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9. Juni 2019

Pfingst-Sonntag

Was Jesus den Kirchen ins Stammbuch schreibt

Joh 20, 19 - 23

Es war schon Abend geworden. Es war dies der Tag „eins“ jener Wochenordnung, die jeweils nach sechs Tagen mit dem Sabbat abschließt, dem Tag des Herrn. Von nun an war nichts mehr so wie früher, nicht einmal die Rangordnung der Wochentage. Die Schüler hatten die Türen verriegelt aus Furcht vor den Strenggläubigen, die sich gegen die Vergebungsbotschaft Jesu verweigert hatten.

Da tauchte Jesus im engsten Kreis seiner Schüler auf. Er war nicht durch die Tür eingetreten, sondern war einfach da. Er war da wie ein Herr. Er stellte sich ganz bewusst in die Mitte. Er machte sich zum Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Das erste, was von ihm kam, waren klare Worte: „Innere Ausge-glichenheit für euch – dazu bin ich da.“ Warum sagte er nicht: „Fürchtet euch nicht!“ Hatten sie sich doch gerade eingesperrt aus Furcht. Warum „Friede für euch!“ Weil sie in Anspannung lebten. Ab jetzt sicherte er ihnen Frieden zu, unerschütterlichen inneren Frieden. „Es kann euch nichts aus der Fassung bringen.“ –  „Ihr könnt gelöst sein, entspannt sein.“ –  „Feindseliges Denken, Furcht vor Bedrohung ist ab jetzt fehl am Platz. Friede steht euch besser zu.“

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Der Abendmahl-Saal auf dem Zionsberg in Jerusalem hat zwar nicht mehr die Form von damals, aber er dürfte am richtigen Ort sein. Nach kirchlicher Tradition haben sich die Anhänger Jesu auch nach seinem Tod hier versammelt und es soll sich auch das Pfingstereignis hier zugetragen haben.

Diese Worte waren eindringlich und klangen wie selbstverständlich. Gelassenheit, was sonst? Diese Worte waren keine Ermahnung, keine Aufforderung, sondern eine Zusage, eine Gewissheit. Nach dieser Aussage schloss Jesus eine Geste an, wie sie deutlicher nicht sein konnte und die keine Worte brauchte. Er führte ihnen vor Augen, wie er vor Kurzem ausgeblutet war: Er zeigte ihnen beide Hände mit den durchstoßene Schlagadern. Dann führte er seine offene Brustwunde vor, die ein Soldat mit einer Lanze gestoßen hatte und aus der sich Blut und Wasser ergossen hatten. Das zeigte er wortlos. Beides waren die sichtbare Realität seines Todes. Schweigend drückte er damit aus: Das sind die Tatsachen. Diese Härte soll nicht überspielt werden. Es drückte gleichzeitig aus: Damit hatte er es geschafft, genau damit hatte er sein Leben zur Vollendung geführt. Ansatzweise wurde ihnen klar: Er war also doch nicht der Gescheiterte, sondern er erwies sich als der Überlegene, der Herr. Das zu begreifen, erfüllte sie mit Freude. Zu Lebzeiten hatten sie ihn mit „Meister“ angesprochen, jetzt war er für sie in die Nähe Gottes gerückt. Der Titel HERR, der bisher nur dem Allmächtigen vorbehalten war, der traf ab jetzt auch auf ihren Jesus zu. Bisher hatte ihr Glaubensbekenntnis gelautet: „Der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr.“ Ab nun gewann dies auch auf ihren geliebten Lehrmeister Gültigkeit.

Nach der Demonstration wechselt der „Jesus-in-der-Mitte“ wieder zum Wort. Er verstärkte die Zusage: „Der innere Friede gehört euch. Den habe ich zu Lebzeiten ausgestrahlt, weil ich mich ständig neu um den Sendungsauftrag des Vaters bemüht habe. Als Abgesandter des Vaters konnte ich Frieden verbreiten. In ähnlicher Weise werde ich euch losschicken.“ (Der Originaltext verwendet nicht zweimal dasselbe Wort „senden“, sondern spricht bei Jesus von APOSTELLO und bei den Jüngern von PEMPO. Das kommt in vielen deutschen Übersetzung nicht zum Ausdruck, wäre aber wichtig, um die Feinheit von Jesu Vorhabens zu verstehen.)

