ist bestürzt und fragt, ob das auch auf ihren Kreis zutreffe. Jetzt spricht Jesus Klartext und doch nicht: „Ja, diese Person stammt aus dem Zwölferkreis! Er taucht mit mir das Brot in die Tunke des Lammbratens. Zwar bleibt dem Menschensohn der Weg nicht erspart, wie er in der ewigen Weisheit vorgezeichnet ist, doch ach-weh um den Menschen, der sich zum Handlanger dafür hergibt. Er bringt über sich einen üblen Ruf, der ihm über Zeitalter hinweg anhaften bleibt. Weh auch um seine Mutter, die ihn geboren hat! Dass aus ihrem Schoß so ein Mensch hervorgegangen ist, könnte sie zur Verzweiflung treiben, aber vor den Selbstvorwürfen soll sie verschont werden. Sie ist nicht mitschuldig.“ Jesus geht hier bewundernswert taktvoll vor. Den Auslieferer nennt er nicht namentlich, er zeigt nicht mit dem Finger auf ihn, sodass keiner die Anspielung durchschaut – außer „dem Jünger, der an der Seite Jesu lag; er war der, den Jesus liebte.“ (Joh 13,23) Für Judas jedoch wäre es die allerletzte Gelegenheit, in sich zu gehen. Er hätte die Warnung verstehen können, dass Jesus sein Spiel längst durchschaut hat. Auch der andere aus dem Zwölferkreis, der schwer versagen wird, Petrus, bekommt von Jesus eine Warnung – nämlich den doppelten Hahnenschrei. Der wird weinend in sich gehen.

Laut Markus-Evangelium sagte Jesus über Judas: „Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre.“ (Mk 14,21) Das klingt aus dem Mund Jesu erschütternd, ja wie ein Fluch. Aber Jesus verflucht niemanden, er bedauert, es schmerzt ihn zutiefst, wenn jemand einen Irrweg eingeschlagen hat. Deshalb müssen wir sein Wort sinngemäß verstehen: Jesus meint nicht die leibliche Geburt, sondern die spirituelle Geburt: „Wenn einer nicht von oben geboren wird, kann er nicht das Reich Gottes sehen“, hat Jesus einem führenden Mann unter den Juden erklärt, dem Nikodemus (Joh 3,3) Vielleicht meint Jesus mit „für Judas wäre es besser ...“, das er nicht aus Ehrgeiz und Stolz den geistlichen Weg einschlagen hätte sollen.

Die Versuche in der Literatur, Judas zu entschuldigen („Man soll den armen Kerl endlich in Ruhe lassen!“), sind für viele nachvollziehbar, für andere gar nicht. Es steht uns weder zu, die Tat zu verurteilen, noch sie reinzuwaschen. Eine Klarstellung ist jedoch dringend nötig: Millionen von Juden sind im Laufe der Kirchen- und Weltgeschichte zu Unrecht mit Judas auf gleiche Ebene gestellt worden. Ihnen ist damit unsägliches Leid zugefügt worden.

Bezeichnend ist, dass die Evangelien sich nirgends ausdrücklich mit der Frage beschäftigen: Wie konnte es soweit kommen? Was waren die Hintergründe seiner Tat? Wie ist sie zu beurteilen? Ist Judas verdammt? Hätte die Sache nicht anders ausgehen können? Scheinbar hielten sich alle an die Weisung Jesu: „Urteilt nicht!“ Das Markus-Evangelium äußert sich nicht einmal darüber, wie Judas geendet hat. Nur Matthäus und die Apostelgeschichte schreiben darüber. Deren Angaben stimmen allerdings nicht überein. Wir gehen hier nicht mehr darauf ein. Es wäre zu umfangreich.

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