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30.Apr. 2023      4.Sonntag der Osterzeit

Sie kennen seine Stimme

Joh 10,1-10

Amen, amen, ich sage euch: Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe. Ihm öffnet der Türhüter und die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus. Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen. Dieses Gleichnis erzählte ihnen Jesus; aber sie verstanden nicht den Sinn dessen, was er ihnen gesagt hatte.

Weiter sagte Jesus zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben nicht auf sie gehört. Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden. Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.

Wir müssen diese Bildrede vom „Zugang zu den Schafen“ in zwei verschiedenen zeitlichen Ebenen verstehen: 1. So wie Jesus sie selbst gelehrt hat. 2. So wie sie der Evangelist Johannes 60 Jahre später vermitteln wollte. Zunächst versetzen wir uns in den Zuhörerkreis Jesu gegen Ende des Jahres 29 n.Chr. Da trug es sich tatsächlich zu – und zwar in Jerusalem – entweder im September am Laubhüttenfest genannt oder im Dezember am Tempelweihfest, das die Juden Chanuka-Fest nannten.

Beim Laubhüttenfest wurde Jesus von einer Gruppe strenggläubiger Juden heftig angegriffen: Ihnen sagte er: „Wenn ihr Kinder Abrahams wärt, würdet ihr die Werke Abrahams tun. Jetzt aber sucht ihr mich zu töten, einen Menschen, der euch die Wahrheit verkündet hat, die ich von Gott gehört habe.“ (Joh 8.3f) „Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Jesus aber verbarg sich und verließ den Tempel. (Joh 8,59) Als er danach einem Blindgeborenen das Augenlicht schenkte, stellten sie alles in Frage und verunsicherten sogar dessen Eltern im Glauben.

Diesen Hütern der Rechtgläubigkeit trägt Jesus die Bildgeschichte vor. Verdient hätten sie eigentlich eine schroffe Entgegnung, aber wir erleben wieder einmal Jesus, wie er geschickt ohne Beleidigung und doch deutlich erwidert. Am Tempelweihfest spielte der Psalm 118 eine wichtige Rolle und darin besonders der Vers: „Dies ist das Tor zum Herrn. Gerechte dürfen hineingehen.“ (Psalm 118,20).

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Hirte bei Betlehem: Er geht voraus und schaut immer wieder zurück auf die Herde

Der Einzug durch das Tor hatte messianischen Beiklang. Könnte sein, dass Jesus diesen Schlüsselsatz aufgriff und damit seinen Gegnern und seinen Anhängern gleichzeitig eine Lehre erteilte. Sie, die sich vor dem Volk als die geistlichen Führer und Hirten ausgaben, wurden aufs Korn genommen: Sie sind Diebe und Räuber, weil sie das Volk Gottes mehr ausbeuten als sich um die Gläubigen zu sorgen. Aber sie haben nichts verstanden. Das wird hinterher uns Lesern mitgeteilt. Wir spüren, wie  hervorragend Jesus die Kunst des Erzählens beherrschte, nämlich so, dass dieselbe Bildgeschichte für jene Zuhörer, die offenherzig sind, höchst aufschlussreich wurde und dies geblieben ist bis heute.

 

Er begann seine Bildrede mit der Feststellung: „Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern von anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Es kann nicht anders sein.“ Dieses Bild vom Schafstall mit Tor, mit dem Jesus seine Schilderung eröffnet,  war jedem damaligen Zuhörer vertraut. Jeder in Palästina wusste, dass sich die kleinbäuerlichen Besitzer von Schafherden oft zusammen getan hatten. Die einzelnen Hirten trieben abends ihre je eigene Kleinherde in einen Gemeinschaftsstall, der so geräumig war, dass er mehrere Herden aufnehmen konnte. Es war ein ummauertes Areal ohne Dach. Oft grenzte es unmittelbar an ein Bauernhaus an. Es gab auch draußen auf freiem Feld Schafpferche mit Holzumzäunung und mit Tür, aber davon scheint Jesus nicht zu sprechen. Der Schaf-Hof, den Jesus beschreibt, hatte eine gesonderte Eingangstür. Ein Wächter war angestellt, um die Tiere nachts zu bewachen, sodass die einzelnen Hirten schlafen gehen konnten. Mehrere Hirten trieben also jeden Abend ihre je eigenen Schafe in diesen Hof. Während der Nacht waren daher einige Kleinherden dort gleichzeitig unter Aufsicht. Die Hirten kamen erst nächsten Morgen wieder, um ihre je eigene Herde abzuholen und auf die Weide zu führen. Jesus begann seine Bildgeschichte ganz unvermittelt, indem er sagte: „Wenn jemand in das ummauerte Gehege eindringt und dabei nicht das Tor benutzt, sondern von woanders eindringt und dabei hinauf steigt auf die Mauer, dann kann das nur ein Dieb sein, der heimlich kommt, oder ein Räuber, der gewaltsam kommt. Dem Dieb oder Räuber geht es nicht um das Wohl der Schafe, sondern er will stehlen oder töten.“ Das war schon eine versteckte Anspielung auf die führenden Leute in der Religion, die sich einen unrechtmäßigen Zugang zur Herde verschafften und von der Herde nur für sich etwas haben wollte. „Wer Hirte der Schafe ist, der benützt den normalen Eingang, das Tor.

