
1.Juni 2025 7.Sonntag der Osterzeit
In der Menschheit unerreichtes Gottesbild
Joh 17,20-26
Und Jesus erhob seine Augen zum Himmel und sagte: Vater, ... (V.1)
Ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins sind, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und sie ebenso geliebt hast, wie du mich geliebt hast. Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor Grundlegung der Welt. Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt und sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und ich in ihnen bin.
Die kirchliche Leseordnung hat uns nun 3 Sonntage hintereinander anspruchsvolle Evangelien-Abschnitte zugemutet. Sie sind nicht für durchschnittliche Gläubige gedacht, sondern für jene, die sich ihm, dem Meister Jesus ernsthaft verpflichtet haben. Der Welt hat er sich schon vorher geoffenbart (Joh 2 – 12), jetzt offenbart er sich den Seinen noch tiefer (Joh 13 – 17). Es sind die Abschiedsworte Jesu, die sehr umfangreich gestaltet sind. Sie lassen sich in drei Reden gliedern. Die erste spricht offen von seinem Weggang. Erst durch sein Weggehen kann sich der Glaube noch verstärken in seiner Nachfolgegemeinschaft und die Möglichkeiten des Vaters werden noch umfangreicher. Jesus sagte es so: „Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere als diese vollbringen, denn ich gehe zum Vater.“ (Joh 14,12).
Im zweiten Redeteil mahnt Jesus die Verbundenheit mit ihm und untereinander ein: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“ (Joh 15,5) Im dritten Redeteil kündigt Jesus seinen Vertrauten einen spirituellen Beistand an, der ihnen seine Lehre besser aufschlüsselt, denn bisher haben sie seine Lehre nur teilweise verstanden: „Wenn jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten.“ (Joh 16,13).
Blick vom Berg Susita quer über den See nach Magdala

Wohlgemerkt: Das sind Abschiedsworte und da legt der Scheidende noch einmal verdichtet hinein, was er immer schon sagen wollte. Durchzogen sind die Abschiedsreden von dem Zeugnis Jesu, dass er sich vom Vater geliebt weiß. Würde dieses liebevolle, achtsame Verhältnis nur für die beiden gegenseitig bestehen (Vater <=> Sohn), dann wäre es fruchtlos für die Welt. Da es aber untrennbar verknüpft ist mit der Fürsorge Jesu um seine Gemeinschaft, hat es seinen Ertrag: So wie die Beziehung zwischen Gott und Jesus besteht, so ist sie entscheidend zwischen Jesus und seiner Gemeinde. Diese Verschränkung ist unerlässlich, eine bedingt die andere und bestätigt sie. Wenn Außenstehende die Gemeinde beobachten und in ihr eine herzliche, hilfsbereite Atmosphäre bewundern, können sie rückschließen auf den Gründer der Gemeinde und dessen Ursprung. Somit ist das überzeugende gegenseitig wertschätzende Gemeinde-Leben der stärkste Gottesbeweis.
Abschiedsreden von großen geistigen Persönlichkeiten sind in der Antike durchaus üblich und ein begehrtes Stilmittel: So lässt der Schriftsteller Plato auch dem scheidenden Sokrates drei Reden halten – noch am Tag des Gerichtsverfahrens. Mag es also Anklänge geben zwischen Johannes-Evangelium und der antiken Literatur, so ist doch eines bei Johannes literarisch einzigartig: Da schließt Jesus ein Gebet an diese drei Belehrungen an, in dem alles bisher Gesagte gipfelt. Das Gebet zum Vater bildet die Krönung und den Abschluss dieser umfangreichen Texte. Eine höhere Steigerung von Abschiedsreden gibt es nicht mehr. Er wendet sich an den Vater. Nicht im Stillen spricht er zum Vater, sondern so, dass es seine Anhänger hören können: „Ich habe das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast.“ (17,4) Dann vernehmen wir, wie Jesus seine Nachfolgegemeinschaft in den „Raum Gottes“ stellt. Dabei tritt er für sie beim Vater ein.
Heiliger Vater, ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben.
Mit „diese hier“ ist der Zwölferkreis gemeint, der von 27 bis 30 n.Chr mit ihm gegangen ist. Auf Grund deren Zeugnis (=deren Wort) haben sich später weitere Engagierte gefunden, die sich dem Jesus anvertrauen – damit sind nicht nur die frühen Jünger und ersten Christen gemeint, sondern alle, die sich bis heute mit dem Wort befassen und sich darauf einlassen – also auch wir Heutigen sind mit gemeint. Genau übersetzt „bittet“ Jesus nicht für sie, sondern er „fragt“ für sie. Das klingt sehr höflich. Er stellt an Gott eine Anfrage, er wird bittstellig für seine Anhänger. Jesus stellt also
Heutige in die Gegenwart Gottes, sodass Gott uns sieht und auf uns aufmerksam wird – ganz real - Jesus fragt an für uns.
Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.
Sein vorrangiges Anliegen ist unsere Einheit: Damit ist weit mehr gemeint als die Einigkeit unter einer Führung, ist mehr gemeint als ein Zusammenhelfen, ist mehr gemeint als ein geschlossenes Auftreten nach außen hin. Es heiß auch nicht: „Sie sollen eins sein“ wie die Einheitsübersetzung schreibt, sondern sie „mögen eins sein“. „Sollen“ wäre ein Auftrag seitens Jesus. Aber es ist sein großer Wunsch, seine tiefe Sehnsucht. Sie mögen also nicht zwei sein oder drei oder noch mehr, sondern Eins – also ein Corpus, eine Einheit. Es ist ein Ineinander-Verschmolzen-Sein, sodass einer ohne den anderen gar nicht bestehen kann. Es ist so wie der Mann Jesus verschmolzen ist mit seinem Urheber, mit seinem Ausgangspunkt, mit seiner Mission, die er als „Vater“ anspricht. Er weiß sich von dort her abgesandt (griechisch APOSTELLO). Wenn die gläubige Gemeinde eins ist und aus Jesus heraus lebt, strahlt sie eine Glaubwürdigkeit aus in ihr Umfeld. Das kann bei manchen Fernstehenden auslösen, dass sie sich auch näher für Jesus zu interessieren beginnen.
Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins sind, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir.
Die "Herrlichkeit" ist das strahlende Licht. Das griechische Wort DOXA meint die Helligkeit, den Glanz, den Bühnen-Scheinwerfer, die starke Ausstrahlung, den überwältigenden Erfolg. Das alles hat er seiner Nachfolge-Gemeinschaft gegeben. Jesus selber rühmt sich nicht, dass er einen strahlenden Erfolg errungen hätte, sondern er erachtet die "Herrlichkeit" als gegeben, als geschenkt, als vom Vater ermöglicht. So wie er das formuliert, da klingt Dankbarkeit durch. Er stellt denen, die ihm vertrauen, dasselbe in Aussicht, nämlich den Glanz, aber nicht so sehr den Einzelnen als vielmehr dem Miteinander. Die Gruppe bildet diesen einen Corpus. Dieses Ineinander-Verschmolzen-Sein ist wie eine mystische Erfahrung Jesu: Jesus sagt: Ich gehe ganz in meinem Auftraggeber auf. Ich identifiziere mich mit ihm, mit dem Vater. Ein weltlicher Vergleich wäre es, wenn jemand sagt, er gehe ganz in seiner Firma auf. Ein anderer sagt, er lebe ganz im Sport oder wieder ein anderer sagt, er sei ganz eins mit der Musik. So empfindet Jesus die Verbundenheit mit dem Vater und so wünscht er sie sich mit seiner Gemeinde.
Was den inneren Zusammenhalt der Gemeinde ausmacht, das bin ich: Das Ich (griechisch: EGO) ist betont, genauso wie das DU des Vaters. Deshalb haben meine Anhänger so eine Ausstrahlung, weil ich das bin, der durchstrahlt. Die Folge davon ist, dass die Menschen im Umfeld zu einer Einsicht kommen: Die normale Gesellschaft wünscht sich hin und wieder jemanden, an dem sie sich orientieren kann. Die Welt wird durch die Gemeinde aufmerksam auf diesen GESANDTEN, der das Richtmaß für den Menschen ist.
Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Jesus richtet an den Vater den Wunsch: Alle, die zu mir gefunden haben, denen du den Weg eröffnet hast zu mir, sie mögen mit mir sein (nicht bei mir, wie die Einheitsübersetzung schreibt)
Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, „Gerecht“ - so stellen sich die meisten Leute Gott vor: „Es muss letztlich eine Gerechtigkeit geben,“ sagen sie. Aber damit haben sie noch nicht viel verstanden vom neuen Gottesbild Jesu. Wenn wir die Geistesgeschichte der Menschheit durchgehen und die darin entworfenen Gottesbilder vergleichen und religiöse Persönlichkeiten nebeneinander stellen, dann hat Jesus eine Gotteserkenntnis gelehrt, wie kein anderer je zuvor und je danach. Er hat in seinem Anhängerkreis eine nie erreichte Erkenntnis eingepflanzt. Den Seinen hat er Einsichten anvertraut, die überragend sind und so wurden die Sichtweisen in der Menschheit verankert, wie durch niemand sonst in der Geschichte. Er hat ihnen zugetraut, dass sie ihn als den Gesandten bekannt machen würden. Sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast
Jesus verkündet ein neues Gottesbild und verkörpert es auch selber. Er macht einen neuen Gottesnamen begreiflich, einen der „Gottes Gerechtigkeit“ noch ergänzt und erweitert und somit darüber hinaus geht. Gott ist mehr als gerecht, mehr als allmächtig. Das Gottesbild Jesu ist mit Liebe verknüpft. Daher war auch sein Auftreten in der Welt von „Liebe“ her motiviert. Diese Liebe hat sich in ihm von Jugend auf gefestigt und ist reifer und stärker geworden bis zum Alter als Dreißigjähriger. Er weiß um die starke väterliche Liebe. An sie wendet er sich als Bittsteller ganz zum Schluss vor seinem Hinscheiden: „Ich habe mich von dir geliebt gefühlt. Bitte, sei auch in ihnen, sei in meiner Nachfolge-Gemeinschaft spürbar.“
Die Liebe, mit der du mich geliebt hast, möge in ihnen sein.
Eigentlich sollte man diesen Text durchbeten, durchmeditieren, Das ist etwas anderes als Literatur durchzuarbeiten. Es nimmt auch Zeit in Anspruch. Es ist bewusst ein Gebet - keine Belehrung und keine Erzählung. Bei einem nachhaltigen Lesen beginnt etwas Tieferes mitzuschwingen, etwas Mystisches. Eine Möglichkeit wäre eine Schreibmeditation: Dazu schreibt man jeden einzelnen Vers auf ein eigenes Blatt Papier, sodass genug Platz bleibt für persönliche Gedankenanstöße, die auftauchen. Die Einzelblätter erlauben es auch, sie herum zu schieben. So ändert sich die Reihenfolge und es tun sich neue Gedankenverbindungen auf. Es beginnt ein neues Gottesbild zu keimen und zu wachsen.