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19.Dez. 2021      4.Advent-Sonntag

Begegnung zwischen zwei Schwangeren

Lukas 1,39-46

In diesen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet. Und es geschah, als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, in dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Und selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.

Noch in diesen Tagen erhob sich Maria. Sie stand auf. Sie war keine, die sitzen bleibt. Es ließ ihr keine Ruhe. Sie machte sich auf einen Weg, der mühsam war, denn sie ging in das Bergland, also bergauf, bergab. Trotzdem ging sie in Eile, um rasch eine Stadt von Judäa zu erreichen. Lukas erwähnt den Namen der Stadt nicht, wo er das sonst gerne tut, um seiner Erzählung mehr Anschaulichkeit zu verleihen. Vielleicht liegt ihm keine Mitteilung darüber vor. Bei Israel-Reisen wandern nur wenige Pilgergruppen den Weg hinaus von Jerusalem nach EinKarem, wo Johannes geboren und aufgewachsen sein soll.

Das Ziel ihres Marsches war das Haus des Tempel­priesters Zacharias. Ihm hätte der huldigende Gruß gebührt. Aber nicht ihn grüßt Maria dort, sondern dessen Frau Elisabeth. Bewusst ihr galt der Gruß. Es war mehr als bloß ein „Grüß dich, liebe Tante“ Es war ein würdigender Lobpreis und eine Hochachtung. An anderer Stelle verwendet Lukas dasselbe Wort für Gruß: Dort geht es um das Grüßen der geistlichen Würdenträger: „Ihr Pharisäer! Ihr wollt … auf den Straßen und Plätzen von allen gegrüßt werden.“ (Lk 11,43) Maria grüßt also Elisabeth würdevoll. Der Engel Gabriel hatte Maria anders grüßte:  „Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt“ – wörtlich übersetzt „Freue dich!“ Das ist ein Gruß wie er in der römischen Welt üblich ist. (Lk 1,28)

Das Ganze  sieht nach einer berührenden Begegnung zwischen zwei schwangeren Frauen aus. Bei näherem Hinsehen aber sind große Unterschiede erkennbar. Die eine ist 13 oder 14 Jahre jung, und hat gerade erst erfahren, dass sie schwanger ist. Die andere ist wohl gegen 45 Jahre alt, ein Alter, in dem Frauen im Normalfall nicht mehr schwanger werden. Sie ist im sechsten Monat. Die jüngere hat gerade erst von ihrer Schwangerschaft erfahren und  besucht die um 30 Jahre ältere Verwandte.

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Nicht viele Pilgergruppen gehen zu Fuß hinaus in den Vorort Ein Karem, wo Elisabeth gelebt hat. Dann könnten sie bestätigen, dass Maria einen gebirgigen Weg gegangen ist.

Elisabeth scheint darüber so gerührt und freudig angetan gewesen zu sein, dass sich ihre  Emotionen bis in den Bauch übertrugen. So ergab es sich, dass das Baby im Bauch ihr die Freude zurück meldete. Das Kleine machte einen Luftsprung. Im gesamten Neuen Testament findet sich das Wort für freudiges Hüpfen nur im Lukas-Evangelium. Lukas verwendet es noch einmal in dem  Jesuswort: „Er richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte: … Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und wenn sie euch ausstoßen und schmähen und euren Namen in Verruf bringen um des Menschensohnes willen. Freut euch und jauchzt an jenem Tag; denn siehe, euer Lohn im Himmel wird groß sein.“ Lk 6,22 (Jauchzt = wörtlich „Springt vor Freude“, nur bei Lukas)

Der Freudensprung im Bauch der werdenden Mutter steigerte ihre Stimmung bis zur Be-Geisterung. Das war aber kein oberflächlicher Spaß, sondern ein Hochgefühl, so wie Gott es gibt. Elisabeth war übervoll eines Geistes, den man einfach nur „heilig“ nennen kann. Nach jüdisch biblischem Verständnis  bedeutet „heilig“: ausgesondert, beiseite genommen von Gott, vorgesehen für etwas Besonderes, einen Heilsweg.

