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12. Juli 2020
15.Sonntag im Jahr.kr.

Das gute Wort großzügig überall ausstreuen

Matthäus 13,1-9

Jesus fing wieder an mit seinem Unterricht. Das waren keine Predigten, sondern Lehrvorträge und Fortbildungsseminare. Der griechische Text spricht eindeutig von Lehrveranstaltungen. Das Wort „lehren“ kommt hier drei Mal vor. Er begann also, die Grundzüge seiner Lehre vorzutragen. Als Ort dafür wählte er das Seeufer und längst nicht mehr die Versammlungsräume der Juden, die Synagogen. Der See und die dahinter lie­genden Hügel breiteten sich wie eine großar­tige Kulisse um ihn aus. Das Wort „wieder“ deutet darauf hin, dass er dies schon zu wiederholten Malen tat. In sehr großen Scharen strömte das Volk zusammen. Die Menschen­menge, die sich um sammelte und ihn umringte, wurde so riesig, dass er Maß­nahmen ergreifen musste.

Er war gezwungen, in ein Boot zu steigen. Er schuf sich damit eine Redner­kanzel auf dem Wasser. Von der aus konnte er sich besser Gehör verschaffen und wurde nicht so be­drängt. Wie es der Würde eines Lehrers entsprach, setzte er sich nieder. Er nahm gewissermaßen Platz am Lehrstuhl. Die ganze Volkmenge lagerte während­dessen vor dem See auf der Erde - die Menschen waren bereit, die Worte auf­zunehmen, die er wie Samen aufs Land hin zu streuen begann. Wie sich im klaren Wasser das Blau des Himmels spiegelte, so war die Auf­nahmebereitschaft seiner Zuhörer ein Spiegel, der seine Bilder von der Herrschaft des Friedens auffing und festhielt. Die Bilder waren sehr anschaulich.

Es gibt an der Westseite des Sees eine Bucht – einen Kilometer südlich von Kafarnaum. Sie hat genau die halbrunde Form eines römischen Theaters. Sie gilt als die Bucht der Parabeln (=anschauliche Geschichten). Israelische Wissen­schafter haben die Akustik dieser Bucht ausgemessen und nachgewiesen, dass man hier von einer schwimmenden Kanzel aus eine tausendköpfige Zuhörermenge er­reichen kann.

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Es steht zwar in dieser Bucht keine Kirche, aber die Tradition hält diese Stelle als den Ort der Lehre am See fest. Der Evangelist Matthäus hat das Kapitel mit den Reden Jesus ausführlich erweitert und den „Ort“ vom See hinauf verlagert auf den Hügel, es entstand daraus der Begriff „Bergpredigt“. Die entsprechende „Kirche der Seligpreisungen“ liegt einige hundert Meter oberhalb der Bucht.

Und er brachte ihnen vieles nahe, durch eine Menge von anschaulichen Ge­schichten und Vergleichen, die wie farbkräftige Bilder wirkten und daher sehr einprägsam waren. Sie waren aus dem Leben gegriffen und gaben Erfahrungen wieder, die aus dem Alltags- oder dem Berufsleben stammten. Unter diesen „Bildern” konnten sich die Leute etwas vorstellen, es gab darin viel zu „sehen”. Seine Art, über Lebensfra­gen und über den Glauben zu reden, war etwas völlig Neues. Die anderen Geistlichen sprachen in ihren Predigten religiöse Themen, ab­ge­hoben vom Leben, und redeten ständig von den Geboten. Bei denen kam es kaum vor, dass sie Vergleiche aus dem alltäglichen Leben verwen­deten und es waren keine Lehren, die man im Leben anwenden konnte. Er aber lehrte die Leute vieles durch an­schauliche Geschichten und die nun fol­genden sind nur ein Auszug der gesamten Rede. In Wirklichkeit sprach er viel länger, hier können nur Ausschnitte wiedergegeben werden.

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Jesus sagte:  Stellt euch einen der Bauern aus unserer gali­läischen Heimat vor. Er muss das ganze Jahr über hart arbeiten. Nicht jeder Fleiß wird jedoch zu einem Erfolg beim Ernten. Die Arbeiten, die er zu verrichten hat, sind vielfältig. Der Mann ging mit dem Saatgut hinaus. Er machte sich auf, um aufs Feld zu gelangen. Es war zu einem Zeitpunkt, als der Winterregen den Erdboden aufgeweicht hatte. Der Sommer und der Herbst hatten die Erde ausgetrocknet und zerklüf­tet. Nun war der erhoffte Regen eingetroffen und das war für den Aussäenden das Zeichen hinaus zu gehen.

Der griechische Text sagt nicht: Er ging aufs Feld, sondern „Er ging hinaus!“ Das Wort „hinaus gehen“ kommt bei Jesu Wirken immer wieder vor: „Und sein Ruf verbreitete sich (ging hinaus) rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.“ (1,28) Jesus ist einer, der sich nicht irgendwo einrichtet, sondern immer wieder aufbricht, „hinaus geht“. Einmal will ihn Petrus wieder zurück holen in die Stadt, wo er am Vortag so großen Erfolg gehabt hat. Jesus widerspricht: „Lasst uns anders wohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen (wörtlich: hinaus gegangen).“ (1,38) Im Bild des Sämannes ist also Jesus selbst zu sehen.

