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9. Sept. 2018

23.Sonntag i.Jahr

Hinhören und Klartext reden lernen

Markus 7, 31 - 37

Wer sich mit der Überschrift „Heilung eines Taubstummen“ vorschnell begnügt, der ist selber taub und stumm. Er hat die Feinheiten nicht gehört und kann nicht reden über die Wirkung dieses Falles, sie reicht von damals bis in unsere heutige Zeit. Die Geschichte geht weit über eine Einzelheilung hinaus.

In der Frühfassung des Markus-Evangeliums scheint die Begebenheit nicht enthalten gewesen zu sein, weil sie die Abschreiber Matthäus und Lukas nicht kennen. Markus hat sie offenbar in seiner letzten Buchauflage nachgeholt und wenn er etwas hinterher einfügt, muss es ihm noch recht wichtig sein.  

Fangen wir mit unserer Betrachtung bei den beiden Schlusssätzen an: Satz 1 ist eine deutliche Anspielung auf den Schöpfungsepos, bekannt als das 7-Tage-Werk: „Er hat alles gut gemacht.“ Nach jedem Evolutionsschub, nach jedem Schöpfungstag, heißt es: „Gott sah, dass es gut war.“ Nach dem 6.Tag heißt es sogar gesteigert: „Gott sah alles an. Und siehe es war sehr gut.“ Nachzulesen in Genesis 1! Schlusssatz 2 greift einen Heilsruf aus dem Prophetenbuch Jesaja auf: „Dann werden die Augen aufgehen und die Ohren der Tauben werden geöffnet. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch und die Zunge des Stummen frohlockt.“ (Jes 35,5f).

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Die Gehörgänge führen in das Innere des Schädels. Wer in die Ammud-Höhle in Galiläa eintritt, ist beeindruckt von ihre gewaltgen Größe. In den 1960er Jahren entdeckten hier japanische Archäologen einen Neandertaler-Schädel.

Bei Markus sind solche Rückverweise auf die jüdische Bibel außergewöhnlich, bei Matthäus hingegen häufig.Wer immer diese 2 Schlusssätze eingeflößt hat, er scheint damit auszudrücken: Wenn einer im Stande ist, die Hörfähigkeit des Menschen wiederherzustellen, wirkt er wie der Schöpfer, stellt er das Paradies wieder her. Menschen zum Hinhören zu befähigen, ist „sehr gut“. Wer Sprachbarrieren zwischen Gruppen oder Einzelnen abbaut, tut etwas Göttliches. Wer die Wände durchdringt, die unsere Welt krank machen, – nämlich das mangelhafte Ausreden – der bringt vieles wieder in Ordnung. Beschrieben wird hier ein Einzel-Heilungserfolg Jesu, aber wir dürfen ihn gesellschaftsweit deuten. Während Markus mit der Endredaktion des Markus-Evangeliums beschäftigt war (um das Jahr 70 in Rom), konnte er das aus seiner Gemeinde-Erfahrung bestätigen: Viele Mitglieder haben, seit sie dabei sind, gelernt zu hören und klar zu sprechen: über sich, über ihr Leben und über Lebenswahrheiten. Diese Vision ist in der heutigen, modernen Welt mehr gefragt denn je. Unsere Zeit ist bildlastig, auf Kosten des Gesprächs. Wir werden von Kurz-Zeilern überflutet, schlampige Wortfetzen huschen von Handy zu Handy. Man kann in den digitalen Sozial-Medien als „Freund“ aufgenommen werden, ohne jemals ausführlich miteinander gesprochen zu haben. Wer in solch einer flüchtigen, wüstentrockenen Welt das Gespräch bewusst sucht und die Gehörgänge nach innen aufbricht, tut etwas Visionäres. Wer selber ein klares, deutliches Wort spricht und damit sein Gegenüber dazu genauso ermutigt, hat vieles „gut gemacht“. Er verwandelt die Welt des Stammelns und Lallens in das Paradies des Klartextes. Das hat schon Jesaja 700 v.Chr. ersehnt, Jesus hat die Vision in die Tat umgesetzt und seine Nachfolge-Gemeinschaft ist es ihm schuldig, die Vision fortzusetzen.

Gehörgänge im übertragenen Sinn  zu öffnen, das hat Jesus unermüdlich getan: Einmal hat er einen organischen Gehörschaden behoben. In Folge dessen konnte die Person wieder sauber sprechen. Zum Glück ist uns der Hergang genau geschildert. Lasst uns Jesus über die Schulter schauen: 1. Er nimmt den Betroffenen beiseite vom Wirbel der Leute, um sich ihm ausdrücklich zuwenden und sich ganz auf ihn einstellen zu können. Die Person stammt übrigens aus der Dekapolis, dem griechisch-römischen Kulturkreis, für Juden ein Ausländer. Das macht für Jesus keinen Unterschied. 2. Er presste dem Kranken die Fingerspitzen in die Ohren. Das griechische Wort BALLO heißt „werfen“ (nicht wie die Einheitsübersetzung schwach schreibt: „er legte ihm die Finger in die Ohren“). Es war eine intensive und anhaltende Behandlung. Jesus arbeitete körperlich und energetisch. 3. Er verwendete seinen eigenen Speichel, was damals ein gebräuchliches Heilmittel war. Jesus nimmt etwas Heilsames aus seinem eigenen Mund und streicht es in den unheilen Mund des anderen. Er „berührte“ nicht bloß die Zunge, sondern „fasste sie an“ (Originaltext!) 4. Er sprach den Betroffenen mit deutlichem Mundausdruck an. Markus überliefert uns das Wort in Original-Aramäisch (was sehr selten vorkommt). „Effata.“ – „Sei ganz offen!“ Zur heilenden Geste gehört auch das ermutigende Wort dazu gesprochen. Das praktizierte Jesus immer so. Er flüsterte nicht Fremdwörter wie die damals üblichen Fachärzte und Heiler. Wir brauchen das Wort Effata nur auszuprobieren und dabei den Mund übertrieben weit aufzureißen, dann wird uns klar: Das muss der Hörgeschädigte verstandenen haben. 5. Nach und nach geschieht das Wunderbare: Die Gehörgänge weiten sich und lassen die Aufforderung eindringen: „Versuche es! Du kannst dich ab sofort verständlich ausdrücken.“ Und tatsächlich: Das Gestammle lässt nach. Die vorher lallenden Ausdrücke werden klarer – bis die saubere Verständigung da ist. 6. Zum Schluss gibt Jesus den herumstehenden Zeugen den Auftrag, das Ereignis nicht als Wunder herum zu posaunen. Der Großteil hält sich nicht daran vor lauter Fassungslosigkeit. 7. Einige aber lernen daraus: Sie anerkennen dankbar: „Hier ist etwas Modellhaftes, etwas Ideales geschehen. >Er hat alles gut gemacht< Wir können seinen Umgangsstil fortsetzen und verbreiten. Wir können uns selber üben im feinsinnigen Hinhören und im Klartext reden. Wir können in unserem Umfeld manche dazu ermutigen. Wir bauen damit an einer Vision.“

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