5.März 2023 2.Fasten-Sonntag
In IHM ist die Lichtgestalt verborgen
Matthäus 17,1-8
Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihnen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, es erschienen ihnen Mose und Elija und redeten mit Jesus. Und Petrus antwortete und sagte zu Jesus: Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Noch während er redete, siehe, eine leuchtende Wolke überschattete sie und siehe, eine Stimme erscholl aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören. Als die Jünger das hörten, warfen sie sich mit dem Gesicht zu Boden und fürchteten sich sehr. Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf und fürchtet euch nicht! Und als sie aufblickten, sahen sie niemanden außer Jesus allein. Während sie den Berg hinabstiegen, gebot ihnen Jesus: Erzählt niemandem von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferweckt ist!
Ich bin im Februar 2017 erstmals auf den Berg Tabor gewandert, obwohl ich bis dahin schon 35 Reisen ins Heilige Land unternommen hatte. Vielleicht musste meine Zeit erst reif werden. Ein paar freie Tage haben sich zwischen zwei Reisegruppen ergeben, die ich in Nazaret verbrachte. Das hat es mir ermöglicht, dass ich mir den Tabor vornahm. Mit Taxi hinauf zu fahren, wäre für mich nie in Frage gekommen. Ihn einen „Berg“ (588m ü.M.) zu nennen, ist für unsere österreichischen Verhältnisse übertrieben, „Hügel“ wäre entsprechender. Aber er ragt markant alleinstehend 450 m aus der Jesreel-Ebene auf. Bei meiner „Erstbesteigung“ wurde mir manches klar. Es war eine starke persönliche Erfahrung, die ich später durch Wissen aus Bibel-Kommentaren und Wikipedia ergänzt habe.
Zunächst einiges Wissenswertes:
① Manche Ausleger bezweifeln, dass der Tabor tatsächlich der Berg der Verklärung war. Sie lokalisieren ihn eher in den Golan oder zum Berg Hermon, denn der Name des Berges ist nicht genannt im Evangelium. Zwei Absätze zuvor wird noch vom Besuch der Gegend um Cäsarea Philippi erzählt und die liegt am Fuß des Hermon. Somit würde die Verklärung eher dorthin passen. Die spätere Tradition nennt den Berg Tabor als Berg der Verklärung – er liegt Luftlinie 80 km entfernt vom Hermon. Das wären 4 Tage Fußmarsch. Aber vielleicht ist deshalb erwähnt: „Sechs Tage danach nahm Jesus die drei engsten Vertrauten beiseite.“ Vom heutigen Zentrum von Nazaret, dem das damalige Dorf Nazaret entspricht, ist der Tabor-Gipfel für einen flotten Geher in 4 Std. zu Fuß erreichbar. Er liegt abgesetzt von der Hügelkette die Nazaret umringt. Er hat eine Allein-Stellung.
Der Berg Tabor ist im weiten Umkreis gut erkennbar, weil er sich unvermittelt aus der Ebene erhebt und abgesondert steht.
Das lässt sich sogar aus dem Text des Markus erkennen, wenn man ihn anders als üblich übersetzt: Statt „Er führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein“ wäre zu übersetzen: „Er führte sie auf einen hohen Berg, einen allein stehenden, nur sie“ Der 15 km lange großteils bewaldete Weg hat es in sich, weil er zuerst aus der Talsenke von Nazaret auf die Hügelkette hinauf führt. Dann verläuft er hinab in die Ebene und steigt schließlich zügig hinauf zum allein stehenden Gipfel.
② Im gesamten Markus-Evangelium ist eine Steigerung der Offenbarung Jesu zu erkennen: Am Jordan, nach der Taufe wird ihm selber - nur ihm - geoffenbart: „Du bist mein geliebter Sohn. An dir habe ich Wohlgefallen gefunden“. Während der Verklärung wird den drei engsten Vertrauten erklärt: „Dieser ist mein geliebter Sohn. Auf ihn sollt ihr hören.“ Nach dem Sterben am Kreuz bekennt der Leiter des Hinrichtungskommandos (ein Nicht-Gläubiger): „Dieser war ein Gottes Sohn.“
③ Es handelt sich um eine sehr komplexe dreistufige Vision und Audition, so nennt es Massimo Grilli, Professor für Neues Testament an der Universität Gregoriana in Rom. Matthäus fügt dreimal das „Siehe“ ein: Erstens dort, wo ihnen die beiden Großen der jüdischen Heilsgeschichte erscheinen, zweitens wie die Wolke sie überschattet, drittens wie die Stimme erklingt. „Siehe“ „Siehe“ „Siehe“ Jesus wurde vor ihnen verwandelt zu einer lichtdurchströmten Gestalt. In der Spiritualität des Christentums wird berichtet von ähnlichen Lichterfahrungen während einer intensiven Vertiefung und innigen Verbundenheit mit dem Göttlichen. Es wird „Taborlicht“ genannt und ist seit dem 12.Jahrhundert bezeugt. Mönche vor allem am Berg Athos bestätigen, dass das Licht im Zustand der völligen Ruhe wahrgenommen werden kann.
④ Es tauchen zwei Persönlichkeiten auf, die das jüdische Volk und seine Spiritualität geprägt haben: Mose, der 1200 Jahren zuvor die jüdischen Stämme aus der ägyptischen Unterdrückung heraus geführt und sie durch das Gesetz zum Volk geeint hat. Dazu kommt Elias, der 800 Jahren davor leidenschaftlich zum ursprünglichen Vertrauen auf Jahwe aufgerufen hat. Jesus steht mit den beiden großen Gestalten des jüdischen Glaubens während der Verklärung im Dialog. Dabei wird sein innerstes Wesen sichtbar. Dass Jesus mit den beiden Größen des Judentums im Gespräch steht, obwohl Jahrhunderte dazwischen liegen, das könnte heute wegweisend für den christlich-jüdischen Dialog sein.
