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4. Okt 2020

27.Sonntag im Jahr.kr.

Es war eine Abgabe vereinbart

Mt 21,33– 44

Jesus befand sich auf dem Tempelplatz. Es war die Woche vor dem Pascha-Fest und er ahnte die ihm drohende Gefahr in greifbarer Nähe. Die Feindseligkeit der jüdischen Führung hatte sich so gesteigert, dass er wusste: Sein Leben stand auf dem Spiel und von den Hohepriestern, von den Gelehrten der Schriften und von den Oberhäuptern der Adelsfamilien ging der tödliche Hass aus. (Markus nennt die drei Gruppen, Matthäus lässt die Schrifttheologen weg, wahrscheinlich, weil er selber ein ehemaliger Schriftgelehrter ist, der allerdings ein Lernender im Evangelium geworden war). Mit seinem engsten Schülerkreis hatte Jesus schon vor Wochen darüber ohne Umschweife gesprochen. Dreimal hatte er sie beiseite genommen, um sie aufzuklären und auf die bevorstehende Tragik vorzubereiten. Jetzt sprach er erstmals sogar in aller Öffentlichkeit darüber, allerdings nicht im Klartext, sondern er kleidete diese sich anbahnende Tragödie in eine Bildgeschichte.  Er wollte den Machthabern der Religion noch ein letztes Mal spiegeln, was sie da trieben. Er forderte sie auf: „Hört auf meine anschauliche Lehrgeschichte“

Es ist wie mit dem Besitzer eines ausgedehnten Weingutes. Er stand am frühen Morgen auf, obwohl er es sich leisten hätte können, lange zu schlafen. Nein, er ging in der frühen Morgenstunde außer Haus. Sein Weinberg war ihm ein Herzensanliegen. Deshalb ging er zu den Arbeitern, die er schon lange kannte, von denen er wusste, wo sie wohnten. Er warb sie an. Zuerst holte er sich also nicht die vom Arbeitsmarkt, sondern die vertrauten Arbeiter.

Gleich zu Beginn wurden die Lohnverhandlungen geführt, er wollte sie angemessen bezahlen und es herrschte Einverständnis darüber, dass sie einen Denar für den ganzen Tag – also die 12 Stunden – bekommen – das war ja auch der übliche Tageslohn. Das war eine gute Übereinkunft. Welche Aufgabe ihnen zufallen würden, das war offen. Das war nicht Gesprächs­thema. Ein Weinberg hatte vielfältige Aufgaben und sie hingen von den Fähigkeiten der einzelnen ab. Zu tun gibt es genug: von Rebschnitt über Unkraut aushacken bis zu Maurerarbeiten am Wachturm. Die Traubenernte war es jedenfalls noch nicht. Er entsandte sie in seinen Weinberg, es war wie ein Sendungsauftrag.

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Durch das Kidron-Tal führte der letzte Weg Jesu. Er führte vorbei an der Zinne des Tempels, der Mauerkante, die aus gewaltigen Kalksteinen aufgebaut worden war.

„Es geht um einen Weinberg. Wenn ich am Tempelplatz von einem Weinberg spreche, fällt euch vielleicht sofort das Weinberg-Lied aus dem Buch Jesaja ein: >Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fruchtbaren Höhe. Er grub ihn um und entfernte die Steine und bepflanzte ihn mit edlen Reben. Er baute in seiner Mitte einen Turm und hieb zudem eine Kelter in ihm aus. Dann hoffte er, dass der Weinberg Trauben brächte, doch er brachte nur faule Beeren.< (Jes 5,1ff) Meine Geschichte beginnt so ähnlich, legt aber dann den Schwerpunkt auf andere Einzelheiten. Da ist ein Gutsbesitzer, der über viele Ländereien gebietet. Von allen seinen Fläche wählte er eine aus. Sie wollte er aufwerten und daraus einen Weinberg machen. Der Weinberg sollte von Beginn weg geschützt sein durch einen Zaun, sodass jedermann wusste: Das ist die Grenze – weiter nicht! Der Zaun rundherum diente als Schutz vor Wildtieren und vor Plünderern. Aus einem felsigen Platz ließ er ein Becken herausschlagen. Darin sollten die Trauben ausgetreten werden, um den Saft zu gewinnen. Das war die Kelter. In erhöhter Lage baute er einen Turm, von dem aus Verantwortliche das Grundstück überwachen konnten.“

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Der hellere Quaderstein in der Tempelmauer  ist außergewöhnlich groß. Es kann sein, dass ihn die Bauleute zuerst verworfen, dann aber als Hauptstein, als Bindestein eingesetzt haben

Diese Bildsprache Jesu war sehr hintergründig: Der Weinberg war das jüdische Volk, das sich Gott erwählt hatte. Der Zaun war das Gesetz, es waren die Weisungen Gottes, die zum Schutz des Volkes dienten. Die Steinschale im Boden war das Reinigungsbecken aus dem das reine Volk hervorging. Der Turm war der Tempel mit den Hütern der Religion. Jesus setzte fort: „Die weiten Besitzungen des Gutsherren sollten nicht alle ungenützt bleiben, sondern Erträge bringen. Vom Weinberg waren reichere Erträge zu erwarten als etwa von Weideflächen. Klarerweise besorgte er Weinreben von bester Qualität und pflanzte sie auf den erwählten Hügel. Nachdem er diesen Aufwand betrieben und in das Landstück soviel investiert hatte, brauchte er nur noch verlässliche Weinbauern, die sich ehrlich um seine Anlage kümmern sollten. Als er die richtigen Leute gefunden hatte, schloss er mit ihnen einen Pachtvertrag ab und vereinbarte, wieviel sie sich selbst behalten durften als ihre Einkommensquelle und wieviel sie beiseite legen sollten, um es ihm abzuliefern, wenn er es fordere. Dann reiste er ab, denn er stammte nicht aus diesem Land, er hatte nur seine Besitzungen hier.

