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29. Nov 2020      1.Advent-Sonntag

Für Aufgaben werden wir bevollmächtigt

Mk 13,33–37

Am 1.Advent-Sonntag beginnen wir mit einem neuen Lesejahr, nämlich Markus. Mit diesem Lesestück schließt der Evangelist die Endzeit-Rede Jesu ab. Vorigen Sonntag haben wir gehört, wie das Matthäus-Evangelium die Rede abschließt, die dort viel umfangreicher ausfällt. Hier ist das Stück kurz aber dafür sehr dicht. Daher ist es erforderlich, dass wir es sorgfältig Wort für Wort betrachten.

„Seht euch also vor!“

Das klingt nach Vorsicht, so als sollten wir auf der Hut sein, weil etwas Bedrohliches bevorstehe. Aber das griechische Original-Wort heißt nur: „Schaut! Schaut euch um, haltet die Augen offen“. Es ist dasselbe Wort, das auch bei der Blindenheilung vorkommt: „Ich möchte wieder sehen können.“ Wir werden aufgefordert, unser Umfeld im Blick zu haben. Wir sollen niemanden übersehen, sollen auf unseren Weg schauen, Abzweigungen nicht verpassen. Es gibt leider Leute, denen nicht auffällt, wenn jemand neben ihnen ein ermunterndes Wort wie einen Bissen Brot brauchen würde oder eine Durststrecke durchmacht und dem schon mit einem Schluck Labung geholfen wäre oder wenn jemand von anderen schlecht hingestellt, „entblößt“ wird, an könnte ihn leicht in Schutz nehmen, indem man ein Wort zu seiner Verteidigung sagt. Manche Leute sehen das einfach nicht, erst recht tun sie nichts. Davon war vorigen Sonntag ausführlicher sie Rede. Siehe Sonntagwort zum Christkönigs-Sonntag. Jesus fordert seine Anhänger auf: „Schaut! Überseht das nicht“ Vielleicht meint er auch: „Schaut nach innen. Lasst euch nicht ablenken, seid keine oberflächlichen Menschen, habt einen Blick für das Wesentliche.“ Das wäre  die Aufforderung, sich zu sammeln, zu beten. Der  den eigenen Lebensablauf anzuschauen.

und bleibt wach!

„Bleibt wach!“

Sollen wir also unseren Schlaf einschränken? Das Originalwort ist AGR-HYPNIA. Paulus verwendet es mehrmals, wenn er aufzählt, was er alles durchgemacht hat: „… in durchwachten Nächten.“ (2 Kor 6,5) Das ist ein seltsames Wort, wörtlich übersetzt heißt es FELD-SCHLAF. Der Ausdruck stammt wohl vom >Schlafen der Soldaten auf dem Kampffeld<. Sie müssen jederzeit gefasst sein auf den Angriff des Feindes – gerade in der Nacht. Der Bewaffnete muss vom Schlaf aufspringen können, wenn der Feld-HERR ruft. In der Parallelstelle des Lukas-Evangeliums heißt es so: „Eure Hüften sollen gegürtet sein“  Legt euren Gürtel nicht ab! „Eure Lampen sollen brennen.“ (Lk 12,35). Heute könnten wir es vergleichen mit jemand, der in Notruf-Dienst arbeitet. Wenn er an der Reihe ist, kann er sich zwar hinlegen zum Schlafen, aber er muss in Rufbereitschaft bleiben. Ein Satz im Epheserbrief bringt das FELDSCHLAFEN in Verbindung mit dem anhaltenden Beten. „Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist; seid wachsam – AGR-HYPNEITE – , harrt aus“ (Eph 6,18) Auch dort ist es eine Ermahnung am Schluss des Schreibens.

Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.

