
27. Jän. 2019
3.Sonntag im Jahreskr.
Die Antrittsrede in Nazaret
Lukas 4,16-21
Auf Wunsch ist diese Auslegung wieder als Interview gestaltet, so wie am 2.Advent-Sonntag. Sie ist brauchbar als Predigt-Interview. Die Fragen sind an jemand gerichtet, der Nazaret kennt durch einen längeren Aufenthalt.
Was nimmt ein Pilger, der Nazaret besucht hat, als Erinnerung mit heim?
Beeindruckend ist die mächtige Kirche im Zentrum der Stadt: die Verkündigungskirche. Sie ist die größte im ganzen Nahen Osten. Sie wurde erst vor knapp 50 Jahren eingeweiht. Es ist die 5.Kirche, die seit den Zeiten Jesu über das Wohnhaus seiner Jugend errichtet wurde. Jede von ihnen hat nur mehrere Jahrzehnte überdauert und wurde bald ersetzt oder zerstört.
Welche biblisch handfesten Spuren sind zu sehen?
Es ist die Wohngrotte der heiligen Familie. Sie sieht aus wie eine Höhle, weil der Vorbau aus 3 Seite Mauerwerk nicht mehr dasteht. Viele Häuser damals waren so gebaut. Die Familien nützten Felshöhlen als hinteren Teil des Hauses.
Kann die Archäologie etwas bestätigen, was im Evangelium erzählt wird?
Es muss ein winziges Dorf gewesen sein, man schätzt 20 – 30 Häuser. Es ist kaum anzunehmen, dass es eine eigene Synagoge gegeben hat. Es wird zwar eine Synagogen-Kirche gezeigt, aber die stammt aus der Kreuzfahrerzeit. Eher ist anzunehmen, dass an eines der Familienhäuser ein Synagogenraum angebaut war. Heute ist Nazaret eine 80.000 Einwohnerstadt, ein Drittel davon sind Christen. In der Mitte erhebt sich aus dem Häusermeer die alles überragende Kuppel. Über die kühle nackte Beton-Konstruktion lässt sich streiten. Trotz allem verweilen immer wieder Pilger in stiller Ergriffenheit vor der Wohngrotte, sie ist Mittelpunkt der Kirche.
Jesus kam also während seines 3jährigen Wirkens, als er durch seine Lehre schon Berühmtheit erlangt hatte, auch nach Nazaret – Wie soll man sich das vorstellen?
Es ist klar, dass ihn alle aus dem Dorf gekannt haben von Jugend auf. Sie waren überrascht, dass er seinen Beruf gewechselt hatte. Sie kannten ihn als Bauhandwerker. Jetzt war er plötzlich ein spiritueller Lehrer. Man nannte ihn Rabbi.

Die mächtige Verkündigungskirche in Nazaret entspricht nicht dem winzigen Dort, in dem Jesus aufwuchs.

Du hast gesagt „Bauhandwerker“. Üblicherweise heißt es, Jesus sei Zimmermann gewesen.
Wir verbinden mit Zimmermann einen, der nur Holz bearbeitet. Erstens gab es dort gar nicht soviel Bauholz wie bei uns. Zweitens steht im griechischen Originaltext TEKTON. Das ist der nächste nach dem ARCHI-TEKTON, der die Pläne zeichnet und den Bau von oberster Stelle überwacht, aber nichts händisch anpackt. Jesus hat als TEKTON alle Baumaterialien bearbeitet: Holz, Stein und Lehm. Er hat selbst Hand angelegt und hat eine Baupartie angeführt. Er hat mit dem Bautrupp das umgesetzt, was der Architekt und der Bauherr sich vorgestellt haben.
Woher wissen wir das? Lukas schreibt nichts davon im heutigen Evangelium. Da heißt es nur, dass er in Nazaret aufgewachsen ist.
Wir können das nachlesen in den Parallelstellen der beiden anderen Evangelien Markus und Matthäus. So etwa schreibt Markus, dass die Zuhörer in Nazaret verwundert waren über ihren ehemaligen Dorfgenossen und gefragt haben: „Ist das nicht der Bauhandwerker, der Sohn der Maria?“ Markus weiß zu berichten, dass sich dieser Heimatbesuch irgendwann in der Mitte seines Wirkens zugetragen hat. Lukas reiht das Ereignis an den Anfang, um eine Antrittsrede daraus zu machen.
Was will Lukas erreichen mit dieser Umstellung?
Lukas schreibt 60 Jahre nach dem Wirken Jesu in einer Zeitepoche, in der die Gute Nachricht vom befreienden Wirken Jesu schon über das ganze römische Imperium hinweg Zuspruch gefunden hat. Es gibt schon in jeder Großstadt mehrere Hauskreise, die sich durch besonders achtsamen Umgang miteinander auszeichnen. Lukas selbst ist Mitglied in einer Gemeinde. Seit er dort dazu gehört, hat sich sein Leben verändert.
Jesus wirkte in den Jahren 27 – 30 n.Chr. – Lukas schreibt 90 n.Chr. – Worin besteht die Verbindung, die Brücke zwischen den beiden Zeitabschnitten?
Das dreijährige kraftvolle Wirken Jesu hat sich fortgesetzt in seiner Nachfolge-Gemeinschaft. Somit waren seine Worte und sein Tun noch Jahrzehnte später wirksam. Lukas schreibt wie ein einfallsreicher Filmregisseur. Er lässt Jesus aus der Schriftrolle des Propheten Jesaja mit Bedacht langsam vorlesen: „Der Geist des Herrn hat mich gesalbt. … damit ich Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht, damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze.“ Beim Lesen des Lukas-Evangeliums SEHEN wir Jesus da vorne stehen. Gleichzeitig spüren wir, wie Lukas aus seiner Gemeinde-Erfahrung spricht: Da gibt es Mitglieder, die erst seit kurzem dabei sind: Vorher waren sie gefangen von Umständen, sie haben gelitten unter Zwängen. Jetzt –seit sie zur Christus-Gemeinschaft gehören, sind sie frei. Vorher sind sie blind durch das Leben geirrt, es war düster rundherum. Christus hat ihr Leben aufgehellt. Vorher waren sie zermürbt und depressiv. Jetzt können sie durchatmen und aufrechte Menschen sein. Dieses Wirken geht weiter bis heute , bis ins Jahr 2019.
Da werden viele sagen: Schön wär es, wenn das noch bis heute wirken würde. Wie kannst du behaupten, dass Lukas die Wirkung der Worte bis in unsere Zeit herauf für möglich hält?
Das kann man feststellen an dem Wort HEUTE. Es ist ein Lieblingswort des Lukas, das er an entscheidenden Stellen einsetzt. Angefangen bei den Hirten von Betlehem. Dort sagt ihnen die Lichtgestalt: „HEUTE ist euch der Retter geboren.“ Das letzte HEUTE sagt Jesus im Lukas-Evangelium dem Mitgekreuzigten an seiner rechten Seite, der ihn bittet: „Denk an mich …!“ Er bekommt die Zusage: „HEUTE noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Lukas ist überzeugt, dass das HEUTE auch 2000 Jahre später noch gilt: „HEUTE hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“ Auch heute wird der eine oder andere nach diesem Gottesdienst befreit heim gehen, auch wenn er sich die ganze Woche gefangen gefühlt hat, seine Augen verklebt waren oder er niedergeschlagen war. Das WORT hat Kraft und wirkt befreiend. Das haben schon viele am eigenen Leib oder in der eigenen Seele erfahren und viele werden es noch erfahren.
Danke dir, für deine Eindrücke von Nazaret und für die Deutung des heutigen Evangeliums.