5. Juli 2020
14.Sonntag im Jahr.kr.
Kommt zu mir zur Erfrischung
Matthäus 11,25-30
Es ist nicht üblich, dass ein Evangeliumsabschnitt mit den Worten beginnt: „In jener Zeit …“. Offenbar steht das folgende Wort Jesu in Zusammenhang mit einem besonderen Zeitabschnitt seines Wirkens. Vor kurzem hatte er seinen erweiterten Schülerkreis, nämlich die Zweiundsiebzig ausgesandt. Es war für sie eine erste Übungsphase. Sie waren nun zu ihm zurückkehrt wohl ein wenig erschöpft, aber voll begeistert. Sie hatten ihm freudig erzählt, wie erfolgreich ihre Verkündigung und ihr Wirken war, weil sie es genau nach seinen Vorgaben und in seinem Sinn ausgeführt hatten. Nur Lukas gibt diesen Zusammenhang wieder, Matthäus hat es leider an ein anderes nicht so passendes Jesuswort angehängt.
In der Anwesenheit seines Schülerkreises, der schon recht zahlreich geworden war, und für alle gut hörbar spricht Jesus nun ein Bekenntnis frei und spontan heraus. Es ist eine Würdigung Gottes und eine Anerkennung von alten Prophetenworten: „Vater, ich möchte es würdigen und kann nur bestätigen, was frühere Propheten über dich schon angedeutet haben. (Viele Übersetzungen schreiben „Vater, ich preise dich“, aber das Originalwort heißt nicht „preisen“, sondern „frei heraus bekennen, anerkennen“. Siehe dasselbe Wort bei Mk 1,5 „sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan taufen“).
"Lasst euch mein Joch aufladen. Damit werden wir beide zusammen gespannt und ziehen gemeinsam den Pflug," Joche sind heute Museumsstücke, damals waren sie Alltagsgegenstände. Jeder verstand, was damit gemeint war.
Jesus setzt fort: „In den früheren Heiligen Schriften und bei den Propheten wirst du zwar noch HERR und Allmächtiger, Herrscher über Himmel und Erde genannt. Aber gerade den meine ich, wenn ich dich >Vater< nenne. Alle Hochgebildeten, die dich als HERRN verehren und dich nur aus Büchern kennen, sind nicht offen für den fortgeschrittenen Gottesnamen, der von einer Beziehung zu dir herrührt. Das hast du denen verborgen, die den Glauben nur als Wissen aufgenommen haben und die dich nur mit klugen und gewandten Worten beschreiben und predigen. Ihnen tust du dich nicht auf, so wie ich dich erfahren habe – als Vater. Es gibt viele am Glaubensweg, die zwar noch nicht mündig sind. Sie haben noch nicht das Sohn-Recht erlangt, aber sie sind Kinder unter deinem Schutz und unter deiner Vater-Fürsorge. Sie sind am Weg, dich kennen zu lernen – so wie ich es möchte, dass sie mit dir vertraut werden. Dieses Vertrauen zu dir als Vater erlangen sie nur in Wachstumsschüben, nicht durch ein langes mit Wissen ausgefülltes Studium, sondern es geschieht überraschend, spontan und in günstiger Stunde – es ist wie eine Offenbarung. Dafür muss ich dir die Anerkennung aussprechen, Vater.“
Ein weiterer aufschlussreicher Ausspruch stammt von Jesus: „Alles, wirklich alles – ohne Einschränkung, ist mir übergeben worden von meinem Vater. Von ihm wurde mir alles anvertraut, alles überlassen, alles mir in die Hände gegeben.“ Das Wort "übergeben" bedeutet auch "ausliefern", so wie Jesus von Judas "ausgeliefert wurde" - also ein Übergeben mit schwerwiegenden Folgen. Jesus sagt nicht "der Vater hat es mir übergeben", sondern er drückt es feierlicher aus: "Es ist mit vom Vater übergeben worden", das klingt nach einem ergreifenden Akt. „Den Sohn erkennt niemand wirklich durch und durch, außer einzig und allein der Vater.“ Die Übersetzung "kennt“ den Sohn ist zu schwach. Es ist von einem tiefen und vollkommenen Erkennen die Rede. Paulus schreibt von einer ähnlichen Erfahrung: „Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.“ (1Kor 13,12) „Niemand erkennt Gott ganz und gar in seiner väterlichen Art, außer einzig der Sohn. Zusätzlich kann jemand Gott nur ganz erkennen, wer sich auf den Sohn einlässt und wem der Sohn eine Offenbarung schenkt. So wie es vom wohlwollenden Willen Gottes abhing, dass Jesus als Sohn anerkannt wurde, so hat es mit dem Wohlwollen Jesu zu tun, dass jemand zur tiefen Gotteserkenntnis kommt.“ – Das Wort „dem es der Sohn offenbaren will“ könnte man missverstehen als seine Gutwill-Sache, etwa so, dass jemand ausgeschlossen wäre, wenn Jesus ihn nicht wollte. So kann es nicht gemeint sein. Es kann nur heißen, dass die Gotteserkenntnis nicht das Ergebnis eines persönlichen Ehrgeizes ist. Es ist das Geschenk von Seiten Jesu.
