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27.Feb. 2022      8.Sonntag im Jahreskreis

Welchen geistlichen Führern ist zu trauen?

Lukas 6,39-45

Er sprach aber auch in Gleichnissen zu ihnen: Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen? Ein Jünger steht nicht über dem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.

Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte bringt. Denn jeden Baum erkennt man an seinen Früchten: Von den Disteln pflückt man keine Feigen und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben. Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor und der böse Mensch bringt aus dem bösen das Böse hervor. Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht sein Mund.

Wieder reiht Lukas mehrere Lehrsätze hintereinander auf. Sie stehen jeder für sich so unvermittelt da. Man weiß nicht recht, in welchen Zusammenhang sie gehören. Erst der Vergleich mit Matthäus macht uns klar, in welcher Situation sie Jesus selbst gesprochen hat.

„Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen?“

Als Blinde hat Jesus die Strenggläubigen und die Bücher-Gelehrten bezeichnet.

Sie hatten Jesus vorgeworfen, dass er die Einhaltung der Überlieferung von seinen Jüngern zu wenig genau verlange. Die Jünger sagten zu Jesus: Weißt du, dass sie empört sind über dein Wort? Jesus sagte darauf: „Lasst sie, es sind blinde Blindenführer“. (Mt 15.14) Lukas scheint nicht mehr die Schriftgelehrten aus der Zeit Jesu vor sich zu haben, sondern zielt auf jene Personen ab, die sich in den 90er Jahre hervortun als geistlichen Führer in den Christen-Gemeinden. Sie verstehen es zwar, auf ihre Mitglieder Eindruck zu machen durch gewandte Reden und würdiges Auftreten, aber für die Botschaft Jesu sind sie in Wirklichkeit blind. Sie stellen sich vorne hin in den Gottesdiensten, aber ihre Augen und Herzen sind verschlossen für die Wahrheit Jesu. Lukas scheint besorgt zu sein über diese Entwicklung.

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Gute Früchte - diese Granatäpfel liegen zum Saftpressen bereit in der Via Dolorosa in Jerusalem. Bei dem nasskalten Wetter im Februar tun Vitamine gut.

Ein Jünger steht nicht über dem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein. Wieder stellt sich die Frage: In welchem Zusammenhang hat Jesus das gesagt? Das Matthäus- und das Johannes-Evangelium weisen uns in eine andere Richtung als Lukas. „Ein Jünger steht nicht über seinem Meister und ein Sklave nicht über seinem Herrn. Ein Jünger muss sich damit begnügen, dass es ihm geht wie seinem Meister. ... Wenn man schon den Herrn des Hauses Beelzebul nennt, dann erst recht seine Hausgenossen.“ (Mt 10,24f) Jesus will damit seinem Schülerkreis bewusst machen, dass ihnen dasselbe widerfahren wird wie ihm: falsche Beschuldigung, Wortverdrehung, Bedrohung. Was das Johannes-Evangelium dazu überliefert, geht in dieselbe Richtung: „Denkt an das Wort, das ich euch gesagt habe: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie an meinem Wort festgehalten haben, werden sie auch an eurem Wort festhalten.“ (Joh 15,20) Lukas hat den Jünger-Meister-Lehrsatz als Ansporn empfunden, dem Meister nach zu eifern. Es heißt dort übrigens wörtlich übersetzt nicht: „jeder, der alles, gelernt hat, wird wie der Meister sein“, sondern „jeder, der alles in Ordnung gebracht hat, der alles vollendet hat“ Damit sind wir bei einem Kernthema des Lukas, das er schon im ersten Satz seines Buches geschrieben hat: „... die Ereignisse, die sich unter uns erfüllt haben ...“ Was die Christengruppen tun, ist eine Erfüllung, eine Vollendung der Anfangsereignisse um Jesus.

 

Noch zu den blinden Führern: Jesus geht nicht ins Gericht mit den religiösen Führern, er klagt sie nicht offen an. Er beschimpft sie nicht wegen ihrer Nachlässigkeit, wegen ihrer Überheblichkeit. Den Missstand übergeht er aber auch nicht stillschweigend. Wichtig scheint es ihm zu sein, seinen Schülerkreis darüber aufzuklären, dass es solche Leute gibt – und zwar nicht wenige. Sie sind nicht leicht zu erkennen, denn sie machen nach außen hin einen sauberen Eindruck. Ja manche verblüffen sogar, weil sie überlegen dastehen. Jesus vergleicht sie mit den Disteln, die am Feldrand stehen. Sie beeindrucken durch ihre farbkräftigen Blüten. Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Aber wehe wer in ihre Nähe kommt, wer mit ihnen zusammen stehen muss, der bekommt ihre verletzende, kratzende Art zu spüren. Süße Feigen sind von Disteln nicht zu pflücken

