8.Aug. 2021 19.Sonntag im Jahreskreis
Murren statt sich zu freuen über das Brot
Johannes 6,24-35
Da murrten die Juden gegen ihn, weil er gesagt hatte: Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Und sie sagten: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel herabgekommen? Jesus sagte zu ihnen: Murrt nicht! Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. Bei den Propheten steht geschrieben: Und alle werden Schüler Gottes sein. Jeder, der auf den Vater hört und seine Lehre annimmt, wird zu mir kommen. Niemand hat den Vater gesehen außer dem, der von Gott ist; nur er hat den Vater gesehen. Amen, amen, ich sage euch: Wer glaubt, hat das ewige Leben. Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. So aber ist es mit dem Brot, das vom Himmel herabkommt: Wenn jemand davon isst, wird er nicht sterben. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt.
Dies ist die 3. Fortsetzung zum "Brot-Thema" im Johannes-Evangelium. Und es wird von Mal zu Mal anspruchsvoller: Ein schwieriger Text, verwirrend, sprunghaft und sogar widersprüchlich. Anstelle eines durchgängigen roten Fadens finden wir Aussagen aneinanger gereiht, die jede für sich bestehen könnten. Der Text gibt zwar vor, Worte Jesu im Original-Ton wiederzugeben, so etwa dreimal: „Ich bin das Brot“. .... „Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“. ... „Brot des Lebens“ ... „lebendiges Brot“. Es ist die Frage, ob Jesus zu Lebzeiten das selber so gesagt hat, oder ob die Herausgeber des Johannes-Evangeliums 60 Jahre später es so formuliert haben. Sie wollten darin ihre Erfahrung ausdrücken: "Von der Beziehung zu Jesus kann man sich ernähren." Sich in ihn zu vertiefen, ihn zu studieren, einzudringen in sein Wort, in sein Werk, in seine Nachfolge-Gemeinschaft - all das verleiht enorme Stärke und seelische Gesundheit. Es ist spürbar für den, der sich darauf einlässt. Es baut auf.
Wer gelernt hat, sich davon zu ernähren – von Jesus als Brot – und wer es sich sogar zur Gewohnheit gemacht hat, ihn als Brot für jeden Tag zu verzehren, der wird immer öfter bestätigen: Ich bin so dankbar. Er ist das Geschenk des Himmels. Das eigene Leben gewinnt an Spannkraft. Wer sich von ihm nährt, bleibt frisch und kraftvoll. Kaum ein Schicksalsschlag kann ihn zermürben. „Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben.“ Damit ist nicht ein unendlich langes Leben im Jenseits gemeint. Mit ewigem Leben ist gemeint: "Selbst der Tod kann ihm nichts anhaben." (Ich verwende hier den Wortlaut von Bruder David Steindl-Rast. Er ist ein Weiser unserer Tage, Benediktiner-Mönch, Österreicher und US-Amerikaner. Trotz seiner 95 Jahre, die er in diesen Tagen erreicht hat, zeigt er immer noch eine bewundernswerte Vitalität.)
Bruder David Steindl Rast ist 95
und schenkt noch immer seinem Gesprächspartner die ganze Aufmerksamkeit.
Wenn das Brotwort tatsächlich aus dem Mund Jesu stammt, dann ist es einzigartig. Es hat kein Vorbild in der jüdischen Spiritualität, findet sich nirgendwo sonst im Alten Testament. Es steht wohl auch religionsgeschichtlich einmalig da. Wenn das Wort aus der Feder des Evangelien-Autors stammt, dann überliefert es uns ein starkes Bekenntnis: Die Christen am Ende des 1.Jahrhunderts bekannten: Das Geheimnis unseres unbeugsamen Zusammenhalts ist der Nährstoff, den wir haben: Jesus als Brot. Die frühen Christen sagten sich: Mag es auch 60 Jahre her sein, dass er in Israel aufgetreten ist. Dennoch ist er stärkende Nahrungsquelle geblieben. Diese Nahrung war ein Geschenk des Himmels – „vom Himmel herab gekommen“ – und sie ist es immer noch: ein unüberbietbare Geschenk. Dieser feste Glaube der frühen Christen ist einzigartig in der Menschheitsgeschichte. Keine religiöse Bewegung vorher und keine nachher hat es gewagt zu sagen: Wir ernähren uns vom Gründer her. Wir essen ihn als Brot. Diese Überzeugung hat die Christengruppen des ersten Jahrhunderts befähigt zu einer Ausbreitung in atemberaubender Geschwindigkeit. Historiker haben das Erfolgs-Geheimnis zu ergründen versucht. Dieser Text verrät uns das Geheimnis: „Wer glaubt, hat das ewige Leben.“ Wer sich den Hauskreisen damals verschrieb, die sich von Jesus her gesättigt hatten, dem konnte auch das mächtigste Staatoberhaupt nichts anhaben. Christus-Bekennende konnte man mit dem Tod bedrohen, ja sie sogar töten, aber ihr Leben wurde damit nicht ausgelöscht.