„Denn es ist euch nicht bekannt, wann es der Zeitpunkt ist.“

Das griechische Wort heißt hier nicht CHRONOS (=Zeit), sondern KAIROS (=Zeitpunkt, Gelegenheit, Frist). Unsere heutige Gesellschaft lebt in dem Glauben, alles müsse zeitlich festgelegt sein und bevorstehende Dinge seien berechenbar, vorhersehbar und planbar. Diese Einschätzung der Welt ist eine einseitige, denn über viele auf uns zukommende Ereignisse haben wir kein präzises Wissen. Da ist es nützlicher, sich an die oben genannten Empfehlungen zu halten: Umsichtig leben und in Rufbereitschaft bleiben.

Es ist wie mit einem Mann, der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen:

Jesus als ausgezeichneter Pädagoge stellt seinen Schülern ein Bild vor Augen, ein Kurzgleichnis, das länger hängen bleibt als Ermahnungen. Vielleicht  begreifen sie die vorige Aufforderung jetzt noch nicht ganz. Er sagt: Die Sache ist vergleichbar mit einem Menschen, der sich bereit machte, abzureisen. Er trat nicht eine Urlaubsreise an, sondern er musste weg. Das griechische Wort heißt „wegreisen“. Dafür musste er seine Villa, seinen Landsitz >zurücklassen< – nicht >verlassen<. Er wollte seinen vornehmen Wohnsitz nicht abstoßen. Er wollte verhindern, dass das Gut verkommt, wenn er weg ist.  Jesus scheint darauf anzuspielen, dass er in Kürze „aus dieser Welt weggehen“ würde. Alles, was er in den drei Jahren aufgebaut habe,  sollte erhalten bleiben, es sollte weiterhin sein Haus bleiben, sein Bauwerk.

Er übertrug die Vollmacht seinen Knechten, jedem eine bestimmte Aufgabe;

Bisher hatte der Mensch, das Landgut selbst mit Vollmacht geführt. Nun übertrug er die gesamte Verfügungsgewalt auf seine Bediensteten, seine Sklaven, die er sich lange zuvor selbst erworben und eingeschult hatte. Sie sollten während seiner Abwesenheit ihn im Haus vertreten. Sie sollten mit seiner Autorität auftreten und entscheiden. Allerdings bekam nicht einer allein die Macht über alles, nicht die Vormachtstellung. Nicht einer wurde der Stellvertreter des Gutsbesitzers, sondern die Verantwortung war aufgeteilt auf viele Aufgabenbereiche. Außerdem blieb die Macht immer noch eine von ihm verliehene Macht. Er wies jedem seine Zuständigkeit zu. Sie war jeweils auf ihn persönlich zugeschnitten.

dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein.

Die einzelnen Bereiche werden hier nicht genannt, nicht aufgezählt, außer einem – dem Türhüter, der an der Pforte sitzt. Es war der, welcher den Überblick darüber hatte, wer hereinkam und wer nicht eintreten durfte. Er wusste darüber Bescheid, was sich im ganzen Gelände abspielte. Ihm trug der Gutsbesitzer auf, ständig wach zu bleiben. Viele Bibelübersetzungen schreiben: „Ihm befahl er, wachsam zu sein.“ Somit wird der Türhüter zum Aufpasser, zur Kontroll-Person. Diese Deutung ändert sich sofort, wenn wir das griechische Original-Wort genau übersetzen mit  „Wach bleiben. Nicht einschlafen.“ Dasselbe Wort kommt vor in der Leidensnacht Jesu, als er sich das >Wachbleiben< seiner drei engsten Vertrauten sehnlichst gewünscht hat, aber sie sind eingeschlafen. Siehe Markus 14,32-42. Daraus ergibt sich, dass der Gutsbesitzer Wert darauf legte, dass sein Hofportal Tag und Nacht zugänglich bleiben sollte. Es sollte nie der Riegel vorgeschoben werden. Dafür brauchte es eben zuständige Bedienstete, Türhüter. Der konnte sich nicht sagen: „Ach, jetzt tut sich nichts. Jetzt lege ich mich schlafen.“ Wach zu bleiben,  war  nicht ein Befehl, denn einen Befehl führt man aus und erledigt ihn. Das Wachbleiben war ein Auftrag auf Dauer, der einzuhalten war. Einen Befehl kann jemand verweigern, einen Auftrag kann jemand vernachlässigen und verschlampen. Das Evangelium verwendet hier für >wach bleiben<  nicht das obige Wort von der Feldwache AGR-HYNNIA, sagt also nicht „wachsam sein“, sondern „wach bleiben“. Wenn der Gutsbesitzer durchgehendes Wachbleiben verlangt, dann verlangt er einen 24-Stunden-Dienst. Den kann nicht eine Einzelperson bewältigen, dafür braucht es mindestens zwei die sich abwechseln.