Er machte sich daran, die Saat auszu­streuen. Er hielt sich an die Gepflogenheit der meisten Bauern, erst zu säen und dann die Körner ein­zupflügen. So schritt er mit dem umgehängten Schurz voller Getreidekörner über das Stoppelfeld. Es lag seit der letzten Ernte brach. Auf diesen unbehandelten Ackerboden streute er mit weiten Schwüngen sein wertvolles Saatgut. Er streute es aus voller Hand und großzügig überall hin. Es war wertvolles Saatgut.

Quer über das Feld zog sich ein Pfad. Es war eine ausgetretene Spur. Die Dorfbewohner hatten während der Monate des Brachliegens eine Abkürzung über den Acker gezogen und einen Weg ausgetreten. Aber darum kümmerte er sich nicht. Er nahm diesen Streifen nicht aus vom Besäen, denn er streute ja überall hin. So war es unvermeidlich, dass manche Körner auf den Trampelpfad fielen. Er hatte sowieso vor, gleich anschließend mit dem Pflug und dem Ochsengespann zu kommen, um überall die Erde aufzulockern und das Saatgut hinein zu pflügen. Gleich nach der Mittagsrast wollte er daran gehen, die Saat unter die Erde zu bringen.

Aber so schnell konnte er gar nicht schauen, da kamen Scharen von Vögeln. Sie stürzten sich auf die leicht zugänglichen Körner. Während der paar Stunden des Aussäens war etwas gesche­hen, das er nicht hatte vermeiden können: Die Vögel hatten das Saatgut gierig aufgefressen - genau an den Stellen, wo es auf den fest nieder­getretenen Weg gefallen war. Dort hatten sie es leicht auf­picken können. Somit war ein Teil des wertvollen Saatgutes weggeholt, noch bevor es eindringen konnte. Es hatte nicht einmal die Möglichkeit bekommen zu keimen. Es war zwar ausgestreut worden, um anzukeimen, aber es war zum Fraß der Vögel geworden. Es war umsonst ausgestreut.

An anderen Stellen war die Ackerkrume sehr dünn, weil sich dort felsiger Untergrund verbarg. Den konnte er natürlich nicht merken, deshalb streute er auch dorthin. Als er später mit der Pflugschar kam, knirschte es, denn der Holzpflug war mit einer Eisen­platte verstärkt. Wo man es knirschen hörte, war er über  Felsen gerieben. Der Pflug kratzte dabei nur eine dünne Erdschicht auf, darunter ver­bargen sich Felsrücken aus hartem, schwarzen Basalt – so wie eben bei uns in Galiläa das Land aufgebaut ist. Nicht überall, aber an manchen Stellen war das der Fall, dass große Steine darunter waren. Beim Ausstreuen hatte der Mann auf die felsigen Stellen nicht Rücksicht nehmen können. Deshalb war der Same auch dorthin gefallen.

An diesen Stellen keimte das Saatgut sofort auf, weil es nicht tief eingepflügt war. Jemand, mag sich darüber gefreut haben und festgestellt haben: Sieh, wie schnell hier das Bemühen Erfolg zeigt. Aber so jemand versteht wenig vom Saat anbauen. Er bedenkt nicht, dass es dort an etwas Wichtigem fehlte: an Tiefe des Erdbodens. Das hatte zur Folge, dass die keimenden Pflanzen nicht wider­standsfähig waren.

Als die Sonne Woche um Woche höher stieg und an Kraft zunahm, kamen die Pflänz­chen zu Schaden: Anfangs wurden sie schneller welk als die anderen, aber erholten sich wieder während der kühleren Nacht. Aber allmählich hielten sie der Mittagshitze doch nicht mehr Stand. Sie verdorrten dann gänzlich und fielen somit ebenso aus. Es fehlte ihnen an Verwurzelung und an Tiefe. Die Wurzel verleiht Halt und Beständigkeit. Die Wurzel holt Feuchtigkeit aus tieferen Erdschichten. Da aber die Pflanzen diese Grundlage nicht hatten, mussten sie verdorren und zwar schon als Halme, noch bevor sie Früchte ansetzen konnten. Also auch dieser Teil der Saat war umsonst ausgestreut worden.

