top of page

19.Feb. 2023      7.Sonntag im Jahreskreis

Leistet dem Bösen keinen Widerstand

Matthäus 5,38-48

Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn.  Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.

Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel.

Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm.

Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab.

Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen,  damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!

„Feindesliebe“ gilt als das Thema, in dem sich das Christentum von allen anderen Religionen und Philosophien abhebt. Wer aber auf Wikipedia darüber nachliest, wird staunen, wie weit verbreitet sie als Ideal war. Bis zur letzten Konsequenz selber daran gehalten hat sich einer: Jesus, der Christus. Hören wir, was er selber seinen engeren Vertrauten-Kreis darüber lehrt  – überliefert von Matthäus.

"Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Das ist euch seit Generationen eingebläut worden: Wer jemanden anderen einen Schaden zugefügt hatte, der musste es mit demselben Schaden büßen - nicht weniger, aber auch nicht mehr.“ Recht sinnvoll ist das zwar nicht, dem Übeltäter auch einen Schaden zuzufügen. Wiedergutmachung wäre nutzbringender aber es ist ein altes Gesetz. Daraus geht hervor, dass man etwas Böses nicht hinnehmen sollte, sich nichts gefallen lassen brauchte.

Jesus sagt dazu: „Nun bin ich es (das "ich" ist betont), der euch sagt: Widersetzt euch nicht dem Bösen. Kämpft nicht dagegen an." Man könnte nun fragen: Was hat Jesus gemeint mit "dem Bösen" - die böse Tat oder den Übeltäter? Der Original-Text lässt es offen. "...  der euch etwas Böses antut".  "Euch" steht jedenfalls nicht im Text.  Jesus kann gemeint haben: Ihr sollt nicht gegen "das Böse", das Schlechte, das Schädliche ankämpfen. Oder er wollte seinen Schülerkreis davor abhalten, gegen jemanden loszugehen, "der etwas Böses verübt hat", der jemandem einen Schaden zugefügt hat. Wenn wir den knapp danach folgenden Satz einbeziehen, dann ist es eindeutig: Jesus meint den Täter: „Versucht nicht, dem Übeltäter Widerstand zu leisten."

Nun führt Jesus vier Beispiele an.

1. Beispiel: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin!" Um dahinter zu kommen, wie er das wohl meint, können wir es inszenieren. Das macht Spaß in der Gruppe und klärt gleichzeitig auf. Die zwei Darsteller stehen sich gegenüber, vielleicht der Täter etwas erhöht. Meistens landet die Hand beim ersten Versuch auf der linken Wange. Wenn der Leiter darauf hinweist, dass aber die rechte Wange getroffen werden soll, versucht er es mit der linken Hand, obwohl er Rechtshänder ist. Erst beim dritten Versuch wird klar, dass es nur passt, wenn der Täter mit dem Handrücken statt mit der offenen Hand die Ohrfeige erteilt. Dies ist mehr eine Erniedrigung als eine Gewalttat. Jesus lehrt also: „Es beginnt meist mit Herabsetzung, nicht mit der brutalen Gewalt. Wenn dich einer so angeht, dich durch einen Tapps auf die rechte Wange herabsetzt, dann lass dich nicht hinreißen, dass du zurückschlägst - womöglich heftiger - denn damit beginnt die Spirale der Gewalt. Nein, überrasche den Täter mit einer Geste, mit der er nicht rechnet: Mach eine halbe Drehung und halte ihm die andere Wange hin. Damit forderst du ihn heraus und schreckst ihn gleichzeitig ab: Will er wirklich ein Gewalttäter werden und offen zuschlagen? Nein, er wollte dir nur zeigen, wie abschätzig er mit dir umgeht.

2019 02 24 2 web.jpg

"Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, ..." Beim Aufstieg auf einen Berg nahe am See Genesaret, probieren wir es mehrere Male, bis wir begreifen wie es Jesus gemeint haben muss. Auf die rechte Wange muss man mit dem Handrücken schlagen. Das ist Erniedrigung, nicht offene Gewalt.