 

Damit endet das Gleichnis: Jesus hat mit dem Gutsbesitz und den verantwortlichen Bediensteten wohl den Fortbestand seines begonnenen Werkes gemeint. Indem er den Türhüter-Dienst hervorhebt, wodurch der Eingang rund um die Uhr besetzt sein soll, betont er die Offenheit der Kirchengemeinschaft. Er wünscht keine geschlossenen Zeiten. Gerade nicht wenn die ganze Bevölkerung herunter gefahren ist, wenn sie schläft, muss es Verantwortliche im Gutsbesitz Jesu geben, die wach sind für jedermann, der vor der Tür stehen könnte und um Einlass bittet.

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Das Hausmodell einer römischen Villa,

zeigt welche Funktionen jeder der Räume hatte.

Von der Straße herein kommend konnte ein Besucher gleich

den Verkaufsladen und den häuslichen Betrieb sehen - hier eine Töpferei. Der Gang zwischen  den beiden Geschäftsräumen führte ins Atrium mit zentralem Wasserbecken. Rundherum gliedern sich Küche, Herrenzimmer, Schlafräume, ganz hinten geht es in einen Kleingarten mit Brunnen, Sträuchern und Rasenfläche. Für alle diese Räume gab es Zuständigkeiten.

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Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob am Abend oder um Mitternacht, ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen.

Nun ergänzt Jesus – nicht mehr im Erzählrahmen der anschaulichen Lehrgeschichte – eine Mahnung: „Bleibt wach!“ Es ist nicht das Wort von der FELDWACHE, also nicht Rufbereitschaft, sondern das Wort bedeutet NICHT EINSCHLAFEN. Jesus sagt das zu den engsten Vertrauten, den Aposteln und er nennt den Grund für das Wach-Bleiben: Es ist das unvorhergesehen Kommen der HERRN. Jesus spricht plötzlich vom HERRN des Hauses (KYRIOS), obwohl oben im Gleichnis nur von einem >Menschen< die Rede war, dem das Haus gehört „Es ist euch die Zeitspanne nicht bekannt, wann der KYRIOS kommt. Er kann in den Abendstunden kommen, wenn viele Leute den Tag ausklingen lassen, beisammen sitzen, essen und trinken und sich unterhalten. (Heute sitzen viele vor dem Fernseher, um sich die Abendnachrichten anzusehen oder das Unterhaltungsprogramm). Der HERR könnte auch um die Mitternachtszeit kommen, wenn es völlig ruhig ist und die meisten tief schlafen. Der HERR könnte in den Stunden der ausgehenden Nacht kommen, wenn der Hahn durch sein Geschrei die Nachtstille zerreißt, aber noch vor dem Morgengrauen. Der HERR könnte kommen, wenn es langsam blasshell wird und wenn das erste Morgengrauen sichtbar wird. Diese Aufteilung der Nacht entspricht der römischen Einteilung in 4 Nachtwachen. Der helle Tag war in Stunden eingeteilt, die Nacht hingegen in 4 Vierteln.

Er soll euch, wenn er plötzlich kommt, nicht schlafend antreffen.

