23. Dez. 2018
4.Advent-Sonntag
Die Begegnung zwischen zwei Schwangeren
Lukas 1, 39-46
Noch in diesen Tagen erhob sich Maria. Sie stand auf. Sie war keine, die sitzen bleibt. Es ließ ihr keine Ruhe. Sie machte sich auf einen Weg, der mühsam war, denn sie ging in das Bergland, also bergauf, bergab. Trotzdem ging sie in Eile, um rasch eine Stadt von Judäa zu erreichen.
Das Ziel ihres Marsches war das Haus des Tempelpriesters Zacharias. Ihm hätte der huldigende Gruß gebührt. Aber nicht ihn grüßt Maria dort, sondern dessen Frau Elisabeth. Bewusst ihr galt der Gruß. Es war mehr als bloß ein „Grüß dich, liebe Tante“ Es war ein würdigender Lobpreis und eine Hochachtung.
Elisabeth scheint darüber so gerührt und freudig angetan gewesen zu sein, dass sich die Emotionen bis in den Leib übertrugen. So ergab es sich, dass es das Baby im Bauch ihr zurück meldete. Das Kleine machte einen Luftsprung. Das wieder steigerte die Stimmung der werdenden Mutter bis zur Begeisterung. Das war aber kein oberflächlicher Spaß, sondern eine Begeisterung, die Gott gibt, wenn er jemand beiseite nimmt und heiligt. („Heilig“ im biblischen Sinn bedeutet: ausgesondert, beiseite genommen von Gott)
Und ihreLautstärke schaukelte sich hoch bis zum lauten Schreien. Dabei sagte sie: Die Gepriesene bist du – gepriesen in der gesamten Frauenwelt! Und der Lobpreis gilt auch dem, was in deinem Bauch heranwächst und zu einer reifen Frucht wird. (Normalerweise wird das Wort Frucht verwendet in der Landwirtschaft: am Weinstock, am Feigenbaum)
Woher geschieht mir dies, dass die Mutter meines Herrn, die Mutter des Allerhöchsten zu mir kommt?
Siehe, als es sich ereignete, dass der Klang des Grußes in meine Ohren drang, da sprang der Winzling in meinem Bauch vor überschäumender Freude.
Glücklich und bevorzugt ist sie, ja sie ist besser dran. Sie hat vertraut, sie hat sich eingelassen auf das große Spiel der Liebe, das der Allherrschende den Menschen anbietet und vorschlägt. Sie hat nicht nach einem Beweis verlangt. Sie ist eine, die sich auf das Wagnis der Liebe eingelassen und vertraut hat, dass sich es sich so erfüllt, wie es ihr eingesagt worden ist von Seiten des Herrn.
Lukas erwähnt den Namen der Stadt nicht, wo er das sonst gerne tut, um seiner Erzählung mehr Anschaulichkeit zu verleihen. Vielleicht liegen ihm keine Mitteilung darüber vor. Bei Israel-Reisen wandern nur wenige Pilgergruppen den Weg hinaus von Jerusalem nach EinKarem, wo Johannes geboren und aufgewachsen sein solll.
Dasselbe Wort für Gruß verwendet Lukas, wenn es um das Grüßen der geistlichen Würdenträge geht: „Weh euch Pharisäern! Ihr wollt in den Synagogen den vordersten Sitz haben und auf den Straßen und Plätzen von allen gegrüßt werden.“ (Lk 11,43)
Nur im Lukas-Evangelium findet sich das Jesuswort: „Freut euch und jauchzt an jenem Tag; euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht.“ Lk 6:23 (Jauchzt = wörtlich „Springt vor Freude“, nur bei Lukas)
Auch die revidierte Einheitsübersetzung schreibt vom „Leib“ der beiden Frauen, obwohl vom „Bauch“ die Rede ist. Die Lobesworte wirken sich im Bauch aus.
Paulus verwendet in einem einzigen Satz beide Worte: „Die Speisen sind für den Bauch da und der Bauch für die Speisen; Gott wird beide vernichten. Der Leib ist aber nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib. (1Kor 6,13)
Sogar Männern, die ein geistliches Amt inne haben, mangelt es an Vertrauen. Lukas hatte zuvor ihren Mann Zacharias beschrieben, der Dienst tat im Gotteshaus. Er verlangte einen Beweis, dass das zugesprochene Wort sich bewahrheiten würde: "An welchem Zeichen soll ich das erkennen?"
Zunächst sieht das nach einer berührenden Begegnung zwischen zwei schwangeren Frauen aus, aber bei näherem Hinsehen steckt viel Spannung dahinter. Die eine ist 15 Jahre jung, und hat gerade erst erfahren, dass sie schwanger ist. Die andere wohl 45 Jahre alt, ein Alter, in dem Frauen im Normalfall nicht mehr schwanger werden. Sie ist im sechsten Monat. Die jüngere besucht die um 30 Jahre ältere Verwandte. Die Schilderung enthält im Original-Text viel mehr Körperliches und Emotionales als die üblichen Übersetzungen wiedergeben:
1. "Leib" statt wörlich "Bauch"
2. Zu übersetzen, dass Elisabeth „mit lauter Stimme rief“, ist zu schwach: Sie schrie! Lukas verwendet denselben Ausdruck in der Apostelgeschichte, als er das Hetzschreien in einer Versammlung schildert. „Es brach ein Streit zwischen den Pharisäern und den Sadduzäern aus, und die Versammlung spaltete sich. … Es erhob sich ein lautes Geschrei, und einige Schriftgelehrte aus dem Kreis der Pharisäer standen auf und verfochten ihre Ansicht.“ (Apg 23,7.9).
