8. Dez 2019
2.Advent-Sonntag
Johannes der Eintunker
Als die Zeit gekommen war – in jenen Tagen also – da ereignete sich der Auftritt des Johannes. Ja, er trat auf. Dabei erwarb er sich den Beinamen „der Eintunker“. Den Beinamen „Täufer“ so zu übersetzen, mag manche verwirren, aber das griechische Wort BABTIZO hat nichts mit Reinwachen im Wasser zu tun, sondern bedeutet „eintauchen“, „untertauchen“, „eintunken“. Bekannt ist die Szene beim Abendmahl, wie Jesus ankündigt, dass ihn einer ausliefern werde: „Einer von euch Zwölf, der mit mir in dieselbe Schüssel eintunkt“ (Mk 14,20) Da wird dasselbe Wort verwendet.
Aufgewachsen war Johannes zwar im Umkreis der Stadt Jerusalem. Aber seine Verkündigung ertönte in der Wüste. Er lehrte nicht, predigte nicht, sondern verkündete. Damit ist eine knappe, eindringliche Botschaft gemeint, wie sie ein Herold von Dorf zu Dorf in Windeseile verbreitet. Seine Botschaft lässt sich zusammenfassen in zwei Aufrufen: Erstens: „Kommt hinterher zur Einsicht, nachdem ihr eine Lebensrückschau gehalten habt!“ Zweitens: „Die Herrschaftsordnung der Himmel ist nahe gekommen.“ Die meisten Übersetzungen schreiben: „Kehrt um!“, so als hätte Johannes dazu aufgerufen, man solle eine Kehrwende machen und den Weg zurückgehen. Aber was kann man schon rückgängig machen im Leben? Wer kann schon seinen Lebensweg zurückgehen? Das griechische Wort ist METANOIA und es setzt sich aus zwei Wörtern zusammen: META (das bedeutet „im Nachhinein“, „hinterher“) und NOIA (das bedeutet „Einsicht“). Das ist es, wozu Johannes aufrief: „Kommt im Nachhinein zur Einsicht und stellt euer Leben dann um.“
An der Taufstelle am Jordan nimmt der Andrang von Jahr zu Jahr zu. Aber nicht alle wissen, was Johannes hier wirklich getan und verkündet hat. Sich selbst untertauchen, war nicht in seinem Sinn.
Johannes machte das wahr, was schon Jahrhunderte zuvor der Prophet Jesaja ganz deutlich angekündigt hatte: „Eine Stimme ruft in der Wüste: >Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! <“
Seine Kleidung war nicht aus Seide oder Leinen, sondern aus Kamelhaaren, so wie es die Beduinen in der Wüste trugen. Den Unterleib und die Oberschenkeln bedeckte er mit einem breiten Lederband zum Zeichen der Enthaltsamkeit. Er lebte ehelos. Zu seiner Nahrung gehörten die Heuschrecken mit ihrem hohen Eiweißgehalt – an Stelle von Fleisch. Er trank keinen Wein, auch keinen gewässerten, sondern reines Wasser, das er anreicherte mit dem Honig der Wildbienen. Sich so zu kleiden und so zu ernähren, bedeutete, dass er das Leben der Armen angenommen hatte, der Schaftreiber, der Nichtsesshaften.
Die Bevölkerung war überwältigt von ihm, sodass Leute aus der Hauptstadt Jerusalem, aus ganz Judäa – das ist der Südteil von Israel – und aus der Jordangegend aufbrachen und den Wüstenmarsch auf sich nahmen. Ihm gegenüber sprachen sie offen über ihre Verfehlungen im Leben aus und ließen sich von ihm in den Fluten des Jordan untertauchen.
Als Johannes merkte, dass auch viele aus der Partei der Strenggläubigen zu ihm kamen und sogar aus der Partei der Sadduzäer (das war die religiöse Führungsschicht, die Tempelaristokratie) redete er sie mit Schlangenbrut an. Das klingt nach Beschimpfung, aber es war eher ein Bedauern: „Wie tragisch: Ihr seid religiös von Schlangen aufgezogen worden. Ihr habt den Glauben glatt und kalt erfahren, nicht ermutigend, behutsam, liebevoll. Nun wird es Zeit, dass ihr die Überheblichkeit ablegt. Mit der traditionellen Pflichterfüllung allein werdet ihr vor dem Urteil Gottes nicht bestehen können. Gefragt sind sichtbare Früchte, die beweisen, dass ihr zur Einsicht gekommen seid und in eurem Leben Änderungen vorgenommen habt. Ihr glaubt, dass ihr selbstverständlich in der Linie der großen Glaubensgestalten steht. Gott ist in der Lage aus hartgesottenen Menschen Nachkommen von Heiligen zu machen.“
Wenn Johannes ankündigte, dass die Axt schon bereit liege, um fruchtlose Bäume zu beseitigen, dann ist das keine zornige
Drohung, sondern eine Tatsache. Da ist so! Es sagte das ganz gefasst. Er erklärte: „Ich tauche euch nur in Wasser unter.