Versuche nicht auf die alte, übliche Art, deine Ehre zu retten, indem du dir sagst: >Das lasse ich mir nicht gefallen, das gebe ich ihm zurück<. Indem du ihm die andere Wange hinhältst, zeigst du ihm deine persönliche Stärke und spiegelst ihm gleichzeitig seine Art der Entwürdigung. Du sicherst deine Würde mit dieser >kreativen Provokation<, auf die er nicht gefasst ist. Damit bringst du eine neue Dynamik in Gang.“

 

2. Beispiel: "Angenommen, du konntest einem reichen Grundbesitzer nicht alle Schuld bezahlen und nun will er dich pfänden lassen und er stellt dich deshalb vor den örtlichen Richter. Er sieht, dass du ein schönes, von deiner Mutter  gewebtes Unterkleid trägst. Das will er dir wegnehmen. Lass dich nicht dazu hinreißen, dass du ihn vor dem ganzen Gerichtssaal beschimpfst und hässliche Namen entgegen schleuderst. Nein, tue das Gegenteil: Händige ihm demonstrativ dein wertvolles, langes Kleidungsstück aus und dann überreiche ihm gleich dazu noch feierlich deinen Mantel, den weiten Umhang, den du im Notfall wie einen Schlafsack benützen kannst. Es ist ihm zwar von Gesetz wegen nicht erlaubt, den Mantel zu nehmen, den darf er gar nicht pfänden. Durch deine Geste bringst du ihn in große Verlegenheit und zeigst seine rücksichtslose Habgier auf. Vielleicht löst es sogar Gelächter im Gerichtssaal aus. Er wird durch deine überraschende Geste zum Spott. Kann sein, dass er dir beides zurück wirft – aus Ärger weil er in seiner Ehre gekränkt wurde: Den Mantel darf er nicht nehmen und das lange Hemd will er jetzt nicht mehr. Er wird sich möglicherweise sogar künftig davor hüten, so etwas nochmals zu tun, um sich eine weitere Blamage zu ersparen.“

 

3. Beispiel: „Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm!" In diesem Satz, den Jesus ganz knapp formuliert hat, sind 2 Wörter enthalten, die eindeutig auf römische Soldaten hinweisen: "Zwingen" und "Meile". Das Wort für "zwingen" ist im griechischen Original-Text ein militärischer Fachausdruck, der nur zweimal im gesamten Neuen Testament vorkommt. Das zweite Mal bei Simon von Zyrene – Mk 15,21.  Er besagt: Die Besatzungsmacht kann jeden Beliebigen aus der Landbevölkerung zu einem Dienst "zwingen", wie etwa schwere Gerätschaften schleppen helfen oder einen unbekannten Weg vorausgehen. Für so einen Fall gaben die Zeloten eine Parole aus. (Sie waren die nationale Freiheits-Partei): >Nütze jede Gelegenheit, um einen ausländischen Soldaten umzubringen. Führe ihn in einen Hinterhalt und überwältige ihn.< Jesus riet in Gegensatz dazu, Feindbilder abzubauen: „Während du eine Meile mit ihm gehst, versuche mit ihm ins Gespräch zu kommen - von Mensch zu Mensch – vielleicht wirst du feststellen, dass er auch eine Mutter hat wie du. Nach einer Zeit wirst du gar nicht merken, dass du zwei Meilen mit ihm gegangen bist." "Meile" ist das zweite Wort, das auf Römer hinweist, denn Juden maßen Entfernungen mit "Stadien".

 

4. Beispiel: „Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab!" Wie ist das gemeint? Wem soll ich geben? Was soll ich ihm geben? Wieviel? Wie oft? Wo sind die Grenzen, um nicht ausgenützt zu werden? „Geld erhofft sich ein Bettler, er wird schon mit einem Bruchteil von dem zufrieden sein, was du gerade am Markt ausgegeben hast. Statt Geld jemandem Zeit zu geben, ihm zuzuhören und ihm  Mut-zuzusprechen, das  braucht ein Verzweifelter. Er wird dir ewig dankbar sein, dass du ihm genau in dem Augenblick Gehör geschenkt hast. Spontanes Zupacken braucht einer, der um Hilfe schreit, er fühlt sich danach nicht mehr allein gelassen und beruhigt sich. Erste Hilfe braucht ein Verletzter, der nur noch röchelt. Dazu musst du kein Notarzt sein und kannst dennoch Leben retten. Ja, wer dich überraschend bittet, dem gib rasch und entschlossen. Wenn du dein Herz erweichen lässt, dann tue es keinesfalls bitter oder widerwillig, sondern mit Fröhlichkeit. Wer von dir borgen will, ist wohl in einer Zwangslage, und er wendet sich an dich, weil er weiß, dass du die nötigen Mittel hast. Du wirst dich selber damit nicht in Armut stürzen, ihm aber hilfst du über die Runden“. Mit diesen Weisungen erwartet Jesus nicht, dass du von einem Bettler zum anderen gehen und ihm etwas spenden sollst. Jesus sagt ausdrücklich: "Wer dich bittet …" - und das sind nur Gelegenheiten hin und wieder.

