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26.März 2023    5.Fasten-Sonntag

Ins Leben zurück geholt

Johannes 11,1-45 Kurzfassung

Es sandten die Schwestern Jesus die Nachricht: Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank. Als Jesus das hörte, sagte er: Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes. Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden. Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lazarus. Als er hörte, dass Lazarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt.

Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen.

Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus sitzen. Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben. Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag. Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das? Marta sagte zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.

Jesus war im Innersten erregt und erschüttert. Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie sagten zu ihm: Herr, komm und sieh! Da weinte Jesus. Die Juden sagten: Seht, wie lieb er ihn hatte! Einige aber sagten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb? Da wurde Jesus wiederum innerlich erregt und er ging zum Grab. Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war. Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, sagte zu ihm: Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag. Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen! Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.

Was hier in Joh 11 kurz vor Beginn des Leidens Jesu geschildert wird, gilt weithin als das „größte Wunder“ Jesu, auch wenn es das Evangelium selbst mit „Zeichen“ benennt. Es ist eine Schilderung voller Dramaturgie, mit mehrfachem Wechsel des Schauplatzes und Wechsel der Gefühle. Es ist keineswegs eine frei erfundene Geschichte, sondern hier erzählt ein Augenzeuge. Der Leser wird von Anfang bis zum Schluss in Spannung gehalten. Trotzdem sträubt sich der heutige Menschen und stellt sich – berechtigt oder unberechtigt – die Frage: Kann das so gewesen sein? Ein Toter wird ins Leben zurück gerufen aus der Grabstätte heraus? Noch dazu 4 Tage nach dem Begräbnis? Die Schilderung enthält – abgesehen vom Hergang der Ereignisse – auch Einzelsätze, die für sich selbst schon ein  Juwel sind: „Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes.“ Oder ein weiteres Juwel: „Alles worum du bittest, wird Gott dir geben.“ Das traut  die bange Marta ihrem Herrn Jesus zu , er aber empfiehlt es uns in seiner Gebetslehre. Wir sollen  genau das einüben: „Alles, worum ihr betet und bittet, - glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt, dann wird es euch zuteil.“ Ein weiteres Juwel: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“

Wer sich auf ihn einlässt, seine persönliche Lebensphilosophie an ihm ausrichtet, den kann nichts Schlimmes mehr aus der Bahn werfen. Wer sich dem MEISTER anvertraut hat und in seine Schule eingetreten ist, der wird darin, wo andere den Untergang sehen, immer noch einen Ausweg, eine Rettung erhoffen. Das sind nur 3 Edelsteine – herausgeschnitten aus der Erzählung.

Begeben wir uns nun auf die Schauplätze und lassen wir uns auf die Umstände ein: Es spielte sich im Feb des Jahres 30 n.Chr ab. Der bevorstehende Anschlag auf Jesus und sein dreijähriges Erfolgswirken warf schon seine düsteren Schatten voraus. Im Dez 29 n.Chr. (= beim Tempelweihfest in Jerusalem) versuchten die strenggläubigen Juden ihn ernsthaft umzubringen, indem sie ihn umzingelten und zu steinigen begannen. Er wehrte sich dadurch, dass er ihnen entgegen hielt: „Viele guten Taten habe ich im Auftrag des Vaters getan. Für welche von ihnen wollt ihr mich zu Tode steinigen?“ (Joh 10,31f). Sie versuchten, ihn festzunehmen, aber er entzog sich ihrem Zugriff. Er ging 30 km durch die Wüste, vorbei an Jericho an die Jordan-Stelle, wo Johannes getauft hatte. (Joh 10,40) Jesus holte sich das Ereignis nochmals in Erinnerung, das er drei Jahre zuvor erlebt hatte: Es war ein Sterben im Jordan, wenn auch nur ein rituelles. Demnächst würde ihn das reale Sterben treffen. Johannes hatte ihn dort als  das „Lamm Gottes“ genannt, was eine Anspielung auf das Pascha-Lamm war, das geschlachtet wird und dessen Blut das Volk rettet. Also würde er nicht vor dem Pascha-Fest sterben dürfen.

