29. Dez 2019
Sonntag-Heilige Familie
Wegweisend träumen
Matthäus 2,13-15.19-23
Der Besuch und die Geschenkeübergabe der Sterndeuter dauerten nur eine spätabendliche Stunde, dann verabschiedeten sie sich und zogen sich zurück in ihr Nachtquartier. Nach dieser denkwürdigen Begegnung fiel wohl auch Josef todmüde ins Bett. Aber wieder hatte er einen starken Traum. Es war nun schon der zweite Traum mit Auftrag, der erste hatte seine Braut betroffen. Die meisten Menschen können mit ihren Träumen nicht viel anfangen. Manche jedoch haben die Gabe, wegweisend zu träumen. Josef war ein solcher. Da tauchte in dem Traum ein Mann auf mit einer dringenden Botschaft. Hinterher betrachtet, war diese Gestalt eine, die nur vom Himmel gesandt sein konnte. Ihre Botschaft lautete: >Erhebe dich vom Lager, nimm das Kind beiseite und seine Mutter und ergreife die Flucht. Wohin? Nach Ägypten! Dort bleibst du solange, bis ich es dir sagen werde. Warum? Der Grund ist der König Herodes: Er hat die Absicht das Kleinkind zu suchen und es zu töten.< Diese Worte sind als echte Gottesbotschaften erkennbar: Knapp und ohne ausführliche Ergänzungen. Weder der genaue Ort ist angegeben, noch die präzise Zeitdauer – nur die Richtung. Weitere Anweisungen werden folgen.
Der Traum riss ihn aus dem Schlaf. Es ließ ihm keine Ruhe. Er musste das Kind und seine Mutter beiseite nehmen, eilig die Sachen zusammen packen, ein Reittier herschaffen. So brach er noch in derselben Nacht zur Flucht nach Ägypten auf. Die Entfernung betrug wenigstens 300 km, dauerte also ein paar Wochen. Es war nicht Sommer, sondern Winter-Regenzeit, das erschwerte die Sache auf den ersten 60 km bis sie die Wüste erreichten, aber dort konnte es bitter kalt sein in der Nacht.
Als er nach dem langen Fußmarsch in Ostägypten ange-kommen war, musste er sich zunächst vollkommen neu orientieren. Unter welchen Bedingungen konnte er dort leben? Wo fand er eine erste notdürftige Unterkunft? Wo Arbeit? Würde er sich hier ansiedeln für immer? Oder würde er eines Tages wieder in die Heimat Betlehem zurück-kehren? Fragen über Fragen! Der Bote im Traum hatte nur angedeutet: >Bleiben bis ich es dir sagen werde!< Dazu gehört ein großes Vertrauen, aber die Fragen bleiben.
Nur Matthäus der Evangelist fühlt sich genötigt, hier doch eine Antwort einzufügen. Es ist ein Erfüllungszitat aus den Propheten: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.“ Der Satz stammt von Hosea und ist aus dem Zusammen-hang gerissen. Wenn wir die Stelle nachlesen, gewinnen wir nicht den Eindruck, dass sie hierher passt: „Als Israel jung war, gewann ich sie lieb. Ich rief meinen Sohn aus Ägypten. Je mehr man sie rief, desto mehr liefen sie vor dem Rufen weg. Den Baalen brachten sie Schlachtopfer dar. Den Götterbildern Rauchopfer. Ich war es, der Efraim gehen lehrte, der sie nahm auf seine Arme. Sie aber haben nicht erkannt, dass ich sie heilen wollte.“ (Hos 11,1-3) Ob ganz zutreffend oder nicht, es ist die Art des Matthäus, den Ereignissen, die tatsächlich geschehen sind, hinterher eine biblischen Untermauerung anzufügen. Es stimmt also nicht, wie manche Bibelexegeten behaupten, die Ägypten-Flucht sei erfunden, um Bibeltexte zu beweisen. Eher ist es umgekehrt: Für den Weg nach Ägypten und die Rückkehr hat Matthäus krampfhaft ein Bibelzitat herangezogen.
Menschen auf der Flucht können nur wenige Habseligkeiten mitnehmen. Mütter sind zutiefst besorgt um ihre Kinder.
