20. Jän. 2019
2.Sonntag im Jahreskr.
Lass das Lebensfest gelingen!
Johannes 2,1-10
Das Johannes-Evangelium tut uns den Gefallen, nach der hochgeistigen Einleitung ein handfestes Ereignis an einem tatsächlichen Ort zu schildern. Nach den philosophisch klingenden Einstiegssätzen: „Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts“ folgt im 2. Kapitel: „Es fand in Kana in Galiläa eine Hochzeit statt.“ Das ist sein typisches Wechselspiel zwischen Denkanstößen und Taten Jesu – dieser Stil zieht sich durch das ganze Johannes-Evangelium. Die Leser, die mit dem Wunder wirkenden Jesus glücklich sind, kommen jetzt auf ihre Rechnung. Manche Bibelübersetzungen schreiben sogar den Schluss so: „Jesus tat dieses erste Wunder in Kana in Galiläa.“ (Die Gute Nachricht, 1971) Manche Touristen-Gruppen machen am Weg von Nazaret zum See einen Stopp in Kana wegen des „Weinwunders“, das hier stattgefunden haben soll. Anspruchsvolleren Lesern fällt auf, dass der Schlusssatz genau heißt: „So tat Jesus sein erstes Zeichen…“ Noch genauer: „Er machte den Anfang der Zeichen.“ Manche tun sich schwer, das Verwandeln von Wasser in Wein als bare Münze zu nehmen und ziehen es vor, nur den Sinn der Geschichte gelten zu lassen – etwa so: Christus verwandelt unser Leben in Freude – er bringt Stimmung in Fülle, was sonst der Wein bewirkt. Es kommt nicht auf die Historizität an, sondern auf den Glaubensgehalt.
Diese beiden Einstellungen haben einen Haken: Der erste Schülerkreis Jesu, das waren keine wundergläubigen Schwärmer. Im Gegenteil: Sie brachten im Laufe der 3 Jahre mit ihm oft ihre Einwände vor und hinterfragten das Vorgefallene. Den zusammen-fassenden Abschluss dieser Schilderung muss man so verstehen: „Es zeigte sich die strahlende Überlegenheit Jesu und seine lernenden Begleiter schenkten ihm von da an volles Vertrauen.“ Den Ort Kana gab es tatsächlich, auch die Hochzeit und die Tatsache, dass zu fortgeschrittener Stunde noch ein erlesener Wein zum Vorschein kam. Allerdings: Das hat sich nicht in dem heute pulsierenden arabischen Dorf Kana zugetragen, wo die Franziskaner-Kirche steht, sondern 9 km nördlich davon. Dort ist nur ein überwachsener Ruinenhügel zu finden, der mit keinem Reisebus erreichbar ist, nur zu Fuß oder mit dem Rad. Dort hin zu gehen, ist nur möglich mit Suchenden, die mehr Zeit haben. Aber dem Text sorgfältig nachgehen, das ist jetzt sofort möglich.
„Am dritten Tag fand in Kana in Galiläa eine Hochzeit statt.“ Das Evagnelium will klarstellen: nicht im syrischen Kana! Warum wird der dritte Tag erwähnt? Hat er symbolische Bedeutung? Diesen hier genannten dritten Tag als "Tag der Auferstehung" ist nicht zulässig, im Johannes-Evangelium wird nie "der dritten Tag" als den Tag der Auferstehung bezeichnet. Da heißt es: "Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala zum Grab ..." "Am Abend des ersten Tages der Woche waren die Jünger bei verschlossenen Türen beisammen..." "Acht Tage darauf waren sie wieder drinnen versammellt ..." Somit dürfte es sich um die faktische Angabe der 3.Wochentages handeln. Üblicherweise fanden Hochzeiten am vierten Tag statt – das Fest selber dauerte mehrere Tage. Diese Familie tanzte also aus der Reihe, hielt sich nicht an die Gepflogenheiten. Das ist so ähnlich, wie wenn jemand heute von einem Paar erzählen würde: „Die haben an einem Mittwoch geheiratet.“ Der Grund für den unüblichen Termin wird uns nicht gesagt. Es dürfte jemand aus der Verwandtschaft Jesu gewesen sein, denn seine Mutter war dort anwesend. Sie war in die Festvor-bereitungen einbezogen. Jesus erhielt die Einladung dafür kurzfristig, denn er war ja soeben von der Johannes-Taufe und der anschließen-den 40tägigen Wüsteneinsamkeit heimgekehrt. Er hatte bereits wahrscheinlich fünf Schüler als ständige Begleiter dabei: Johannes und Andreas sicher, denn die hatten sich vom Täufer weg angeschlossen. Ob auch Petrus, Philippus und Natanel dabei waren, ist ungewiss, dürfen wir aber annehmen. Mehr als 5 jedenfalls waren es noch nicht. Jesus war willkommen – mitsamt seiner kleinen Begleitergruppe. Bei einem mehrtägigen Fest, wo einige Hundert Gäste geladen sind, spielen die Fünf mehr oder weniger keine Rolle.
