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7.Nov. 2021      32.Sonntag im Jahreskreis

Das Letzte zu geben - steht das dafür?

Markus 12,41-44

Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hineingeworfen; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles hergegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt

Wir legen diese Bibelstelle mit der Warum-Methode aus. Wir wagen es, jeden Satz mit „Warum?“ zu hinterfragen. Oder mit: „Warum nicht so: …. ?“ Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Warum hat Jesus gewusst, welche Beträge die Gläubigen eingeworfen haben? Dazu eine kurze Beschreibung des Schauplatzes: Der ausgedehnte Tempelplatz (etwa 400 X 300 Meter) war für Gläubige ebenso wie für Nichtgläubige frei zugänglich. In das eigentliche Heiligtum durften nur gläubige Juden eintreten. Sie kamen zunächst in den Vorhof der Frauen, dann ging es weiter in den Vorhof der Männer mit dem Opferaltar und dem allerheiligsten Gebäude. Im ersten Vorhof waren 13 Opferkästen aufgestellt, auch Schatzkammern genannt.

Wer sich das Modell des Tempels ansieht,  macht sich ein Bild davon: Im Frauen-Hof befanden sich also die dreizehn posaunenförmigen Behältern zum Einwerfen der Spenden. Da stand jeweils ein Priester, um die Opfergaben zu überprüfen: War die Höhe des Betrags dem Anliegen angemessen? Stimmte die Währung? Es musste in tyrischen Schekeln bezahlt werden. Wer den Betrag nicht in dieser reinen Silberwährung besaß, musste vorher zum Geldwechsler gehen. Die spendenwilligen Gläubigen führten vor dem Einwerfen ein Gespräch mit dem Tempel-Bediensteten. Das kann Jesus  bei einigen Leuten mitgehört haben. Warum wusste er, dass die Reichen, die kamen, viel einwarfen? Vielleicht, weil Würdenträger ihr Geben gerne zur Schau stellten und Wert darauf legten, dass die Bevölkerung merkte, wie großzügig sie spendeten. Jesus empfiehlt an anderer Stelle: „Wenn du Almosen gibst, lass es nicht vor dir her posaunen … Dein Vater, der das Verborgene sieht, wird es dir vergelten“ (Mt 6,2)

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Der Tempel wurde 70 n.Chr. vom römischen Militär zerstört und nie wieder aufgebaut. Das Modell ist im Freigelände des Israel-Museums zu besichtigen. und beeindruckt durch seine Präzision.

Da kam auch eine arme Witwe Woran merkte Jesus, dass die Frau Witwe war und noch dazu verarmt? Genau übersetzt ist nicht  von „einer Witwe“ die Rede, sondern von einer Witwe, die „allein“ war. Sie ging „einsam“ durch das Heiligtum, sie ging nicht in Begleitung eines Mannes, wie das in der orientalischen Öffentlichkeit üblich war. Vielleicht trug sie sogar noch die schwarze Trauerkleidung. Das hätte bedeutet, dass sie erst vor wenigen Wochen ihren Mann verloren hatte. Vielleicht klagte sie dem Tempelpriester ihren Kummer –  für andere hörbar. Vielleicht stellte sie sich mit Blick auf das Allerheiligste hin und betete halblaut vor sich hin: „Herr, du verschafft Waisen und Witwen ihr Recht.“ (Dtn 10,18) Sie  hatte „zwei kleine Münzen“ eingeworfen. Im Originaltext steht es präziser: „Zwei Lepta“ warf sie ein. Das waren kleine griechische Münzen, um die man gerade einmal ein kleines Laibchen Brot bekommen hätte. Der Evangelist Markus fügt gleich die entsprechende römische Währung an: „Das ist ein Quadrans.“ Daraus ist zu erkennen, dass er in Rom sein Buch zum Abschluss bringt.

Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. Warum ging Jesus nicht zu der Verarmten hin und bot ihr Geld an, er der sonst ein Herz für die Armen hatte? Er hätte gleich Judas damit beauftragen können, der doch die Kassa verwaltete. Warum sagt Jesus nicht, wie unangemessen überhaupt eine Spende in den Tempelschatz sei. Schon in 40 Jahren wird kein Stein auf dem anderen liegen bleiben, das ahnte er schon und erklärte  es in diesen Tagen seinen engsten Vertrauten. Schon die nächste Generation würde das erleben: Römische Truppen werden den Tempelschatz rauben und es wird schlagartig soviel Gold auf den Weltmarkt kommen, dass der Goldpreis sinken wird. (Das hat sich tatsächlich im Jahr 70 ereignet). Den Schriftgelehrten hielt Jesus vor, dass sie die Häuser der Witwen auffressen. Wie konnte er es noch für gerechtfertigt finden, dorthin auch nur 1 Münze zu spenden? Jesus hatte nicht vor, die Missstände aufzudecken. Vielmehr hatte er es eilig, den rundum verstreuten Schülerkreis zu sich zu rufen und  zu erklären: „Diese bettelarme Witwe hat soeben einen Geldbetrag eingeworfen, der mehr Wert hat, als der von allen anderen.“ Die Zuhörenden werden wohl den Kopf geschüttelt haben. „Wie die aussieht, kann sie nicht so viel Geld gehabt haben.“   Jetzt kommt Jesus zu  seiner Schlusserklärung: „Üblicherweise geben die Mitglieder der Religion den  Betrag als Spende, den sie leicht verkraften können. Sie besitzen mehr als nötig und geben vom Überschuss etwas ab. Jetzt führe ich euch Männern das Verhalten dieser Frau vor Augen.“

Jesus nennt sie bewusst nicht mehr „arme Witwe“, sondern „Frau“, und es ist das dritte Mal, dass er seinen Schülern eine Frau als Beispiel für Vertrauen nennt: Die erste war die mit den Regelblutungen (Mk 5,34), die zweite war die Nichtjüdin mit ihrer psychisch schwer belasteten Tochter. (Mk 7,29). Bei allen dreien würdigt er deren unerschütterliche Überzeugung, dass ihnen geholfen wird.  Aus dem Schlusssatz ist fast ein feierlicher Ton Jesu heraus zu hören: „Diese Frau hat aus ihrem Mangel heraus alles eingeworfen, was sie hatte, ihr ganzes Leben.“ Jesus schickte offenbar niemanden nach, um ihr Geld zuzustecken. Vielleicht, weil er sicher war, dass sich für diese Frau etwas fügen und sich damit ihr Vertrauen bestätigen würde.

 

Der Schlüssel zum Verständnis scheint hier im letzten Satz zu liegen, nämlich: "Sie warf ihr ganzes Leben ein". BIOS heißt Leben, Lebensalltag, Existenzgrundlage. Jesus muss mit einem Mal sein eigenes Schicksal abgebildet gesehen haben im Verhalten der Frau. In wenigen Tagen würde auch er sein ganzes Leben in die Waagschale werfen.   In diesem kurzen Stück kommt sieben Mal das Wort „werfen“ vor (griechisch BALLO). Die Einheitsübersetzung gibt es nur vier Mal wieder, die übrigen zweimal schreibt sie stattdessen „Reiche gaben viel“,...  „die Frau hat alles hergegeben“, obwohl dort auch werfen im Original-Text steht. „Werfen“ drückt Leidenschaft und Hingabe aus. Es ist dasselbe Wort wie beim Saatgleichnis:  „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen auf die Erde wirft.“ (Mk 4,25) Auch da übersetzt die Einheitsübersetzung zu ungenau: „… Samen auf seinen Acker sät.“ Damit kommt kaum zum Ausdruck wie Jesus seinen Lebenseinsatz empfindet: Er fühlte sich wie „…hin geworfen auf die Erde.“ Er selber war der Same, das Wort, der volle Einsatz.

Indem Jesus den Scheinwerfer auf den Ganzeinsatz der Frau lenkt, ermutigt er seine Anhänger: Das Letzte zu geben, lohnt sich, auch wenn man sich zunächst als Verlierer fühlt. Du bekommst es reichlich rückerstattet, was du in die Waagschale Gottes geworfen hast. Den wertschätzenden Blicken Gottes entgeht es nicht, wie du dein Leben investierst nach seinen Vorstellungen. Am Schluss bist du sicher nicht der zu kurz Gekommene, sondern der Beschenkte, bist eingeladen zum Fest: „… denn die Zeit der Ernte ist da.“  So endet das Saatgleichnis und es klingt nach Feiern: am Festmahl Gottes teilnehmen.

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