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15. März 2020

3.Fasten-Sonntag

Am Jakobsbrunnen

Joh 4,5-42

Dieser Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium enthält sehr ursprüngliche Züge, die nicht erfunden sind, sondern sich so zugetragen haben müssen. Der Leser ist gewissermaßen mit am Schauplatz. Gleichzeitig tritt Jesus so ganz als ER in Erscheinung – genauso war er. Der ganze Text ist zu umfangreich, als dass er hier vollständig erörtert werden könnte. Wir beschränken uns auf die erste Hälfte.

Jesus war offenbar mit seinem Zwölferkreis am Heimweg von Jerusalem und von der südlichen Provinz Judäa. Normalerweise benutzten die galiläischen Juden die mehr als 150 km lange Route über Jericho und den Jordangraben, um wieder heim zu gelangen. Sie vermieden es, die Provinz Samaria zu durchwandern, die zwischen Judäa und Galiläa lag. Aus irgendeinem Grund war Jesus aber gezwungen, dennoch die unbeliebte Strecke zu wählen. Die Gruppe erreichte um die Mittagszeit Sychar, das heute Nablus heißt und eine bedeutende palästinensische Stadt ist. Die städtische Wasserstelle wird im Original-Text als „Quelle des Jakob“ bezeichnet, was heute „Jakobsbrunnen“ genannt wird (Er existiert noch und es ist eine Kirche darüber erbaut.) Die Gruppe um Jesus hatte entschieden, am Markt Lebensmittel zu besorgen.

Jesus selbst zog es vor, am Brunnen sitzen zu bleiben. Begründung: „Er war ermüdet.“ (nicht „müde“) Dieses Wort lässt uns nachempfinden, dass er ausgelaugt war von der vielen Beanspruchung. Nur im Johannes-Evangelium tauchen hin und wieder solche Zwischensätze auf, die von einem Mitgefühl für Jesus zeugen. Das könnte von daher rühren, dass die Schilderung auf Johannes zurückgeht, den Jünger, den Jesus liebte – der also durch seine Seelenverwandtschaft mit Jesus inniger verbunden war. Er hatte mehr Gespür dafür, was sein Meister mitmachte, mehr als die übrigen aus dem Zwölferkreis. Es könnte aber auch sein, dass Jesus geahnt hat, dass auf ihn eine bedeutungsvolle Begegnung zukommen würde und daher entschieden hatte, hier auszuharren. Tatsächlich kam eine Frau, um Wasser aus der Brunnentiefe herauf zu „ziehen“ (nicht zu „schöpfen“, denn geschöpft wird aus Oberflächen-Wasser). Diese Arbeit ist zwar Frauensache, aber Frauen taten es nicht in der Mittagshitze, sondern am kühlen Morgen oder Abend.

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Jesus und die Samariterin (Gemälde von Angelika Kauffmann 1741–1807)

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8988425

Offenbar wollte diese Frau Sozialkontakte am Brunnen vermeiden – nicht wegen des Corona-Virus, sondern wegen des Trascht-Virus. Anlass für das abfällige Gerede boten ihre umstrittenen Männerbeziehungen, von denen wohl genügend Leute  in dieser Kleinstadt Bescheid wussten. Jesus hatte das an ihr offenbar mit seiner intuitiven Erkenntnis gemerkt. Trotzdem ging er ihr nicht aus dem Weg, sondern fing ein Gespräch mit ihr an und macht das sehr geschickt: „Gib mir zu trinken!“ Das war keine Bitte, sondern ein Verlangen. Die Frau war verblüfft über dieses Ansinnen, denn als Mitglied der samaritischen Glaubensgemeinschaft war sie von den rechtgläubigen Juden gemieden. Diese gestörte Volksbeziehung ging auf eine Jahrhunderte zurückliegende Glaubensspaltung zurück. Die Kluft war nie richtig überwunden worden, sondern hatte sich eher vertieft, weil die Samariter auf ihrem Hausberg, dem Garizim, ein eigenes Heiligtum errichtet hatten – in Konkurrenz zum Tempel von Jerusalem. Erst die junge Jesus-Bewegung schon ein paar Jahre nach Jesu Tod führte die getrennten Volksgruppen wieder zusammen. „Die Apostel in Jerusalem hörten, dass Samaria das Wort Gottes angenommen hatte. Da schickten sie Petrus und Johannes dorthin“ (Apg 8,14)

Seine Ansätze, die Kluft zu überbrücken, sind schon im Wirken Jesu selbst erkennbar. Es wird klar, dass Einzelbegegnungen nicht zu unterschätzen sind in ihrer langfristigen Wirkung. Das Verlangen nach Wasser von der Frau am Brunnen war eine dieser nachhaltigen Einzelkontakte.