 

Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte  bringt. Jeden Baum erkennt man an seinen Früchten.“ Von wem ist hier die Rede? Sind damit die Gläubige gemeint?  Werden sie mit Bäumen verglichen? Die einen wären die guten Bäume, die anderen die schlechten. Ein Obstbaum von guter Qualität und auf gutem Boden bringt guten Ertrag – das ist selbstverständlich. Was ist daran lobenswert? Ein schlechter Baum, der kein Edelobstbaum ist, kann doch nur kümmerliche Früchte bringen. Was ist daran verwerflich? Worauf will der Vergleich hinaus? Er kann doch keine Aufforderung sein, sich zu bemühen, die eigene Baumart zu wechseln. Was kann der dafür, der kein Edelobst-Baum ist? Welche Verdienste hat einer, der ein veredelter Stamm ist?

 

Wir müssen die Bild-Geschichte anderes herum verstehen: Nicht die Bäume fokussieren, sondern die Früchte betrachten und

von den Früchten Rückschlüsse auf den Baum ziehen. Auf wen spielt Jesus damit an? In den ersten Zeilen war die Rede vom Führen, von Menschenführung, geistlichen Führern. Ihnen ist die Aufgabe übertragen, dass sie die Menschen, die blind sind hinführen zum Licht. Sie sind beauftragt, die Menschen zum Heiligen und Heilsamen hinzubegleiten. Was ist aber, wenn die Führer selber das Lichtvolle nie gesehen haben, also selber blind dafür sind. Sie tun nur so, als wären sie vertraut mit den bleibenden Werten. Sie machen den Suchenden nur vor, sie würden sie hinführen zum Glanz. Tatsächlich verleiten sie zu etwas, das gar keine wirkliche Leuchtkraft hat. Früher oder später wird das einen Absturz zur Folge haben: Beide fallen in die Grube.

 

Jesus gibt uns eine brauchbare Hilfe zur Einschätzung in die Hand: Betrachtet die Früchte, nicht die Person selber mit ihrem Auftreten und ihrer Redegewandheit. Wir sollen die Verantwortlichen nicht danach einschätzen, wie sie kurzfristig dastehen, sondern was von ihnen langfristig zu haben ist, was von ihnen ausgeht, was zu ernten ist. Ist die Frucht genießbar, ja sogar gesund und schmackhaft? Ja, dann kann man dem Baum vertrauen. Ist die Frucht hingegen kümmerlich, unansehnlich oder gar bitter, dann verdient der Baum keine weitere Aufmerksamkeit und keine Pflege. Es steht uns zwar nicht zu, ihn zu verurteilen oder ihn zu beseitigen, aber in Ehren halten brauchen wir ihn nicht. Früher oder später wird ihn der Besitzer aushauen, der Herr des Obstgartens wird ihn beseitigen oder ein Sturm wird ihn entwurzeln. Mit dem Vergleichsbild empfiehlt uns Jesus, von der Frucht Rückschlüsse auf den Baum zu ziehen. Wir sollen uns nicht beeindrucken lassen, von Verantwortlichen mit glänzenden Reden. Prüfen wir, ob sie ausgleichend statt polarisierend sind, ob sie vermittelnd sind statt dass sie Fronten aufbauen. Sind ihre Worte ermutigend oder düster, gehaltlos oder enttäuschend. Wirkt ihre Anwesenheit heilsam oder  erzeugt sie Spannungen? Wirkt sie beruhigend oder verwirrend, bestärkend oder zermürbend? Die guten Früchte zeigen sich oft erst in Nachhinein. Sie sind nachhaltig und  sind untrügliches Zeichen für den guten Baum.

 

Das heutige Evangelium rüttelt jene auf, die bisher noch wenig Gesundes, Nahrhaftes, Süßes für die riesige hungrige Schar der Gläubigen hervorgebracht haben – falls sie sich noch aufrütteln lassen. Die Botschaft tröstet all jene, die leiden unter fruchtlosen Führern  mit ihren bitteren Früchten. Diese Brüder und Schwestern – so schreibt Lukas nachdrücklich –  sollen nicht länger in die sauren Äpfel beißen. Sie sollen sich sättigen von dem WORT, das er aufgeschrieben hat. Sie sollen dessen Süße schmecken.

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