Was sie erwiderte, kam mit außergewöhnlicher Lautstärke. Ihre Stimme schaukelte sich hoch bis zum lauten Schreien. Dabei sagte sie: „Die Gepriesene bist du – gepriesen in der gesamten Frauenwelt! Und der Lobpreis gilt auch dem, was in deinem Bauch heranwächst und zu einer reifen Frucht wird.“ (Normalerweise wird das Wort Frucht in der Landwirtschaft verwendet: am Weinstock, am Feigenbaum)

„Woher geschieht mir dies, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt, die Mutter dessen, dem ich mich verpflichtet habe?“ Dieser Satz passt nicht recht in die Szene. Wieso sollte Elisabeth die Frucht des Leibes als ihren „Herrn“ ansprechen? Vermutlich fügt hier Lukas eine persönliche Erfahrung oder eine Erfahrung seiner Gemeinde ein: Es könnte eine Anspielung darauf sein, dass  Maria Anfang der 40er Jahre nach Ephesus gekommen ist. Lukas meint vielleicht: Wie kommt unsere Region zu der Gunst, dass die Mutter hierher zu uns kommt und hier noch ihre letzten Lebensjahre segensreich verbringt?

Elisabeth wiederholt, was wir schon wissen: „Siehe, als es sich ereignete, dass der Klang des Grußes in meine Ohren drang (nicht: „als ich hörte“), da sprang das Baby in meinem Bauch vor unbändiger Freude.“

An Maria gewendet sagt sie: „Glücklich und bevorzugt ist sie, ja sie ist besser dran, weil sie vertraut hat. Sie hat sich eingelassen auf das große Spiel der Liebe, das der Allherrschende den Menschen anbietet und vorschlägt. Sie hat nicht nach einem Beweis verlangt. Sie ist eine, die sich auf das Wagnis der Liebe eingelassen und vertraut hat, dass es sich so erfüllen wird, wie ihr von Seiten des Herrn eingesagt worden ist. Zu beglückwünschen sind diejenigen, die vertraut haben, dass das ans Ziel kommen wird, was ihnen von Seiten eines Herrn erzählt worden ist.“

Dieses Vertrauen hatte dem Zacharias gefehlt, dem Mann von Elisabeth. Lukas hatte zuvor diesen Mann beschrieben. Er hatte als Priester Dienst getan im Gotteshaus. Dort hatte ihm der Bote Gottes das  Wort zugesprochen. Der Bote hatte versichert, dass es sich bewahrheiten würde: Der Priester Zacharias aber hatte einen Beweis dafür verlangt, indem er sagte: "An welchem Zeichen soll ich das erkennen?" Lukas drückt damit aus, dass es sogar den Männern an Vertrauen mangelt, die ein geistliches Amt innehaben. 

Wir gehen die Schilderung nochmals kurz durch um durch wörtliches Übersetzen den kraftvollen Ausdruck zu spüren: Der  Original-Text enthält viel mehr Körperliches und Emotionales als die üblichen Übersetzungen wiedergeben:

1. "Leib" statt wörtlich "Bauch" Sogar die revidierte  Einheitsübersetzung schreibt vom „Leib“ der beiden Frauen, obwohl vom „Bauch“ die Rede ist. Die Lobesworte wirken sich im Bauch aus. Paulus verwendet in einem einzigen Satz beide Worte: „Die Speisen sind für den Bauch da ... Der Leib ist aber nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib.“ (1Kor 6,13)

2. Zu übersetzen, dass Elisabeth „mit lauter Stimme rief“, ist zu schwach: Sie schrie! Lukas verwendet denselben Ausdruck in der Apostelgeschichte, als er das Hetzschreien in einer Versammlung schildert. „Es brach ein Streit zwischen den Pharisäern und den Sadduzäern aus, und die Versammlung spaltete sich. …  Es erhob sich ein lautes Geschrei, und einige Schriftgelehrte aus dem Kreis der Pharisäer standen auf und verfochten ihre Ansicht.“ (Apg 23,7.9).

