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28.Mai 2023      Pfingst-Sonntag 

Angehaucht von Jesus

Joh 20, 19-31

Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.

Das christliche Pfingsten war ursprünglich nicht auf nur einen Sonntag beschränkt, sondern umfasste die ganze 50tägige Zeitspanne ab dem Osterereignis. Heute gilt Pfingsten als Abschluss, Vollendung und Krönung der Osterzeit. Als Fest im Kirchenjahr ist Pfingsten erstmals im Jahr 130 erwähnt.

Lukas schildert in der Apostelgeschichte 2.Kapitel das sogenannte „Pfingstwunder“. Darin ist vom Sturmbrausen die Rede. Feuerzungen sollen sich auf die erste Jesus-Gruppe in Jerusalem – 120 Männer und Frauen – niedergelassen haben. Dieses Erlebnis „erfüllte sie mit Heiligem Geist“.

Johannes schildert das „In-Empfang-Nehmen des Heiligen Geistes“ schon zu Ostern: Am Abend jenes Tages, an dem sich Jesus schon Einzelnen als der Erweckte gezeigt hatte, tauchte er unvermittelt in der Mitte des Zwölferkreises auf und sagte zu ihnen: „Übernehmt Heiligen Geist.“

Die Niederschrift der beiden Texte – Apostelgeschichte und Johannes-Evangelium – fällt ungefähr in dieselbe Zeit, nämlich  in die 90er Jahre, als es bereits starke Jesus-Gemeinden über das ganze römische Reich verteilt gibt.

Lukas ist zwar kein Jude von seiner Herkunft her, sondern er entstammt dem griechisch-römischen Kulturkreis. Aber er hat eine gewisse Hochachtung vor der jüdischen Tradition gewonnen. So knüpft er im „Pfingstereignis“ an das jüdische Fest Schawuot (=Wochenfest) an, das eines der 3 großen Wallfahrtsfeste nach Jerusalem ist. Es wird  50 Tage nach dem Paschafest gefeiert. So schreibt er: „Als sich der Tag des Pfingstfestes erfüllt hatte ...“ Der Name Pfingst-Fest leitet sich her vom griechischen Wort PENTEKOSTE, der 50.Tag (=7 Wochen).

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Dieser sieben-armige Leuchter steht im jüdischen Viertel von Jerusalem. Die vielen Flammen waren immer schon ein Hinweis auf die Gegenwart Gottes.

Das Judentum gedenkt dabei des Erscheinens Gottes am Sinai und der Gesetzgebung, so wie es im Buch Exodus niedergeschrieben ist. „Mose stieg vom Berg zum Volk hinunter ... Am dritten Tag im Morgengrauen begann es zu donnern und zu blitzen. Schwere Wolken lagen auf dem Berg ... Der ganze Sinai war in Rauch gehüllt, denn der HERR war im Feuer.“ (Ex 19,16) Nach alter jüdischer Tradition benützt Gott außergewöhnliches Feuer, wenn er sich zeigen will. Schon bei der Berufung des Mose, die von Gott an ihn in jungen Jahren ergangen ist, war auch Feuer im Spiel: „Es erschien ihm der Engel des Herrn in einer Feuerflamme mitten im brennenden Dornbusch.“ (Ex 3,2) Lukas hat also Kenntnis von einem seltsamen kosmischen Sturm- und Feuerphänomen während des Shawuot-Festes im Todesjahr Jesu. Die Anhänger Jesu haben an dem Tag sicherlich die genannten Texte des Alten Testamentes gemeinsam gelesen und besprochen, als sie  dieses Naturphänomen  überwältigte. Für die neue Jesus-Gemeinschaft waren an die Stelle der  Gesetzgebung  am Sinai die Anordnungen Jesu getreten. Lukas wagt sich an ein Wortspiel mit Zungen: „Es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer  ... Sie wurden mit heiligem Geist erfüllt und fingen an, in anderen Zungen zu reden.“ (Apg 2,3f) Er zählt dann eine Liste von 17 Nationen auf. In diesen 17 Ländern hat die Jesus-Gefolgschaft längst Fuß gefasst und hat dort erfolgreich von den großen Taten Gottes berichtet, wie Lukas den „Pfingstbericht“ schreibt. Die sprachlichen Barrieren waren für die Ausbreitung des Evangeliums kein Hindernis in den Jahren 30 bis 90 n.Chr. Darauf legt Lukas seinen Schwerpunkt. Lukas schreibt zu einer Zeit, da die Gemeinden sich in unterschiedlichen Nationen etabliert haben. Trotz der Entfernungen stehen sie in regen Austausch miteinander. Sie schicken sich gegenseitig geistliche Lehrer, über sprachliche Grenzen hinweg. Der Geist Jesus, der Geist des Evangeliums macht es möglich nationen-übergreifende Beziehungen zu pflegen.