Das hat den Zweck der Besinnung und Neuausrichtung.“
Er betonte, dass nach ihm ein Stärkerer kommen würde.
„Es wäre unangemessen, wenn ich ihm die Sandalen aufschnüren
würde als sein Sklave. Er wird euch in den Lebenshauch eintauchen,
der zur Heilung und Heiligung führt. Er wir euch auch in Feuer eintauchen.
Er steht schon draußen auf der Fläche, wo der Weizen gedroschen
worden ist. Er wirft das Getreide mit der Schaufel in den Wind,
um die Körner von der Spreu zu trennen. Den Weizen sammelt er
in seiner Scheune, die Spreu ist nur noch für das Feuer geeignet.“
Auf den ersten Blick erscheint diese Schilderung bekannt und in allen Evangelien gleich. Erst wenn wir die ursprünglichere Markus-Version zum genauen Vergleich daneben legen, staunen wir über Unterschiede: Bei Matthäus ruft Johannes nur zur METANOIA auf, nicht zur Taufe. Bei Markus steht: Johannes verkündete METANOIA und TAUFE zur Vergebung der Sünden. Matthäus verschweigt die zweite Hälfte des Satzes. Er vermeidet die Aussage, dass Taufe die Vergebung von Verfehlungen zur Folge habe. Warum lässt Matthäus eine so wichtige Aussage weg? Um dieser Frage auf die Spur zu kommen, müssen wir an den Anfang und in den Schlussteil seines Buches blättern: Beim Abendmahl reichte Jesus den Jüngern den Kelch mit den Worten: „Trinkt alle daraus, das ist mein Blut … für viele vergossen.“ Matthäus fügt als einziger hinzu: „vergossen zur Vergebung der Sünden.“ Nach seiner Auffassung wurde das große Menschheitsthema Schuld, Schuldbewältigung und Vergebung nicht durch die Johannes-Taufe bewältigt, sondern durch das Blut des Christus, das Blut des Lammes, das geschlachtet wurde. Genau dieser Deutung entsprechend komponiert Matthäus den Auftakt zu seinem Buch: "Mit dem Ursprung des Jesus Christus war es so: ... Maria wird einen Sohn gebären ... er wird sen Volk von seinen Sünden erretten." (Vgl. Mt1,19-21) Laut Matthäus dient die Taufe des Johannes nicht mehr zur Befreiung aus der Umklammerung von Schuld, der Taufe kommt eine andere Bedeutung zu – und jetzt müssen wir ganz an das Ende seines Buches blättern: „Darum geht und macht alle Völker zu Lernenden. Tauft sie … aber begnügt euch nicht, dass sie jetzt Mitglieder geworden sind, sondern lehrt und übt weiter, wie man meine Weisungen im Leben anwendet.“ (Vgl. Mt 28,19) Taufe dient bei Matthäus weniger für den Schulderlass als vielmehr für die Aufnahme von Lernwilligen in die Jesus-Gemeinschaft. Somit unterscheidet sich die Theologie des Matthäus in den 80er Jahren von der Theologie der 30er Jahre. Das Taufritual hat innerhalb von 50 Jahren einen mehrfachen Wandel in seiner Bedeutung durchgemacht. Was wir daraus lernen können, ist, dass Rituale und theologische Linien nicht in Stein gemeißelt sind, sondern sich ändern können. Was bleibt, das ist ER, dem der Täufer den Weg bereitet hat und dem auch wir den Weg bereiten dürfen.
Matthäus schreibt sein Buch als Handbuch für Mitglieder, die bereits durch Taufe aufgenommen sind in der jungen Kirche. Ihnen neuerlich die Taufe zu verkünden (durch den Mund des Johannes) ist überflüssig, aber der Aufruf zur Entschleunigung bleibt dringend. Er gilt erst recht für unsere schnelllebige Zeit: "Haltet inne! Betrachet euer Leben im Rückblick. Tut das ehrlich und so ausführllich, dass ihr daraus Schlussfolgerungen ziehen könnt. Stellt die Weichen neu für eure noch zur Verfügung stehenden Jahre." Spirituelle Propheten unserer Tage rufen ebenso dringend auf: "Wir können nicht so tun, als ginge alles unverändert weiter. Krisen tun sich auf. Die Schuld dafür dürfen wir nicht andern Personen oder Umständen zuschieben. Wir müssen ehrllich und gründlich uns selber anschauen." In Linz läuft gerade ein ergreifendes Theaterprojekt über den jetzt 85 jährigen Therapeuten Alois Saurugg. Er bringt es auf den Punkt: "Meine Erfahung und Überzeugung: Wesentliche Veränderungen im Leben sind fast immer gekoppelt mit Krisen. ... Über die Krise sind mir Weisheiten bewusst geworden. Ich bn dafür zutiefst dankbar."
Siehe den Trailer zum Theaterprojekt https://www.youtube.com/watch?v=thTzQBKkB_w&feature=youtu.be