An wieder anderen Stellen des Ackers ragten die mannshohen, alten vertrockneten Disteln auf. Sie säumten den Rand des Feldes  und waren ver­trocknete Stauden, Sie waren im vorigen Herbst ver­blüht und rag­ten seither wie Gespenster hoch auf. Aber er ließ sich von ihnen nicht beirren und streute auch knapp an sie heran. Großzügig streute er aus, ohne Bedenken. Es war ihm wichtig überall hin zu kommen, denn an vielen Stellen war der Boden gut. Die Disteln waren stachelige, schreckliche Ungetüme mit ihren ver­dorrten Armen. Sie zu entfernen war unangenehm und schmerzhaft. Erst recht war es unmöglich, die Samen der Disteln zu beseitigen. Sie waren längst abgefallen und wurden jetzt zusammen mit dem Saatgut eingepflügt. Gleichzeitig mit der guten Saat wuchs auch dieses dornige Unkraut auf. Es machte sich nach einiger Zeit unverschämt breit. Sie waren wohl beeindruckend schön anzusehen - diese Gewächse mit ihren leuchtend roten, gelben und blauen Blüten. Aber sie verdrängten das Getreide mehr und mehr, das zugleich damit aufwachsen wollte. Nur ganz spärlich konnte es Ähren ansetzen, aber von Ertrag kann da keine Rede sein. Das Getreide war wohl aufgewachsen, aber es war vom dornigen Gewächs gnadenlos erstickt worden. Wieder war wertvolles Saatgut umsonst ausgestreut worden.

 

Wieder anderes Saatgut jedoch fiel in das gute, tiefgründige Erdreich. Dort gab es Erträge. Die Körner konnten dort in Ruhe keimen. Während das zarte Grün an der Oberfläche erschien, bildeten sich auch in die Tiefe reichende Wurzeln. Die Halme wuchsen empor und widerstanden der Hitze des Tages. Sie konnten ungestört größer und größer werden. Dort also, wo die Umstände nicht hinderlich waren, wuchs das Getreide erfreulich auf und setzte Ähren an. Das vor  Monaten Aus­gestreute brachte doch beachtliche  Erträge. Meistens enthielt eine Ähre drei­­ßig Körner - das war dreißigfacher Ertrag. Oft aber entsprangen aus einer Ähre zwei Halme - das ergab einen Ertrag bis zum Sechzigfachen. Manchmal brachte ein Saatkorn sogar drei Halme hervor - das bedeutete einen Ertrag bis zum Hundertfachen. Ist das nicht erfreulich?  Die vielen Mühen bleiben also doch nicht vergeblich. Trotz der argen Verluste am Anfang wird es später reiche Erträge geben. Die Verluste treten zwangsläufig auf, sie lassen sich nicht vermeiden. Man stellt sie früher fest als die Erträge, aber sie sind kein Grund zur Entmutigung. Der Mann, der aussät, soll sich nicht dazu ver­leiten lassen, dass er wegen der Verluste nächstes Mal kleinlich und berechnend aus­streut. Er soll nicht an ausgesuchten Orten ausstreuen, sondern großzügig, aus vollen Händen und überall hin. Er weiß, dass es wertvolles Saatgut ist, was er ausbreitet. Deshalb ist er von der Zuversicht geleitet, dass einiges auf gutem Boden fällt und dass es dort lohnende Erträge geben wird. Er ist nüchtern genug, mit viel Verlust zu rechnen. Er weiß um beides: Die viele vergebliche Mühe am Anfang und den reichen Ertrag später. Die Erträge sind nicht dem Einsatz vergleichbar, sie übersteigen den Einsatz um das Dreißigfache, um das Sechzigfache, um das Hundertfache.“

Zum Schluss sagte Jesus: „Wer seine Ohren zum Hören gebrauchen kann, der soll lauschen und hinhören. Der Großteil der Menschen schaut lieber. Bilder anzu­schauen ist auch leichter und geht schneller als Töne und Untertöne zu hören. Viele Leute braucht das Bildhafte, um sich eine Sache einzuprä­gen. Deshalb ist das Geschilderte vordergründig eine nette Bildgeschichte, eine anschauliche Er­zäh­lung, etwas aus der bäuerlichen Welt, in der es viel zu sehen gibt. Deshalb mache ich jene aufmerksam, die ihr Hörorgan auch zum Hören verwenden können. Wer ein geschärftes Gehör hat, dem sage ich: Höre das heraus, was hinter dem Erzählten verborgen liegt. Viele Menschen begnügen sich mit den mit­ge­teil­ten Tatsachen, wenn sie etwas berichtet bekommen. Wer aber Lebens­er­fahrung und Weitblick hat, der kann das Hintergründige heraushören. Geschichten und Nachrichten haben eine leicht erkennbare Ober­fläche und eine nachhaltig wir­kende Tiefe. Diese Geschichte von dem Menschen, der die Saat ausstreut, ist tief­gründiger, als sie auf den ersten Blick aussieht. Wer sein Ohr auch zum Hören hat, der soll das Heraushören, was an tiefem Sinn enthalten ist.”

Wenn Jesus von einem Hörorgan spricht, das zum Hören geeignet ist, klingt das humorvoll. Wofür sonst sollte man die Ohren verwenden? Er scheint einen Spaß zu machen, wenn er so redet. Der Leser kann sich das Schmunzeln um den Mund­winkel Jesu vorstellen.

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