An einem der Folgetage zeichnete sich ab, dass der Wein knapp werden könnte. Der Originaltext sagt nicht, „dass der Wein ausging“, sondern dass ein Mangel eintrat. Der Wein ging zur Neige. Die Mutter Jesu als aufmerksame Frau merkte es frühzeitig und wollte wohl dem Gastgeber eine Blamage ersparen. Der Wein gehörte bei jüdischen Festen wesentlich dazu. Die Rabbiner lehrten: "Ohne Wein keine Freude." Nicht, um sich sinnlos zu betrinken, denn das war eine Schande. Aber Wein war unentbehrlich. Die Mutter kannte ihren Sohn, dass er ein Phänomen war im Organisieren von Dingen, wenn Not am Mann war. Er verfügte von Jugend an über ein reiches Netzwerk an Beziehungen und war kreativ und erfinderisch, um etwas zu besorgen, was andere für aussichtslos hielten. In dieser Überzeugung trat sie an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr (das steht nicht im Originaltext!): „Sie haben KEINEN Wein mehr.“ Was stimmte jetzt? War der Wein aufgebraucht oder ging er erst zur Neige? Vielleicht bricht in dem Wort die Überbesorgnis einer Mutter durch: „Der Wein ist aus!“
Wein sorgt für Stimmung. Guter Wein darf bei keiner Hochzeit fehlen. Foto von der Weinverkostung am Golan.
Nur ein Wanderweg führt zum ursprünglichen Kana, genannt Kirbet Kana
Nur noch spätliche Ruinen auf einem kleinen Hügel erinnern an das Kana in Galiläa des Evangeliums.
Jesus gab eine unfreundlich klingende Antwort: „Was ist zwischen dir und mir? Haben wir nicht eine Trennlinie vereinbart?“ Warum redete Jesus mit seine Mutter so abweisend? Er sprach sie sogar mit „Frau“ an, so als wäre sie nicht mehr die Mutter und sie hätte auf ihren Sohn keine Ansprüche mehr. Worauf spielt er an? Vielleicht hat er ihr vor dem Weggang zum Täufer angekündigt, dass er verändert heimkommen würde und die herkömmlichen Familienverhältnisse nicht mehr gelten würden. Er sei Sohn eines anderen Vaters geworden. Im ganzen Johannes-Evangelium wird die Mutter nur zweimal mit „Frau“ betitelt. Hier und unter dem Kreuz: „Frau, siehe, dein Sohn“ (Joh 19,26) Jesus war nicht genervt von der Mutter, dass er so schroff antwortete, sondern er wies auf seine Sendung hin. Er gab auch den Grund seiner Ablehnung an: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Was er damit meinte, können wir wieder nur verstehen vom Schluss her. Die Stunde seines Sterbens wird das vollkommene Aus sein (der Wein ist aus!), gleichzeitig die Verherrlichung. Jetzt ist Gott am Zug. Durch sein Leiden bis zur Vollendung wird er den Durchbruch einleiten, die Rettung. Das dürfte für die Mutter Jesu im Angesicht der Hochzeit zu hoch gewesen sein und zu früh, um es zu verstehen. Wohl auch für Johannes, den Jünger, den Jesus liebte. Aber er muss auch der einzige gewesen sein, der diesen Wortwechsel zwischen Mutter und Sohn mitverfolgte.