Johannes legt den Schwerpunkt woanders hin: Der Geist, der durch Jesus vermittelt wird, befähigt zum Schulderlass. Johannes schreibt, dass Jesus als Erweckter und von Gott Bestätigter seinen Lernenden einen Sendungsauftrag erteilte, der vergleichbar war mit seinem eigenen Sendungsauftrag, den er vom VATER erhalten hatte: „Ich  bin es, der euch schicken wird, wie mich der VATER ausgesandt hat.“ Das Schicken ist erst in der Zukunft! Und das ICH ist betont. Jesus reicht seinen eigenen Auftrag weiter an die Seinen. In ihnen sieht er die Fortsetzung seines Werkes. Dieses Weiterreichen ist bis heute nicht abgeschlossen. Die Sache Jesu geht immer noch weiter.

Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte: „Nehmt heiligen Geist bewusst an, nehmt ihn in Empfang. Macht euch offen dafür.“ Nicht: „Empfangt den heiligen Geist“, denn das klingt zu untätig, zu passiv. „Empfangt“ klingt so, als würde man den Heiligen Geist einmalig über sich ausgießen lassen. Das griechische Original-Wort drückt Aktiv-Sein aus: „nehmen“. Es drückt auch Dauer aus: Man empfängt Heiligen Geist nicht einmal und das war’s dann, sondern man bleibt dafür empfänglich zeitlebens. Indem Jesus sie anhauchte, machte er ihnen seinen Atem spürbar. Im deutschen Wort „Geist“ ist diese Grundbedeutung von Atem nicht erkennbar, sehr wohl aber im Griechischen: PNEUMA heißt Hauch, Atem, Luft. Ebenso im Hebräischen RUAH.

Jemanden anhauchen, so etwas hat Jesus zu Lebzeiten nie getan. Das Wort „anhauchen“ oder „anblasen“ kommt nur hier im ganzen Neuen Testament vor. Es ist ein Wort von kosmischer Dimension: Gott war es, der am Beginn der Schöpfung vom Erdboden den Menschen formte und ihm seinen Atem einhauchte – durch den Atem Gottes wurde er zum Menschen. „Gott blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebenden Wesen“ (Gen 2,7) Das war der Beginn der Menschheit. Jetzt sollte die Nachfolge-Gemeinschaft diesen Gottesatem für ein Menschheitsthema einsetzen: das Thema Schuld. Wie geht die Welt üblicherweise mit Schuld um? Dem Täter wird seine Schuld bewiesen und vorgerechnet. Er wird zu einer entsprechenden Strafe verurteilt. Er muss die Schuld abbüßen. Im günstigsten Fall bekommt er Gelegenheit, sie wieder gut zu machen. Jesus-Anhänger sollen der Welt einen anderen Lösungsansatz zeigen. Sie sollen unter sich  die Methode des Vergebens üben und sie sollen die Welt diese Methode lehren. Christen sind vom Hauch Jesu erfüllt, der soviel Verständnis hatte für seelische Lasten, die so viele Menschen mittragen. Die Lasten können  selbstverschuldet und fremdverschuldet sein. Die Welt braucht dringend spirituelle Menschen, die anderen zusagen können: „Die aufgetürmte Last wird dir abgenommen. Du bekommst einen Freispruch. Es wird dir ein Neubeginn ermöglicht.“