 

In einer weiteren Lehreinheit sagte Jesus: „Ihr habt immer wieder gehört: >Du sollst dich um deinen unmittelbar Nächsten kümmern. Um den sollst du liebevoll besorgt sein. Um deinen Feind hingegen sollst du mit Abscheu einen großen Bogen machen<. Der erste Teil steht wörtlich so im Buch Levitikus: >Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der HERR.< (Lev 19,18). Vielfach wurde dieses Schriftwort ausgeweitet und abgegrenzt gegen die feindseligen Menschen, was zwar so nicht in der Bibel steht. Aber viele tragen es als Gotteswort vor: Vor feindseligen Menschen sollst du Abscheu haben. Zuwider sollen sie dir sein. Von ihnen sollst du dich abwenden.“ Damit spricht Jesus zunächst über die gewohnten Haltungen auch unter Gläubigen. Daran knüpft er an: „Jetzt komme ich und sage euch, die ihr von mir lernen wollt: Seid liebevoll besorgt um jene, die sich euch gegenüber feindselig verhalten. Ihr sollt für sie vor Gott eintreten. Wenn ihr Gott preist für seine schützende Hand, dann übergebt ihm auch diese Menschen, die euch feindselig gesinnt sind. Gebt sie in seine Obhut. Bittet um Gottes Wohlwollen sogar für solche, die euch nachstellen und hinter euch her sind, um euch zu schaden. Ihr sollt das deshalb tun, damit ihr Söhne und Töchter eures Vaters im Himmel werdet. Es soll ein Geschwisterkreis entstehen und sich über die Erde ausbreiten, der ihn zum Vater hat, ihn, der bewirkt, dass täglich neu ein sonniger Morgen anbricht – über Gute und Böse gleichermaßen. Er bewirkt auch, dass das lebenspendende Nass herunter regnet sowohl über solche, die dem Plan Gottes entsprechen, als auch über solche, die sich ihm widersetzen. Wenn ihr nämlich nur um die besorgt seid, die mit euch ein freundliches Verhältnis pflegen, welche Belohnung bekommt ihr dafür? Welcher Siegespreis steht euch dafür zu? Eine gute Beziehung zu pflegen zu den Wohlgesonnen, das tun auch die Leute aus der Geldwelt, die auf unsaubere Weise reich geworden sind. Wenn ihr nur eure Gesinnungsgenossen willkommen heißt und ihnen wertschätzend begegnet, was tut ihr dabei Außergewöhnliches. Damit hebt ihr euch nicht ab von der Gesellschaft, wie sie in der Völkerwelt rundum üblich ist. So machen es auch die Volksgruppen, die nicht zum Gottesvolk gehören.“

 

Matthäus schließt die Lehreinheit ab mit einem zusammenfassenden Satz: „Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“ So wird es meist übersetzt und es verleitet dazu, darunter Perfektion oder Mustergültigkeit zu verstehen, aber im Original-Text ist nicht von „Vollkommenheit“ die Rede, sondern vom „Ziel“ (griechisch TELOS). Es liegt eine Betonung auf dem „Ihr“: „Ihr seid es in erster Linie, die so hohe Ziele verfolgen sollen“. Jesus wünscht sich nicht Tadellose, nicht Perfekte, sondern Ziel-Strebige. Dasselbe gilt für den Vater im Himmel: Er wird nicht der >Vollkommene< genannt, sondern der >Vollendete<.  Er ist das >Ziel<.

 

Feindesliebe ist ein hoher Anspruch – das scheint dem Menschheits-Lehrer Jesus klar zu sein. Unter „Feind“ ist nicht einer zu verstehen, der uns durch Krieg bedroht. Es ist viel alltäglicher gemeint: ein feindseliger Mensch oder gar ein Mitmensch, der sich gerade einmal feindselig benimmt. Das kann hin und wieder sogar in der Partnerschaft vorkommen. Darauf gleich aufgebracht zu reagieren und zu schreien: „Das lasse ich mir nicht gefallen“, ist nicht der weise Weg Jesu. Dieser ist erlernbar und zwar  nach und nach. Wer ihn sich zu Eigen machen will, wird viel üben müssen, wird Rückschläge erleiden und wird Fortschritte machen. Er wird  sich prüfen und verbessern. Wer Erfolge erlebt mit dem Entfeindungsprogramm Jesu – auch nur kleine Erfolge, der wird das Ziel nicht mehr aus den Augen verlieren wollen. Wer erfahren hat, dass es sich auszahlt, der wird mitgestalten an dem Modell, das unsere Welt so dringend nötig hat.  Wer denkt, dass die Feindesliebe nicht immer gute Folgen habe,  der bedenkt nicht, dass jedoch Feindeshass immer böse Folgen hat.

bottom of page