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Sonnenaufgang in Galiläa mit Blick von Nazaret auf den Berg Tabor.

Dort zeigt sich Jesus als von Gott Geliebter, durch den die Grenzen des Todes verschoben sind.

Die Schilderung des Krankheitsfalles „Lazarus“ setzt unvermittelt ein. Der Leser hat noch nie etwas von dem Mann erfahren. Er dürfte ein wohlhabender, aber integrer Mann gewesen sein, der befreundet und hoch geachtet war bei vielen Angesehen aus Jerusalem. Seine Residenz hatte er nicht in der Stadt, sondern in dem kleinen Dorf Betanien, das man nach 2,8 km erreichte, wenn man die Stadt über den Ölberg Richtung Osten verließ. Er lebte mit seinen beiden Schwestern Marta und Maria zusammen. Jesus war mit den dreien eng befreundet und war dort jederzeit willkommen gewesen, wenn er sich in der heiligen Stadt aufgehalten hatte. So war der Mann auch dem engstem Schülerkreis kein Unbekannter. Jesus hatte also in seinem nahen Umfeld auch Personen, die er schätzte und liebte, ohne dass sie ihn als „Jünger“ begleiteten. Die Krankheit des Lazarus zog sich in die Länge und wurde bedrohlich und trotzdem hatte Jesus bisher noch keinen inneren Auftrag erhalten zu einer rettenden Heilbehandlung. Während Jesus sich nun am Jordan aufhielt, (einen Tagesmarsch entfernt von Lazarus!) erhielt er von Marta die Eilnachricht: „Der, den du liebst, ist krank.“ Jesus war sofort klar, dass die Krankheit ein lebensbedrohliches Stadium erreicht hatte. Dennoch wusste er: „Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern ist dafür bestimmt, dass der Glanz der Liebe erstrahlt. Gott ist die Liebe und sie wird im vollen Licht aufleuchten. Durch die Krankheit soll auch derjenige von Licht umstrahlt werden, der das Erbgut Gottes in die Welt gebracht hat, der als Sohn eingesetzt ist.“ Das dachte Jesus nicht nur, sondern sprach es auch aus. Jesus war mit den dreien: Marta, ihrer Schwester und Lazarus in einer sehr herzlichen Freundschaft verbunden. Trotzdem eilte er nicht sofort zu dem Totkranken, sondern ließ noch Tage vergehen, indem er  am Jordan blieb. Das erscheint seltsam, aber der Grund kann nur der sein, dass ihm die innere Stimme, die Stimme des Vaters, noch nicht deutlich rief. Er konnte nur das ausführen, wofür er einen unmissverständlichen Auftrag hatte. Darauf wartete er – auf den Auftrag des VATERS. Seinen Schülern erklärte er es mit „Schlaf des Freundes Lazarus.“ Als er nach 2 Tagen zum Aufbruch rief, wehrten die Schüler ab: „Du bist gerade dem Anschlag durch Steinwürfe entronnen und jetzt begibst du dich erneut in Lebensgefahr.“ Nun sprach Jesus Klartext: Was ich zuvor als Schlaf bezeichnet habe, damit ist der Tod gemeint. Lazarus gilt offiziell als verstorben, aber ich muss gehen, um ihn aufzuwecken.“ Einer aus dem Zwölferkreis, Thomas, genannt Zwilling, rief die anderen mutig auf: „Gehen wir mit, auch wenn wir damit unser Leben aufs Spiel setzen.“