⑤ Petrus drückt sein Wohlgefühl aus: „Herr, es ist gut, dass wir hier sind“. Er hat gleich eine Idee: Wir könnten hier eine dreifache Verehrungsstätte errichten, ein Pilgerziel, Zelte als Treffpunkte für Glaubensgeschwister. Meist wird übersetzt: „Ich werde hier drei Hütten bauen“ Aber das griechische Wort für Hütten meint eher ein Zelt, eine Verkaufsbude. In der Rede des Stephanus kommt dasselbe Wort vor: „Unsere Väter hatten in der Wüste das Bundeszelt. So hat Gott es angeordnet; er hat dem Mose befohlen, es nach dem Vorbild zu errichten, das er geschaut hatte". Somit ist ein Zelt, gemeint, das eine Gottesbegegnung bezeugen soll., ein großer Tabernakel, aus dem später der Tempel werden sollte. Die katholische Ordensgemeinschaft der Franziskaner hat inzwischen mehr als nur drei Hütten oder Zelte hin gebaut: nämlich eine gewaltige Basilika und das, obwohl im Markus-Evangelium schon im nächsten Satz dies als dummer Plan erklärt und mit seiner Benommenheit entschuldigt wird.“
⑥ Die Stimme aus der Wolke gibt den Auftrag: „Auf ihn sollt ihr hören“ ... und klarerweise ist das Gehörte auch zu tun! Im Matthäus-Evangelium hat der Leser schon 10 Kapitel vorher erfahren, dass Jesus seine umfangreiche Lehrrede mit dem Satz abschließt: „Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann …“ Mt 7,21. „Auf ihn sollt ihr hören“ wird betont im Angesicht von Mose und Elija, auf die bisher das jüdische Volk gehört hat. Ab jetzt ist Jesus die Autorität, sie ist von Gott bestätigt.
Nun noch meine persönlich Erfahrung zur Tabor-Besteigung: Als ich den Heimweg vom Gipfel antrat, war es schon 16 h und ich machte mir Sorgen, ob ich unten im Tal noch einen Linien-Bus zurück nach Nazaret finden würde – zu Fuß war es am Wanderweg zu weit. Ich wählte zum Abstieg die Asphaltstraße und schon nach der ersten Kurve hielt ein Auto an. Es war voll besetzt von jener jungen jüdischen Familie aus Tel Aviv, mit der ich 1 Stunde zuvor geplaudert hatte. „Willst du mitfahren?“ Gerne nahm ich die Einladung an und fragte unterwegs, ob sie an einem Busbahnhof vorbei kommen würden. „Wo musst du hin?“ „Nach Nazaret – das ist aber für euch ein Umweg.“ Letztlich brachten sie mich bis vor die Haustür meines Quartiers. Ich dankte ihnen und dem Himmel und versuchte mich nochmals zurück zu versetzen in die Zeit Jesu: Der Tabor muss sein geliebter Hausberg gewesen sein. Er muss ihn oft bestiegen haben, noch bevor er mit seiner Lehrtätigkeit als Rabbi begann. Wenn er als Bauhandwerker ein paar Tage frei hatte und nicht zu einer Baustelle marschieren musste, dann zog es ihn vielleicht dorthin. Am Weg beschäftigte er sich wohl gedanklich mit den weisen Gesetzen, die Mose von Gott empfangen hatte und Jesus fragte sich, wie er sie deuten und vertiefen würde. Ebenso kam ihm vielleicht bei den Weggabelungen der Prophet Elias in den Sinn, der kreuz und quer im Land unterwegs war, getrieben von der Leidenschaft für den wahren Glauben an JAHWE. Gerade deshalb wurde er verfolgt von Gegnern. Wie oft wird Jesus auf diesem Berg wieder zur vollkommenen inneren Ruhe gefunden haben!! Diesen Ort wollte er seinen drei engsten Begleitern zeigen als Ort seiner Gottesbegegnung. Da brach dieses Licht aus seinem Inneren auf.
Wie können wir diese Schilderung für uns heute anwenden? Zweifellos ist sie anspruchsvoll. Sie war zunächst auch nicht für die breite Öffentlichkeit gedacht, sondern nur den drei engsten Vertrauten Jesu zumutbar. Deshalb sollte sie auch heute mit Bedacht weiter erzählt werden, wohl aber denen, die schon einige Zeit „mit Jesus gehen“, denen er also schon vertraut ist. Am ehesten wird sie jemand verstehen, der bereits Erfahrung hat mit Gottesbeziehung, mit tiefem Gebet, der dies womöglich auf einem Berggipfel erlebt hat oder durch berührende biblische Gespräche und Einsichten (siehe Gespräch mit Mose und Elija) Klar ist, dass solche Erfahrungen nicht immer leicht anderen mitteilbar sind. Dem darin Geübten bleiben sie als wertvolle Erinnerung erhalten. Sie sind unverlierbar und geben Halt in Zeiten des Zweifels. Gotteserfahrungen können vielfältig sein: Durch Sehen, durch Hören, in kleinen Runden, etwa schon zu dritt, durch Naturphänomene, durch Schriftworte. Der eine Auftrag ist unmissverständlich: „Auf ihn sollt ihr hören“ – alles andere ist zweitrangig, wie etwa Gedenkstätten oder Gotteshäuser zu errichten. „Es heißt nicht: Ihm sollt ihr gehorchen“, sondern "auf ihn hören". Ihr könnt ihm gar nicht oft genug zuhören, euch mit seiner Stimme vertraut machen und seine Botschaft immer mehr in euch aufsaugen.