3. Elisabeth „hört“ nicht einfach die Grußworte, sondern „sie dringen in ihr Ohr“ – ins Körperinnere.

Nun mag man sagen: Damit wird die Erzählung plastischer, das wollte Lukas so. Man könnte sogar einwenden: Wer weiß, ob sich das wirklich so zugetragen hat, vielleicht ist das nur die Erzählkunst des Lukas. Daran mag manches richtig sein: Die Schilderung einfach als Tatsachenbericht aus der Kindheit des Täufers und des Messias auffassen, wäre zu kurz gegriffen. Vorrang  vor der Kindheit hat das Leben und Wirken dieser beiden Persönlichkeiten als Erwachsene: Gehen wir  also vom Erwachsenenleben der beiden aus. Da legt Johannes Zeugnis über Jesus ab: Einige Verunsicherte stellten ihm die Frage, ob er Jesus nicht als Konkurrenten empfinde, wenn jetzt die Massen nicht mehr zu seiner Taufe kämen, sondern dem Jesus nachliefen. Denen gibt Johannes zur Antwort: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam. Der Freund des Bräutigams aber, der dabei steht und ihn hört, ist voller Freude über die Stimme des Bräutigams. Diese Freude hat sich nun bei mir vollendet.“ (Joh 3,29) Hier ist wie oben von der Stimme die Rede, wie sie Freude auslöst. Aus dem Erwachsen-Wirken heraus erinnerte sich die Mutter Jesu später an die Begegnung mit Elisabet und an den Freudensprung des Babys im Bauch. Gerne erinnern sich Mütter im Alter an Vorfälle aus der frühen Kindheit ihrer Jungen – als Bestätigung für das, was tatsächlich aus ihnen geworden ist. Es ist also eine Rückblende vom reifen Alter ins Babyalter – nicht umgekehrt.

Wir dürfen in der Schilderung des Lukas noch mehr erkennen: Es spiegelt sich darin seine eigene Gemeindeerfahrung in den 90er Jahren wieder. Die Gemeinde ist der Ort, ja der Bauch, in dem Christus lebendig wird. Maria, die Mutter Jesu, symbolisiert die Gemeinde. Wer sonst, als die Gemeinde  trägt jetzt Christus in die Welt, so wie es Maria getan hat. Wenn die Gemeinde einen Neuling begrüßt und sogar zu ihm etwas Wertschätzendes sagt, wird derjenige verblüfft sein. Er wird sagen: „Wer bin ich, dass sich die Gruppe zu mir wendet, sie, die den Herrn in sich trägt?“ Dies deutet auf ein starkes Selbstbewusstsein der Hauskreise hin, die sich wöchentlich versammeln. Sie tragen Christus in sich als Frucht, die langsam heranwächst. Die Grundstimmung in diesen Runden ist Freude. Die Mitglieder "hören" nicht einfach das „Wort“ und den Lobpreis, er dringt (!) in ihr Ohr. Es geht nicht nur ins Hirn, sondern in den Bauch. Der Lobpreis, wie er in der Gemeinde gesprochen und gesungen wird, wirkt sich körperlich wohltuend aus.

Wenn Lukas schreibt, dass Elisabet den Lobpreis „geschrien“ hat, dann klingt das so, als würde er das laute, ja schreiende Preisen einzelner Mitglieder vor sich haben . Lukas kennt das laute Lobpreisen aus seinen Gemeinde-Gottesdiensten. Auch Paulus kennt es, aber manchmal ist die Jubelstimmung für Paulus sogar übertrieben, sodass er sie hinterfragen muss: „Wenn du nur in feuriger Begeisterung den Lobpreis schreist und ein Neuer, noch Unkundiger anwesend ist, so kann er zu deinem Dankgebet das Amen nicht sagen; denn er versteht nicht, was du sagst.“ (Vgl. 1Kor 14:16) Manche hüpfen sogar während der Feier – wie das Baby im Bauch.

Eine solche Atmosphäre in unseren europäischen kirchlichen Festen unvorstellbar – höchstens in Afrika. Aber zwei Dinge wären bei unseren Gottesdiensten ab sofort schon möglich: Erstens: Ein Begrüßungswort, wie es Maria gesprochen hat, dass es in den Bauch geht. Es braucht nur mit Herzlichkeit und einer Segenskraft ausgerufen zu werden: „Der Friede sei mit euch.“ Zweitens: Immer wieder sollen alle, die den Weg des Vertrauens gehen, mit einem Glückwunsch ermutigt werden. „Selig, die du vertraut hast, ...“ Es mag anfangs oft nicht danach aussehen, aber es wird sich unser Lebensweg als Heilsweg herausstellen. Wir bekommen das Wort von Zeit zu Zeit gesagt. Der Herr lässt es uns gelegentlich durch jemanden ausrichten. Es lautet: „Hab Vertrauen, lass dich nicht abbringen davon - auch wenn es entgegen alle misstrauische Grundstimmung in unserer Gesellschaft steht." Christen können sich gegenseitig bestärken mit dem Wort: „Selig, die/der du geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr/ihm sagen ließ. - - Die Mitglieder sind besser dran, ja sie sind zu beglückwünschen, weil sie vertraut haben, dass das ans Ziel kommen wird, was ihnen von Seiten des Herrn erzählt worden ist.“

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