3.Elisabet „hört“ nicht einfach die Grußworte, sondern „sie dringen in ihr Ohr“ – ins Körperinnere.
Nun mag man sagen: Damit wird die Erzählung plastischer. Man könnte sogar einwenden: Wer weiß, ob sich das wirklich so zugetragen hat, vielleicht ist das nur die Erzählkunst des Lukas. Daran ist manches richtig: Wir sollten auch die Schilderung nicht einfach als Tatsachenbericht aus der Kindheit des Täufers und des Messias auffassen. Vorrangig vor der Kindheit ist das Leben und Wirken dieser beiden Persönlichkeiten als Erwachsene: Da legt Johannes Zeugnis über Jesus ab: Einige Verunsicherte stellten ihm die Frage, ob er Jesus nicht als Konkurrenten empfinde, wenn jetzt nicht mehr die Massen zu seiner Erneuerungstaufe kämen, sondern dem Jesus nachliefen. Denen gibt Johannes zur Antwort: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam. Der Freund des Bräutigams aber, der dabei steht und ihn hört, ist voller Freude über die Stimme das Bräutigams. Diese Freude hat sich nun bei mir vollendet.“ (Joh 3,29) Vielleicht erinnerte sich die Mutter Jesu später an die Begegnung mit Elisabet und den Freudensprung des Babys im Bauch. Gerne erinnern sich Mütter im Alter an Dinge aus der frühen Kindheit ihres Sohnes, wie der erwachsene Sohn tatsächlich geworden ist. Es ist also eine Rückblende vom reifen Alter ins Babyalter – nicht umgekehrt.
Wir dürfen in der Schilderung des Lukas noch mehr erkennen: Darin spiegelt sich seine eigene Gemeindeerfahrung in den 90er Jahren wieder. Die Gemeinde ist der Ort, ja der Bauch, in dem Christus lebendig wird. Maria, die Mutter Jesu, symbolisiert die Gemeinde, die Christus in die Welt trägt. Wenn die Gemeinde einen Neuling begrüßt und sogar zu ihm etwas Wertschätzendes sagt, wird der verblüfft sein. Er wird sagen: „Wer bin ich, dass sich die zu mir wendet, die den Herrn in sich trägt?“ Dies deutet auf ein starkes Selbstbewusstsein der Hauskreise hin, die sich wöchentlich versammeln. Sie tragen Christus in sich als Frucht. Die Grundstimmung in diesen Runden ist Freude. Die Mitglieder "hören" nicht einfach das „Wort“ und den Lobpreis, er dringt (!) in ihr Ohr. Es geht nicht nur ins Hirn, sondern in den Bauch. Der Lobpreis, wie er in der Gemeinde gesprochen wird, wirkt sich körperlich wohltuend aus.
Wenn Lukas schreibt, dass Elisabet den Lobpreis „geschrien“ hat, dann klingt das laute, ja schreiende Preisen einzelner Mitglieder durch, wie es Lukas aus seinen Gemeinde-Gottesdiensten kennt. ( Die Jubelstimmung ist für Paulus manchmal sogar übertrieben, sodass er sie hinterfragen muss: „Wenn du nur in feuriger Begeisterung den Lobpreis schreist und ein Neuer, noch Unkundiger anwesend ist, so kann er zu deinem Dankgebet das Amen nicht sagen; denn er versteht nicht, was du sagst.“ (Vgl. 1Kor 14:16) Manche hüpfen sogar während der Feier – wie das Baby im Bauch. Das ist in unseren europäischen kirchlichen Festen unvorstellbar – höchstens in Afrika. Aber zwei Dinge wären bei unseren Gottesdiensten ab sofort schon möglich: Erstens: Ein Begrüßungswort, wie es Maria gesprochen hat, dass es in den Bauch geht. Es muss nur mit so einer Herzlichkeit und Segenskraft als Eröffnung ausgerufen wird: „Der Friede sei mit euch.“ Zweitens: Immer wieder sollen alle, die den Weg des Vertrauens gehen, mit einem Glückwunsch ermutigt werden. Es mag anfangs oft nicht danach ausseehen, aber es wird sich unser Lebensweg als Heilsweg herausstellen. Wir bekommen das Wort von Zeit zu Zeit gesagt. Der Herr lässt es uns gelegentlich durch jemanden ausrichten. Es laut: „Hab Vertrauen, lass dich nicht abbringen davon.“ Es steht entgegen alle misstrauische Grundstimmung in unserer Gesellschaft. „Der ist besser dran (selig!), der sich zuversichtlich einlässt auf das >Wort<. Es wird sich erfüllen.“