Das Massaker, das sich inzwischen in Betlehem zugetragen hat, das überspringt die Sonntagslesung diesmal. Manche Bibelexegeten bezweifeln den Kindermord zu Betlehem, weil er in der geschichtlichen Überlieferung sonst nirgends belegt ist. Der jüdische Schrift-steller Josephus Flavius berichtet ihn nicht. Man muss allerdings von den Gräueltaten des Gewaltherrschers Herodes nur einige kennen, dann erscheint der Mord an vielleicht einem Dutzend Kleinkindern als „historische Nebensächlichkeit“. Herodes hat eine seiner 10 Frauen, Mariamne I, umbringen lassen und drei eigene Söhne, nur weil die seine Macht gefährdeten. Selbst am Kaiserhof in Rom ging der Spruch um: „Lieber ein Schwein als ein Sohn des Herodes.“
Wo genau lebte Josef mit diesem gesuchten Kind und desen Mutter in Ägypten? Sicherlich in einem Landesteil, wo es jüdische Siedlungen gab. Womit bestritt Josef den Lebensunterhalt während der folgenden Jahre? Das sind alles Sorgen, die sich einer Flüchtlingsfamilie auftun. Das Matthäus-Evangelium gibt keine Auskunft darüber, aber wir können Vermutungen anstellen aufgrund seiner Berufsbezeichnung: Sie lautet im griechischen Original-Text TEKTON; was soviel bedeutet wie „Bauhandwerker“ (nicht Tischler oder Zimmermann!) Er verstand es, mit allen Baustoffen zu arbeiten – sicherlich mit Holz – aber auch mit Ziegel, Stein, Lehm, Metall. Somit wird Josef wohl Großbaustellen gesucht haben. Anfangs halfen die Goldmünzen über die Runden, die sie von den Sterndeutern geschenkt bekommen hatten. Als Herodes vom Tod gezeichnet war, musste er annehmen, dass im Land keine Trauer herrschen würde über seinen Abgang. So ließ er anordnen, dass gleichzeitig mit seinem Sterben führende Männer getötet werden sollten, damit das ganze Land trauere. Dieser Befehl wurde allerdings nicht ausgeführt, als er starb.
Herodes starb 69jährig nach langem qualvollem Leiden im März 4 v.Chr., also nach gut 2 Jahren Ägypten-Aufenthalt. Die Todesmeldung wurde auch im Ausland rasch verbreitet und kam zweifellos auch Josef zu Ohren. Und wieder hatte er einen Traum, wieder trat diese einprägsame Gestalt auf. Diesmal lautete der Auftrag: „Erhebe dich! Nimm das Kleinkind und seine Mutter und zieh in das Land Israel. Warum so plötzlich? Ja, denn diejenigen, die hinter dem Leben des Kleinkindes her waren, sie mussten selber das Leben lassen.“
Wieder war der Auftrag knapp, gerade für die nächsten Schritte, aber Josef befolgte sie aufs Wort genau das. Er stand auf, nahm das Kleinkind und seine Mutter beiseite zog wieder ein im Land Israel. Matthäus wiederholt nun zum vierten Mal in dem kurzen Text: „… das Kind und seine Mutter“ Der Hauptdarsteller in dieser Erzählung ist Josef, aber den Blick will der Evangelisten auf die beiden lenken. Ihnen gebührt die Würdigung, vor ihnen sollen wir niederknien, so wie es die Sterndeuter taten, als sie das Haus betraten.
Als sich Josef mit den beiden Schutzbefohlenen dem Reiseziel näherten, erfuhr er eine beängstigende Nachricht: Herodes hatte noch vor seinem Sterben, das gesamte Reich auf seine Söhne aufgeteilt und dem ältesten hatte den Südteil zugewiesen, der aber galt als noch grausamer als sein Vater. Archelaos hatte also in Judäa die Königsherrschaft angetreten. Da packte Josef die Angst. (Dass diese Angst berechtigt war, bewies die weitere Geschichte: Archelaos hielt sich nur 10 Jahre, dann wurde er nach Gallien verbannt vom römischen Kaiser. Die religiöse jüdische Führung ließ lieber einen römischen Statthalter zu, als dass sie diesen Herodes-Sohn länger ertragen hätte. So wurde Judäa im Jahr 6 n.Chr. in eine römische Provinz umgewandelt, Galiläa hingegen – der Nordteil – unterstand weiterhin dem Königssohn Antipas. Das Gespür des Josef, seine ursprüngliche Heimat Judäa zu meiden, sollte sich als richtig erweisen. Was sollte er tun? Wenn Betlehem nicht in Frage kam, konnte er nur noch versuchen, im Nordteil des Landes etwas zu finden oder wieder nach Ägypten zu zurück zu kehren, das widersprach dem Auftrag. Wieder kam ihm ein Traum zu Hilfe, es ist der dritte wegweisende in dieser Schilderung – diesmal aber ohne den Boten. Der Traum gab ihm Galiläa als Ziel vor.
