22.Dez. 2024 4.Advent-Sonntag
Zwei schwangere Frauen ehren sich gegenseitig
Lukas 1,39–56
In diesen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet. Und es geschah, als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib.
Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.
Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?
Denn siehe, in dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib.
Und selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.
Noch in diesen Tagen erhob sich Maria. Welche Tage sind gemeint? Das geht hervor aus dem Abschnitt davor: Ihre Schwangerschaft steht gerade erst fest. Sie stand auf, es ließ ihr keine Ruhe. Sie machte sich auf einen Weg, der mühsam war, denn sie ging in das Bergland, also bergauf, bergab. Trotzdem ging sie in Eile – das betont der Text – , um rasch eine Stadt von Judäa zu erreichen. (Lukas erwähnt den Namen der Stadt nicht, wo er das sonst gerne tut, um seiner Erzählung mehr Anschaulichkeit zu verleihen. Vielleicht liegt ihm keine Mitteilung darüber vor. Lukas selber kennt als einziger der Evangelisten die Geographie des Landes nicht und r meint, Nazaret würde ganz nahe bei Jerusalem liegen.)
Das Ziel ihres Marsches war das Haus des Tempelpriesters Zacharias. Ihm müsste eigentlich der huldigende Gruß gebühren. Aber nicht ihn grüßt Maria dort, sondern dessen Frau Elisabeth. Bewusst ihr galt der Gruß. Es war mehr als bloß ein „Grüß dich, liebe Tante“ Es war ein würdigender Lobpreis und eine Hochachtung. Dasselbe Wort für Gruß verwendet Lukas, wenn es um das Grüßen der geistlichen Würdenträge geht: „Weh euch Pharisäern! Ihr wollt in den Synagogen den vordersten Sitz haben und auf den Straßen und Plätzen von allen gegrüßt werden.“ (Lk 11,43)
Elisabeth scheint darüber so gerührt und freudig angetan gewesen zu sein, dass sich die Emotionen bis in den Leib übertrugen. So ergab es sich, dass es das Baby im Bauch ihr zurück meldete. Das Kleine machte einen Luftsprung. Das wieder steigerte die Stimmung der werdenden Mutter bis zur Begeisterung. Das war aber kein oberflächlicher Spaß, sondern eine Begeisterung, die Gott gibt. Wenn Gott jemanden beiseite nimmt und heiligt, überwältigt ihn dieser Überschwang. Lukas nennt das „heiligen Geist“. „Heilig“ im biblischen Sinn bedeutet: ausgesondert, beiseite genommen von Gott.
Der Weg von Jerusalem hinaus über das Bergland von Judäa führt heute durch den Jerusalem Forest nach Ein Karem, wo die Kirche mit dem Geburtsort des Johannes steht. Es sind zu Fuß in gut drei Stunden zu bewältigen.
Und Elisabeth steigerte ihre Stimme zu einem lauten Schreien. Dabei sagte sie: "Die Gepriesene bist du – gepriesen in der gesamten Frauenwelt! Und der Lobpreis gilt auch dem, was in deinem Bauch heranwächst und zu einer reifen Frucht wird." Normalerweise wird das Wort "Frucht" in der Landwirtschaft verwendet: am Weinstock, am Feigenbaum.
„Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ Dieser Satz klingt wie eingeschoben. Er unterbricht den Erzählfluss. Vorher sprach Elisabeth noch von der „Frucht deines Leibes“. Diese ist plötzlich „der Herr“ und Maria „die Mutter meines Herrn“. Möglicherweise verbirgt sich hinter diesem Satz Lukas, der Schriftsteller selbst. Er will ausdrücken, dass die Mutter seines Herrn in seine Region geeilt ist. Maria musste im Jahr 42 n.Chr. aus Jerusalem fliehen und die Urgemeinde verlassen. Sie kam mit Johannes, dem sie Jesus noch selbst anvertraut hatte, nach Ephesus (heutige Westtürkei) und hat dort in hohem Alter als über 60 Jährige noch segensreich gewirkt. So dankt Lukas nachträglich: „Woher geschieht mir dies, dass die Mutter meines Herrn, die Mutter des Allerhöchsten zu mir in mein Land kommt? Wie habe ich das verdient?“
Nun knüpft die Erzählung wieder an die Gefühle von Elisabeth an: "Siehe, als es sich ereignete, dass der Klang (!) deines Grußes in meine Ohren drang (So die genaue Übersetzung, nicht: als ich deinen Gruß "hörte“), da sprang der Winzling (nicht „das Kind“, sondern "Baby") in meinem Bauch vor überschäumender Freude.