Als Jesus die Nähe des Dorfes Betanien erreichte, schien alles zu spät. Das Ableben und das sofort anschließende Begräbnis lagen schon vier Tage zurück. Es kam ihm Marta entgegen und ihr erstes Wort war eines, das die beiden Schwestern tagelang ständig beschäftigt hatte: „Herr, wärest du hier gewesen, dann wäre er nicht gestorben.“ Das klang nach Vorwurf, aber den entschärfte Marta sofort, indem sie sagte: „Trotzdem trage ich in mir ein Wissen, das ich mir über Gott erworben habe: Alles, worum du Gott bittest, wird dir Gott geben.“ Was Marta hier aussprach, klang eher nach einem angelernten Glaubenswissen als nach Glaubens-Erfahrung. Jesus sagte darauf nur kurz: „Dein Bruder wird auferstehen.“ Wieder fasst Marta sein Wort der Auferstehung wie eine religiöse Formel auf und wartet wieder mit trockenen Glaubenssätzen auf: „Ich weiß, dass mein Bruder am Ende der Tage auferstehen wird, wenn Gott alle Toten aus den Gräbern zur Auferstehung holt.“ Jetzt zog Jesus alle Register und sagte: „Ich – ja ich, wie ich vor dir stehe, ich bin die Auferstehung. Nicht Auferstehung am Ende der Tage! In mir ist das Leben Realität. Wer sich auf mich einlässt, wer mir ganz und gar Vertrauen entgegen bringt, der wird leben, auch wenn er die Schwelle des Todes überschreiten muss. Das gilt ausnahmslos für jeden, der mitten im Leben steht und sich mir anvertraut. Dem kann der Tod nichts anhaben. Für den ist das "Jetzt" schon die Ewigkeit. Kannst du dem zustimmen? Kannst du diesen Worten Glauben schenken?“ Ob Marta dafür schon reif war, sei dahin gestellt, jedenfalls sagte sie: „Ja! Herr! “ und sie bekräftigte es mit einem formelhaften Glaubensbekenntnis, nach dem sie eigentlich nicht gefragt worden war: „Ich habe zu dem Glauben gefunden, dass du der Messias bist, der Gesalbte. Du bist der Sohn, dem Gott alles anvertraut hat.“ Auffallend ist, dass Jesus vom „Glauben an jemand“ spricht, während sie mit „Glauben, dass ...“ antwortet. Es könnte sein, dass sich dieses theologische Gespräch nicht an diesem Schauplatz ereignet hat – es passt auch nicht in die tragische Situation, wo man einen lieben Menschen verloren hat. Möglicherweise ist es eine Ergänzung 60 Jahre später, als das Johannes-Evangelium entstanden ist.