Die Mutter ließ sich nicht abbringen und wandte sich den Gehilfen zu, die im Hintergrund für den reibungslosen Festverlauf zu sorgen hatten. Sie wird ihnen gesagt haben: „Der dort – er mag für euch zwar nur wie ein Gast wirken – aber der wird euch etwas sagen. Das habt ihr zu befolgen, so wie wenn euch der Gastmeister etwas auftragen würde.“ (Der Satz „Was er euch sagt, das tut“ ist eine Perle für sich. Über Jahrhunderte hinweg empfiehlt das die Mutter den Christen: „Was er euch sagt, das tut“ Gemeint ist: "Setzt seine Lehrworte in die Tat um" ). Es standen dort sechs steinerne Wasserbehälter von unterschiedlicher Größe: ihr Fassungsvermögen betrug zwei bis drei Metreten (1 Metreton waren 40 Liter). Sie standen beim Zugang zum Festzelt, damit sich die Gäste als gläubige Juden ihre Unterarme und Hände beträufeln konnten, wie es religiöse Vorschrift vor einem Mahl war. Dazu hingen kleine Schöpfgefäße dabei – sie sind heute noch beim Zugang zur Klagemauer in Jerusalem gebräuchlich.
Jesus erhob sich wohl unauffällig von der Festtafel und ging nachdenklich eine Runde (das steht wieder nicht im Originaltext!) Er warf einen Blick in diese schweren Steintröge, in einen nach dem anderen. Dabei fiel ihm etwas auf und jetzt wusste er die Lösung. Er ordnet an: Die Helfer sollten alle sechs Behälter ganz auffüllen mit Wasser. So wir er sie vorfand, waren sie unterschiedlich voll - sicher nicht leer. Er blieb dabei stehen, um zu sehen, dass sie seinen Auftrag wunschgemäß ausführten. Er legte Wert darauf, dass sie wirklich randvoll würden, fast zum Überlaufen. Er breitete nicht die Hände über dem Wasser aus, um eine materielle Umwandlung durchzuführen. Nein, er sagte: „Zieht jetzt etwas ab!“ (Original-Text) Das heißt, sie sollten nicht von der Oberfläche wegschöpfen, sondern von tiefer unten entnehmen. „Und bringt es dem Oberkellner, dem Speisemeister.“ Sie führten den Auftrag aus. Warum ging nicht Jesus selbst zum Festverantwortlichen damit? Das tat er nie: Er hatte es nicht nötig, selbst als derjenige in Erscheinung treten, der die Lage gerettet hat. Er hielt sich lieber im Hintergrund. Der Speisemeister hatte mit Kennergaumen den Wein verkostet und war einigermaßen erstaunt. Er hatte keine Ahnung, woher der Wein gekommen war. Die Diener aber wussten es. Was war geschehen? Jesus war in seiner feinen Beobachtungsgabe aufgefalllen, dass nicht in allen Steintrögen reines Wasser war. In vielleicht einigen davon schwamm auf der vermeintlichen Wasseroberfläche etwas Öl. Dem waren alle Hochzeitsgäste ausgewichen beim Hände reinigen. Sie hatten sich vielleicht gewundert darüber, aber mehr nicht. Jesus schöpfte Verdacht (Das steht nicht im Originaltext!) Er dachte: "Darunter hat jemand bewusst etwas verborgen, zu dem kein anderer Zugriff bekommen sollte." Das müssen die Überlegungen Jesu gewesen sein, denn warum sonst bestand er so klar darauf, die Behälter randvoll zu machen? Doch wohl, damit das zum Vorschein käme, was unter der Tarndecke zurückgehalten wurde. "Zurückbehalten" - genau so lautete gleich in der Folge der Vorwurf an den Bräutigam.