Er kam also in Galiläa an, das sich 120 -160 km nördlich von Betlehem erstreckt. Die Wahl fiel auf ein winziges Dorf, namens Nazaret, das versteckt und abseits von den bedeutenden Straßen in einer Talmulde lag. Mattäus bezeichnet Nazaret als eine Stadt, aber die heutige Archäologie hat nachgewiesen, dass das Dorf höchstens 20 Häuser hatte. Außerdem lieferte ein Bibelforscher den Hinweis, dass in Nazaret eine Sippe angesiedelt war, die auch von davidischer Abstammung war, so wie Josef. Es lag also nahe, dass er sich dort niederließ und dort eine neue Heimstätte gründete. Er war ja Bauhandwerker. Wie das Kind Jesus aufwuchs, darüber hüllt sich Matthäus in Schweigen – ganz anders als Lukas, der als Beispiel den Pilgerweg des Zwölfjährigen zum Jerusalemer Tempel schildert. Lukas hat auch Nazaret als ursprünglichen Wohnort von Josef und Maria angegeben und es so dargestellt, als wären die beiden nach der Geburt in Betlehem hierher wieder zurück gekehrt. In dem Punkt weichen die beiden Evangelien signifikant voneinander ab. Lukas behauptet, Nazaret war der Ausgangspunkt, Matthäus erzählt uns, dass sich Josef erst nach der Ägypten-Flucht hier angesiedelt hätte. Wem gebührt die historische Glaubwürdigkeit? Wenn man Lukas kennt, wird klar, dass er eine Absicht verfolgt: Er macht Orte zum Ausgangspunkt: So wie er Jerusalem zum Ausgangspunkt für die Apostel nach „Auferstehung und Himmelfahrt“ macht, so macht er ist für Lukas Nazaret Ausgangspunkt der Verkündigung Jesu. Dort hält Jesus (laut Lukas) die Antrittsrede. Lukas leistet sich damit eine historische Ungenauigkeit, einfach um seinen Zweck zu verfolgen. Somit dürfen wir eher annehmen: Josef hat sich mit dem etwa vierjährigen Kleinkind und seiner Mutter in Nazaret vollkommen neu niedergelassen, dort erst einen Hausstand gegründet. Matthäus schließt diesen Abschnitt mit dem Satz ab: „Er wird Nazoräer genannt werden.“ Was er damit genau meint und bei welchem Propheten das Wort zu finden ist, bleibt ein Rätsel. Der Ursprung des Wortes könnte das hebräische Wort NAZIR sein, was „geweiht“ bedeutet. In Num 6 ist von einem Naziräer-Gelübde die Rede: Dadurch wird jemand dem HERRN geweiht. Dann soll er auf Wein und Bier verzichten. Kein Schermesser soll sein Haupt berühren, bis die Zeit abgelaufen ist. Das Wort kann aber auch auf NESER (hebräisch für Spross, Trieb) zurückgehen. Damit wäre es eine Anspielung auf ein Jesaja-Zitat: „Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Der Geist des Herrn ruht auf ihm“. (Jes 11,1f) Damit wäre Jesus der im „Spross-Dorf“ Aufgewachsene.
Josef erscheint im weiteren Evangelium nicht mehr auf der Bildfläche. Deshalb erlauben wir uns am Schluss noch eine Würdigung für ihn: Wie oft ist doch dieser Mann bereit gewesen zu einem Neuanfang – und zwar von Grund auf: Zuerst mit der versprochenen Braut, dann mit der Wohnstätte in Betlehem und der Geburt des Kindes, das nicht von ihm war, dann die Flucht und das Leben als Ausländer in Ägypten, dann die Rückkehr nicht in das vertraute Judäa, sondern das Gründen eines neuen Hausstandes in dem für ihn fremden Galiläa. Josef, der Mann, der innere Aufträge ernst nimmt und sie in die Tat umsetzt.