Marta verständigte heimlich und unbemerkt von den vielen Trauergästen ihre Schwester Maria: „Der Meister ist anwesend. Er ruft dich.“ Sie erhob sich sofort und eilte schnell zu ihm, er war noch draußen am Dorfrand. Als sie ihn erreicht hatte, fiel sie ihm zu Füßen, was Marta nicht getan hatte. Aber sie empfing ihn mit denselben bitteren Worten: „Herr, wärest du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.“ Den heimlichen Vorwurf schwächte sie nicht durch religiöses Gestammel ab wie Marta. Sie schluchzte und stieß Schreie aus. Das war heftiger als nur normales Weinen. Auch von den Trauergästen waren etliche dorthin gekommen, wo Jesus war und sie wurden so erfasst von den starken Emotionen der Frau, dass auch sie zu schluchzen begannen. Das ging Jesus dann sehr nahe und es rüttelte ihn ziemlich auf. Es war sein Mitempfinden aus Liebe und es mobilisierte seine Entschlusskraft gewaltig. Jetzt schritt er zur Tat. Er fragte: „Wo habt ihr ihn hingelegt?“ „Hingelegt“ lautet die wörtliche Übersetzung! Damit meinte er, wo sie ihn bestattet hatten. Sie standen ja noch nicht beim Haus des Lazarus. Außerdem gab es Vorschriften, dass ein Toter in gehörigem Abstand vom Wohnhaus bestattet werden musste. Da es sich um eine reiche Familie handelte, hatten sie ein Felsengrab mit einem Rollstein. Die Trauergäste geleiteten den Meister zu der 200 Meter entfernten Gruftstätte. Die Archäologie um 1950 hat die Ortslage bestätigt. Die Gäste merkten, dass Jesus die Tränen in den Augen standen. Er schluchzte nicht, aber er konnte die Trauer nicht verbergen. Er weinte leise. Die Einheitsübersetzung schreibt von Maria und von Jesus gleichermaßen: Er/sie weinte. Der Originaltext hingegen verwendet unterschiedliche Wörter: „schluchzen“ bei Maria und „weinen“ bei Jesus.  In diesen Tränen Jesu sahen die Umstehenden den Beweis für die innige Freundschaft zwischen den beiden. Andere konnten ihren beißenden Mund nicht halten und sagten: „Noch vor 3 Monaten hat er beim Laubhüttenfest im Oktober die Augen eines Blinden geöffnet. So hätte er auch jetzt längst etwas tun können, damit sein Freund nicht stirbt.“ Diese Spötter hatten nicht im Geringsten verstanden, dass Jesus nur das tun konnte, wozu ihn der Vater beauftragt und nur dann, wenn der Vater grünes Licht gegeben hatte. Diese Stimmen gingen ihm erneut sehr nahe und er stieg in die Gruftstätte. Es führten ein paar Treppen hinab zu dem Höhleneingang, auf dem ein großer flacher Stein lag. Jesus sagte: „Hebt den Stein weg“. Jetzt wurde es für Marta, die Schwester des Verstorbenen, peinlich. Sie wird wohl gedacht haben: Was verlangt er da Unsinniges. Daher hielt sie dagegen: „Herr, er riecht schon. Es ist nämlich der vierte Tag.“ Jesus wies sie freundlich, aber klar zurecht: „Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du Vertrauen hast, wirst du den herrlichen Lichtkranz Gottes sehen. Du wirst sehen, wie die Liebe erstrahlt. Gott ist die Liebe“. Sie hoben den Stein auf und er hob  seine Augen auf. Er blickte nach oben, wie er es immer tat, wenn er mit der Hilfe Gottes rechnete, so als würde er sagen: „Jetzt bist du dran, Vater.“. Er sprach für alle hörbar: „Vater, dir gilt mein Dank. (Griechisch: EUCHARISTO) Denn du hast mir Gehör geschenkt. Ich wusste, dass du mich sowieso immer hörst. Eigentlich erübrigen sich die Wort an dich. Aber wegen der Menge, die um mich herum steht, habe ich das gesagt“. Jesus nützte diesen Anlass, zu demonstrieren, dass er nie eigenmächtig handelt, sondern dass er nur tut, was er vom Vater sieht. Er steht in ständigem Austausch mit ihm. Dann ließ Jesus laut und mächtig seine Stimme erschallen, indem er Lazarus mit Namen rief: „Lazarus!“ Es klang als würde er ihn über eine weite Entfernung hinweg rufen. Aber er rief mit der Selbstverständlichkeit, als könne Lazarus gar nicht anders, als dass er auf seinen Namen reagieren würde. Dann erteilte Jesus  ihm einen Befehl: „Vorwärts! Heraus!“ (So die wörtliche Übersetzung) Tatsächlich bewegte sich da drinnen etwas. Die Mumie erhob sich und der Verstorbene kam heraus. Es muss ein gruseliger Anblick gewesen sein: Um die Füße hatte er die Binden, um die Hände ebenso. Sein Gesicht war verhängt mit einem leinenen Handtuch. Jesus sagte: „Befreit ihn von den Binden, sodass er frei herum gehen kann.“ Viele der jüdischen Ehrengäste, die wegen der Trauer zu Maria gekommen waren, wurden somit Zeugen dieses Ereignisses. Es waren Leute, die bisher misstrauisch gegenüber Jesus waren. Sie hatten mit eigenen Augen gesehen, was er getan hatte. Sie fassten Vertrauen zu ihm. Sie glaubten ab jetzt an ihn. Andere wussten nichts Besseres, als zu denen zu laufen, für die der Glaube aus lauter Gesetzen bestand.