Nun werden wir (als Leser) Zeuge eines peinlichen, vorwurfsvollen Wortwechsels: Der Oberkellner ließ sofort den Bräutigam von der Tafel wegrufen, ohne zu wissen, woher der Wein jetzt plötzlich gekommen war. Die Gäste sollten nichts mitgekommen von den Vorwürfen, denn sie fielen heftig aus: „Üblicherweise wird der kostbare Wein in der Anfangsphase des Festes aufgetischt und erst später, wenn die Gäste schon betrunken sind, der mit der geringeren Qualität. Was aber ist hier gelaufen?“ Der Bräutigam wird blass geworden sein, weil jetzt aufgedeckt war, was er im Zuge der Festvorbereitungen heimlich getan hatte: Er hatte den teuren Qualitätswein verschwinden lassen. Die neue Einheitsübersetzung schreibt: „Du jedoch hast den guten Wein bis jetzt aufbewahrt.“ Die frühere Einheitsübersetzung schrieb: „Du jedoch hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten.“ Beides trifft die Pointe nicht: "Du hast den Wein unter Verschluss behalten." Das Originalwort heißt „in Verwahrung nehmen, bewachen, unter Kontrolle halten, dafür sorgen, dass er nicht verloren geht, nicht in andere Hände kommt". Hier ein paar Belege dafür: „Dann setzten sie (=die Soldaten) sich nieder und bewachten ihn. (=den Gekreuzigten)“ (Mt 27,36) „Petrus wurde also im Gefängnis bewacht. Die Gemeinde aber betete inständig für ihn zu Gott." (Apg 12,5) „Einige der Pharisäer meinten: "Dieser Mensch (=Jesus) kann nicht von Gott sein, weil er den Sabbat nicht hält (=nicht genau darauf schaut)". (Joh 9,16)
Mit dieser Aufdeckung des Bräutigams endet die Erzählung. Es wird nichts mehr von einer Feststimmung geschildert, nichts von Freude über den zum Vorschein gekommenen Wein. Man hat auch den Eindruck, dass sich Jesus sang- und klanglos aus dem Staub gemacht hat, zusammen mit seinen 5 Begleitern, aber sie haben durchschaut, wie er die verfahrene Lage gerettet hat und waren begeistert von ihm. Sie ahnten wohl noch nicht, was noch auf sie zukommen würde in den bevorstehenden Jahren, während sie mit ihm gingen. Erst im Rückblick kann das Johannes-Evangelium schreiben: „Diesen Anfang der Zeichen machte Jesus in Kana in Galiläa“ Insgesamt erzählt dieses Evangelium von genau sieben "Zeichen". Schon wie am Beginn wird nochmals betont, dass es sich tatsächlich an einem Ort namens Kana zugetragen hat: Jesus hat etwas zum Vorschein gebracht, worüber jemand anderer gewacht hatte, es unter Verschluss gehalten hatte.
Was kann das für uns heute bedeuten? Es wäre alles da, dass unser Fest auf der Erde gelingen könnte. Bedauerlicherweise sitzt aber auf dem Stuhl vorne an der Festtafel jemand, der das Wertvollste zurück behalten hat. Es ist noch dazu der, welcher das Fest ausgeschrieben hat. Wenn nun ein hellsichtiger Festteilnehmer aufsteht und das aufdeckt, was der Verantwortliche zurück behalten und bewacht hat, wenn er das nur tut, um die Feststimmung zu retten – ohne sich selbst in der Vordergrund zu spielen – dann handelt er im Sinne des Nazareners Jesus. In wievielen Bereichen würden wir ihn brauchen: in der Versorgung der Menschen eines Landes wird Wertvolles zurück behalten, in der Kindererziehung, in der geistlichen Nahrung der Gläubigen – wir brauchen ihn oder sie, die dafür sorgt, dass der kostbare Wein nicht zurückbehalten wird. Vorhanden wäre er ja.