Nachdem Jesus von seinem Sendungsauftrag gesprochen hatte, tat er etwas, das  eigentlich schon vom Sterben Jesu angedeutet wurde. Er hauchte sie an. Alle Evangelien benennen das Hinscheiden Jesu am Kreuz mit „aushauchen“, sie verwenden nie das Wort „sterben“ Sinngemäß kann der sich neu zeigende Jesus sagen: „Nehmt den Lebensatem in Anspruch, nehmt die Vitalität dauerhaft zu euch, die heilsam ist.“ Üblicherweise wird übersetzt: „Empfangt den Heiligen Geist.“ Unter „empfangen“ versteht man im üblichen Sprachgebrauch etwas Einmaliges, so wie wenn man einen besonderen Gast empfängt, der sich aber später wieder verabschiedet. Hier ist aber etwas Dauerhaftes gemeint. Das Wort wird in der Bibel etwa verwendet, wenn ein Mann eine Frau für immer zu sich nimmt. Unter „Geist“ verstehen wir üblicherweise etwas „Schwebendes“, Luftiges oder Gespenstisches. Daher wäre es angemessen, es mit anderen Worten zu übersetzen so etwa mit Dynamik, Vitalität, Lebenskraft. Sie wirkt aber nicht schnell wie ein „Energie-Getränk, das Flügel verleiht“, sondern es nimmt den Betroffenen beiseite: „Heilig“ bedeutet nicht so sehr makellos, nicht rein, sondern „bei Seite genommen“, abgesondert von Gott. Diejenigen, die sich von der Geistkraft Jesu leiten lassen, werden also immer weniger im Sog der üblichen Gesellschaft mitschwimmen und für sie ist das übliche „Will-Haben“ kaum mehr ein Anreiz, weil sie ausgewählt und beiseite genommen wurden.

Die von Jesus Angehauchten gründen ihr Leben somit auf zweierlei: 1. Sie sorgen für eigene Ausgeglichenheit, für inneren Friede. Sie beziehen ihn von IHM. 2. Sie tauchen ständig wieder ein in den Hauch Gottes, horchen auf ihren Sendungsauftrag. Das befähigt sie, zu einer großen Aufgabe: die seelisch schwer Belasteten aus deren Sackgassen zu befreien. Vom „Geist-beflügelt“ haben sie ein Gespür dafür, wenn jemand mit seinem Versagen nicht mehr zurechtkommt. Sie können den Verzweifelten entlastende Worte zusprechen. Damit ist weit mehr gemeint als das Lossprechen von einer Sünden-Auflistung. Es ist mehr gemeint als ein milder Trost: „So schlimm ist das nicht. Du steigerst dich zu viel hinein.“  Sie verstehen es, richtig hinzuhören und seelische Not nach zu empfinden. Sie weichen den Klageworten nicht aus, weil sie selbst die Kraft des „Geistes“ in sich haben. Sie beseitigen das Schuldhafte von Menschen, die von sich aus nicht mehr zurecht kommen. Sollten sie jedoch sagen: „Der soll sich woanders ausjammmern. Er ist selber schuld an der Misere und solle sehen, wie er damit zurande kommt“, dann klammert sich der Schuldenberg weiterhin auf den Betroffenen. Jesus hält es für den vordringlichsten Auftrag seiner Nachfolge-Gemeinschaften, in der Welt zu helfen, dass Menschen über ihr Versagen hinweg kommen. Üblicherweise wird versucht, einen Schuldigen anzuklagen. Das Gesellschafts-Modell Jesu gründet hingeben auf Vergebung. Er ist sich aber von vornherein bewusst, dass nicht einmal seine Anhänger dazu immer bereit sind. Deshalb spricht er es ohne Beschönigung aus: „Alle, denen ihr helft, getanes Unrecht zu bewältigen, kommen darüber hinweg. Allen, denen ihr es sich festhalten lasst, bei denen hat es sich fest gekrallt.“ Häufig wird übersetzt: „Wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“ Aber der Originaltext spricht von „packen“, „festhalten“, „nicht los lassen“. Das entspricht auch unserer Erfahrung  Man kommt von seinen „alten Geschichten“ so schwer los. Sie sind ein Geflecht von Selbstverschuldung und seelischen Verletzungen durch andere. Sie können tief sitzen und – ach wie viele Menschen nehmen sie ins Grab mit und so setzt sich das Unbewältigte über Generationen fort. Das überwältigend Neue der Botschaft Jesu ist es, darunter einen Schlussstrich zu ziehen, das war sein vorrangiger Sendungsauftrag. Den hat er weiter gegeben und hat es offen gelassen, wer sich daran hält. Sein Schlusswort an seinen Schülerkreis ist es jedenfalls. Wenn Pfingsten als das Gründungsfest der Kirchen gilt, dann sind dies die Worte, die ihnen Jesus ins Stammbuch schreibt.

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