Glücklich, ja bevorzugt, ist so eine Frau, die vertraut hat. Sie ist besser dran. Sie hat sich eingelassen auf das große Spiel der Liebe.
Der Herr, der Allherrschende bietet es den Menschen an und schlägt es ihm vor. Sie hat nicht nach einem Beweis verlangt, wie es Männer oft tun. Sogar solche wollen vorher eine Sicherstellung, die ein geistliches Amt innehaben, wie mein Mann Zacharias, der Dienst tut im Gotteshaus. Sie ist eine, die sich auf das Wagnis der Liebe eingelassen hat. Sie hat vertraut, dass es sich so erfüllt, wie es ihr eingesagt worden ist von Seiten des Herrn.
Zunächst sieht es nach einer berührenden Begegnung zwischen zwei schwangeren Frauen aus, aber bei näherem Hinsehen steckt viel Spannung dahinter. Die eine ist 14 oder 15 Jahre jung, und hat gerade erst erfahren, dass sie schwanger ist. Die andere ist wohl 45 Jahre alt, ein Alter, in dem Frauen im Normalfall nicht mehr schwanger werden. Sie ist im sechsten Monat. Die jüngere besucht die um 30 Jahre ältere Verwandte. Im Original-Text enthält die Schilderung viel mehr Körperliches und Emotionales als die üblichen Übersetzungen wiedergeben. Auch die revidierte Einheitsübersetzung schreibt vom „Leib“ der beiden Frauen, obwohl vom „Bauch“ die Rede ist. Die Lobesworte wirken sich im Bauch aus.
Paulus verwendet in einem einzigen Satz beide Worte: „Die Speisen sind für den Bauch da und der Bauch für die Speisen; Gott wird beide vernichten. Der Leib ist aber nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib. (1Kor 6,13)
Zu übersetzen, dass Elisabeth „mit lauter Stimme rief“, ist zu schwach: Sie schrie! Lukas verwendet denselben Ausdruck wie in der Apostelgeschichte, als er das Hetzschreien in einer Versammlung schildert. „Es brach ein Streit zwischen den Pharisäern und den Sadduzäern aus, und die Versammlung spaltete sich. … Es erhob sich ein lautes Geschrei, und einige Schriftgelehrte aus dem Kreis der Pharisäer standen auf und verfochten ihre Ansicht.“ (Apg 23,7.9). Elisabet schreit also vor Überschwang. Außerdem „hört“ sie nicht einfach die Grußworte, sondern „sie dringen in ihr Ohr“ – ins Körperinnere. Es ist der Klang des Grußes, der sich in ihr entfaltet. Das ist körperlicher als das rein Akustische „Hören“
Nun mag jemand sagen: Das macht Lukas, damit die Erzählung plastischer wird . Jemand könnte sogar einwenden: Wer weiß, ob sich das wirklich so zugetragen hat, vielleicht ist das nur die Erzählkunst des Lukas. Daran ist manches richtig: Wir sollten auch die Schilderung nicht nur als Tatsachenbericht aus der Kindheit des Täufers und des Messias auffassen. Vorrangig vor der Kindheit ist das Leben und Wirken dieser beiden Persönlichkeiten als Erwachsene: Da gibt es ein Beispiel, wie Johannes Zeugnis über Jesus ablegt: Einige Leute stellten Johannes die Frage, ob er Jesus nicht als Konkurrenten empfinde, wenn jetzt nicht mehr die Massen zu seiner Erneuerungstaufe kämen, sondern dem Jesus nachliefen. Denen gibt Johannes zur Antwort: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam. Der Freund des Bräutigams aber, der dabei steht und ihn hört, ist voller Freude über die Stimme das Bräutigams. Diese Freude hat sich nun bei mir vollendet.“ (Joh 3,29) Diese Freude des Täufers über Jesus könnte rückgeblendet sein in die Schwangerschaft. Aber wahrscheinlich erinnerte sich die Mutter Jesu tatsächlich zeitlebens an die Einzelheiten der Begegnung mit Elisabet und den Freudensprung ihres Babys im Bauch. Gerne erinnern sich Mütter im Alter an Dinge aus der frühen Kindheit ihres Sohnes, ihrer Tochter, wie er oder sie als Erwachsene tatsächlich geworden sind. Es ist also eine Rückblende vom reifen Alter ins Babyalter – und zugleich eine Erinnerung.