Ihr meine Vertrauten sollt gefasst sein, wenn er kommt. Sein Kommen ist nicht vorhersehbar, es ist überraschend, es ist plötzlich. Bei seinem Kommen soll er euch nicht schlafend vorfinden. Eure Freude an der Sache soll nicht eingeschlafen sein. Er soll nicht entdecken, dass  ihr euch zur Ruhe gelegt habt, weil sich sowieso nichts mehr tut derzeit. An dieser Äußerung Jesu ist erstaunlich, dass er nicht von einer >Wiederkunft< spricht, sondern von einem KOMMEN. Das wird ein KOMMEN in Herrlichkeit sein, davon war ein paar Absätze weiter oben die Rede. Das griechische Wort für Herrlichkeit ist DOXA und es meint Licht in Fülle, mächtiger Glanz, strahlend hell. Auffallend ist auch dass sich das KOMMEN in der Nacht ereignet, nicht tagsüber. Der HERR kommt also in die Dunkelheit hinein mit seinem Lichtermeer. 

Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!

Abschließend erfolgt noch die Aufforderung: „Was ich euch, meinem Schülerkreis, zu erklären versucht habe, das gilt für alle. Sagt allen weiter, die euch anvertraut sind in der Gemeinde: Allen, die euch zuhören, sagt es weiter: Bleibt wach! Verfallt nicht in den Schlaf der Gleichgültigkeit, nicht in den Schlaf der Übersättigung, nicht in den Schlaf der Oberflächlichkeit. Haltet euch stets offen für das Kommende. Lebt bewusst!“

​Wir fragen nun noch hartnäckig nach, welche Aufgabenbereiche es außer dem Türhüter sonst noch gab im Haus des HERRN, nachdem er wegmusste - also in seiner Nachfolge-Gemeinschaft, der frühen Kirche. Wir werden fündig in den Briefen des Paulus. Er zählt in den 50er Jahren zweimal die Gaben auf (Röm 12 und 1 Kor 12), die das frühe Kirchengefüge so stark und durchsetzungsfähig gemacht haben: Sie hier aufzulisten sprengt den Rahmen des Sonntagswortes. Aber wer sich nocht weiter vertiefen will, findet in der Weiterführung einen Link dorthin. Sich noch eigens damit zu befassen, lohnt sich. Es wäre eine grandiose Visionen für derzeitige Kirche im Wandel. Einen Blick in die Gemeindeordnung der 50er Jahre zu werfen, regt an sich dort Ansporn zu holen. Vielleicht geschieht das Wunder, dass die Kirche unserer Jahrzehnte sich nach diesen Maßstäben erneuert.

In dem Gleichnis lehrt uns Jesus, auf welchen Aufgabenbereiche in seinem Haus es ihm am dringendsten ankommt: die Offenheit. Es soll keine Zeiten geben in der Gemeinde, wo niemand da ist, niemand wach ist, niemand erreichbar ist: >Nicht zuständig, ….wegen geringer Auftragslage geschlossen!< In seiner Gemeinschaft soll es rund um die Uhr eine Ansprechperson geben, nicht nur  Rund um die Uhr sondern rund um alle Seelennöte. Das heißt nicht, dass alle Dienste immer zur Verfügung stehen sollen. Aber Menschen, die anklopfen, sollen nicht das Gefühl haben, dass sie vor verschlossenen Türen stehen. Gerade wenn sie „nachts“ kommen, wenn sie in tiefer persönlicher Dunkelheit stecken, dann soll ihnen jemand die >Tür ins Haus< öffnen. Wir könnten das Bild vom Haus mit dem Türhüter heute vergleichen mit der Rezeption in einem Hotel oder einem Krankenhaus. Da muss rund um die Uhr besetzt sein. Dem Hotel würden sonst Kunden verloren gehen und das Krankenhaus würde sich schuldig machen.  Übertragen auf die Gemeinde Jesu heißt das: Offen sein gerade in dunklen Zeiten! Nie sagen: Derzeit geschlossen, wir wollen unsre Ruhe haben. Vielleicht meint Jesus mit dem wach bleibenden Türhüter nicht nur bestimmte Personen und Ämter in seiner Kriche, sondern einen Grundzug, nämlich die immerwährende Bereitschaft zur Aufnahme. Menschen sind willkommen, zu welcher Nachtstunde auch immer sie Zuflucht "in dem Haus" suchen.

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