Dazu ergänzte Jesus: „Auf! Vorwärts! Zu mir alle Belasteten!“ Das Wort „kommt“ steht nicht im Originaltext, sondern nur „auf!“ Somit wirkt die Einladung frischer und kräftiger. „Zu mir alle, die müde und abgearbeitet sind. Zu mir alle, die belastet sind. Ich bin es, der diese Ermatteten erfrischen und aufrichten wird.“ Paulus verwendet das Wort „erfrischen/erquicken“ auch manchmal, so etwa am Schluss des 1.Korintherbriefes. „Es freut mich, dass Stephanas, Fortunatus und Achaikus zu mir gekommen sind; sie sind mir ein Ersatz für euch, da ihr nicht hier sein könnt. Sie haben meinen und euren Geist erquickt.“ (1Kor 16,17f) Jesus betont das „Ich“ so ausdrücklich, dass man vermuten kann, er spielt auf ein Gotteswort an: „Der HERR segnet dich und sagt: Ja, ich labe den Ermatteten, und sättige alle Verschmachtenden“ (Jer 28,12).
Jesus erweitert seine Einladung: "Lasst euch mein Joch aufladen. Damit werden wir beide zusammen gespannt und ziehen gemeinsam den Pflug, um das persönliche Feld zu bearbeiten.“ Das Joch ist dem heutigen Menschen nicht mehr vertraut, dem damaligen hingegen selbstverständlich. Es ist ein hölzerner Doppelbogen, mit dem zwei Zugtiere zusammen gespannt sind: zwei Ochsen oder zwei Esel. Durch das Joch verstärkt sich die Kraft, um einen Pflug oder ein Fuhrwerk zu ziehen. Auch für die Ehe, die Partnerschaft zwischen Mann und Frau, wurde gerne der Begriff „Joch“ verwendet. Jesus lädt also ein zu einer Partnerschaft mit ihm und fordert zusätzlich auf, von ihm zu lernen, also bei ihm Kurse zu besuchen und seine Grundsätze einzuüben. Hauptübungsfeld bei ihm ist erstens die Güte: Ich habe viel Nachsicht. Zweitens ist es die Bescheidenheit: Ich bin arm, von geringer Bedeutung, strebe nicht hoch hinaus. Diese Charakterzüge sind nicht vorgespielt, nicht zur Schau gestellt, sondern sind verinnerlicht, sie kommen aus der Personmitte, aus dem Herzen. Wer diese beiden Grundeigenschaften eingeübt hat, wird zu einer inneren Ausgeglichenheit finden. Er wird in der Lage sein, für sein Leben Erfrischung zu finden an Ruheplätzen. Jesus schließt ab, indem er verspricht: „Denn mein Joch legt sich sanft auf die Schultern, es ist mild. Es verursacht keine Schürfwunden, sondern ist angenehm. Meine Last ist leicht, ist unbedeutend an Gewicht.“ Unter dem Wort „Last“ kann man auch Ladung verstehen, sogar Schiffsladung. Für die Gläubigen zur Zeit Jesu war es selbstverständlich, dass Religion eine ganze Menge von Pflichten und Lasten auferlegt. Schon 18 Jahre nach Jesu Weggehen war das frühe Christentum in Gefahr, wieder eine Religion von Regeln und Verordnungen zu werden. Paulus verteidigt am Apostelkonzil 48 n.Chr. gegen die konservativen Kräfte die „Freiheit des Evangeliums“ und schreibt als Ergebnis der langen Debatten: „Von den Angesehenen wurde mir nichts auferlegt.“ (Gal 2,6)