Jesus nennt das als vorrangige Aufgabe. Alle, die seinen Hauch, seinen Geist einmal erfahren haben und seither laufend aufnehmen, sollten sich dieser Berufung bewusst sein. „Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen. Denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.“ Dazu sind sie beauftragt und ermächtigt: Das ist sehr umfassend gemeint: Nicht einzelne Gebotsübertretungen werden erlassen, sondern beziehungsschädigende Verfehlungen und Sackgassen, in denen Menschen stecken, sollen angesprochen werden. Geisterfüllte Persönlichkeiten haben den Mut und das Gespür, sich auf Betroffene achtsam einzulassen, hinzuhören und so zu reden, dass es befreiend wirkt. Sie dürfen dem Belasteten zusagen: „Du wirst loskommen von der Umklammerung. Du wirst neu angenommen als Mensch.“ Es ist ein großer Auftrag: „Denen ihr die Verfehlungen erlasst, denen sind sie erlassen.“ Genaugenommen ist es nicht eine Aufforderung,  nicht ein Befehl, sondern nur eine Feststellung. Sie klingt ganz unaufdringlich. Der Belastete wird dabei nicht angeklagt, es wird ihm nicht die Schuld vorgehalten. Nur wer von sich aus kommt, wer sich ausreden will, wer Befreiung sucht, dem kann die Gemeinde Jesu zusichern: Es wird dir erlassen. Das Wort „Gott“ kommt darin nicht ausdrücklich vor.  Man würde annehmen, es heißt: „Denen ihr die Verfehlungen erlasst, denen erlässt sie auch Gott selbst.“Es ist aber angedeutet im Passiv: „Die Schuld wird ihnen erlassen – von der höchsten Autorität.“

Die zweite Satzhälfte ist schwerer verständlich: „Wem ihr sie behaltet, ...“ Vom  Griechischen her heißt es genau übersetzt „festhalten“ und im „Festhalten“ klingt ein wenig Gewalt durch. Damit ist gemeint: Schuld hat etwas Umklammerndes an sich, es lässt den Menschen nicht los, es hält ihn fest. Viele Menschen sind Gefangene ihrer eigenen Verfehlungen und sie kommen leider nie soweit, dass sie daraus befreit werden wollen. Sie bleiben festgehalten. Wer immer aber den ehrlichen Willen hat, loszukommen, der wird Gruppen finden, die von „Jesus angehaucht sind“. Sie  können verlässlich sagen: „Es wird dir ein Ausweg aus deinen Verstrickungen ermöglicht.“ Genau das war ein Wesensmerkmal der frühen Kirche, dass sie sich aus Kreisen zusammensetzte, die etwas Befreiendes ausstrahlten. Wer Mitglied wurde, dem wurde seine belastete Vergangenheit nicht mehr vorgerechnet. Er erlangte Schulderlass. Das machte die Hauskreise so anziehend: „Hier bin ich angenommen als neuer Mensch.“

Pfingsten gilt als die Geburtsstunde der Kirche. Bis heute kann das Feiern des Pfingstfestes manchen Mitgliedern in Erinnerung rufen: Der Geist befähigt und ermächtigt uns dazu, jemand Schuld zu erlassen – angefangen beim Verzeihen unter den Nahestehenden – bis zur Tilgung der großen selbstverschuldeten Lasten: Christen, die „angehaucht“ sind von Jesus können hinhören, sie machen das gut und einfühlsam und sie können dann Befreiung zusagen. Sie können das im Namen einer „größeren Autorität“ und das wirkt.

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