Wir dürfen in der Schilderung des Lukas noch mehr erkennen: Es spiegelt sich seine eigene Gemeindeerfahrung in den 90er Jahren darin wieder. Die Gemeinde ist der Ort, ja der Bauch, in dem Christus lebendig wird. Maria, die Mutter Jesu, symbolisiert die Gemeinde. Sie trägt Christus in die Welt. Wenn die Gemeinde einen Neuling begrüßt und sogar zu ihm etwas Wertschätzendes sagt, wird der verblüfft sein. Er wird sagen: „Wer bin ich, dass die zu mir kommt, die den Herrn in sich trägt?“ Dies deutet auf ein starkes Selbstbewusstsein der Hauskreise hin, die sich wöchentlich versammeln. Die Grundstimmung in diesen Runden ist Freude. Die Mitglieder „hören“ nicht einfach das „Wort“ und den Lobpreis, er dringt (!) in ihr Hörorgan, dringt in ihren Leib. Es geht nicht nur ins Hirn, sondern in den Bauch. Der Lobpreis, wie er in der Gemeinde gesprochen und gesungen wird, wirkt sich körperlich wohltuend aus. Wenn Lukas schreibt, dass Elisabet den Lobpreis „geschrien“ hat, dann klingt das laute, ja schreiende Preisen einzelner Mitglieder durch, wie es Lukas aus seinen Gemeinde-Gottesdiensten kennt. Für Paulus ist manchmal die laute, bisweilen sogar schreiende Jubelstimmung im Gottesdients sogar übertrieben, sodass er sie hinterfragen muss: „Wenn du nur in feuriger Begeisterung den Lobpreis schreist und ein Neuer, noch Unkundiger anwesend ist, so kann er zu deinem Dankgebet das Amen nicht sagen; denn er versteht nicht, was du sagst.“ (1Kor 14,16) Manche hüpfen sogar während der Feier – wie das Baby im Bauch. Nur im Lukas-Evangelium findet sich das Jesuswort: „Freut euch und jauchzt an jenem Tag; euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht.“ (Lk 6,23) Jauchzt heißt wörtlich „Springt vor Freude“, nur bei Lukas) Das laute Singen der Gottesdienst-Gemeinde und Tanzen im Gottesdienst ist in unseren europäischen kirchlichen Festen unvorstellbar – höchstens in Afrika. Aber zwei Dinge wären bei unseren Gottesdiensten ab sofort schon möglich: Erstens: Ein Begrüßungswort, wie es Maria gesprochen hat, sodass es in den Bauch geht. Es muss nur mit so einer ehrlichen Herzlichkeit und Segenskraft ausgerufen werden - bei der Eröffnung und beim Abschluss: „Der Friede sei mit euch.“ Zweitens: Alle, die den Weg des Vertrauens gehen, sollen mit einem Glückwunsch ermutigt werden. Es mag anfangs oft nicht danach aussehen, aber es wird sich unser Lebensweg als Heilsweg herausstellen. Wir bekommen das Wort von Zeit zu Zeit gesagt. Der Herr lässt es uns gelegentlich durch jemanden ausrichten. Es lautet: „Hab Vertrauen, lass dich nicht abbringen davon.“ Auch wenn es entgegen alle misstrauische Grundstimmung in unserer Gesellschaft steht: „Der ist besser dran, er ist >selig<, der sich zuversichtlich einlässt auf das >Wort<. Es wird sich erfüllen.“