Bist nun ein König oder nicht?
Joh 18, 33 - 38
Da ging Pilatus wieder in das Prätorium hinein, ließ Jesus rufen und fragte ihn: Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben es dir andere über mich gesagt? Pilatus entgegnete: Bin ich denn ein Jude? Dein Volk und die Hohepriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan? Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier. Da sagte Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. Pilatus sagte zu ihm: Was ist Wahrheit?
INRI – das ist die Abkürzung des lateinischen Kreuzestitels „Jesus Nazarenus Rex Judeorum“, zu Deutsch „Jesus der Nazarener, Judenkönig“ Die christliche Ikonographie hat den Titel zu einem wichtigen Bestandteil der Kruzifix-Darstellungen gemacht. Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass in der Frömmigkeit und in der Liturgie sich der Titel „König“ für Christus verankert hat. Er selbst hat sich nie so genannt, nur seine erbitterten Gegner – die jüdischen religiösen Führer – sie haben ihm das unterstellt und gehofft, dass sie damit als Anklagegrund vor dem Vertreter des römischen Kaisers durchkommen.
Pilatus beginnt, wie es im römischen Rechtsverfahren üblich ist, die Gerichtsverhandlung mit der Befragung beider Seiten: Kläger und Angeklagter. Das jüdische Gerichtsverfahren verläuft anders, es basierte auf Anhörung von Zeugen. Zuerst wendet sich Pilatus an die Ankläger, was sie gegen Jesus vorbringen. Sie antworten ausweichend nur mit „Übeltäter“: „Wenn er kein Übeltäter wäre, hätten wir ihn dir nicht ausgeliefert“. Aber er sei ein so schlimmer Übeltäter, dass eine Inhaftierung nicht in Frage komme, sondern nur die Hinrichtung. Dann begibt sich Pilatus hinein ins Gerichtsgebäude und ruft laut nach Jesus. Es ist wie ein gebieterischer Aufruf des Angeklagten. Dabei stellt Pilatus gleich selber fest: „Du bist also der Judenkönig!“ Pilatus formuliert das nicht als Frage, sondern als Behauptung (Viele Übersetzer schreiben es als Frage: Bist du der König der Juden?) Anscheinend steht es so in der Anklageschrift, die ihm der Hohe Rat überreicht hat. Jesus antwortet mit einer Frage: „Kommt die Behauptung von dir oder haben andere das mir unterstellt?“ Jesus formuliert das anscheinend so, als ob sich Pilatus für die Königsherrschaft interessieren würde. Pilatus weißt es als Zumutung zurück: „Ich bin doch kein Jude, dass ich dich als König anerkennen würde.“ Dann setzt er die Befragung fort: „Was hast du getan?“
Der ECCE-HOMO Bogen in der Altstadt von Jerusalem erinnert daran, wie Pilatus ein letztes Mal versucht, Jesus frei zu sprechen:
Jesus kam heraus; er trug die Dornenkrone und den purpurroten Mantel. Pilatus sagte zu ihnen: Seht, der Mensch!
In seiner Antwort bekennt sich Jesus dazu, dass er eine Königsherrschaft aufgebaut habe. Dass er selber König sei, sagt er mit keinem Wort. Er grenzt die Art seines Imperiums ab von der Art, wie sie in der Weltordnung üblich ist. Die Staaten haben Soldaten, die für den König ins Schlachtfeld ziehen. Sein Königreich ist nicht nach weltlichem Muster aufgebaut – mit großen Geldsummen, mit Staatsgrenzen, die ein Militär verteidigt, mit repräsentativen Gebäuden. Jesus hat sehr wohl Leute, die ihm zur Verfügung stehen. Er nennt sie aber nicht Soldaten, nicht Legionäre. Er nennt sie hier Helfer, Assistenten, Mitstreiter, die sich für ihn ins Zeug legen. Meist wird übersetzt: „meine Leute würden für mich kämpfen“, aber das würde an Waffen erinnern. Das Johannes-Evangelium verwendet hier nicht ein Wort aus der Kriegssprache, sondern aus dem Wettkampf. Denselben Begriff gebraucht Paulus, wenn er vom sportlichen Wettkampf spricht: „Jeder (Wett)kämpfende lebt völlig enthaltsam; jene tun dies, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen.“ (1 Kor 9,25). Pilatus ist ein Mann aus der Politik ist und er ist mit der Heerführung vertraut. Er versteht diese Erklärung Jesu falsch und behauptet neuerdings: „Du bist also ein König!“ „Du sagst es!“ habe Jeus geantwortet. So wird oft missverständlich übersetzt. Aber Jesus sagt es andersherum: „So sagst du es: Ich sei ein König“ Dann klärt ihn Jesus auf über seine Sendung: „Meine Bestimmung in der Welt war von Geburt an: Für die Wahrheit eintreten und sie zu bezeugen – wenn auch um einen hohen Preis.“
„Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“ - Dieses Wort wurde oft sehr abgehoben verstanden, so als würde Jesus von einer Herrschaft im Himmel, im Jenseits sprechen: Bei weitem nicht, er meint etwas ganz Irdisches, etwas, das in unserer Gesellschaft wirksam ist, sonst hätte er nicht als Schluss-Wort von seiner Mission in der Welt gesprochen: "Dazu in die Welt gekommen" Das wurde mir schon in die Wiege gelegt.“ Und Jesus hat für seine Wahrhaftigkeit viel aufs Spiel gesetzt. Wahrheit war für ihn nicht ein philosophischer Begriff, sondern ein Tun. Sie bewährt sich, indem man sie in die Tat umsetzt.
Zum Schluss gibt sich der Politiker Pilatus noch als Philosoph und stellt die Frage: „Was ist Wahrheit?“ Es scheint ihm nicht bewusst zu sein, dass man über Wahrheit zwar hochgeistig reden kann, dass man aber von ihr weit entfernt ist, wenn das eigene Leben damit nicht übereinstimmt. Gleich anschließend verhält er sich wie ein zwiespältiger Politiker, der gut dastehen will durch Amnestie, aber in Wahrheit zwei Gerichtsfälle vermischt, die miteinander nichts zu tun haben. Barabbas, der Straßenräuber, ist für die Kreuzigung bereits verurteilt. Das lässt sich nicht mit Jesus abwälzen, über den eigentlich immer noch die Unschuld besteht. So entscheidet sich erst in letzter Minute, wie Jesus sterben muss: „Am Kreuz!“ Es wäre ja auch möglich gewesen: Tod durch das Schwert oder durch Steinigung. Dass Jesus sterben musste, hat die jüdische Führung verschuldet. Dass es das Kreuz wurde, hat Pilatus verschuldet, der Mann, der kurz zuvor noch über „Wahrheit“ diskutieren wollte. Wahrheit geht Hand in Hand mit Wahrhaftigkeit und ist eine Sache des Tuns. Jesus hat das schon lange zuvor einmal geäußert: „Wer die Wahrheit tut, kommt ans Licht.“ (Joh 3,21)