Führende Vertreter der Mutterreligion, also des Judentums, hielten das „Brot-Gerede“ der Jesus-Schüler für maßlos übertrieben. Für sie war Jesus nicht Brot, schon gar nicht Brot des Himmels, sondern ein ganz normaler Mensch, aufgewachsen unter einem normalen Vater und einer normalen Mutter. Sie warfen den Jesus-Hauskreisen vor, dass sie „ihren Jesus“ zu hoch bewerteten. Sie ließen deren Überzeugung nicht gelten. Die frühen Christen hingegen hielten den abweisenden Juden vor: Ihr murrt gegen Jesus genauso wie vor mehr als 1000 Jahren das jüdische Volk gegen den Gottesgesandten Mose gemurrt hat. Das Johannes-Evangelium verwendet genau dasselbe Wort, wie es im Alten Testament vorkommt: Murren.
„Das Volk dürstete dort nach Wasser und murrte gegen Mose. Sie sagten: Warum hast du uns überhaupt aus Ägypten hierher geführt? Um uns, unsere Söhne und unser Vieh vor Durst sterben zu lassen?“ (Ex 17,3)
„Das Volk lag dem Herrn mit schweren Vorwürfen in den Ohren. Als der Herr das hörte, entbrannte sein Zorn; das Feuer des Herrn brach bei ihnen aus und griff am Rand des Lagers um sich. (Num 11,1) ... Wie lange soll es mit dieser bösen Gemeinde so weitergehen, die über mich murrt? Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Gegen mich murren sie. (Num 14,27) ... Hier in der Wüste werden eure Leichen liegenbleiben, alle ohne Ausnahme; jeder von euch, der gemustert worden ist, wird sterben, alle Männer von zwanzig Jahren und darüber, die über mich gemurrt haben.“ (Num 14,29)
Schon der Klang des griechischen Wortes GONGYZO klingt nach Abweisung, nach Aufbegehren, nach Dagegen-Reden. Man sollte es laut aussprechen, um die Lautmalerei zu spüren. Wie Gott hier umgeht mit dem Murren, mag uns Heutige erschrecken, es zeigt ein noch sehr zorniges Gottesbild. Die Worte des Propheten Jesaja klingen nicht mehr so heftig: „Dann werden, die verwirrten Geistes waren, Einsicht erkennen, und die murrten, nehmen Belehrung an.“ (Jes 29,24)
Auch Paulus geht in seinem Schreiben an die Korinther auf dieses Thema ein: „Unsere Väter waren alle unter der Wolke, alle zogen durch das Meer, alle wurden auf Mose getauft ... erhielten die geistgeschenkte Speise ... den geistgeschenkten Trank ... sie sind umgekommen. Das geschah als warnendes Beispiel für uns, dass wir uns nicht von der Gier nach dem Bösen beherrschen lassen. ... Murrt nicht, wie einige unter ihnen murrten, sie wurden vom Verderber umgebracht.“ (1 Kor 10,10) Der Gemeinde von Philippi empfiehlt Paulus: „Wirkt mit Frucht und Zittern euer Heil. Denn Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen bewirkt zu seinem Wohlgefallen. Tut alles ohne Murren und Bedenken, damit ihr rein und ohne Tadel seid, ... inmitten einer verkehrten Generation, unter der ihr als Lichter in der Welt leuchtet.“ (Phil 2,12-15). Die beiden Schreiben stammen aus den 50er Jahren.
Das Johannes-Evangelium in den 90er Jahren tritt an gegen die Murrenden. Sie finden sich unter denen, die sich an die Tradition und die Gesetze klammerten. Sie beobachten die Freiheit und Freude der Jesus-Kreise mit Misstrauen. Diese religiös starr Gebliebenen empören sich: „Wie können die Jesus-Anhänger nur so etwas Unvernünftiges sagen? Sie essen ihren Christus als Brot, sie essen ihn als Fleisch.“
Murrendes Reden, abwertende Worte sind bis heute nicht verstummt. In manchen Runden scheint das Murren zur Mode geworden zu sein. Einzelne sprachgewandte Mitglieder melden sich ständig zu Wort. Sie weisen auf Mängel hin, zählen Missstände auf und verbreiten eine Stimmung, die aufwühlt, anstatt den Magen zu beruhigen wie nach einem bekömmlichen Essen. Die gesamten Mitglieder gehen leer weg von dem Treffen, wo die Murrenden tonangebend waren. Den Murrenden im Streitgespräch etwas dagegen zu halten, wird wenig bringen. Sinnvoller ist es, dass sich die Gruppe selber fragt: Wovon wollen wir uns wirklich sättigen? Von IHM! Ja, von IHM versprechen wir uns langfristig die stärkende Wirkung. Auch die Suche nach Gesinnungs-Geschwistern wird unerlässlich sein, sodass "Brot-Kreise" wachsen. Sie sind zusammengesetzt aus Menschen, die IHN als Nahrung bereits geschmeckt haben und diese Nahrung weiter kennenlernen wollen. Die Gruppen-Mitglieder bestärken sich gegenseitig in dem Lernprozess. Sie werden Fortschritte machen mit der Erfahrung: „Das Brot, das ich geben werde, ist Leben, ist Vitalität.“