Jesus sagt ihr unverfroren: „Wenn du doch nur wüsstest, welchen Reichtum Gott zu verschenken hat. Wenn du Kenntnis davon hättest, wer dir soeben gegenüber steht und zu dir sagt: >Gib mir zu trinken<, dann wärest gerade du es gewesen, die von ihm etwas verlangt hätte, und er hätte dir Wasser des Lebens gegeben.“ Daraufhin redete sie ihn hochachtungsvoll mit „Herr“ an: „Du hast keinen Kübel, sodass du Wasser aus der Tiefe hochziehen könntest. Du bist doch nicht etwa einer, der größer ist als unser Stammvater Jakob. Uns hat er den Brunnen hinterlassen. Er hat auch selbst daraus getrunken. Auch seine Söhne und wieder deren Söhne haben daraus getrunken. Auch seine Herden.“ In ihrer Antwort schwingt Selbstbewusstsein mit: Hier ist noch ein Geschenk das Urvaters Jakob an das samaritische Volk. Dass sie die Töchter nicht nennt, wohl aber die Schaf- und Ziegenherden, das mag uns zum Schmunzeln anregen.

 

Jetzt nützt Jesus die Gelegenheit, sie aufzuklären über den wahren Durstlöscher, so wie ihn Jesus zu vergeben hat. Damit wird er tatsächlich zu einem größeren Stammvater. Wer aus den Quellen trinkt, die Jesus anzubieten hat, wird kein Verlangen mehr haben nach den üblichen Durstlöschen. "Das Wasser, das ich ihm künftig geben werde, wird sich allmählich zu einer Quelle entwickeln, die aufspringt (=wörtliche Übersetzung) in das dauerhaft bleibende Leben.“ Dieses spirituelle Wort hat die Frau genauso missverstanden wie jeder konsumorientierte Mensch. Sie wollte sich künftig das mühsame Wasserholen ersparen und eine Zapfstelle daheim bekommen. Jesus machte sich nicht die Mühe, ihr das geistliche Wort nochmals zu erklären, sondern wechselte das Thema. Obwohl er wusste, dass sie in einer ungeordneten Partnerbeziehung lebte, ging er das ganz höflich und taktvoll an: „Geh, und rufe deinen Mann und komm wieder her!“ Die Frau wollte sich herausreden und antwortete mit einer Halbwahrheit: „Ich habe keinen Mann!“ Jesus sprach mit ihr nun Klartext, aber immer noch ohne einen vorwurfsvollen oder verurteilenden Ton: „Schön und treffend hat du geantwortet, denn du hattest eine Handvoll Männer und mit dem du im Moment zusammenlebst, der ist nicht dein rechtmäßiger Mann. Damit hast du eigentlich nicht die Unwahrheit gesprochen.“ Über diesen Scharfblick war sie tief beeindruckt und nicht gekränkt. Sie sprach Jesus das dritte Mal mit „Herr“ an und würdigt ihn als prophetischen Menschen. Damit war sie beim Thema Religion. Was sie aber jetzt sagte, war nur vermeintliche Religion, in Wirklichkeit waren es religiöse Traditionen. Sie wies auf ihren Berg der Gottesverehrung hin, der in Konkurrenz stand zum Gotteshaus in Jerusalem. Jesus klärt sie auf, dass die wahre Gottesbeziehung nicht an Gebetsstätten und an Versammlungen in Gotteshäusern gebunden ist. „Die Zeit ist reif, zu Gott eine Vater-Sohn/Tochter-Beziehung zu erlernen und einzuüben. Dieser Lernprozess geht Hand in Hand mit Befreiung von materiellem Verlangen, denn der Lernende orientiert sich mehr und mehr am Spirituellen. Dieser Weg ist aufrichtig und wahr und lässt keine Halbwahrheiten mehr zu. So stellt sich der väterlich-fürsorgliche Gott vor, dass er wertgeschätzt und hoch geachtet wird. So will er es.“

Das ist Jesus: Er scheut sich nicht, eine unangenehme Region zu betreten und mutet das auch seinem Schülerkreis zu (Samaria). Er gesteht sich vor ihnen seine Schwäche ein (ermüdet). Trotzdem bleibt er offen für die überraschende Begegnung (Wasserträgerin in der Mittagshitze). Er mutet der Frau zu, ihn mit etwas zu versorgen: (Gib mir Wasser!). Er versteht es, sie von ihrer vorgefassten Meinung (Wie kannst du als Jude …?) zu einer wesentlichen Frage hin zu lenken (Lebenswasser). Er deckt halbe Unwahrheiten so auf, dass es nicht verurteilend wirkt (der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann). Er klärt auf, wieviel überholte Tradition noch im Glauben versteckt ist (Väter haben auf diesem Berg angebetet). Er regt an zu einem Lernprozess: Gott mehr und mehr in väterlichen Zügen hochschätzen (den Vater anbeten). Abschließend können wir festhalten: Wer immer in seinen Schülerkreis eingetreten ist, hat sich einen behutsamen, aber anspruchsvollen Lehrer fürs Leben gewählt.

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