 

Nach der Rückholung des Lazarus ins Leben wurde Jesus schlagartig noch mehr zum gefeierten Helden und die jüdische Führung hingegen schäumte vor Wut. Zu bestreiten und als Lügengeschichte abzutun war der „Vorfall“ nicht, denn dafür gab es zu viele Zeugen – noch dazu waren es angesehene Männer aus Jerusalem. „Da beriefen die Hohepriester und die Pharisäer eine Versammlung des Hohen Rates ein. Sie sagten: Was sollen wir tun? Dieser Mensch tut viele Zeichen. Wenn wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben.  ... Von diesem Tag an waren sie entschlossen, ihn zu töten. “ (Joh 11,47f.53) Jesus muss sich dieser Konsequenz bewusst gewesen sein, noch bevor er sich entschloss, Lazarus zu retten. Er riskierte damit sein eigenes Leben noch mehr. Aber er musste seine Festnahme hinauszögern – bis zum Fest an dem die Juden das „Lamm“ schlachten. „Jesus ging von nun an nicht mehr öffentlich unter den Juden umher, sondern zog sich von dort in die Gegend nahe der Wüste zurück. Zu einer Stadt namens Efraim. Die Stadt lag in Samarien, also außerhalb von Judäa, heute eine palästinensische Stadt als katholische Pfarre, namens Taybeh, 15 km nordöstlich von Jerusalem. Dort blieb er mit seinen Jüngern.“ (Joh 11,54) Deshalb gab die jüdische Führung einen Fahndungsbefehl aus, der an jeder Synagogen-Tür angeschlagen wurde. „Sie hatten angeordnet, wenn jemand wisse, wo er sich aufhält, solle er es melden, damit sie ihn festnehmen könnten.“ (Joh 11,57). Wie zuverlässig dieser Hinweis ist, zeigt ein Bericht aus der rabbinischen Überlieferung des 2.Jahrhunderts (babylonischer Talmud) Darin heißt es: „Am Rüsttag des Pascha hat man Jeschu (von Nazaret) gehängt. Ein Ausrufer ging 40 Tage vor ihm her: Er soll gesteinigt werden, weil er gezaubert und verführt und Israel abwegig gemacht hat. Jeder, der für ihn eine Rechtfertigung weiß, komme und begründe sie für ihn. Aber man fand für ihn keine Rechtfertigung, und so hängte man ihn am Rüsttag des Pascha.“ Wenn wir die Zahlenangaben von 40 Tagen ernst nehmen, dann fiel der Erlass des Haftbefehls in den Februar des Jahres 30. Somit ist klar, wann die Erweckung des Lazarus gewesen sein muss. Auf dieses Vertrauenswagnis an der Grenzlinie des Todes ließ sich Jesus ein, er vertraute voll und ganz dem VATER– nur wenige Wochen vor seiner eigenen Grenzlinie.

 