Er ruft am Morgen von draußen den Wächter laut und bittet ihn zu öffnen. Dieser erkennt jeden der beteiligten Hirten an der Stimme und schiebt innen den Riegel zurück. Durch das Rufen sind genau die Schafe aufmerksam geworden, die gerade diesem  Hirten gehören. Die eigenen Schafe drängen sich heran. Dadurch entsteht eine leichte Unruhe in der Gesamtschar der Schafe. Aber der Hirte ruft nur die eigenen. Er ruft sie namentlich – er ruft jedes einzelne Tier mit seinem Kosenamen. Meist ist der Name ein Körper-Merkmal, so etwa Halsfleckerl, Weiß-Popo, Braunohr. Auf diese Weise gelingt es ihm, nur  die eigenen anzusprechen. Diese führt er hinaus. Einige muss er richtig antreiben, damit sie flott hinausgehen. Wenn er dann endlich alle eigenen hinaus geführt und einige gejagt hat, tritt er an die Spitze der Schar und die Schafe folgen ihm. Was macht es aus, dass sie gerade ihm folgen? Es ist seine Stimme, die sie kennen. Es würde nichts ausmachen, wenn er anders gekleidet ist, denn auf die Stimme kommt es an. Die Stimme schafft Beziehung, festigt das Vertrauen zu ihm. Sie haben ihn schon oft gehört und erkennen ihn daher wieder. Einem Fremden werden sie sich nicht anschließen, im Gegenteil: Sie werden um ihn einen großen Bogen machen und die Flucht ergreifen, wenn er sich nähert. Woran liegt das? An der Stimme! Der Fremde kann noch so viel reden, sie weichen ihm aus, weil sie mit seiner Stimme nichts anfangen können.“ Diese Bildgeschichte erzählte er denen, die sich als geistliche Führer hinstellten. Für sie war sie aber rätselhaft, aussagelos, unverständlich. Aber Jesus wusste in seiner gekonnten Art, dass er die Geschichte nicht vergeblich erzählt hatte. Seine Anhänger und später die Leser des Evangeliums verstanden die Anspielungen, für sie war es eine Ermutigung und ein Trost.

Für sie setzte Jesus  fort und beteuerte: „Amen, es ist zuverlässig, Amen: Euch kann ich etwas darüber hinaus sagen: Die Tür zu den Schafen, das bin ich. Ja, das bin ich. Bevor ich kam, versuchten schon viele, sich  einen Zugang zu verschaffen zur Herde, zum Volk Gottes. Sie taten es entweder heimlich, dann waren sie Diebe, oder sie griffen zur Gewalt, dann waren sie Räuber. Die Schafe aber, sie haben nicht auf sie gehört. Der Zugang bin ich, das Tor bin ich. Wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden. Er wird eingehen und ausgehen und Weide finden. Leider  gibt es auch den einen oder anderen, der in unlauterer Absicht kommt. Er will nur etwas an sich reißen, er will schlachten, um davon zu essen, er will zu Grunde richten. Ich hingegen bin gekommen in lauterer Absicht. Die Schafe sollen das Leben haben und davon im Überfluss haben.“ Mit dieser verschlüsselten Bildgeschichte entlarvte Jesus einerseits die falschen „Hirten“.  Andererseits ermutigt er die ehrlichen Hirten: Diese brauchen keine Angst zu haben wegen der falschen Hirten. Die Schafe werden nicht zu denen überlaufen, die einen Führungsanspruch behaupten, aber in Wirklichkeit Schaden anrichten. Die Stimme kennzeichnet den guten Hirten. Stimme ist Beziehungsarbeit und sie stellt sicher, dass die Herde bestehen bleibt.