Als der Zeitpunkt der Ernte heran gekommen war, entsandte er seine zuverlässigen Bediensteten zu der Bauerngruppe, die mit der Verpachtung betraut war. Die Bediensteten sollten die vereinbarten Erträge in Empfang nehmen. Die Bauern aber nahmen sich die Entsandten vor: Den einen schlugen sie, den anderen brachten sie um, wieder einen anderen beschossen sie mit Steinen. Als Folge könnte man annehmen, der Grundbesitzer würde sie sofort bestrafen und verjagen vom Weinberg. Nein, er verlor nicht die Geduld mit den Pächtern. Er machte einen zweiten Versuch und entsandte andere Diener, zahlenmäßig mehr als die ersten. Mit denen trieben sie es auf dieselbe Weise. Zuletzt entsandte er seinen Sohn. Dabei sagte er sich: >Meinem Sohn werden sie Achtung entgegen bringen. Sie würden sich schämen, es mit ihm genauso zu treiben.< Die Weinberg-Pächter aber sahen ihn und erkannten, dass es der Sohn war. Da beratschlagten sie untereinander: >Das ist der Erbe, ihm wird der Gutsherr eines Tages seine Besitzungen übergeben. Auf, Freunde! Wir werden ihn beiseite schaffen, wir werden ihn töten, dann wird uns das Erbe gehören.’ Die Bande von Pächtern machte ihren Plan tatsächlich wahr: Sie packten ihn und warfen ihn hinaus aus dem Weinberg – den Sohn! – und sie töteten ihn. Wenn nun der   HERR   des Weinbergs kommt, .... Bisher hatte er nur „Gutsbesitzer“ geheißen, jetzt ist er der  HERR. Bisher hatte er seine Macht zurückgehalten, jetzt tritt er selber in Erscheinung und setzt dem Treiben der Weinberg-Pächter ein Ende. Was wird er tun?“

Jesus brach seine Lehrgeschichte ab und wartete auf eine Antwort von den Verwaltern der heiligen Stätten. Sie sagten zu ihm: „Er wird die Bösewichte böse zurichten und sie vernichten. Den Weinberg aber wird er an andere Bauern verpachten. Sie werden ihm die Erträge abliefern, wenn der richtige Zeitpunkt dafür da ist.“ Somit hatten sie selbst das Urteil gesprochen.

Jesus sagte daran anschließend: „Habt ihr niemals in den Heiligen Schriften den Hinweis gelesen: >Vom Steinbruch her ist ein so gewaltiger Stein angeliefert worden, dass ihn die Bauleute nicht angenommen, sondern verworfen haben. Aber dann ist es anders gekommen: Es hat sich so gefügt, dass er doch nötig war und sogar zum hauptsächlichen Stein, zum Eckstein, zum Bindeglied für zwei Mauern wurde. Wenn wir das hinterher mit unseren Augen betrachten, ist es ein Wunder.“ Jesus zieht hier einen Vers aus dem Psalm 118 heran. Aber seine Zuhörer schweigen dazu, sie scheinen ihn nicht zu verstehen. Das frühe Christentum greift später noch oft auf diesen Satz zurück, um mit dem so unverständlichen Sterben ihres Meisters Jesus zurecht zu kommen. So sagte etwa Petrus und Johannes vor dem hohen Rat: „... den ihr gekreuzigt habt und den Gott von den Toten auferweckt hat. Dieser Jesus ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist.“ (Apg 4,11) Ebenso wird der Satz angeführt in einem allgemeinen Brief an Christengemeinden: „Euch, die ihr glaubt, gilt die Ehre. Für jene aber, die nicht glauben, ist dieser Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein geworden, zum Stein, an dem man anstößt.“ (1 Petr 2,7f)

Jesus setzte fort und sprach jetzt nicht mehr in Lehrgeschichten, sondern eine unmissverständliche Ankündigung: „Die Herrschaftsordnung Gottes wird euch weggenommen“ – mit „euch“ meint er die zu seiner Zeit Verantwortlichen der Religion. „Sie wird einem anderen Volk, einer anderen weltweiten Gemeinschaft übergeben werden, die jene Erträge bringt, wie sie zur Königsherrschaft gehören.“ Dieses Wort hat Matthäus dem damaligen Jesus in den Mund gelegt. Matthäus weiß in den 80er Jahren rückblickend, dass die Weltmacht Rom das Volk Gottes zerstreut hat und er weiß, wie in diesem römischen Imperium das Netzwerk Gottes durch die Jesus-Gemeinden sich erfolgreich ausbreitet. Matthäus verwendet wieder auffallend das Wort >tun<, wie wir es schon vergangenen Sonntag deutlich erfahren haben: Er schreibt es als Feststellung: Dieses andere Volk wird die Früchte >tun<. Er schreibt es gleichzeitig als Aufforderung, ja als Mahnung: Damit das Imperium der Liebe  auch Wirklichkeit wird, muss die Liebe getan werden. Auch zu den Gemeinden unserer Tage werden Abgesandte geschickt, die fragen: Wo sind eure Früchte des Glaubens? So wie von den Pächtern des Weinbergs zu recht verlangt wurde, dass sie Erträge vorzuweisen und abzugeben haben, wo werden die Verantwortlichen der Gemeinden heute zur Rede gestellt: Wo sind die Erträge? Gerade in den Zeiten des Wandels der Kirche kann von Gott her verfügt werden: „Die Verantwortung wird euch weggenommen und anderen übertragen, die Früchte bringen.“

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