Jesus hatte mit dieser Tat bewiesen, dass es von Seiten des VATERS immer noch Möglichkeiten gibt, auch wenn es für die übliche Gesellschaft aussichtslos erscheint, ja tot ist. Jesus hatte damit die Grenzen des Todes verschoben: Anscheinend war es der Plan Gottes gewesen, den Lazarus bis zur Schwelle des Todes zu führen, ihn eine Nahtod-Erfahrung machen zu lassen. Deshalb durfte ihn Jesus nicht vorzeitig aus der Krankheit retten. Aber als der Zeitpunkt reif war, wurde dem Mann die Liebe in Person geschickt, Jesus, die sehr, sehr stark war, die hat ihn zurück geholt. Das hat diesen Mann wohl geprägt für das restliche Leben, hat ihn mit Stärke und Dankbarkeit ausgestattet. Die Hüter der Religion wollten auch ihn umbringen, aber sie konnten nicht. Die Bibel erzählt uns nicht, wie es mit Lazarus weiter gegangen ist. Sicherlich wird er mit seinen finanziellen Mitteln die junge Jesus-Bewegung unterstützt haben. Die Legende erzählt, dass er nach Zypern übersiedelte und dort, in Larnaca,  von Paulus beauftragt worden sei, Gemeinden zu begleiten. Eine andere Legende sagt, er hätte das Evangelium in den Westen des römischen Reiches, in das heutige Frankreich, in die Provence, gebracht. Wo auch immer er heilsame Hauskreise unterstützt hat, er hat sie liebevoll begleitet, denn das  war er der Liebe des Meisters schuldig.

 

Der heutige Mensch fragt sich: Kann sich das so zugetragen haben? Vier Tage im Grab – dann wieder ins Leben zurückgekehrt? Das Evangelium spricht sogar von Verwesungsgeruch. Wird sich der heutige Mensch leichter Jesus anvertrauen, wenn er das „Wunder“ einsichtig erklärt bekommt? Den Versuch ist es zumindest wert: Die Art der Krankheit des Lazarus ist uns leider nicht beschrieben. Es könnten eitrige Hautgeschwüre gewesen sein über den ganzen Körper – nicht Lepra, aber so ähnlich - dann haben sie ekelerregend gestunken, wie Leichengeruch – von der Grabhöhle heraus hat es erst recht gerochen, vermeintlich nach Verwesung, tatsächlich von den Geschwüren. Auf diesen Gedanken, auf diese Deutung, haben mich zwei junge Frauen gebracht, als  sie berichteten, wie sie in den Slums von Kenja eitrige Füße der Schulkindern gewaschen und desinfiziert haben. Sie sagten: Ihre Zehen stanken wie Leichengeruch. Der Körper des Lazarus könnte in den letzten Tagen auf Notprogramm herunter geschaltet haben, er sah wie tot aus. So wurde er bestattet. Aber die Hirnforscher sagen uns, dass das Gehirn mit so schwachen Hirnströmen weiter arbeiten kann, dass es für Laien nicht mehr erkennbaren ist. Zu den letzten Organen, die bei einem Sterbenskranken noch in Takt bleiben, gehört das Ohr – deshalb mahnen die Krankenschwestern der Palliativ-Medizin, man solle am Bett eines Sterbenden nicht achtlos irgend etwas dahin plaudern. Er hört es. Deshalb wohl hat Jesus so laut in die Gruftstätte hinein gerufen. Die Stimme des hochgeschätzten und geliebten Lehrers hat Enormes mobilisiert. Wenn am Sterbebett ein ersehnter, liebevoller Freund oder Bruder auftaucht, kann das Restkräfte in einem fast erloschenen Leben wachrufen. Hirnforscher haben eine Steigerung der Hirnströme um ein Vielfaches nachgewiesen. In Liebe verbundene Angehörige und einfühlsame Seelsorger können das bestätigen: Die Umstehenden hatten schon den Eindruck, der Schwerkranke würde nun bald dahin scheiden, aber nach der Begegnung kam der Sterbenskranke erstaunlich rasch zu Kräften. Jesus tat genau das. War er also ein Wundertäter? Vor einem Jesus, der einfach „Wunder“ tut, stehen wir fassungslos. Zu einem, der höchst einfühlsam ist und der den heilsamen Zeitpunkt erkennt, fassen wir Vertrauen. Der liebevolle Jesus spürt, was einer gerade jetzt braucht, weil er an den Rand des Lebens geraten ist. Für einen solchen Jesus können wir Sympathie empfinden, dem können wir uns anvertrauen.

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