Die zweite Ebene, wie wir die Bildrede verstehen können, führt uns in die frühen Gemeinden. Paulus in den 50er Jahren und Johannes in den 90er Jahren hatten mit Eindringlingen in die Gemeinden zu kämpfen, die sich als Hirten ausgaben, aber Zwist und Schaden in das Zusammenleben brachten. Paulus schreibt den Korinthern: „Ihr nehmt es ja offenbar hin, wenn irgendeiner daherkommt und einen anderen Jesus verkündigt, als wir verkündigt haben, wenn ihr einen anderen Geist empfangt, als ihr empfangen habt, oder ein anderes Evangelium, als ihr angenommen habt.“ (2 Kor 11,4)

Über die Gemeinden in Galatien (das ist die heutige Nordtürkei) ist er entsetzt, welche andere Richtung sie eingeschlagen haben – schon  wenige Jahre nach seiner Gemeinde-Gründung: „Ich bin erstaunt, dass ihr euch so schnell von dem abwendet, der euch durch die Gnade Christi berufen hat, und dass ihr euch einem anderen Evangelium zuwendet. Es gibt kein anderes Evangelium, es gibt nur einige Leute, die euch verwirren und die das Evangelium Christi verfälschen wollen“ (Gal 1,6f) Ähnliche Beobachtungen macht der Evangelist Johannes, während sein Buch entsteht: Er drängt darauf: „Alleiniger Zugang zu den Gemeinden ist der Zugang über Christus. Manche kommen aber von woanders her. Sie haben keine lautere Absichten. Sie sind nur getrieben von Ehrgeiz, von Gewinnsucht, sie richten großen Schaden an.“

Ausgezeichnet lässt sich die Bildrede auf die heutige Seelsorge anwenden. Pastoral-Arbeit oder Hirtenarbeit muss einige Merkmale haben: Die Gemeinde braucht einen Schutzraum, der bewacht ist und wo sie in den dunklen Phasen sicher ist. Dort wacht jemand. Er  steht an der Tür und schließt auf, wenn der Pastoral-Verantwortliche kommt. Leider gibt es in der Pastoral auch solche, denen es mehr um den Gewinn für sich selber geht. Das Wohl der Herde ist ihnen nicht wirklich ein Anliegen. Erkennbar sind sie daran, dass sie von „irgendwoher“ einsteigen. Das Evangelium nennt sie ohne Beschönigung Diebe oder Räuber. Der gute Hirte hingegen – woran ist er erkennbar? Zunächst an der Stimme – nicht daran, was er inhaltlich sagt oder welche wortgewaltigen Ansprachen er hält oder welche geschliffenen Texte er verfasst.  Der echte Hirte ist an der Stimme erkenntlich, an der Beziehungsarbeit, an der Art, wie er redet, wie er zuruft, wie er einzelne mit Namen anspricht, wie er aufmuntert. An der Stimme kennen ihn die Schafe. Zu Tagesbeginn muss sie seine Stimme antreiben, damit sie sich  in die Freiheit hinaus wagen. Unerlässlich ist dann, dass er selber vorangeht, dass er selber ein  Beispiel gibt und nicht nur vorsagt, was richtig ist und was zu tun ist. Wenn er voraus geht, dann kann die Herde folgen. Woher nehmen die Pastoral-Arbeiter nun selber den Rückhalt? Was befähigt sie, mutig voraus zu gehen? Sie müssem  durch das Tor gehen, das Christus selber ist. Wenn sie das immer wieder tun, dann  erfahren sie persönliche Stärkung –  es bestätigt sich bei jedem neuerlichen Durchgehen. Er ist ihr Zugang zu den Schafen, von woanders her darf der Seelsorger nicht einsteigen. Täglich wird  er diesen Torbogen durchschreiten, der „Christus“ heißt, morgens, wenn er  zur Gemeinde geht, und abends, wenn er  die Gemeinde verabschiedet und besonders dann, wenn er  sich selber zur Ruhe begibt.

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